tag:blogger.com,1999:blog-36369067025158075822024-02-20T00:51:43.258-08:00Bollywood - und mehrBOLLYWOOD – UND MEHR: Das bedeutet zwar Schwerpunkt Bollywood, umfasst aber sonst das ganze indische Kino. Das Indie- und Arthousekino. Das Kino der anderen Regionen. Brandaktuelles und Älteres, vom Stummfilm bis heute. Das poetische Goldene Zeitalter. Der oft grelle Farbfilm. Rajesh Khanna, der erste sogenannte „Superstar“. Dann kamen Amitabh Bachchan und das Masala-Kino. Schritte auf dem Weg zum globalen Phänomen BOLLYWOOD. Hinzu kommen ausländische, vor allem aber deutsche Filme über Indien.Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comBlogger149125tag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-69372533097621685022022-05-30T05:27:00.002-07:002022-05-30T05:47:50.573-07:00Talapathy Vijay in BEAST – Stirb schnell<p style="text-align: center;"> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgxhIdKMZEcS68zo62Ecjd-lV1ZrbkHR02ChAkfhIXt4bAnm2tCvPe6-cpg39U7kFfIzr_TceuMGugMWfQkVDl64mlXDzEfSG5bpE7sxKYLeoGCSNB23Tpch8HyMvsTjRaiIf2cZBucuh8Y7P7EU3BAYUh97NC0vn8p8N3PvMGW8egQk0ge3OkjAERd3g/s334/Beast%20Plakat.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="334" data-original-width="220" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgxhIdKMZEcS68zo62Ecjd-lV1ZrbkHR02ChAkfhIXt4bAnm2tCvPe6-cpg39U7kFfIzr_TceuMGugMWfQkVDl64mlXDzEfSG5bpE7sxKYLeoGCSNB23Tpch8HyMvsTjRaiIf2cZBucuh8Y7P7EU3BAYUh97NC0vn8p8N3PvMGW8egQk0ge3OkjAERd3g/w264-h400/Beast%20Plakat.jpg" width="264" /></a></p><p></p><p style="text-align: justify;">
</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Wenn sich der
Seelenklempner, der einen wieder einrenken soll, versucht zu
verleugnen, weil er wegen dieses belastenden Patienten neuerdings
selbst zum Psychiater gehen muss, dann ist der Ton eines kruden Films
eingeschlagen, auch wenn es tragisch beginnt. Der von Talapathy Vijay
dargestellte Spion-Elitesoldat Veeraraghavan in Nelsons tamilische Actionkomödie
BEAST (2022) kann es nicht verwinden, dass ein kleines Mädchen, dem
er immer bunte Luftballons gekauft hat, bei einem seiner Einsätze
ums Leben gekommen ist. Die Zentrale hatte ihn bewusst nicht korrekt
informiert und das Kind als Kollateralschaden in Kauf genommen.
Natürlich für das große Ganze. Er quittiert den Dienst.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Die Rezeption von BEAST wae teilweise sehr durchwahsen, aber für mich ist der Film einer der neuen Werke mit dem höchsten Unterhaltungswert, mit
dem ich mich dieses Jahr im Kino vergnügt habe. Alles ist bunt,
poppig, originell, einfallsreich und komisch. Der absurde Humor ist
zwar teilweise grenzwertig und Geschmackssache, etwa wenn eine alte
Frau bei der Geiselnahme der Geschichte nervös und unkontrolliert
anfängt zu brabbeln. Und da schießt der genervte Islamistenchef ihr
völlig unvermittelt in den Kopf. Endlich ist Ruhe. Der Psychiater
des Soldaten nimmt ihn zur Therapie mit auf eine Nordhochzeit, wo er
plötzlich verlobt ist, ohne dass er sich gegen die energische junge
Dame wehren kann. Die junge Frau namens Preethi will den Idioten
nicht, den sie nehmen müsste, wenn sie nicht jemand anderen
auftreibt. Der abservierte Verlobte sorgt dann noch für viel
blühenden Irrsinn, vor allem da er sich das Gesicht seiner
Angebeteten überlebensgroß auf den Rücken hat tätowieren lassen.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Die Story ist ja einfach.
Fast alles spielt in einem modernen Einkaufszentrum, wo mörderische
Konflikt mit islamischen Terroristen, die die
Besucher als Geiseln genommen haben, ausgekämpft werden. Es gibt ein hin und her, bei dem
die Bösen nach und nach dezimiert werden. Die Parallelen zu STIRB
LANGSAM sind unverkennbar, aber während Bruce Willis schwitzend
durch die Gänge kriecht, behält Vijay eine gewisse saubere und
jungenhafte Leichtigkeit.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Gleichzeitig gehen Humor
und brutale Gewaltszenen eine teilweise angenehm einfallsreiche,
unterhaltsame Mischung ein, da ist es doch mal egal, dass Regisseur
Nelson und Hauptdarsteller Vijay, Joseph Vijay, bessere und
wichtigere Filme gemacht haben. Die Mall bietet so manchen
Konsumgegenstand an, den man ganz wunderbar als Waffe benutzen kann.
Ein Auto, ein Skateboard. Dazu kommen meist in Zeitlupe gezeigte
Messerkämpfe, die etwas Tänzerisches haben.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;"><span style="font-weight: normal;">Pooja
Hegde spielt eine energische Verlobte, während ihr Ex-Verlobter die
erwähnte Nervensäge ist. Dazu kommen </span>Johnny Lever und ein
paar andere als Comedy-Verstärkung, was wunderbar funktioniert. <span style="font-weight: normal;">Hegde
könnte durchaus ein paar energisch-witzige Szenen mehr haben. Übrigens kann
man hier tatsächlich mal das Nachspannlied empfehlen, wo einem da doch manchmal bloß überproduzierte Geschmacklosigkeiten geboten werden.
BEAST aber fährt auf mit einem munteren Mexikostück, gesungen von
Vijay höchstpersönlich. Ein kleiner Nachschlag in tanzbarer
Leichtigkeit sozusagen.</span></p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-89309385830738740212022-05-22T09:54:00.005-07:002022-05-22T09:57:46.947-07:00Prashant Neels K.G.F.: CHAPTER 2 – Die El-Dorado-Goldfabrik<p style="text-align: center;"> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiUFwsAnrMJm0X_Hk68qGy_A2clLmrzk7Fc07Z-U6r2rX-Pw1dTNHP0_ePJA-JL8vNxU18Rzh91PVl_8kMZnr30AimiOYPdinyKcLGl_8mY5e9s-oNosxrUcK6fEhqlL3KDFb2Te1octKrF7nVGZXU2J-tV51u4_qrWjMM7rQVANX_ezygv8hFyc6W2ZQ/s375/K.G.FChapter%202%20Plakat.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="375" data-original-width="266" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiUFwsAnrMJm0X_Hk68qGy_A2clLmrzk7Fc07Z-U6r2rX-Pw1dTNHP0_ePJA-JL8vNxU18Rzh91PVl_8kMZnr30AimiOYPdinyKcLGl_8mY5e9s-oNosxrUcK6fEhqlL3KDFb2Te1octKrF7nVGZXU2J-tV51u4_qrWjMM7rQVANX_ezygv8hFyc6W2ZQ/w284-h400/K.G.FChapter%202%20Plakat.jpg" width="284" /></a></p>
<p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Der zweite Teil (2022)
des im Original Kannada-sprachigen Gangster-Epos K.G.F. ist der
Dauererfolg Nummer eins dieses Frühjahrs. Selbst hier in Deutschland
werden immer noch vereinzelte Vorstellungen angesetzt, was über
einen so langen Zeitraum nicht so häufig geschieht. Man musste ja
lange warten auf die Premiere, denn die wurde coronabedingt immer
wieder verschoben.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Der erste Teil zeigte den
Aufstieg des geprügelten Straßenkindes Rocky zum Gangsterboss,
Volkshelden und zum Eroberer und Besitzer einer riesigen westernartig
festungsgleich gesicherten Goldschürfanlage mit dem Namen El Dorado,
wo Menschen als Sklaven für die mühselige Handarbeit gehalten
werden. In K.G.F.: CHAPTER 2 (2022) geht es nun um den Erhalt und den
modernen Ausbau dieses Besitzes. Es endet mit einer grandiosen
Niederlage und einem genau getimten Tod auf hoher tiefer See. Aber es
bleiben eben einige Fragezeichen. Vor allem eine Sache lässt die
kleine Gruppe, die das alte Dokument mit Rockys vermeintlichen
Erlebnissen liest, nicht los. Ist das Ganze Mythos oder Wirklichkeit,
Wirklichkeit oder Fiktion? Vielleicht kommt es ja zur großen
Rocky-Wiederauferstehung im dritten Teil, der sich ganz am Ende
andeutet. Und ohne den Hauptdarsteller, den Star Yash, kann man einen
dritten K.G.F. unmöglich drehen.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">K.G.F. ist ein sehr
formalistischer Film. Der größte Teil ist schmutzig-dunkel
stilisiert, wozu die wilde, barbarische Gewalt passt. Das Ganze ist
mehr überbordendes Spektakel als dramaturgisch ausgefeilt spannend.
Es ist ein Film der Gegensätze und Extreme, immer am Rande der
irrealen Phantasie. Ein harmloses, aber aussagekräftiges Beispiel
ist Rockys Designer-Kleidung. Die sitzt perfekt und ist entweder
einwandfrei fleckenlos oder aber ist, so wie sein Gesicht dann, rot
verschmiert, weil er mal wieder bei einem heftigen Kampf ausgiebig in
Blut gebadet hat. Dazwischen geht es nicht.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Dazu kommt eine äußerst
komplexe Erzählweise. Denn man muss höllisch aufpassen. Schon beim
ersten Teil hatte ich Schwierigkeiten, der Handlung bis ins Detail zu
folgen. Manchmal ist es, als habe Jean-Luc Godard einen
Michael-Bay-Film inszeniert. So wird zwischen den Zeit- und
Ortsebenen auf eine Weise hin- und hergeschnitten, die für
Mainstream-Filme eher ungewöhnlich ist, aber erfreulicherweise ganz
offensichtlich vom Publikum angenommen wird. Das Süd-Kino ist in der
Beziehung wirklich in der Moderne angekommen, während große Teile
des Hindi-Films in der Vergangenheit festsitzen.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Die Exzesse des Films,
die heftigen grenzenlosen Gewaltausbrüche dürften eine der
Erfolgsursachen von K.G.F. sein. Tote gibt es hier in Massen. Zwei
Höhepunkte sind die Kämpfe gegen den wikingerartig ausstaffierten
Sanjay Dutt und seine Männer. Auf ein Niedermähen mit modernen
Gewehren folgt eine klassische Schlacht in blutroter Handarbeit. Und
so ist das K.G.F.-Universum hemmungslos, wild, brutal, unmoralisch:
eine Welt, in der fast jeder in Wirklichkeit ein Gangster ist, vom
Abgeordneten bis zum ehemaligen Straßenkind. Rocky hat mehr Energie
und Durchsetzungsvermögen, ist seinen Gegnern immer einen Schritt,
einen schnellen Gedanken voraus, kann das Verhalten der anderen
erahnen. So zeigt er sich einmal selbst an bei der der ihn wie eine
Besessene verfolgende Premierministerin, die von ihren Beratern
gebeten wird, dem nicht nachzugehen, denn alle ihre Parlamentarier
würden von Rockys illegalen Spekulationen finanziell profitieren.
Und wenn ein Kampf zunächst eine scheinbare Niederlage ist, kann
sich plötzlich alles wenden, weil Rocky die Niederlage schon mit
eingeplant hat. Yash spielt Rocky, dem exzessive Gewalt Spaß macht,
unbeweglich, ungerührt, lauernd, beobachtend, gleichzeitig
unterkühlt und brennend wild,</p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-54710129366329554892022-05-02T04:53:00.001-07:002022-05-02T05:16:25.909-07:00S.S. Rajamoulis RRR – Göttlicher Freiheitskampf<p style="text-align: center;"> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiZvgxlXZiRAF0NOifv3F2N8WseD-ZoxpGk3MECbQRqpqmTi9YSkAPC2QRo3wtOKdh6CIIn_3GCj4M3c7vQY5S4wsmHwwcpdo9abFdRnl7NL9yhZn2wxuXb62wFekB4R62abMgTAHWmzvsRJIFGPlhduGrmDU7gSwI6x-ghg-O0RRmqYihWOOvte_zEuw/s377/RRR%20Plakat.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="377" data-original-width="265" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiZvgxlXZiRAF0NOifv3F2N8WseD-ZoxpGk3MECbQRqpqmTi9YSkAPC2QRo3wtOKdh6CIIn_3GCj4M3c7vQY5S4wsmHwwcpdo9abFdRnl7NL9yhZn2wxuXb62wFekB4R62abMgTAHWmzvsRJIFGPlhduGrmDU7gSwI6x-ghg-O0RRmqYihWOOvte_zEuw/w281-h400/RRR%20Plakat.jpg" width="281" /></a></p>
<p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Es gibt ein aktuelles
Interview mit dem Regisseur des Telugu-Hits RRR, mit S.S.
Rajamouli, wo dieser davon redet, dass die Leute wegen des Stars ins
Kino gehen. Nicht wegen des Filmemachers. Und natürlich ist das
indische Kino ein Starkino par excellence, aber dennoch ist diese
Aussage in Rajamoulis Fall einfach falsche Bescheidenheit. Denn RRR gilt
ja in Gegenden, wo die beiden Hauptdarsteller NTR jr. und Ram Charan
keinen Starstatus haben, vor allem als der neue Film des Machers der zwei Teile von BAHUBALI (2015/2017).<br /></p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;"><span style="font-weight: normal;">Vor
dem Vintage-Hintergrund der 1920er wird in RRR die Geschichte von
Freiheitskampf und, parallel dazu, von einer aus Feindschaft und
Missverständnis langsam wachsenden, tiefen Freundschaft erzählt. Der</span> scheinbar für die Briten aktive Karrierepolizist Ram
trifft auf den Stammesanführer Komaram aus dem Dschungel, der mit
einigen Mitkämpfern ein kleines, von einer reichen Engländerin
entführtes Mädchen befreien will. Räumlicher Mittelpunkt ist das
stark befestigte britische Fort, in dem sowohl gelebt als auch
begehrte Munition gelagert wird. Und Ram will in Wirklichkeit an die
Waffen herankommen, Komaram geht es nur um das Mädchen.
Individuelles, kurzfristiges Interesse und kollektives langfristiges
Denken treffen aufeinander. Ram Charan spielt den kontrollierten und
intellektuellen, manchmal etwas verbissenen Polizisten, und NTR jr.
den naiveren Hau-Drauf-Helden aus dem Dschungel, bei dem sich
Wagemut und ein gewisser Leichtsinn mischen. Hier finden sich Motive
aus dem Ramayana, aber stark abgewandelt. Nicht Sita etwa wird
entführt, sondern das einfache Waldmädchen. Hier steht das Volk im Mittelpunkt, nicht der Adel.<br /></p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Man findet in RRR die
Qualitäten von Rajamoulis Filmen, die oft große, epische, extrem
gewaltige, gewalttätige und wilde Szenen enthalten. Aber immer wird alles in einem
harmonischen Gleichgewicht gehalten. Rajamouli ist ein Meister
solcher Gegensätze, was sich schon in den kleinen Dingen zeigt.
Eines der anschaulichsten und augenfälligsten Beispiele ist der
bildliche Anfang von BAHUBALI. Auf der einen Seite ist da das beindruckende Bild dieses riesigen
Wasserfalls, auf der anderen Seite das in seinem Korb schwimmende
kleine Baby, das als erwachsener Mann immer wieder versuchen wird, den steilen, hohen Berg, von
dem das Wasser sich kraftvoll ergießt, hinaufzusteigen,. IN RRR findet
sich Entsprechendes gleich zu Anfang. Szenen des Tempos, der
kraftvollen Energie mit blitzschnellem Laufen einerseits und
andererseits ein fast statischer, unglaublich-ungerührter Kampf
gegen eine direkt irreale Riesenmenge, um einen einzigen Mann zu
verhaften.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Dabei spielt die perfekt
choreographierte Bewegung eine große Rolle. Sowohl die
Tanzchoreographie als auch die im weiteren Sinne, vor allem der
Kamerachoreographie. In dem Lied „Naacho Naacho“ verbindet sich
das auf perfekte Weise. Bei Rajamouli gibt es noch schöne Musik- und
Tanzszenen, die zur Story beitragen. Man darf übrigens nicht vergessen, dass Rajamouli auch
anderes beherrscht als Fantasy und Action. MARYADA RAMANNA (2010) ist
das wunderbare Remake der Buster-Keaton-Komödie OUR HOSPITALISY
(1923). Hauptdarsteller Sunil ist hier in ständiger artistischer
Bewegung. Oder der temporeiche Fliegenfilm EEGA (2012), auch eine
Übung in digitalem Filmen, das bei Rajamouli nie in stumpfsinnige
Videospiel-Hässlichkeit abgleitet und sich von Film zu Film malerisch perfektioniert.<br /></p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Ästhetischer Höhepunkt
von RRR ist die Schönheit der Zeitlupe beim Endsieg Komarams und Rams über die
britischen Truppen des Forts. Da verbinden sich pure Gewalt, pure
Ästhetik, pures Vergnügen, wenn Politik und Religion sich hier
verbinden. Rajamouli verliert sich nie selbstverliebt in seine
Stärken. Es ist die Leichtigkeit, die einen ganz offensichtlich
genau durchdachten und durchkomponierten Film wie RRR auszeichnet. Rajamouli
sorgt für fließende Dynamik und Abwechslung. Auch in RRR macht er
aus jeder kleinen Szene ein visuell-dramatisches Juwel, das immer den
Dimensionen des Gezeigten angemessen ist. Das sind unzählige kleine
Ideen, ohne demonstrativ darauf hinzuweisen: intelligente, präzise
Einstellungen, kleine und große dramaturgische Höhepunkte. Nichts wirkt aufgesetzt oder konstruiert. Rajamouli verbindet das heroische
„Bigger-than-life“ mit einem alltäglichen „All-das-ist-möglich“.
RRR ist eine der besten Filme des Jahres. So viel zumindest kann man
jetzt schon sagen.</p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-59451085029117892472022-04-08T15:12:00.000-07:002022-04-08T15:12:04.904-07:00Akshay Kumar in BACHCHHAN PAANDEY – Currywestern, Killer und Kino<p style="text-align: center;"> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEi-X1gP5BtphtkprpPFXwFcqO904o75RTksRqk6JAdSbt6HlH38T1JrGi-mTgpmkxc8vcxqSegoc88TRfvsgYs6Wk9pwsb5z6nsfYASReJkR3jp2cRHeUiFniuZTnpvRqOAp5TXCFn5hySfsgEY2ulbvP2IkS9HyzSppl8z-deTx7FcseeFbOtj3mcBHA=s380" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="380" data-original-width="253" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEi-X1gP5BtphtkprpPFXwFcqO904o75RTksRqk6JAdSbt6HlH38T1JrGi-mTgpmkxc8vcxqSegoc88TRfvsgYs6Wk9pwsb5z6nsfYASReJkR3jp2cRHeUiFniuZTnpvRqOAp5TXCFn5hySfsgEY2ulbvP2IkS9HyzSppl8z-deTx7FcseeFbOtj3mcBHA=w266-h400" width="266" /></a></p>
<p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Gleich im Vorspann von
BACHCHHAN PAANDEY (2022) klingt es nach Western, aber nicht nach
Currywestern, sondern nach hemmungsloser Morricone-Leone-Abkupferung.
Da dröhnen die Morricone-Standards in klebriger Dichte, und die
weiten Sandgegenden Rajasthans werden als Wilder Westen eingeführt.
Erzählt wird eine Outlaw-Story und ist neben Hauptdarsteller Akshay
Kumar als Paandey wirksam besetzt bis in kleine Nebenrollen. Dazu
kommt das Vintage-Feeling des bösen Helden Bachchhan Paandey: Der
liebt seinen alten Hochglanz-Oldtimer aus den 1950ern/-60ern, auf den
kein Kratzer kommen darf. Doch bevor man in seine Gangsterwelt
eintauchen darf, macht der Film noch einen filmischen Umweg.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Denn alles beginnt in
Mumbai bei Dreharbeiten, wo eine streitbare junge Regieassistentin in
der Gestalt von Kriti Sanon Ärger bekommt mit Regisseur und
Produzent. Und am liebsten würden sie sie einfach zum Teufel jagen,
wenn da nicht das Versprechen des Produzenten wäre, dass sie einen
Film drehen dürfe, wenn sie ein gutes Thema vorweisen könne. Das
muss aber erst gefunden werden. Sie stößt auf Berichte über den
hochgefährlichen Bachchhan Paandey, ist begeistert und landet in
Rajasthan und sammelt Material, was sich als nicht ganz ungefährlich
erweist. Wäre sie ein Mann, wäre sie vermutlich schnell erschossen
worden. Ihr Arbeitspartner hat daher mehr Angst als sie.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Akshay Kumar hat
offensichtlich Spaß an der Rolle, wobei die Make-Up-Abteilung gute
Arbeit geleistet hat. Doch der Film ist seltsam unschlüssig. Die
Mischung aus brutalem Gangsterfilm-Western und Komödie funktioniert
nicht. Das eine scheint das andere zu blockieren, sodass hinterher
nur ein über weite Strecken ziemlich fader Eintopf herauskommt. Da
ist zu viel Kumar-Show. Und die Hauptfigur bleibt einem fremd.
Paandey will zwar Angst verbreiten als Überlebensstrategie im
ziemlich gefährlichen Gangsterleben, wo man nicht unbedingt alt
wird, aber als Bösewicht existiert er vor allem bloß verbal. Da ist
ein Schauspieler, der mit Vergnügen seine Show abzieht und den Bösen
markiert, der schießt, ohne dass man die Opfer sieht. Man nimmt
brutale Morde gar nicht als solche wahr. Die Gewalt bleibt seltsam
keimfrei. Er knallt ein bisschen mit der Pistole herum. Selbst das
Brennen eines Journalisten bei lebendigem Leib berührt einen nicht.
Wobei Produzent Nadiadwala, der selbst die Story geschrieben hat, hier
vielleicht einen heimlichen Traum auslebt. Echte Bedrohung strahlt
er nicht aus, Lichtjahre entfernt von Amjad Khan im berühmtesten
aller Currywestern, SHOLAY (1975). Natürlich war es der Verlust
einer Frau, der Paandey böse gemacht hat. Das ist doch mal psychologisch
originell.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Das Amüsante im Film
sind die Szenen, die dem Filmemachen und dem späteren Filmdreh
gewidmet sind. Also besonders der Anfang und das Ende. Da kommt BACHCHHAN
PAANDEY ganz gut in Fahrt. Da wird es dann auch hübsch amüsant,
beispielsweise, wenn ein bekloppter, selbstverliebter
Schauspiellehrer herangekarrt wird, denn die Gangster sollen sich
selbst spielen. Das filmische Endergebnis hat eine löbliche, einfache
Moral, denn das Gute im Gangster siegt. Aus dem mörderischen Outlaw,
der so viel Wert darauf legte, dass die Menschen Angst vor ihm haben,
macht der Film eine Art Heiligen. Das Schlussbild zeigt Paandey bei
der Arbeit an einem neuen Film. Sein Erstlingswerk war sehr
erfolgreich. Er guckt in die Kamera. Es ist ja im Grunde alles bloß
Kino, alles bloß Film.</p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-69329368212007022602022-04-05T06:02:00.006-07:002022-04-05T15:33:00.790-07:00Richie Mehtas DELHI CRIME (Staffel 1) – Seelenlos<p style="text-align: center;"> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjaCFHFwlVsJU58uERGPckKXbRBl6UJQsY3YMSJsKQ5jlC6BJbrtZctmAoYA9tFlfXCEPLFA-hRULbNYVsOj8OxHvwdhErqAwjokv90vkqB_lbYo9-vjNqwCwXKKjUCixPnbMlMBxe-kLEL/s424/Title_screen_for_the_Netflix_series%252C_Delhi_Crime.png" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="235" data-original-width="424" height="221" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjaCFHFwlVsJU58uERGPckKXbRBl6UJQsY3YMSJsKQ5jlC6BJbrtZctmAoYA9tFlfXCEPLFA-hRULbNYVsOj8OxHvwdhErqAwjokv90vkqB_lbYo9-vjNqwCwXKKjUCixPnbMlMBxe-kLEL/w400-h221/Title_screen_for_the_Netflix_series%252C_Delhi_Crime.png" width="400" /></a></p>
<p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">2012 macht ein Pärchen
spät abends in Delhi Anhalter an einer befahrenen, aber einsam
gelegenen Straße, die schon auf den ersten Blick unheimlich wirkt.
Ein Bus hält, sie steigen ein und später liegen beide am
Straßenrand. Sie ist unbeweglich, er kann nach einiger Zeit Hilfe
herbeiwinken. Der junge Mann ist glimpflich davon gekommen, sie muss
mit geringen Überlebenschancen ins Krankenhaus. Denn hier fand mehr
als eine Vergewaltigung statt. Sie wurde in einem großen Anfall von
Hass gefoltert, gebissen und von innen aufgerissen mit einer
Stahlstange. Und das von sechs Männern gleichzeitig, und keiner von
ihnen bemühte sich auch nur halbherzig, der Sache ein Ende zu
machen.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Die erste Staffel von Richie Mehtas
True-Crime-Fernsehserie DELHI CRIME (2019) beruht auf der damals auch
medial ausgeschlachteten Massenvergewaltigung von 2012, wobei es in
diesem Beitrag nicht darum gehen soll, Serie und Wirklichkeit auf das
Verhältnis von Fakten und Fiktion zu untersuchen. Das große
Ganze steht im Vordergrund. Die Serie ist spannend und aufschlussreich, weil sie
nicht beim Verbrechen und einer Krimihandlung stehenbleibt, sondern
anhand der Beteiligten von einer ganzen Gesellschaft erzählt. Auch ein
Film über die Stadt Delhi, ihre dunklen Ecken, ihren geistigen Zustand.
Zwischendurch immer wieder eine schnelle Erzählweise, die den
Ehrgeiz zu haben scheint, dokumentarisch möglichst viele
Quadratmeter Delhis aufzunehmen. Da sind die vollen Straßen, die
Menschenmassen, die nächtlichen Lichter, die unaufhörliche
Bewegung.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Die Tochter der
Polizistin – eine von Shefali Shah mit Gefühl und Energie
gespielte DCD (deputy commissioner of police), Chefin als eine Art
Reviervorsteherin – jedenfalls will weg aus Delhi nach
Nordamerika. In Indien könne man nicht leben, es sei viel zu
unsicher, besonders für Frauen. An der Mutter jedenfalls liegt es
nicht. Sie geht in ihrem Beruf an die Grenzen der Leidens- und
Leistungsfähigkeit. DELHI CRIME ist gekennzeichnet durch eine
positive Darstellung der Polizei und ihrer harten und oft auch
erfolgreichen Arbeit, die nie wirklich gewürdigt wird. Auf die man
sich nur stürzt, wenn etwas schiefgeht. DELHI CRIME zeigt hoch
engagierte Beamte, die nicht aufgeben, bis sie ihre Aufgabe erledigt
haben. Die Chefin muss ihre Untergebenen aber immer wieder
motivieren. Es ist ein Kampf gegen Müdigkeit, ein schlafloser Kampf
gegen ein Ultimatum von oben, den Fall restlos zu klären. Die oft
intensiven Ermittlungen gehen unter Lebensgefahr bis nach Kashmir.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Die Polizei ist of der
Prügelknabe, das schwächste und unterbezahlte Glied in der Kette. Solche Verbrechen passieren ja in Indien öfter,
aber es ist eher selten, dass sie an die Öffentlichkeit kommen.
Und das wird diesmal von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen
ausgenützt, teilweise natürlich auch mit berechtigten Anliegen. Aber jeder hier kocht sein Süppchen, will seine Interessen
durchsetzen. Und zwischen allen eben die Polizei, die unter Druck steht,
die Täter zu finden und zu verhaften. Und es trifft die
Beamten von allen Seiten. Zunächst gibt es spontane Demos aus der
Bevölkerung heraus, Proteste, Schweigemärsche mit Kerze. Aber dann
verselbständigt es sich. Es gibt Hetze im Fernsehen. Feministinnen
verteilen Schuld. Die Politik benutzt die Konflikte für die politische
Auseinandersetzung, auch um sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen. Denn die meisten Vorwürfe sollten doch gerade die
Politik treffen. Schließlich werden da die Gesetze gemacht. Die Proteste
werden dann gewalttätiger und die Tochter sieht am Ende die
Politisierung und die vermutlich bezahlten Pseudodemonstranten. Sie
will nicht mehr daran teilhaben und versöhnt sich mit der Mutter.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Mit der Suche nach den
Tätern sieht man auch ihre Umgebung, ihre Lebensweise. Es geht bis
weit nach unten in der Gesellschaft. Auf das Unmögliche verzichtet
DELHI CRIME, zieht es vor, in manchen Bereichen an der Oberfläche zu
bleiben und sich nicht der Psychologisierung hinzugeben. Am Ende
bleibt die Frage nach dem Warum. Ein Polizist sagt lapidar, Pornos
ohne Aufklärung seien schuld, aber das erklärt nicht die übermäßige
Brutalität. Da spricht ein Frauenhass, der erschreckt. Die
Reviervorsteherin liegt vielleicht am nächsten, wenn sie beim
sadistischen Anführer der Männer feststellt, da wäre nur Leere in
den Augen. Ein Mensch ohne Ich, Gefühle, Gedanken, vor allem ohne
Unrechtsbewusstsein und ohne Empathie. Die Männer können sich nicht
in die Leiden des weiblichen Opfers hineindenken, als wäre es kein
Mensch.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Dabei sind es auf den
ersten Blick doch ganz normale Männer, die sich um ihre Familien
kümmern oder auch ihre Mütter lieben. Eine andere Familie bangt
währenddessen im Krankenhaus am Bett des weiblichen Opfers. Da gibt
es stille Szenen mit den Eltern und stillem Geflüster und
einer halbtoten jungen Frau, die selbst spürt, dass sie zu verletzt
ist und nicht überleben wird. Sie kann gerade noch vor ihrem Tod auf
Bildern die Täter identifizieren. Eine junge Polizistin und
Anfängerin ist als Aufpasserin eingeteilt und spürt die Belastung. Zwischendurch muss sie raus auf die Straße, um Demonstranten in Schach zu halten. Polizeilicher Alltag eben.<br /></p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-782516292169385342022-03-21T15:57:00.005-07:002022-03-24T03:28:24.572-07:00Puneeth Rajkumar in JAMES – Ein stilvoller Schwanengesang<p style="text-align: center;"> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgoDeifmcqgi9Xqm7Z_YGwXffKLbflNNkbR1kC3PAtRdtfgoNdyeK79htCfWUSUhXIAeENyR7MbKmqbrZeV5TGQ1rhsN8os3dgHAiT9L2uSgM0ArEx5-qxcewSiJ2Y2IICp0Tu1lsV1cGdzHPZJMPAwGlHw7FW20-oewqVVP3aY-o_uqWslvmyGvL-N3g=s368" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="368" data-original-width="271" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgoDeifmcqgi9Xqm7Z_YGwXffKLbflNNkbR1kC3PAtRdtfgoNdyeK79htCfWUSUhXIAeENyR7MbKmqbrZeV5TGQ1rhsN8os3dgHAiT9L2uSgM0ArEx5-qxcewSiJ2Y2IICp0Tu1lsV1cGdzHPZJMPAwGlHw7FW20-oewqVVP3aY-o_uqWslvmyGvL-N3g=w295-h400" width="295" /></a></p><p></p><p style="text-align: justify;">
</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Eine der größten Stars
des Karnataka-Kinos, Puneeth Rajkumar (1975-2021), starb überraschend
im Oktober 2021 mit nur 46 Jahren an einem Herzinfarkt, der ihn wie
aus dem Nichts attackierte. Noch in der Ambulanz auf dem Weg ins Krankenhaus verschied er. Trotz
seines doch relativ jungen Alters hatte der Schauspieler aus dem Bundesstaat Karnataka eine beachtenswert lange Karriere hinter sich, denn schon als kleines Kind, ja, im
Grunde als Baby, hatte er gelernt, sich gekonnt, mit Routine und
Kreaktivität, vor der Kamera zu bewegen. Der Powerstar "Appu“
war nicht nur bei den Massen beliebt, er wurde auch mit Preisen
ausgezeichnet.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Der Kannada-Film JAMES
(2022) ist damit sein unbeabsichtigtes Abschiedswerk geworden, ein
abwechslungsreicher, bunt aufgedrehter Schwanengesang, geschrieben
und inszeniert von Chethan Kumar. Ein Werk mit vollen, gut geplanten
Knallbonbonboneffekten, wie ein Best of von Rajkumars Können
wirkend. Auf jeden Fall würdig eines Stars. Das geht von
leicht-lockeren Tanzschritten bis zum irrealen Kampf in schwerer
Uniform gegen eine Übermacht an Gegnern. Da zeigt sich mal wieder,
dass man besonders in Südindien äußerst ansprechende Filme auch
ohne zusammenhängende Handlung drehen kann, dass dabei weitaus Spannenderes und
Besseres herauskommen kann, als wenn man sich auf eine
pseudo-anspruchtsvolle Weise in eine leblose Story quetscht, so wie
das etwa der Hindi-Film RADHE mit Salman Khan macht, wobei dann doch mit einem Auge
auf die Kritik geschielt wird. Es kommt bei allem nur auf die richtige
Haltung hat. Die Schauspieler, die Action, die einfallsreichen
Einstellungen und die Farben sind in JAMES zu einer sehenswerten, mitunter mitreißenden
Mischung verbunden. Die nahe liegende Gefahr eines ungenießbaren Breis
wird geschickt und gekonnt vermieden.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Abwechslungsreich ist das
Ganze auch noch. Es beginnt wie ein gemütlicher Familienfilm, um in
wilden Massakern zu enden. Da bevölkern am Ende die Toten den Fußboden. Mal
abgeschlachtet von Rajkumar, diesem Supersoldaten, mal ermordet von
den Bösen, die wie aus dem Nichts auftauchen und es ist sicher keine
Schande zuzugeben, dass man sehr schnell den Überblick bei JAMES
verlieren kann, wenn man ihn denn je bekommt.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Aber dieses
Videospielprinzip der ständig neuen Figuren sorgt jedenfalls für
ständigen Nachschub an Personal und für Abwechslung. Und immer geht
es in dieser wild cartoonesken Actionwelt ganz anderes weiter, als
man gedacht hat. Man kann wie gesagt also nicht gerade behaupten, dass man hier
eine nacherzählbare Story vorfindet, aber gerade diese
dramaturgische Leere und Beliebigkeit erlaubt es dem Film, seine
Qualitäten unverkrampft zu entfalten. Es wirkt nie müde
routiniert, sondern als würden die Beteiligten gerade das freie
Filmemachen nur für die Massen entdecken. Da weht eine unterhaltende Frische durch das
ganze Projekt, die man gerne öfter auf der dicken Filmfan-Haut
spüren würde. Und besonders aus westlicher Perspektive hat das
Ignorieren klassischer dramaturgischer Regeln etwas Angenehmes und
Anziehendes. Da vergisst man gerne alle cinephilen Werte und
Ansprüche.</p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-54686096728724019122022-03-14T14:57:00.002-07:002022-03-14T14:57:39.349-07:00ANKAHI KAHANIYA – Liebe und Hilfe<p style="text-align: center;"> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiQBRoAzgA6hZ8BTeVj4ifBW6J8u14-pBw9sgn66AAgWZljm_2OaxeG5_iNmtNwIt3-kRGXiwPexdGRJ2Ru9AU-iqCAzXztIEYpwHLw8jYorpVgxi7h56H028LN_R5mxZrsJkOJw2MQCCKfOA-i1AokTtStVCO7HgrKuwVeWP6IUb-XQPzhORKHW26yjg=s316" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="316" data-original-width="316" height="316" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiQBRoAzgA6hZ8BTeVj4ifBW6J8u14-pBw9sgn66AAgWZljm_2OaxeG5_iNmtNwIt3-kRGXiwPexdGRJ2Ru9AU-iqCAzXztIEYpwHLw8jYorpVgxi7h56H028LN_R5mxZrsJkOJw2MQCCKfOA-i1AokTtStVCO7HgrKuwVeWP6IUb-XQPzhORKHW26yjg" width="316" /></a></p><p></p><p style="text-align: justify;">
</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Der Episodenfilm ist ja
inzwischen beliebter Standard der Streamingdienste geworden. Aber,
seien wir ehrlich, meistens sind sie nicht mehr als durchschnittlich. Ein Gipfel des eher belanglosen Wohlfühlfilms ist jetzt ANKAHI KAHANIYA (2021), der
jeweils nach einer netten Idee den Großteil der Laufzeit viel zu
dröge vor sich hinplätschert, auch wenn es einige wirklich hübsche
Momente gibt. Damit es Sinn macht, haben die Filme oft ein
gemeinsames Thema. Hier geht es diesmal um Einsamkeit und Hilfe
dagegen, etwa um Mittel gegen Einsamkeit in der Großstadt. Drei Mal
hilft einer dem anderen bei Liebesproblemen. Es handelt sich aber um
Pärchen, die nicht zusammenkommen. Ihre Gemeinsamkeit beschränkt
sich eben darauf, sich gegenseitig durchs schwere Leben zu hieven,
anzuspornen, Ratschläge zu geben.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Die erste Hauptfigur ist
der Angestellte eines Kleiderladens, der über diesen Job hinaus kein
individuelles Leben, kein Privatleben hat, außer dass er spät abends nach Hause geht und
etwas isst. Regie geführt hat Ashwini Iyer Tivari, die mit
BAREILLY KI BARFI (2017), einen der beliebtesten Kuschelfilme der
letzten Jahre gedreht hat. Und dieser Angestellte lässt sich ohne
Widerspruch und emotionslos ausbeuten vom Chef und dem frechen Kollegen, der macht,
was er will. Er muss dann für den Laden eine Schaufensterpuppe besorgen
und übernimmt damit die Damenabteilung, die plötzlich aufblüht. Er
fasst eine seltsame Zuneigung zu der Puppe, lächelt sie an, redet mit
ihr, zieht sie geschmackvoll an. Es ist, als würde er Frauen und die Kommunikation mit ihnen kennen
lernen dadurch. Es ist ein Film voll idyllischer Musik, die auf Dauer
ein bisschen repetitiv, süßlich-penetrant ist. Nachdem er vom Job
entlassen wurde, fährt er nach Hause, wo ein junges Mädchen, seine
künftige Braut, wie in einem Traum, einem Märchen auf ihn wartet.
So kann er sich von der Puppe befreien, die ein ruhiges Leben in
einem Abstellraum verbringt. Ein Paar Tränen kann er sich aber am Ende nicht
verkneifen.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Abhishek Chaubey, dem
Filme wie UDTA PUNJAB (2014) und SONCHIRIYA (2019) zu verdanken sind,
gleitet leider in die Leere ab. Ästhetisch und atmosphärisch ist
seine Hommage an das Kino der 70er/80er schon und ist perfekt und
sehr schön anzusehen. Hauptfigur eines rumpeligen Einsaalkinos ist
ein junger Filmvorführer mit einem alkoholkranken Onkel. Auf der
anderen Seite ist da ein Mädchen, das in einem Chawl wohnt und
ständig von der Mutter angeschrien und von einem Nachbarn – oder
Verwandten – belästigt wird, mit ihrer Freundin ins Kino
geht, wo sie dem Vorführer langsam näher kommt. Beide wollen nur
heraus aus ihrem Privatleben, hassen es. Sie leisten sich
gegenseitige Hilfe, um aus der Stadt herauszukommen. Sie spielen
zurückhaltend Beziehung, was sich hinterher einfach als gegenseitige
Unterstützung herausstellt. Im Bus dann fährt jeder in eine andere Richtung,
befreit aus den täglichen Zwängen. Sie haben einander gestärkt.
Ansonsten ist alles etwas banal.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;"><span style="font-weight: normal;">Saket
Chaudhary, dessen letzter Spielfilm HINDI MEDIUM (2017) mit Irrfan
Khan war, liefert mit feiner Ironie in seinem intelligenten Kurzfilm
den besten Beitrag ab. </span>Eine Frau bekommt mit, dass ihr Mann
sie betrügt. Sie geht zu deren Ehemann und nach etwas Zögern
willigt der ein, die betrügerische Beziehung zu rekonstruieren, um zu begreifen, was da wohl passiert ist. Schritt für Schritt
gehen sie vor, Handlung, Dialoge, sie kennen schließlich ihre
Partner. Das Besondere ist, dass beide mit einem Fremden ganz anders
als normalerweise sind. Sie sagen plötzlich die Wahrheit über sich
und ihr Leben, wozu sie sonst mit ihrem Partner nicht in der Lage
sind. Am Ende treffen sie sich in einem Epilog in einem Café. Bei
ihm läuft jetzt alles besser. Er hat aber eine für sie deprimierende Art,
sie auf den Boden der Tatsachen zu bringen. Das will sie nicht. Ein
bisschen Lüge braucht sie im Leben und sollten sie sich wiedersehen,
soll er beruhigend wirken: „Munter mich einfach auf. Und sag sonst
nichts.“</p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-48946498920568017862022-03-06T08:07:00.001-08:002022-03-07T03:00:45.405-08:00Ram Madhvanis DHAMAKA – Schmierenjounalismus<div><p style="text-align: justify;"></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEicLKFhUWanRbE71v6qMyLW-kaCeq-3kZJCTTcQ1XSfGomHwGlkAV4JrRgmHyFfd2yz6aZMsEmO1LoMdrsy3YfxitoVCPgDnbigfAkOSh_7lQfmkSYRZdJct8CNFRxrA1HwTFiU3BEdV9Up2El4Jvd77U_8SgvdiL-9XKBuZPerOUceUXZAz5mqNYgnEg=s380" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="380" data-original-width="262" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEicLKFhUWanRbE71v6qMyLW-kaCeq-3kZJCTTcQ1XSfGomHwGlkAV4JrRgmHyFfd2yz6aZMsEmO1LoMdrsy3YfxitoVCPgDnbigfAkOSh_7lQfmkSYRZdJct8CNFRxrA1HwTFiU3BEdV9Up2El4Jvd77U_8SgvdiL-9XKBuZPerOUceUXZAz5mqNYgnEg=w276-h400" width="276" /></a></div></div><div>
<p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Es ist ein harmonischer,
paradiesischer Anfang: Die Hauptfigur träumt von seinen Erinnerungen an eine zurück
liegende perfekte Beziehung, auch wenn sie da längst vorbei ist und er in ungewisser Düsternis zu schweben
scheint. Regie und Drehbuch dieses moralischen Polit-Thrillers sind
von Ram Madhvani (2021), dessen bekanntester Film der auf Tatsachen
beruhende Terrorismus- und Entführungsfilm NEERJA (2016) ist. In der
Hauptrolle gibt es Kartik Aaryan zu sehen, zu dessen besten Rollen
die Hauptfigur in Imtiaz Alis bisher letztem Film LOVE AAJ KAL (2020)
gehört.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Aaryans TV-Journalist,
der auch schon mal bessere Zeiten gesehen hat, spielt den neuen
Moderator eines neuen Senders, der bisher natürlich noch kaum Zuhörer
hat. Der Wettbewerb zu anderen Unternehmen ist also noch um vieles
höher als bei einem arrivierten Unternehmen. Der Druck ist ungleich stärker. Er bekommt gleich zu
Beginn seiner Sendung einen Anruf mit einer Bombenwarnung, die er
zunächst nicht ernst nimmt, bis er zu zweifeln beginnt und während
er etwas ungläubig auf den Attentäter einredet, explodiert das
genannte Ziel, ein Hochhaus. Solch ein knallender Bomben-Anfang, solch eine Story sind ja an
und für sich nichts Sensationelles, haben etwas von der
B-Film-Version von Tony Scotts Meisterwerk DEJA VU (2006) mit Denzel
Washington. Und unabhängig davon ist es ja nicht so, als fehlte es der Welt
an kritischen Medienstorys.</p><p align="JUSTIFY" style="font-weight: normal; margin-bottom: 0cm;">Das
Spannende der Erzählung liegt im Individual-psychologischen, in
der Parallelisierung von Journalismus, Spitzenpolitik und dem
Einzelnen, der sich in dieser ganz auf das eigene Ich
konzentrierten Welt total selbstverliebt verliert. Die moralischen Schwächen des
Moderators sind zu groß für die vielen Bereiche des öffentlichen
Lebens, die hier zusammenkommen und sich überschneiden:
Journalismus, Geheimdienst, Persönliches, Politik. Da sind
menschliche Schwächen, die man nicht überwinden kann. Es geht hier um
weit mehr als nur um eine gefährdete Karriere, einen wütenden Attentäter
oder einen fehlerhaften Politiker. Es geht ganz allgemein um Moral
und Ehrgeiz. Der Journalist weiß, dass er an sich das Falsche macht,
lässt sich aber immer wieder korrumpieren durch das ständige
Versprechen der Chefin auf einen zentralen Posten.</p><p align="JUSTIFY" style="font-weight: normal; margin-bottom: 0cm;">Die
Sehnsucht nach Karriere kann also leicht die Persönlichkeit
korrumpieren. Zu seinem Ehrgeiz gesellt sich eine dumme, unschuldig
spielende Naivität, mit der er etwa seine Freundin betrogen und ihr
einen wichtigen, preiswürdigen Artikel gestohlen hat, um ihn als
sein eigenesWerk einzureichen. Und er ist unfähig, sich dafür zu
entschuldigen, als wäre er auf natürliche Weise unfähig zu
einfachem moralischen Verhalten. Die Hauptfigur symbolisiert die
Kritik am modernen Journalismus, an seinen Methoden, am modernen Menschen an sich. Und DHAMAKA ist
eine durchaus echte Darstellung des Journalismus, ist wohlgemerkt keine
heitere Journalismussatire. Hier ist nichts witzig oder absurd. Zu Grunde
liegt das, was jeden Abend über die Mattscheibe flimmert und mit ein
paar seltenen Ausnahmen Dummheit und Lügen verbreitet. DHAMAKA ist ein Film
über Wahrheit und Lüge,
über Wahrheit und Journalismus. – Schmierenjournalismus und
Marktanteile. Die Chefin wird angelogen, aber andererseits
missbraucht sie ihn, auch, weil er nicht skrupellos genug ist und nicht das tut, was er tun soll.. Denn
das Befolgen von Anweisungen ist eine Grundvoraussetzung für diesen Beruf.</p>
<p></p></div>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-31538504553304414992022-02-26T16:46:00.001-08:002022-02-27T04:26:48.809-08:00Leena Yadavs HOUSE OF SECRETS – THE BURARI DEATHS – Selbstmord, Kult, Mord?<p style="text-align: center;"></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjc86EnG0sMTm0ASjZiyBDKgL_1BwyQ_huSpyEOE2umUlSaNdj9KMLavUhPTZPnclmkubl1VJhHhlTtdbJ402_V_8sMq81BiaKi9W8QsxSZanZPRiYatMcoE2LUDRr-WZmAAsJ613s5UKl-D3QQSz9JDXfgihxbUcwFNiwHvOAf0dSM4KLj08ZlhwYwBg=s605" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="605" data-original-width="423" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjc86EnG0sMTm0ASjZiyBDKgL_1BwyQ_huSpyEOE2umUlSaNdj9KMLavUhPTZPnclmkubl1VJhHhlTtdbJ402_V_8sMq81BiaKi9W8QsxSZanZPRiYatMcoE2LUDRr-WZmAAsJ613s5UKl-D3QQSz9JDXfgihxbUcwFNiwHvOAf0dSM4KLj08ZlhwYwBg=w280-h400" width="280" />
</a><p align="JUSTIFY" style="font-weight: normal; margin-bottom: 0cm;">Leena
Yadavs DAS HAUS DER GEHEIMNISSE: DIE TOTEN VON BURARI ist ein durch
und durch geordneter Film. Obwohl es um ein auf den ersten Blick
unheimliches, bizarres Thema geht, bleibt der Film die gesamten drei
Folgen der insgesamt zwei Stunden übersichtlich und klar verständlich. Alles
ist in Form einer chronologischen Darstellung strukturiert und
sehr übersichtlich. Diese leider wahre Geschichte geht den Weg von
fiktionswürdiger Erzählung über seltsame Fantasien hin zu dem, was
sich tatsächlich vor elf Jahren abgespielt hat im
Stadtteil Burari von Delhi, einer Gegend für die untere
und mittlere Mittelschicht. Aber Fakten können ja oft viel schlimmer sein als die Fiktion.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Die Sache scheint zunächst klar zu
liegen: Es handelt sich scheinbar um den Selbstmord der
elfköpfigen Großfamilie Chundawat. Der Film beginnt mit den
nächsten Nachbarn, Polizisten sind natürlich auch da, Menschen, die zuerst am
Tatort waren. Sie erzählen Tatsachen, die vermeintlich so gesehen wurden, wie sie passiert sind. Und niemand, der am Tatort war, hat
diesen Anblick vergessen. Da sind auch riesige Menschenmassen, dazu eine
unangenehme Meute an nicht zu stoppenden aufdringlichen Journalisten.
Die Polizei hat Schwierigkeiten, für Ordnung zu sorgen. Straßen und Dächer der Gegend sind
in jeder Ecke bevölkert von neugierigen Menschen.<br /></p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Und plötzlich geht es
überraschend in eine ganz andere Richtung, mitten in einer
verstörenden, aber realistisch scheinenden Selbstmordgeschichte kommt der
gar nicht so abwegige Verdacht auf etwas Übernatürliches, Kultiges auf. Viele kleine
Dinge scheinen darauf hinzuweisen. Das mehrfache Auftauchen der Zahl
elf am Haus und im Leben der Familie. Eine schuldig scheinende Nachbarin, die man für eine Tantrikerin hält. Alles Dinge, mit denen man die
Titelseiten der Sensationspresse füllen kann. Eine Gelegenheit, die
diese auch nutzt. Der Höhepunkt sind elf geheimnisvolle Tagebücher
des Sohnes Lalit Singh, versteckt im ganzen Haus, verfasst im
Lauf der vergangenen elf Jahre. Sie enthalten vermeintliche Botschaften des Geistes des verstorbenen Vaters, dessen Willen befolgt werden soll, damit es der
Familie gut geht. Und es ist tatsächlich gerade eine Zeit, in der es der
Familie scheinbar gut geht. Aber diese Spur verläuft sich.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Am Ende kommt der Film
zum Kern des Geschehens. Eine Wissenschaftlerin bemängelt, dass sich
bisher niemand für die kleinen Details, für das wahre Geschehen
interessiert hat. Jeder bewertet das Vorgefallene nach seinen
eigenen Vorstellungen, den persönlichen Werten und Erwartungen. Die
sachlichen Befragungen von Arzt und Psychiaterinnen und einer ernst
zu nehmenden Journalistin bringen die Dinge in ein klareres Licht. Wie
angenommen, steht der Sohn im Mittelpunkt. Aber anders als angenommen. Er hatte zwei traumatische Erlebnisse, von denen alles seinen Ausgang nahm. Zum
einen hatte er einen schweren Sturz. Außerdem versuchte man, nach einem
Streit mit dem Arbeitgeber, ihn anzuzünden. Fast wäre er verbrannt.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Das führt zur Entstehung
eines Traumas, wie es jeden treffen kann. Lalit redet nicht mehr,
schweigt, singt dann plötzlich bei einer Familien-Pooja, einem
gemeinsamen familiären Anbetungsritual. So verschafft er sich die
patriarchalische Herrschaft, stattet sich mit Autorität aus, an der
seine Familie nicht einen Momnent zu zweifeln scheint... So hat er
in seinen privaten,vertraulichen Tagebüchern selbst nie von der väterlichen Stimme aus dem Totenreich gesprochen,
denn dann hätte sich der überirdische Glaube an seine Worte in Luft
aufgelöst. Die Familie hätte nicht mehr geglaubt, dass er
überirdische Inhalte transportierte.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Wiederholt sieht man
Bilder der Toten, von den Beinen, vom Haus, der Wohnung, den knapp
über dem Boden baumelnden Füßen. Dabei geht es auch um die Folgen, die
das Geschehen auf Nachbarn und Bekannte hat. Sie reden über die Auswirkungen, hören nicht auf zu rätseln. Bei der Beerdigung hat man zu
wenig Priester. Der Sohn zündet notgedrungen alle Scheiterhaufen selbst
an. Die Story ist voll solcher scheinbar kleiner und unbedeutender
Details, die aber emotionale Folgen für das ganze Leben haben werden.
Es gibt beispielsweise eine aussagekräftige Szene, wo eine Frau in
einer Art Abwehrhaltung abwinkt, weil man die Dinge hinnehmen müsse
ohne viel zu fragen, während die andere Frau nicht aufhört zu weinen.
Und immer wieder sieht man den Stadtteil Burari aus allen Perspektiven, zu
jeder Tages- und Nachtzeit, in allen Dimensionen. So holt der Film das
Geschehen in unseren eigenen Alltag. Man kann es nicht einfach wegschieben
als etwas Fremdes, Skurriles. Es kann jedem passieren.<br /></p>
</div>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-21143537267381584212022-02-23T14:47:00.002-08:002022-02-24T04:23:22.072-08:00Shakun Batras GEHRAIYAAN – Liebe, Geld und Betrug<p style="text-align: center;"> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjE18Y7_yO3BxKtu7a5-ksI6qQDu4CJXKQ3k4yPRp5A8sW62V6gG80JF7cEzLHOIL7wa2NBCK8xACTWQhPqv2UkoSRcMHdxoimJufmHkQQET_nryYaMlRyidiwukwLd_Wfbh1gr8R6FfPWJy5Veb1jUHGQhzVTz0nY0rF106SCk-CTKlW_pzCuHHcK34A=s354" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="354" data-original-width="283" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjE18Y7_yO3BxKtu7a5-ksI6qQDu4CJXKQ3k4yPRp5A8sW62V6gG80JF7cEzLHOIL7wa2NBCK8xACTWQhPqv2UkoSRcMHdxoimJufmHkQQET_nryYaMlRyidiwukwLd_Wfbh1gr8R6FfPWJy5Veb1jUHGQhzVTz0nY0rF106SCk-CTKlW_pzCuHHcK34A=w320-h400" width="320" /></a></p>
<p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Geschichten übers
Fremdgehen waren mal eine haarige Angelegenheit im indischen Kino. Es
gab sie, aber sie erregten oft Aufmerksamkeit. Selbst beliebte Filme
wie SILSILA (1981) von Yash Chopra und der davon inspirierte KABI
ALIVIDA NAA KEHNA (2006) von Regisseur und Drehbuchautor Karan Johar
konnten in ihrer Entstehungszeit in konservativen Kreisen noch moralische Kritik
hervorrufen. Ein anderes umstrittenes, aber auch beliebtes Thema war
der verliebte Psychopath, der oft auf viel Sympathie stieß. Der
Psychopath war vor allem eine Gelegenheit, schauspielerisch zu
glänzen. Shah Rukh Khan hat zwei legendäre Psychofiguren in seiner
Filmografie. Im Endeffekt geht es dann aber doch wie gewohnt um Liebe und
Romantik. In Shakun Batras brandneuer Regiearbeit GEHRAIYAAN (2022),
seinem dritten Spielfilm, ist dies anders. Interessanterweise hat Johar den Film zum Teil mitproduziert. </p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">GEHRAIYAAN kann mit zwei
Stars aufwarten, einmal Deepika Padukone in der Hauptrolle und
Naseeruddin Shah in einer Nebenrolle als ihr Vater. Es ist eine auf
einige wenige Figuren konzentrierte Geschichte. Vier junge Leute,
zwei Pärchen um die 30, machen zu Beginn einen Ausflug ins
Wochenendhaus. Gerade zwischen den beiden, wo es nicht funken sollte,
beginnt das Feuer zu glimmen. Zwischen Padukones Alisha, einer
Yoga-Lehrerin, unzufrieden verlobt, und dem Unternehmer, Siddhart
Chaturvedis Zain, der eigentlich kurz vor der Hochzeit mit der
reichen Tia steht. Es geht hin und her, zwischen Leidenschaft und
Zögern, schlechtem Gewissem und Ausleben der Gefühle.<br /></p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">GEHRAIYAAN (2022) spielt
in der Welt der Reichen und der Kapitalisten, die oft gar nicht so
reich sind, wie es den Anschein hat. Es geht hier vor allem um Geld, für
das man alles tut, vor allem, wenn die Existenz der Firma auf dem
Spiel steht. Die materialistische Welt des Kapitalismus kennt kein
Mitleid. Es ist eine Haifischwelt der Betrüger. Motto: Bevor ich
gefressen werde, muss ich andere fressen. Ist man Opfer eines Betrügers in
großem Stil geworden, stellt sich einfach nur die Frage, wie oder ob man aus
dieser Notlage wieder herauskommt. Und dafür muss man bereit sein,
zu jeder Methode zu greifen. Hier ist nicht das Individuum
psychopathisch, sondern das System, in dem es existiert.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Vieles ist nicht so, wie
es scheint, wird von einem Geheimnis umgeben. Auch zwischen Deepika
Padukone und ihrem Film-Vater Naseeruddin Shah lebt die Lüge. Denn
GEHRAIYAAN ist eine Familiengeschichte – wie schon KAPOOR &
SONS (2016) -- ein Film über Familiengeheimnisse. Es ist ein nüchterner
Film, mit einer abgedunkelten Optik, die sich intensiv und ruhig seinen
Figuren und ihren Handlungsmotiven annähert. So haben die Szenen auf
dem Meer ein tiefes, kräftiges Blau. Das Meer spielt eine
Schlüsselrolle. Die Gefahr des Untergangs in der haltlosen Tiefe besteht jederzeit.</p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-41878366226505259462022-02-19T12:06:00.058-08:002022-02-21T05:44:21.830-08:00Shoojit Sircars SARDAR UDHAM – Die Ideologie des Revolutionärs<p style="text-align: center;"> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhYQ4jZ-4LOkzIOz97MW9JGXB0ZstTYu0Y7jb1ftTXzwY7vnrQLIZF2ChHz9-PYv7XPY7q7t0KZ2D_VNRI1r6onwpcK8xH9C9-3aFbgjyT6jGRqJTqObghn58Dzu4M2M0tjBKmwF31ATG0qMIihhqJOdQ81wmk4k38AZ7YIVX8kzx8IEItEUUWRNFkdKA=s354" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="354" data-original-width="283" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhYQ4jZ-4LOkzIOz97MW9JGXB0ZstTYu0Y7jb1ftTXzwY7vnrQLIZF2ChHz9-PYv7XPY7q7t0KZ2D_VNRI1r6onwpcK8xH9C9-3aFbgjyT6jGRqJTqObghn58Dzu4M2M0tjBKmwF31ATG0qMIihhqJOdQ81wmk4k38AZ7YIVX8kzx8IEItEUUWRNFkdKA=w320-h400" width="320" /></a></p><p>
</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Am 13. April 1919 fand im
Punjab, in Amritsar, ein brutales Massaker mit knapp 400 Toten statt.
Die Briten hatten im Vorfeld eine Ausgangssperre
mit Schießbefehl verkündet, aber niemand rechnete damit, dass die, wohlgemerkt,
vorwiegend aus Indern bestehende Armee, auf friedliche Menschen, darunter viele Kinder und Alte, schießen
würde.Versammelt hatte sich die große Menge in dem zu allen Seiten
von einer Mauer verschlossenen Park Jallinwallah Bagh.
Hauptverantwortlicher war der Vize-Gouverneur des Punjab, Michael
O'Dwyer. Befehlshabender Offizier war Colonel Reginald Dyer. Hauptweck war, ganz einfach formuliert, erzieherischer Terror durch die
Verbreitung von Angst, damit die Menschen zu Hause bleiben und
gehorchen.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">1940 wurde der inzwischen
nach England zurückgekehrte O'Dwyer von einem den Kommunisten
nahestehenden Attentäter erschossen. Aus diesem Stoff hat Shoojit
Sircar mit SARDAR UDHAM (2021) seinen bis jetzt besten Film gemacht.
Lange hatte er diesen Film geistig in Planung. Sircars Filme sind ja
sehr wechselhaft. Er ist am besten, wenn es um Klares, Ernsthaftes,
Politisches geht wie in YAHAAN (2005), MADRAS CAFE (2013) oder
OCTOBER (2018). Bei einem Film wie GULABO SITABO (2020) allerdings,
mit seinem schwer verdaulichen skurrilen Humor, wird er sehr schnell
gewollt, verkrampft, banal und, ohne auch nur ansatzweise
komisch zu sein.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Beginnend mit der
Entlassung Udham Singhs aus dem Gefängnis nach einigen Jahren Haft, wird
die auf Tatsachen beruhende Geschichte dieses Attentäters erzählt,
wobei man sich natürlich dramaturgische Freiheiten nimmt. Gezeigt
werden die Auswirkungen dieses schicksalhaften Tages auf einen glücklich
verlobten jungen Mann.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Er ist aber vor allem geprägt von
aktiver politischer Arbeit, denn der Sikh Singh gehört ja zu den Kommunisten. Er ist
Teil des Umfelds des Märtyrers des antibritischen Widerstands
Bhagat Singh, der bekanntlich nicht mit einer Gefängnisstrafe
davonkam, sondern am 23.3.1931 wegen der Ermordung eines Polizisten
hingerichtet wurde. Alles bleibt ganz persönlich. Das Innenleben
Udham Singhs ist hier ebenso wichtig wie die äußeren Ereignisse.
Ideologischer Unterbau der revolutionären Handelns ist eine Grundlage. Die Beziehung zu Bagath Singh ist vor allem eine
persönliche, freundschaftliche, bei der man sich auch gemeinsam
betrinkt.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Am Ende steht er Aug in
Auge mit dem Tod. Eine äußerst lange Rückblende, die die Details
des Massakers zeigt, ist die Schlüsselszene. Es ist eine starke
Szene, die an die Grenze des Erträglichen geht, eine bewusst lange
Szene, die kein Ende zu nehmen scheint, sodass man es kaum noch
aushält als Zuschauer. Man versteht Singhs persönliche
Involviertheit in dieses Kolonialverbrechen. Er kümmert sich wie ein Bessener um
Verletzte, transportiert sie mit einer Schubkarre weg, immer mehrere
auf einmal. Eine Anwohnerin hilft, dann bringt er die Menschen in ein riesiges,
restlos überfülltes Krankenhaus. Blut, Wunden, die Leichen und
Verletzten liegen dicht beieinander und in engen Haufen zusammen.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Singh wird in London sogar Angestellter
von O'Dwyer. Dieser gibt kein Wort des Bedauerns von sich. Er bemüht
sich nicht einmal, eine Entschuldigung zu erfinden. Er ist überzeugt
von der Tat, da sie ihren Zweck erreicht hat. Singh selbst zögert zunächst
damit, zu töten. Er ist kein Killer, hat offensichtlich den Wunsch, den
Verantwortlichen zu verstehen. Aber nach und nach sieht er das
rettungslos Böse. Übrigens ja auch stellvertretend für die Zeit an
sich. Den zeitlichen Rahmen bilden Radiosendungen, in denen es um
Mussolini und Hitler geht.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Der stimmungsmäßig
passende visuelle Rahmen wird durch eine abwechslungsreiche
ausgeklügelte Nutzung von Licht und Schatten erzeugt, das ebenso
weich-grell wie weich-weiß sein kann. Manchmal zerfasert es im
Halbdunkel. Schneeweißes Licht fällt durch die Fenster der
dunklen Räume. In Britannien, in Nordeuropa herrscht eine kühle
Atmosphäre mit viel Schnee vor. Es berzeichnet die Abgründe, in
denen der Revolutionär lebt, während der staatliche Mörder sich
unter allen Umständen das Leben leicht macht.</p>
Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-21476757059112952372021-11-21T15:10:00.003-08:002021-11-21T15:32:15.204-08:00Rakeysh Omprakash Mehras TOOFAAN – Ein Solo für Farhan<p style="text-align: center;"> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjgcHnY9F66Wb4VjE4fPPocK5L-NYWSJ7HLyaxNQBjWejXoWpT1rcDjg68UBVYFgyUU9YF8qwLyoXTN9HJGn7tby_Cjnk_7b_Z2gHoLyJSGy5ePBqa6_zFoNvrmz0UczZkpAkrW1dpE0dr3/s354/Toofan+Plakat.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="354" data-original-width="283" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjgcHnY9F66Wb4VjE4fPPocK5L-NYWSJ7HLyaxNQBjWejXoWpT1rcDjg68UBVYFgyUU9YF8qwLyoXTN9HJGn7tby_Cjnk_7b_Z2gHoLyJSGy5ePBqa6_zFoNvrmz0UczZkpAkrW1dpE0dr3/w320-h400/Toofan+Plakat.jpg" width="320" /></a></p>
<p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Zunächst schaue man sich
mal sorgfältig das offizielle Amazon-Prime-Plakat – hier
handelt es sich ja um eine Streaming-Premiere – zu dem neuen
Hindi Box-Film TOOFAAN (2021) an. Inszeniert hat das Ganze
MILKA-Regisseur Rakeysh Omprakash Mehra, und Farhan Akhtar spielt die
alles dominierende Hauptrolle. Jedenfalls sieht man auf diesem Plakat
einen jungen Mann im Boxring, der angriffslustig nur nach
vorne schaut. Schwer zu sagen, auf jeden Fall vermittelt es das
Gefühl, da wäre doch ein junger Boxer. Und die Kriterien kann der
47-jährige Farhan Akhtar nicht erfüllen, auch wenn man ihn
großzügig als 40-Jährigen durchgehen lassen kann. Da ich vorher
von dem Film nichts wusste, war ich ehrlich erstaunt, als mir klar
wurde, dass er selbst diesen Boxdebütanten spielt, der sich vom
prügelnden Geldeintreiber zum Boxchampion wandelt. Natürlich nicht
ohne vorher viele Hindernisse, die so ein Filmboxer eben überstehen
muss, hinter sich zu bringen.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Nicht, dass es das nicht
gäbe. Auch US-Boxer George Foreman hat sich in dem Alter noch in den
Ring geschleppt, aber er war unübersehbar langsam und etwas
übergewichtig. Er wollte halt verständlicherweise noch einmal
abkassieren. Und auch jemand wie SCREAM-Schauspieler David Arquette
ist noch einmal im Alter in den aktiven Wrestling-Kampf eingestiegen,
aber er hat die Gegner nicht wie in einem Wirbelsturm weggefegt. Er
wollte einfach sich und anderen beweisen, dass er ein echter Wrestler
ist.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Dabei will ich gar nicht
sagen, dass TOOFAAN ein schlechter Film. Er hat seine Augenblicke und
technisch ist er perfekt und hübsch anzugucken. Es ist kein B-Film.
Und Akhtar scheint es ernst zu sein mit der Rolle, bei der
er gleichzeitig subtil arbeitet und schwitzend schauspielert. Vor dem Film wurden seine
muskelbildenden Trainingseinheiten in der Presse ja auch genügend ausgeschlachtet.
Was den Film als Ganzes angeht, so kommt es mir übrigens vor, als
hätte man sich gesagt: „Wir haben das Geld für einen großen
Boxfilm und Material für drei. Bringen wir unter, was wir können. Und dann bringt man wirklich alles
unter, was irgendwie geht und wo Akhtar vor allem seine
Starqualitäten und das Training ausstellen kann.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Es wird in TOOFAAN eben so viel der
Reihe nach abgehakt, was in so einem Film alles passieren kann. Es
gibt eine problemlose Loslösung vom alten Gangsterjob, denn der
Gangster ist ein echter Ersatzpapa. Die Frau, die er kennenlernt, ist
natürlich die Tochter seines Trainers, was er erst ganz spät
herausbekommt. Und der Trainer mag zufälligerweise keine Moslems,
zumindest nicht in seiner Familie, wegen des Todes seiner Frau bei
einem Terroranschlag. Und dann folgen Bestechung, Sperre, Comeback:
Der Boxer darf Jahre später und noch älter erneut mal trainieren und bei Wettbewerben kämpfen. Da
gibt es Schiedsrichterbetrug, aber der wird ausgerechnet vom Moslemhasser-Papa aufgedeckt. Ein
echtes Märchen. Masala in Realismus-Verpackung. Aber wir sind ja
noch nicht durch. Ich hatte vergessen, dass die Frau des Boxers in einer
Massenpanik stirbt und er jetzt alleinerziehender Vater ist.. Man müsste ja denken, dass angesichts all dieser
Ereignisse zumindest eine gewisse Intensität geschaffen wird. Vorherrschend
ist aber eine übervolle Langsamkeit, die irgendwann ganz einfach
Langeweile erzeugt. Mit seiner Länge von 162 Minuten hat man sich
aber auch wirklich keinen Gefallen getan.</p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-43763285095673745312021-09-10T04:49:00.007-07:002021-09-10T07:37:50.570-07:00Amit Masurkars SHERNI – Vidya Balan im Dschungel<p style="text-align: center;"></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgXkrQJTvQmBogrQdg1I5Zic6P9JM-OtuFnAkbNDBdiNur6ja7wJFQC4CF_2aoNR5PWjZgiFM4h1_W4l3h4gUUsBwnX1aeFREPAIOsXclzINYJEE-7IBvu0MWp1rUm-Oa8GXsMVbT-kYDZc/s354/Sherni+Plakat.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="354" data-original-width="283" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgXkrQJTvQmBogrQdg1I5Zic6P9JM-OtuFnAkbNDBdiNur6ja7wJFQC4CF_2aoNR5PWjZgiFM4h1_W4l3h4gUUsBwnX1aeFREPAIOsXclzINYJEE-7IBvu0MWp1rUm-Oa8GXsMVbT-kYDZc/w320-h400/Sherni+Plakat.jpg" width="320" /></a></div>
<p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Filmregisseur Amit V.
Masurkar war für seinen Hindi-Film Film SHERNI (2021) also
erneut im Dschungel. Und diesmal ist diese Wildnis mehr als ein
angeblich bedrohliches Versteck für Terroristen, vor denen der
unfreiwillige Wahlhelfer Rajkummar Rao in Masurkars NEWTON (2017) lange Zeit
zittert. Der Dschungel in SHERNI ist nicht nur Zentrum des
Geschehens, er ist der Mittelpunkt, um den sich alles dreht. Denn
auch wenn die Handlung um von einem Tiger getötete Landbewohner und um
die versuchte Rettung eines weiteren Tigers die eigentliche
Spannungs-Story ausmacht, hat die von Vidya Balan gespielte
Hauptfigur einer leitenden Wildhüterin es mit sämtlichen komplexen
Problemen des durch den Menschen in seiner Existenz und Substanz
bedrohten Dschungels zu tun. Für Viehzucht und Getreideanbau, aber
auch für die Ausbeutung von Bodenschätzen, was riesige Löcher in
die Erde reißt, werden die dicht bewaldeten Flächen immer kleiner
und auch unzusammenhängender, flickenteppichartig, was die Bewegung
von Tieren einschränkt.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Und der Dschungel
bestimmt auch die Struktur und den Stil des Films, der aus vielen
Fragmenten, Mosaiksteinen besteht, um so nach und nach den Zuschauer
mit dem, was der Dschungel bedeutet, fürs Klima, für die Tiere, für
die Menschen, vertraut zu machen. Dabei geht es ganz explizit nicht
um die menschliche Vorstellung vom Dschungel, etwa den mystischen,
bedrohlichen oder – wie in Bimal Roys MADHUMATI (1958) – den
märchenhaften Dschungel. Auch wenn es sehr schöne Bilder wie etwa Kleintiere in
Großaufnahme, dazu
auch düster poetische Nachtaufnahmen, gibt, steht der Dschungel in seiner biologischen,
ökologischen und ökonomischen Funktion im Mittelpunkt.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Vom Menschen konstruierte
Mystik entsteht allenfalls durch den unsichtbar bleibenden Blick des Tigers,
der überall sein kann. Es fällt der Satz, dass, wenn man einmal
einen Tiger sieht, er einen vorher schon 99 Mal gesehen hat. Doch im
Ganzen demystifiziert Masurkar außer dem Dschungel auch den Tiger,
der einfach nur die richtigen Lebensumstände braucht, um für die an
der Peripherie lebenden Menschen keine Gefahr zu sein. Aber die
Gesellschaft ergeht sich lieber in Tigerpanik, in
Menschenfresserhysterie. Hier wird der Film kurz sehr böse und
satirisch, was ja die Stärke von NEWTON war: Die Bilder schütten Verachtung und Hohn über die bewusst und mit offensichtlicher Freude Panik
verbreitenden TV-Sender aus, die damit wie gewohnt ihre Quoten in die
Höhe treiben wollen. Die ganze Nation sitzt davor und lässt sich
mit wohligem Schauder manipulieren.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Die von Vidya Balan
gespielte Wildhüterin ist für den Tigerbestand verantwortlich. Ein
Tiger hat Dorfbewohner getötet. Man weiß nicht genau, um welches
Tier es sich handelt. Der Film besteht aus den folgenden, kein Ende
nehmenden Konflikten um das Tigerproblem. Balan spielt ihre Figur mit
konzentrierter Innerlichkeit. Sie ist Beamtin und zeigt nicht so
leicht Gefühle. Sie befiehlt mit sanfter Autorität, wird nie
verbissen. Aber man spürt, dass ihre Arbeit ihr am Herzen liegt. Der Ehemann arbeitet woanders, was sie offensichtlich gut
verschmerzen kann. Eine der Qualitäten des Films ist das Dokumentarische, das beispielsweise die Wildhüter einfach nur bei der Arbeit zeigt.
Masurkar interessiert sich für jedes kleinste Detail der technischen
Aufspürung von Tigern. Da folgt die Kamera auch mal zwei unwichtigen
Nebenfiguren, um ihre Tätigkeit visuell festzuhalten.<br /></p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Und es geht in SHERNI um die
Bürokratie, die die Dinge oft nur komplizierter macht, selbst wenn sie
mal Gutes im Sinne hat. So müssen die Bewohner eines Dorfes gezwungenermaßen zur Fütterung von Tieren auf den
gefährlichen Dschungel ausweichen, weil aus dem alten Feld eine Teak-Baum-Plantage
wurde. Allerdings erfüllte man damit nur einen Regierungsauftrag,
nach dem pro Jahr 100.000 Bäume gepflanzt werden müssen. Deshalb
kann man Balans Figur auch dabei sehen, wie sie mit Dorfbewohnern an
Projekten arbeitet, die sie unabhängiger vom Dschungel machen
sollen. Für klassische Spannung sorgt ein wild gewordener Jäger mit
seiner Besessenheit, einen Tiger zu töten. Die Genehmigung hat er
natürlich. Privilegierte bekommen alles. Überall. Erst ganz am Ende
verliert die Beamtin die Selbstkontrolle, wird gegenüber
Vorgesetzten immer deutlicher, fordernder und nicht zuletzt
vorwurfsvoller und sorgt so natürlich für eine Versetzung ins
Nirgendwo.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Der Film hat zwar ein
heimliches Happy End für zwei kleine Tiere. Aber da wir hier nicht
bei Disney sind, erspart Masurkar uns nicht einen ironisch pessimistischen, deprimierend muffig riechenden Schluss, bei dem alle
Lichter über einer toten, ausgestopften Erinnerungswelt ausgehen.
Falsche Hoffnung wird hier nicht geweckt. Und bis zum Schluss bewahrt
der Film seine Ruhe und sein Gleichgewicht. Eine Kritikerin hat
SHERNI vorgeworfen, das Drehbuch sei „unflashy“, also
unauffällig, unaufdringlich. Wo doch gerade darin die große
Qualität des Films besteht. SHERNI gehört zu den besten Hindi-Filmen des Jahres.<br /></p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-14181652584907106372021-06-30T14:04:00.004-07:002021-07-19T04:17:48.353-07:00LIFE AND MESSAGE OF SWAMI VIVEKANANDA – Bimal Roys Montage-Doku<p style="text-align: center;"> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiPDRbC0odmKRbOoeS7VQDDS40Nf6Avsmk1wl1l59gyHKE6AvSNCTu83UFZhFvOYdIpSNEftKmp4zlqtZAptUl4xftB0xcjFVPXHcfyUwzabo_QJ7A4godLOaBJyr3zmlj6rSTPOFrEnLE9/s1280/Swami_Vivekananda-1893-09-signed.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="1280" data-original-width="933" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiPDRbC0odmKRbOoeS7VQDDS40Nf6Avsmk1wl1l59gyHKE6AvSNCTu83UFZhFvOYdIpSNEftKmp4zlqtZAptUl4xftB0xcjFVPXHcfyUwzabo_QJ7A4godLOaBJyr3zmlj6rSTPOFrEnLE9/w291-h400/Swami_Vivekananda-1893-09-signed.jpg" width="291" /></a></p>
<p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Der aus Bengalen
stammende große Hindi-Regisseur Bimal Roy hatte eine
Freizeitbeschäftigung zu Hause. Auf seinem 16-mm-Projektor schaute
er sich immer wieder seine Kopie von Eisensteins PANZERKREUZER POTEMKIN
(1926) an. Für seine kleinen Kinder ein schauerlicher Horrorfilm mit Maden
im Fleisch, aber für ihn offensichtlich eine unerschöpfliche
Inspirationsquelle. Die deutlichste Spur, die dieser sowjetische Film
in seinem Werk hinterlassen hat, ist natürlich das berühmte
Rikscha-Rennen in DO BIGHA ZAMIN (1953) mit seiner ausgefeilten,
immer schneller werdenden Montagesequenz. Aber ansonsten ist Bimal
Roys Kino ein sehr ruhiges, poetisches Kino, das sich meist mit
sozialen Themen verbindet. Die Verbindung aus Poesie und Politik ist
zwar eine der bemerkenswertesten Eigenschaften des sowjetischen
Kinos. Aber direktes Montagekino findet man bei Roy ansonsten
allenfalls mal zwischendurch in kurzen Sequenzen.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Doch der Dokumentarfilm
LIFE AND MESSAGE OF SWAMI VIVEKANANDA (1963) für das staatliche Dokumentarfilminstitut Films Division zwang
ihn direkt, auf die Montage-Methode in einem ganzen Film
zurückzugreifen, denn bewegtes Archiv-Filmmaterial stand hierfür fast gar
nicht zur Verfügung. Stattdessen baute man den Film auf auf
„Relikten, alten Aufnahmen, Malereien, Fotografien“. Und so
versammelte er viele aus seinem normalen Team. Salil Chowdhury
schrieb die Musik. Kamal Bose an der Kamera und Madhu Prabhawalkar
verantwortlich für den Schnitt. Die gemalten Bilder, die die
Geschichte erzählen, wurden extra für den Film angefertigt. Mit
Kamera, Schnitt, Ton entstand so ein echter Bimal-Roy-Film, der
abwechslungsreich eine spirituelle, soziale, poetische Geschichte
erzählt.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Die Doku beginnt mit
aktuellen Bildern zur 100-Jahrfeier von Vivekananda (1863-1902), mit
einer Prozession, einer Veranstaltung in einem Theater, Reden von
Nehru und dem Staatspräsidenten vor einer großen Menge. Das
verdeutlicht die Bedeutung, die der große Mönch immer noch, wie
auch heute, in Indien hat. Die Lebensgeschichte dann beginnt mit
Vivekanandas Rückkehr aus dem Westen und dem triumphalen Empfang
durch Würdenträger und Menschenmassen. Dann wird sein Leben von
Kindheit bis zum Tod aufgerollt, wobei das Spirituelle nicht
vernachlässigt wird, aber gerade eine große Betonung auf die
soziale Arbeit gelegt wird, die die Doku als Vivekanandas größte
Leistung erscheinen lässt.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Hier am Anfang zeigen
sich schon die Mittel, die diese Doku über den vorwiegend
informativen Durchschnitt der üblichen Dokumentarfilme herausheben. Ganz entscheidend für die
Lebendigkeit von LIFE AND MESSAGE OF SWAMI VIVEKANANDA ist die innere Montage, wenn die
Bilder von Vivekanandas Stationen gefilmt werden. Die Kamera bleibt, während der Off-Sprecher erzählt, nicht starr auf dem Bild, sondern macht
gleichsam ständige Fahrten und Bewegungen, wodurch jede Statik
verhindert wird. Und Kamal Bose sorgt für echte, ausgeklügelte
Abwechslung: Schwenks, Zooms ins Bild und heraus, Schnitte,
Überblendungen, vertikale, horizontale, diagonale Kamerabewegungen.
Und das alles auf kleinstem Raum. Zwischen den gemalten Bildern gibt
es immer wieder Inserts mit kurzen realen Filmaufnahmen wie die von
einem Feuerwerk. Aber es gibt in Form von Schockmontagen auch Fotos
von ausgemergelten Dorfarbeitern. Von ganz nah wird ein Denkmal für
solche Arbeiter mit Gestalten aus Haut und Knochen gefilmt, als
sollte man das Elend als Zuschauer spüren können. So weit geht Roy in seinen Spielfilmen nicht. Gleichzeitig wird später
das Poetische nicht vernachlässigt. Wenn es um Vivekanandas Wanderungen
durch Indien geht, zeigt Roy wunderschöne Bilder von Städten, vom
Ganges, vom Sonnenuntergang und auf einem Bild, das man erst für ein
Foto hält, bewegt sich plötzlich der Schatten einer Wolke auf der Straße ganz leicht nach vorne, woraufhin sofort ein Schnitt folgt. Das hat eine seltsame Wirkung. Einen Moment hat man sich auf diese Sogwirkung eingelassen, die aber sofort unterbrochen wird.<br /></p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Auch der Sprechton spielt,
neben der Musik, eine große Rolle. Denn durch die Verteilung der
Textarten auf verschiedene Sprecher entsteht eine Dramatisierung, die
den Storycharakter der Doku unterstreicht. Vivekananda und auch
andere haben eine eigene Stimme. Die gelungenste Sequenz in der
Beziehung ist die, in der Vivekananda den Gesang und Tanz einer
Hofsängerin verschmäht, weil sich dies nicht für einen Mönch
zieme. Getroffen singt sie ein religiöses Lied. An einer Wand sieht
man den Schatten eines auf dem Boden sitzenden Mannes, der nach Ende
des Liedes demütig um Verzeihung bittet.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Und jetzt müsste die
Films Division nur noch den zweiten Dokumentarfilm von Bimal Roy ins
Netz stellen: GAUTAMA, THE BUDDHA (1967). Wobei ich nicht weiß,
inwiefern er diesen Film noch vollständig kontrollieren konnte, denn 1966
ist der Mann gestorben, der für mich immer noch der beste aller
Hindi-Regisseure ist. Filme wie DEVDAS (1955), MADHUMATI (1958) oder
SUJATA (1959) sollte jeder Filminteressierte kennen.</p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-3117382430410015832021-06-30T08:00:00.003-07:002021-07-19T04:23:58.073-07:00G. V. Iyers SWAMI VIVEKANANDA – Gotteserfahrung und Dienst am Menschen<p style="text-align: center;"></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjNw02uPrioDLfO5-MjFaMLI0LX6qdoEYiaFSIQPHqPlqtk2xT1tmDQmgBMeX16rQ2suQqFsvelqWntcPxKuHrPcqA6qh7IS5JcLDUYiLJEctqhx5KJ_sUznYiGNtGV5I6locSIJN7rCZRX/s391/Swami+Vivekananda+Plakat.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="391" data-original-width="267" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjNw02uPrioDLfO5-MjFaMLI0LX6qdoEYiaFSIQPHqPlqtk2xT1tmDQmgBMeX16rQ2suQqFsvelqWntcPxKuHrPcqA6qh7IS5JcLDUYiLJEctqhx5KJ_sUznYiGNtGV5I6locSIJN7rCZRX/w274-h400/Swami+Vivekananda+Plakat.jpg" width="274" /></a></div><p></p><p style="text-align: justify;">
</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">SWAMI VIVEKANANDA (1998),
G.V. Iyers biografischer religiöser Spielfilm, endet mit der Ankunft
des unter dem bürgerlichen Namen Narendranath Datta (1863-1902) in
Kalkutta geborenen Mönchs in Südindien. Er hat gerade einen
vierjährigen Aufenthalt 1893-1897 im Westen hinter sich. Beginnend
mit seinem phänomenalen Erfolg beim „Internationalen Parlament der
Weltreligionen“in Chicago, hielt der Advaita-Vedanta-Anhänger
Vorträge und gab Unterricht in indischer Religion und Spiritualität
und setzte sie in Verhältnis zum westlichen Denken. Zum ersten Mal wurde der
Westen in systematischer Weise mit den vier Wegen des Yoga –
Karma, Jnana, Raja, Bhakti – vertraut gemacht. In dieser Zeit entstanden auch seine vier bekannten Yoga-Bücher, die zum Teil aus seinen Reden bestehen. Bis
zu seinem Tod war Vivekananda danach noch sehr aktiv, arbeitete etwa für die
internationale Ausweitung der von seinem Guru Ramakrishna initiierten
Ramakrishna-Mission, deren Grundlage Karma Yoga in Form von Dienst am
Menschen ist, wobei man sich besonders für das Elend der unteren
Klassen und Kasten einsetzt, denn „Menschen mit leerem Bauch
braucht man nicht mit Religion zu kommen“.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Und dennoch beendet Iyer
vorzeitig seinen Film mit einem politisch-religiösen Satz, der wie eine
Programmerklärung zur modernen konservativen Rehinduisierung Indiens
klingt. Drei Mal wird der Satz wiederholt: „Lieber die alte
Orthodoxie als das westliche Modell.“ Nicht, dass ich etwas gegen
den Satz an sich oder Rehinduisierung hätte, aber es scheint mir
problematisch,Vivekananda überhaupt auf einen einzigen Satz
festzulegen und hier das Bild einfrieren zu lassen, als wäre der
Satz die Essenz seines Lebens. Andererseits passt es zu einem Film,
der die sehr persönliche Sicht des Regisseurs auf die legendäre
Gestalt des Vivekananda wiedergibt.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;"><span style="font-weight: normal;">Iyer
lässt es also mit diesem Triumph enden, bei dem sich zeigte, dass
Vivekanandas Wirken im Westen auf Indien zurückgestrahlt hatte.
Verehrt wird er nicht zuletzt für seinen allgemeinen Beitrag zur
geistig-spirituellen Wiederbelebung Indiens, die nach all den
Überfällen und Einflüssen fremder und fremdartiger Mächte nötig
war. Und trotz seines nationalistisch inspirierten Wirkens konnte
Vivekananda ins Grübeln kommen, was denn Nationen überhaupt für
eine Bedeutung haben, aus konsequent spiritueller Sicht. </span>Vivekananda
war eben ein Mensch mit vielen Facetten. Seine Texte und Reden
zeichnet neben den klar erklärten Grundlagen des Hinduismus eine
pathetische Verkündigung von der Gemeinsamkeit aller Religionen, nicht nur
der Hindi-Sekten, aus, und dazu kommt ein überwältigender,
mitreißender Optimismus, der sicher einiges zu seinem Erfolg
beigetragen hat.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">SWAMI VIVEKANANDA besteht
aus zwei Teilen. Der erste ist der einheitlichste und beste und
umfasst seine Kindheit, seine Ausbildung und dann seine Begegnung mit
seinem Guru Ramakrishna. Da prallen dann zwei Welten aufeinander. Auf
der einen Seite der rationale, intellektuelle, brillante Student, dem
eine große Zukunft prophezeit wird, ganz in den Fußstapfen seines
Vaters, eines Richters. Aber er hat auch seine Zweifel, ist durch die
Erziehung der Mutter religiös geprägt. Doch reicht ihm Gauben
nicht, er will Gott erfahren und sehen. Also macht er sich auf die
Suche, doch bleibt erfolglos. Bis er Ramakrishna begegnet, der ihm
bestätigt, dass er Gott so klar sehe wie ihn, dass man Religion
erleben und leben könne. Passiver Glaube wird hier als nicht
ausreichend betrachtet. Doch kann der Intellektuelle sich trotz allem
zunächst gar nicht richtig begeistern für einen einfachen
Analphabeten, denn er misst weltlicher Bildung noch einige Zeit lang
zu viel Wert zu. Auch die intellektuelle Hochnäsigkeit muss er
aufgeben. Aber nach und nach tritt ein Wandel ein. Schön ist auch
das Aufeinandertreffen der Stimmungen, denn der angehende Schüler
hat überhaupt keinen Humor, während Ramakrishna es liebt, Scherze
mit ihm zu machen. Mithun Chakraborty schafft es, die spirituelle,
erleuchtete Seite und das weltlich-humorvolle Ramakrishnas
glaubwürdig und einheitlich zu verbinden. Nicht zufällig gab es
dafür den nationalen Filmpreis für die beste Nebenrolle. Aber auch
Sarvadanam D. Banerjee als Vivekananda ist mit seinem sparsamen und
innerlichen Spiel eine ausgezeichnete Besetzung. Ein wichtiges Mittel, das
die steigende Verbindung von Guru und Schüler zeigt, sind Lieder und die Musik
von Salil Chowdhury. Das gibt dem Film eine kontinuierlich
religiös-poetische Stimmung, eine Verbindung aus Klassischem und
Populärem.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Im zweiten Teil des Films
wird alles gedrängter, verkürzter. Gezeigt werden die
entscheidenden Phasen: die jahrelangen Wanderungen durch Indien, hier
bevorzugt durch einsame Gegenden. Das unterstreicht das
Kräftezehrende, ist aber auch rein produktionstechnisch geldsparend.
Da nimmt Vivekananda zum ersten Mal deutlich Notiz vom Elend der arbeitenden
Kasten oder Klassen. Nicht fehlen darf die berühmte Bild-Anekdote
mit dem Fürsten, der sich über Götterbilder mokiert und
aufgefordert wird, sein eigenes Bild anzuspucken. Aber nirgendwo
bleibt Vivekananda lange. Dieser Teil des Films fällt einerseits
durch fehlenden Zusammenhang stückwerkartig etwas auseinander,
überzeugt aber andererseits immer wieder durch überzeugende Ideen,
die Dinge zusammenzufassen oder auf den Punkt zu bringen, ohne sie
direkt zeigen zu müssen. So ist der ausgehungerte Mönch bei einem
Mann zum Essen eingeladen, bei dem ein Bettler vorbeikommt: In der
Folge hat Vivekananda eine tranceartige auditive Vision von
erbärmlich schreienden hungernden Massen. Immer wieder verdeutlicht
er den Herrschenden, denen er begegnet, ihre Verantwortung für diese
Menschen. Die vier Jahre im Westen werden verkürzt auf die Zitate
aus der umjubelten Eingangsrede auf dem Weltreligionen-Kongress und
man sieht am Schluss Vivekakandas Gesicht in Großaufnahme mit einem
dankbaren Lächeln, während historische Fotos der Menschen
eingeblendet werden, die ihm in all der Zeit geholfen haben.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Die wenig begeisterten
Kritiken damals und der fehlende Erfolg an den Kinokassen täuschen
leicht darüber hinweg, dass SWAMI VIVEKANANDA ein sehr schöner Film
ist. Aber gerade in der zweiten Hälfte hilft es doch, wenn man
zumindest ansatzweise vertraut ist mit seinen Schriften und seinem
Leben. Veredelt wird der fast dreistündige Film übrigens durch
Kurzauftritte von Shammi Kapoor, Shashi Kapoor, Mammootty oder auch
Anupam Kher.</p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-74797676333246272482021-06-28T13:20:00.002-07:002021-07-19T04:31:13.647-07:00Mari Selvarajs KARNAN – Die Bushaltestellen-Rebellion<p style="text-align: center;"></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgckVfjzotiOI1HvwyFYtbIW4oQdf4bO10x_K_rbUY0T4mfDqAa5xDBz0V5aKQHdywTL8HmSoSZLVMuBhb-0VbBM5bFBtxBoz7rHm9q5YmwG-4YE0R6RaNI5kL_-W6g6nyhnENsCdwZxLbk/s344/Karnan+Plakat.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="344" data-original-width="220" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgckVfjzotiOI1HvwyFYtbIW4oQdf4bO10x_K_rbUY0T4mfDqAa5xDBz0V5aKQHdywTL8HmSoSZLVMuBhb-0VbBM5bFBtxBoz7rHm9q5YmwG-4YE0R6RaNI5kL_-W6g6nyhnENsCdwZxLbk/w256-h400/Karnan+Plakat.jpg" width="256" /></a></div>
<p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Es ist ein ebenso traurig
realer wie seltsam surrealer Beginn. In der ersten Sequenz von Mari
Selvarajs Tamil-Film KARNAN (2021) mit Dhanush in der Hauptrolle
liegt ein junges Mädchen mitten auf der Straße und hat etwas, was
wie ein epileptischer Anfall aussieht. Die Autos rasen links und
rechts gefährlich nahe vorbei. Niemand hält, auch kein Bus. Die
Kamera geht senkrecht nach oben, verliert sich in der extremen
Vogelperspektive in Unschärfe, um die inzwischen reglose Gestalt
nach einiger Zeit wiederzufinden. Es geht wieder nach unten und dort
liegt ein Wesen mit Göttinnenmaske. Von nun an ist die Tote eine
Mischung aus schützendem Dorfgeist und zur Rache anfeuernder
Dorfgöttin, die immer wieder zu sehen ist und wie aus dem Nichts aus
dem Untergrund auftaucht. So beschert sie ihrem Großvater eine
nächtliche Vision darüber, dass sie Geld für die Hochzeit der
Schwester gesammelt und in der Hütte der Familie vergraben hat.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;"><span lang="de-DE">KARNAN
ist Mari Selvarajs zweite Regiearbeit. Vorher war er Assistent bei
Regisseur Ram. Das Regiedebüt PARIYERUM PERUMAL (2018) wurde vom
neuen Produktionshaus des erfolgreichen Regiekollegen Pa. Ranjith
produziert. Das Debüt war spannend, wirkte aber noch ein wenig
angestrengt und konstruiert, etwas zu direkt in seiner Botschaft. </span>Der
soziale Realismus von KARNAN hingegen wird mit der toten Schwester
gleich eingebettet in einen mythischen Kontext. Dazu kommt das
Visuelle: <span lang="de-DE">sehr viele Totalen, Zeitraffer der
Wolken, Aufnahmen gegen die Sonne, besonders Steinhügel im
Gegenlicht. All das verwandelt die Gegend immer wieder in eine ewig, unerschütterlich wirkende und Kraft spendende Landschaft.</span></p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Neben dem Mythischen
steht das Archaische: Mit dem „Karnan“-Lied folgt am Anfang des
Films eine zweite Sequenz, die die Grundprinzipien des Films
stimmungsmäßig festlegt. Es ist ein rhythmisches Rebellenlied vor
dunklem, nachtschwarzem Hintergrund, erleuchtet durch Fackeln in
zeitloser, archaischer Ästhetik. Man sieht von Karnan sowohl
Zeitungsfoto als auch eine Rauchzeichnung auf Felswand, wie eine
moderne Steinzeitmalerei. Dazwischen Großaufnahmen der Schauspieler
und der Rhythmusgruppe hoch oben auf einem Felsen. Im Anschluss daran
wird <span lang="da-DK">ein Gefangener in einem Bus von Poli</span><span lang="de-DE">zisten
zusammengeschlagen. Dabei kann es sich nur um den besungenen
Rebellenhelden Karnan handeln.</span></p><p align="JUSTIFY" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">Es folgt
eine lange Rückblende, Hauptteil des Films, eingeleitet mit der
ungefähren Zeitangabe „vor 1997“. Es geht um ein abgelegenes
Dorf, das an der nächst gelegenen Hauptstraße, zu der man durch die
Felder gelangt, keine eigene Bushaltestelle hat. Man ist gezwungen,
entweder lange auf eine Mitfahrgelegenheit zu warten oder zum größeren
Nachbardorf zu gehen, wo man aber schnell tyrannisiert und gedemütigt wird. Überhaupt
will man beim großen Nachbarn das ganze unterkastige Dorf weiter von sich abhängig und dadurch
entwicklungsunfähig halten. Zum eigenen Vorteil natürlich. Und
obwohl die Dorfbewohner von Hinz zu Kunz gelaufen, Eingabe um Eingabe
gemacht haben, bekommen sie keine Haltestelle. Das bringt beispielsweise
Probleme für regelmäßigen Schulgang, besonders für Mädchen, die
im Nachbardorf besonders leicht belästigt und bedrängt werden. Hauptperson
ist der, von Dhanush gespielte, nicht übertrieben viel arbeitende Karnan, der einen Hang zu
Wutausbrüchen hat und sich nichts gefallen lassen will. Das stößt
bei vielen der Dorfbwohner, die Angst um den erreichten Status quo haben, auf Widerstand, bis
alle begreifen, dass es die einzige Möglichkeit ist, nicht in alle
Ewigkeit auf demselben Stand festgefroren zu bleiben, während die Welt
draußen sich verändert. Nach und nach reißt er die anderen mit im
Kampf gegen die Unterdrückung.</p><p align="JUSTIFY" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">Der Beginn
des Kampfes wird symbolisiert durch Karnans Erfolg in einem alten
Ritual, wo er über einem Teich, im Sprung, einen Fisch genau in der
Mitte mit einem Schwert zerteilt. Dieses Ritual war schon
fast aus der Mode gekommen. Damit gewinnt er auch das Schwert und,
ohne es zu ahnen, Verantwortung. Aus dem Spiel wird Ernst. Dhanush macht diese allmähliche Änderung Karnans subtil natürlich, ohne künstlichen Heroismus deutlich. Aber nicht
alles ist Kampf hier. KARNAN ist auch ein sehr schöner Film über
ein Dorf mit vielen Figuren und einigen sehr energischen Frauen.
Karnan ist viel mit dem Großvater unterwegs, der ihn in seinen
Ausbrüchen immer beruhigen will. Da gibt es nebenbei
kleine berührende Szenen, wie die zwischen Großvater und Schwägerin, die immer
darauf gewartet hat, dass er sie, nach dem Tod der Schwester,
heiratet. Oder eine Beerdigung, wo der Großvater plötzlich bei einem
heiteren Tanzlied in eine Klage über den Choleratod seiner Frau vor
30 Jahren umschlägt. Und Karnan bekommt eine Freundin, obwohl er mit
dem zukünftigen Schwager ständig im Streit liegt.</p><p align="JUSTIFY" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">Zum Dorf
gehören aber auch die Tiere. War in PARIYERUM PERUMAL die
Hundesymbolik etwas zu überdeutlich, geht Selvaraj hier subtiler zu
Werk. Die Tiere sind auch sehr konkret und nicht nur reduziert auf
Symbolcharakter. Sie sind Teil des Alltags. Manchmal beobachtet
Selvaraj sie wie zufällig. Wie die Katze, die durch alle kaum
denkbaren und undenkbaren Öffnungen schleicht. Oder der Hund, der
immer irgendwie im Bild ist. Das Füttern der Tiere, der Schweine,
der Kühe. Nur ein Esel ist hier das eindeutige Symboltier. Dessen Vorderbeine sind zusammengebunden, damit er nicht weit laufen kann, und der
immer sehr verloren wirkend durch die Gegend schleicht. Karnan löst schließlich die
Fesseln des Tieres als Vorbereitung auf die wütende Zerstörung eines Busses,
was den Beginn der Rebellion darstellt und am Ende zu einem Kampf auf
Leben und Tod, um Zerstörung oder Weiterexistenz wird. KARNAN ist
auch eine Geschichte über dörfliche Solidarität in der Stunde der
Not, über Opfermut bis zum Tod. Wobei das Tragische darin liegt, dass
das alles überhaupt nötig ist.</p><p align="JUSTIFY" lang="de-DE" style="margin-bottom: 0cm;">Was den Film
durchzieht, sind die Parallelen zum Epos der Mahabharata. Karnan ist
dort der Sohn des Sonnengottes, wächst aber bei einem einfachen
Ehepaar auf und gehört zur unteren Kaste. Er schafft es zwar nach
oben, bekommt sogar ein Königreich zugeteilt, und dennoch hat er
nicht alle Rechte. So wird ihm der Unterricht im Bogenschießen
verwehrt. Man kann, wenn man will, nach konkreten inhaltlichen
Parallelen suchen, aber entscheidend sind hier vor allem die
abstrakten Bezüge und eine Art Anti-Epik. Denn die letzte
Eskalationsstufe des Krieges mit der Staatsmacht findet nicht mehr
statt wegen der Bushaltestelle, sondern weil der befehlshabende
Polizist wütend ist über die königlichen Namen aus den Epen und
die selbstbewusste Haltung der Bewohner. Auf der Wache schlägt er
alte Männer halbtot. Es folgt die von Karnan angeführte Verwüstung der Polizeistation und
die Befreiung der Schwerverletzten. Im Schlusskampf reitet Karnan mit
dem Schwert in der Hand ins Dorf hinein. Das ist Epik, neu erzählt,
von unten sozusagen.</p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-22270002112450486192021-06-25T04:38:00.000-07:002021-06-25T04:38:32.286-07:00Mohanlal in DRISHYAM 2 – Familie unter Druck<p style="text-align: center;"> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiA7pNia7tK20xnIVboZoDDjeTRVUmPOVsYzF6P57df0iKHS6HRvIrIjopj-h1Kbt69GGQHywwBUP1nFAVA06L2bxYNnwmdYjOR8W_FZqAzxzYvb9MlGPjFzulGasS6XiNrZspuJr5ne_8L/s421/Drishyam_2.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="237" data-original-width="421" height="225" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiA7pNia7tK20xnIVboZoDDjeTRVUmPOVsYzF6P57df0iKHS6HRvIrIjopj-h1Kbt69GGQHywwBUP1nFAVA06L2bxYNnwmdYjOR8W_FZqAzxzYvb9MlGPjFzulGasS6XiNrZspuJr5ne_8L/w400-h225/Drishyam_2.jpg" width="400" /></a></p><p></p><p style="text-align: justify;">
</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">DRISHAYAM 2 (2021), wieder unter der Regie von Jeethu Joseph, ist der
zweite Teil des Malayalam-Erfolges von 2013 mit Superstar Mohanlal
in der Hauptrolle. Dass der erste Teil über Indien hinaus bekannt
ist, liegt dann aber eher an dem gleichnamigen Hindi-Remake (2015)
mit Ajay Devgn. Regie bei dieser Neuverfilmung führte der vor
einiger Zeit verstorbene Nishikant Kamat. DRISYHAM ist ein
intensiver, genau getimter Thriller, in dem ein Ehemann und Vater mit
Intelligenz, stiller Energie und präziser Planung seine Familie
vor der Justiz rettet. Die Hauptfigur ist Kabel-TV-Unternehmer, der in seinem Büro
pausenlos Filme guckt, angespeichertes Wissen, das ihm nun im Notfall
hilfreich ist. Er hat eine Frau und zwei Töchter. Die Ältere wird
von einem perversen Nachbarsjungen wegen eines heimlich aufgenommenen
Duschvideos erpresst. Es kommt dazu, dass sie ihn mit einer
Eisenstange totschlägt. Der Vater lässt die Leiche verschwinden. In
der Folge nun muss der Vater den Ermittlungen der Polizei immer einen
Schritt voraus sein, was ihm auch gelingt trotz heftigen,
grenzüberschreitenden Polizeiterrors.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Der Erfolg von DRISHYAM 2
jetzt liegt darin, dass Jeethu Joseph gar nicht erst versucht, sich
in präziser Spannung selbst zu übertreffen. Er hat die
überzeugende, konsequent durchgeführte Entscheidung getroffen,
genau den anderen Weg zu wählen. In der meisten Zeit passiert
überhaupt nichts Spektakuläres. Vor allem ist es ein Film über die
Folgen des Geschehens für die Familie, die Schwierigkeit, ja die
Unmöglichkeit, solch eine Erinnerung abzuschütteln, wo sie doch allein schon in Alpträumen jederzeit wieder auftauchen kann. Es geht einfach um
das Weiterleben in einer Kleinstadt voller Gerüchte und bösem
Klatsch. Das Privatleben wird unweigerlich davon bestimmt. Gezeigt
werden viele Szenen aus dem Familienleben, das man so normal wie
möglich zu führen versucht.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Am schlimmsten getroffen
hat es die psychisch erkrankte ältere Tochter, die die ganzen
Erlebnisse zur Epileptikerin, wenn sie einen Schock erlebt, gemacht
haben. Die Ehe leidet, denn die Frau wünscht sich mehr Vertrautheit
von ihrem verschlossenen Mann, der schließlich als Einziger den
wahren Ort der Leiche kennt. Die jüngere Tochter hat, wie die Frau
mit ihrer Nachbarin, einen Vertrauten, dem man auch Geheimnisvolleres
erzählen kann. Das wiederum ist gefährlich, denn Nettigkeit und
Verständnis müssen nicht automatisch authentisch sein. Der Vater
währenddessen, der inzwischen erfolgreicher Kinobesitzer ist, hegt
seltsame Träume vom aktiven Filmgeschäft und schreibt mit einem
professionellen Autor in Chennai seit Jahren an einem Drehbuch. So
ist DRISHAYM 2 ein Familiendrama, ein stilles, intimes Porträt einer
Familie, das das Damoklesschwert in Gestalt von jederzeit erneut
zuschlagen könnenden Behörden über sich hängen fühlt und das gleichzeitig
Schuld und Trauma als Last mit ich trägt.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Jeethu Joseph hält diese
Ruhe bis zum Schluss durch, arbeitet mit einer unterschwelligen
Spannung, die sich nach und nach immer mehr konkretisiert, bis sie
sich manifestiert. Alles hier ist lange Zeit scheinbar alltäglich,
auch wenn der Film von Anfang an das Gefühl einer sich herannahenden
Bedrohung vermittelt, symbolisiert durch die Alpträume der Töchter und
Ahnungen der Mutter. Man spürt die die Familie beherrschende
Beklemmung. Und auch wenn sich die Schlinge am Ende zuzieht, und die
Thrillerelemente zunehmen, und es auch einige überraschenden
Wendungen gibt, bekommt die Geschichte dadurch kein völlig anderes
Gesicht, wird sie nicht umgedreht oder entwertet, sondern wird nur um
eine zweite Ebene reicher. Jeethu Joseph opfert seine Figuren in
keinem Moment für einen Effekt. Und trotz der Spannung und einiger
ausgeklügelter Ideen bleibt es im Kern ein Film über Schuld, Rache,
Vergebung und dem Wunsch nach Abschluss mit einer traumatischen
Vergangenheit, soweit das irgendwie möglich ist.</p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-60153224716592852372021-06-22T11:02:00.002-07:002021-07-19T04:44:06.017-07:00Salman Khan in RADHE: YOUR MOST WANTED BHAI – Aber Jackie Shroff war lustig<p style="text-align: center;"> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg17StFAA__z2_cdfXs7XYxsvruoRN_WqQOw0EVS9qUYfYKGZBOgc37jUOSM6gBt_oChz0gfoBK2kV4x0C4K3pM40XRj-HAGgrr_sNEsCS6_P4mc-NJ5jDTkVrvZOpXRmGZUO-PVIQBvdo0/s293/Radhe+Poster.webp" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="293" data-original-width="220" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg17StFAA__z2_cdfXs7XYxsvruoRN_WqQOw0EVS9qUYfYKGZBOgc37jUOSM6gBt_oChz0gfoBK2kV4x0C4K3pM40XRj-HAGgrr_sNEsCS6_P4mc-NJ5jDTkVrvZOpXRmGZUO-PVIQBvdo0/s0/Radhe+Poster.webp" /></a></p><p></p><p style="text-align: justify;">
</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Vielleicht ist Jackie
Shroff ja der Einzige, der kapiert hat, wie RADHE, der neue
Hindi-Film mit Salman Khan, hätte gerettet werden können. Ganz
einfach durch konsequent bekloppte, selbstironische,
selbstparodistische Komödie. Shroff ist der Einzige, der hier als
Polizei-Vorgesetzter, der gerne betont, dass er gefährlich sei, aber
bloß einen destruktiven Krieg gegen sein eigenes Smartphone führt,
nicht total deplatziert wirkt. So witzig hätte unter Umständen
alles werden können, und am Anfang hat man ja sogar den Eindruck,
dass Salman Khan hier eine echte Selbstparodie vorlegt. Er wirkt, als hätte
er bloß seinen geklonten Avatar geschickt, der ein paar
Standardgesichter aufsetzt. Wahnsinn kann ja Methode haben. Aber dann
hätte man das Drogenthema fallenlassen und auf verlogene
Betroffenheit verzichten müssen. Indiens Ober-Bhai kann dann doch
nicht aus seiner Haut. Aber es wäre eigentlich die Aufgabe von
Regisseur Prabhu Deva gewesen, das alles unter einen Hut zu kriegen.
Konnte er nicht. Knallend an der Aufgabe gescheitert. Und eigentlich
nehme ich ja gerne Salman Khans Filme in Schutz vor all den
schlechten und sogar hasserfüllten Kritiken. Aber diesmal ist das
unmöglich.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Leider zünden irgendwann
selbst die Witze nicht mehr, da sie vom Schwarzen Loch des unwitzigen
Witzes, den der Film selbst darstellt, sofort aufgesogen werden.
Überhaupt wüsste ich gerne, ob man für den
Salman-Khan-Tapferkeitsorden in Frage kommt, wenn man den Film bis
zum Ende durchgehalten hat. Lieblos und lustlos hingesch* ist das
alles. Anders kann man es nicht ausdrücken. Da liefert der
Staatsphilosoph SK und Bigg-Boss-Boss seine weisen Sprüche ab,
wie den über Angst. Denn wenn man vor ihr weglaufe, komme sie nach.
Salman Khan hat ganz offensichtlich panische Angst, sein Publikum zu
verlieren, wenn er nicht immer dasselbe bietet. Dabei hat er sich
diesmal selbst ins Knie geschossen. Das Ganze basiert übrigens auf
dem koreanischen Gangsterfilm THE OUTLAWS (2017). Für diesen
Popelfax hat man also allen Ernstes Rechtegeld ausgegeben!? Auweia, auweia. (Der Hahn
legt keine Eier, hätte ich jetzt fast hinzugefügt.) So eine Story hätte jeder unterbeschäftigte Bollywood-Drehbuchautor dankbar für ein Taschengeld fix zusammengestückelt. Die Produktionsfirma kann demnächst auch gerne mich fragen. Ich meine, schlimmer kann's nicht werden.<br /></p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Schauspielerisch gibt es hier Randeep Honda, dem man es gönnt, dass er so seine Rechnungen
bezahlen kann. Er liefert eine routinierte langhaarige
Bösewichtnummer. Und Disha Patani verkörpert eine weibliche
Kunstfigur, der man für manche Szenen eine Kleiderspende zukommen lassen möchte. Nach
ihrer ganzen Arbeit mit Salman Khan und Tiger Shroff sollte sie
übrigens versuchen, mal irgendwas anderes zu machen, sonst erinnert
sich die Filmgeschichte an sie als "diese spärlich Bekleidete" –
„ich hab jetzt den Namen vergessen“ – die „in diesen
Actionfilmen mit ständig oben ohne rumlaufenden Männern zu sehen
war“.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Dabei belassen wir es
jetzt. Denn der Film ist so was von tot. Total tot. Töter als tot.
Und über Tote soll man nicht schlecht sprechen. Jedenfalls nicht zu
lange.</p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-28684772073699598892021-05-31T11:04:00.006-07:002021-07-19T04:52:24.804-07:00Chaitanya Tamhanes THE DISCIPLE – Der Schüler, der Guru und das Ideal <p style="text-align: center;"> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhFjbB_ALDOsucN__4C3zRIvAAensUlaUAawaSn98k73XZdLQXNgyMPFTLT8C_i2Lapzkh0bF9Gbg0dTttCioxMXYxt-AreyGWoEF-BLhF8Haa7Vbumuynt7AtKVVPsncCI7bOY_tDLwSZQ/s379/The+Disciple+Poster.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="379" data-original-width="263" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhFjbB_ALDOsucN__4C3zRIvAAensUlaUAawaSn98k73XZdLQXNgyMPFTLT8C_i2Lapzkh0bF9Gbg0dTttCioxMXYxt-AreyGWoEF-BLhF8Haa7Vbumuynt7AtKVVPsncCI7bOY_tDLwSZQ/w278-h400/The+Disciple+Poster.jpg" width="278" /></a></p><p></p><p style="text-align: justify;">
</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">In Venedig nahm der
Marathi-Film THE DISCIPLE / DER SCHÜLER (2020) von Chaitanya Tamhane
am Wettbewerb teil und gewann den Kritikerpreis. Verdient, denn es ist ein
schöner, äußerst vielseitiger Film über klassische indische
Musik, über Ideal und Praxis, über den jetzigen Zustand der
klassischen Musik in Indien. Regisseur Tamhane kommt eigentlich vom
Theater und hat davor schon den Kurzfilm SIX STRANDS (2012) und den
Spielfilm COURT (2014) gedreht.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">SIX STRANDS ist eine legendenhafte
Erzählung über eine allein lebende Teeplantagenbesitzerin, die
besessen ist von ihrem besten Produkt: Moonlight Thurston. Er wirkt
einen Monat lang, funktioniert auf mehreren ekstatischen Geschmacks-
und Wirkungsebenen und da ist sie auch wieder jung. Danach hingegen
ist sie wieder allein mit ihren Erinnerungen. Aber in diese Mystik
der Teeherstellung mischt sich die Tagespolitik in Form einer
unterdrückten Arbeiterrebellion mit 80 verhungerten Familien. Schon
viele Merkmale von Tamhanes zwei Spielfilmen sind hier zu sehen. Die
ruhige Beobachtung. Die Liebe zu Leerstellen. Das Uneindeutige. Und
das inszeniert Dokumentarische.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">COURT (2014) ist ein Film
über die Justiz mit einer sehr starken dokumentarischen Note, obwohl
eben alles sorgfältig inszeniert ist. Ein alter Volkssänger wird,
wegen eines seiner Lieder, der Anstiftung zum Selbstmord angeklagt.
In langen Sequenzen kann man die sich hinziehende Gerichtsprozedur
beobachten, die wegen neuer Beweislagen immer wieder verlängert wird.
Und das trotz des hohen Alters des Angeklagten, dem wegen seines früheren rebellischen
Verhaltens keine Kaution gewährt wird. Gezeigt wird auch, wie
sich das System in einen freigesprochenen Angeklagten mit neuen
Vorwürfen verbeißen kann, denn dahinter stecken Karrieren, die sich beweisen wollen. So kann
es unter Umständen ein ewiger Prozess werden.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Was aber auch im
Mittelpunkt steht, ist die private Beobachtung von Anwalt und Staatsanwältin.
So verschieden sie sind, es sind zwei Seiten einer Medaille. Der
Menschenrechtsanwalt aus einer steinreichen Familie, der ständig mit
seinen Eltern streitet, sitzt zu Hause müde vor dem Fernseher, geht
mit Freunden in eine edle Bar und hat privat keine Verbindung zu den
Menschen, die er verteidigt. Die Staatsanwältin lebt in einer
bescheidenen Bleibe mit Mann und zwei Kindern, Sie hat den Drang nach
oben, zum Richteramt. Da ist aber auch die schlecht versteckte
Verachtung für die vor allem aus dem Süden zugewanderten
Unterkastigen. Die Angeklagten erscheinen als reine Treppenstufen auf
dem Weg nach oben. Am Ende gibt es einen Gruppenausflug mit mehreren
Familien in ein Strandressort, wo man sich kräftig anstrengt, sich
zu amüsieren. Am Ende liegt über allem bloß eine ungeheure
Müdigkeit.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Tamhane hat eine Vorliebe
für große und halbe Totalen, lange Einstellungen, die genau durchkomponiert,
choreographiert sind. Es ist der schon erwähnte
Scheindokumentarismus, bei dem er genauestens die Bewegungsabläufe
und die Bedeutungen kontrolliert. Nichts wird dem Zufall überlassen. Gleichzeitig wirken seine Filme in alle Richtungen offen, verschreiben sich der Mehrdeutigkeit statt der Vermittlug einer Botschaft. Dieser Detailreichtum in Totalen macht Tamhanes Filme aber eigentlich auch zu echten Kinofilmen für die
große Leinwand. <span lang="de-DE"><span style="font-weight: normal;">Auch
THE DISCIPLE hat viele ruhige Einstellungen, ist aber weit weniger
statisch, da ja auch weniger bürokratisch, als COURT. THE DISCIPLE
ist fließender, beweglicher, durch die eine Hauptperson, auf der der
Schwerpunkt liegt, auch einheitlicher.</span></span></p><p align="JUSTIFY" lang="de-DE" style="font-weight: normal; margin-bottom: 0cm;">
THE DISCIPLE beginnt mit der Aufführung eines klassischen Konzerts
im kleinen Rahmen und durch einen langsamen Zoom, vorbei am Sänger,
nähern wir uns dem Spieler einer Tanpura oder eines ähnlichen
Instruments. Der Musiker wirkt glücklich, freut sich über jede
gesangliche Wendung seines Gurus. Das Jahr ist 2006. Der junge Mann,
Sharad Nerulkar, gespielt vom Debütanten Aditya Modak, ist 24. Der
Film zeigt die Entwicklung dieses jungen Mannes bis in die Gegenwart.
Neben seinem alten, etwas kränkelnden Gesangs-Guru spuken ihm aber noch zwei
andere Lehrmeister im Kopf herum. Der Vater, zu dem es einige
Rückblenden gibt, den er aber am liebsten aus seinen Gedanken
verbannen möchte und der ihn in der Kindheit in die Musik herein
gezwungen hat. Und dann die nur wenig bekannte legendäre Sängerin
Maai, von der er geheime Aufnahmen von Vorträgen hat und deren
höchste spirituelle Ideale er wie einen Schatz für sich allein
behält. Als wären sie der allein selig machende Weg zum
seelentiefen Singen und zum Erfolg. Und so geht er auch brav zum
Yoga, hält sich von allem Weltlichen fern. Wiederholt zeigt der Film
seine nächtlichen Motorradfahrten in Zeitlupe, die Welt um ihn herum
gleitet an ihm vorbei, aber er nimmt sie nicht wahr. Er lebt in der
Welt des Ideals. Nur dass sich dies nicht auf seine praktischen
Gesangfähigkeiten auswirkt. Sein Leben, seine Selbstsicherheit
geraten aus dem Gleichgewicht, als er in einem Gesangswettbewerb nicht
einmal unter die ersten drei kommt.</p><p align="JUSTIFY" lang="de-DE" style="font-weight: normal; margin-bottom: 0cm;">
Er ist vor allem auch ein Fan klassischer Musik, ein wandelndes
Lexikon, das sich gerne beklagt, dass die anderen alle keine Ahnung
haben. Und das sind fast alle anderen. THE DISCIPLE ist nicht
nur ein Film über die Musik, sondern auch über die dahinter
steckende Infrastruktur mit ihren Auftrittsmöglichkeiten,
Veranstaltungen. Der Film spielt in der Welt der kleinen Konzerte,
kleinen Säle, vor teilweise privatem, auserlesenem Publikum. Es ist nicht
immer voll, und die Gage reicht oft nicht mal für die Reise. Auf der
anderen Seite gibt es die Gegenwelt der Masse, für jede Art von
Musik. Konzerte heißen da Events, man braucht Sponsoren. Und sexy
sein, das ist angesagt, in Indien bevorzugt man gerne das Wort „hot“,
als wäre das weniger geifernd. Und man muss im Netz gefallen,
kommunizieren, sich beliebt machen, so wie seine ehemalige
Mitschülerin. Sharad hingegen wird im Netz wenig beachtet,
erregt bloß Desinteresse, allenfalls Sympathie und Mitleid.</p><p align="JUSTIFY" lang="de-DE" style="font-weight: normal; margin-bottom: 0cm;">
Das einzig Übernatürliche, was er erlebt, das ist die Stimme der
Sängerin Maai, die ihm wie in einer Vision die verdrängte Wahrheit
über sein Verhältnis zu seinem Guru und über sein fehlendes Talent
sagt. Aber er will sich das Ideal nicht nehmen lassen, trotz der
brutalen Geschichten eines zynischen Musikgeschichtlers, der jede
Illusion verloren hat. Sharad hat am Ende ein eigenes Label für alte
Aufnahmen. Und tritt somit in die Fußstapfen seines Vaters, dem
ebenfalls gescheiterten Sänger, der Bücher über die Art von
klassischer Musik geschrieben hat, die es in der Gegenwart nicht mehr
gäbe. Die Frage, die sich stellt, ist bloß, ob es dieses
verwirklichte Ideal jemals in kompromissloser Reinform gegeben hat
oder ob es ein luftig-spiritueller Traum der Erbverwalter ist.<br /></p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-48325463996762598882021-05-30T05:09:00.002-07:002021-07-19T05:01:30.668-07:00Vetrimaarans ASURAN – Die Kunst des Krieges gegen Dämonen<p style="text-align: center;"> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj3hETGLZqOScofgCkeOOU2ZBjub_BPwq5gObUeZyIPvB625JpT30aTd7kaOPd3Lls3OE9jocdy2CgYRk1RZI49FNvIyejxTzyHY7FeezpGmh5oDfmSIST5m8JdB51-v2XvnVnZgIq1EDhO/s368/Asuran+Plakat.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="368" data-original-width="270" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj3hETGLZqOScofgCkeOOU2ZBjub_BPwq5gObUeZyIPvB625JpT30aTd7kaOPd3Lls3OE9jocdy2CgYRk1RZI49FNvIyejxTzyHY7FeezpGmh5oDfmSIST5m8JdB51-v2XvnVnZgIq1EDhO/w294-h400/Asuran+Plakat.jpg" width="294" /></a></p><p></p><p style="text-align: justify;">
</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Es geht sofort mitten
hinein ins Geschehen in den 1980ern. Vetrimaarans ausgezeichneter
Tamil-Film ASURAN (2019) beginnt mit der nächtlichen Flucht einer
Familie durch den Dschungel. Aber es ist eine getrennte Flucht, um
die Chance zu erhöhen, dass jedenfalls die Hälfte der Familie
überlebt. Vater und Sohn gehen mitten durch den Fluss, um keine
Spuren zu hinterlassen. Die Mutter schleicht mit Tochter und Onkel
durch Wald und Feld. Auf einer einsamen Landstraße taucht plötzlich
ein Polizeiwagen auf. Die drei verkriechen sich, denn die Staatsmacht
arbeitet für den Feind, der sie alle tot sehen will. Der Erzählfaden, der sich nun von Anfang
bis Ende durch den Film zieht, ist diese Jagd auf eine Familie,
dieser Kampf ums Überleben. Den Grund hierfür erfährt man
andeutungsweise. Der Sohn hat einen Großgrundbesitzer mit der Hacke
erschlagen. Nur – welcher Sohn? – fragt man sich
angesichts des ungeschickten jungen Mannes, der ständig Fehler
macht. In der folgenden Rückblende, die die Vorgeschichte erzählt,
ist da denn auch tatsächlich ein zweiter Bruder, älter, mächtig
wild und zornig.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">ASURAN ist ein
realistisches Land- und Dorfporträt, die Geschichte einer
unterkastigen Bauernfamilie und die eines Großgrundbesitzers, der
eine Zementfabrik errichten und das Land haben will. Eine bekannte
Geschichte, in der Wirklichkeit wie im Kino. Vetrimaaran erzählt
aber keine Story mit Botschaften, will auch nicht einfach nur schlimme
Zustände darstellen. Ihn interessieren die großen und individuellen
Zusammenhänge. Gewalt wird erlitten, Gewalt wird zurückzugeben.
Aber wirklich gewonnen ist damit für die Schwachen nichts. Doch die
Idee der Gewalt ist ständig präsent, in den Figuren und im Film.
Und wer sie nicht anwendet, muss sich dazu zwingen, friedlich zu
bleiben. Denn eigentlich möchte man Dämonen – Asuras –
töten, wenn sie Schaden anrichten. Gleichzeitig ist es ein äußerst
spannender, angespannter und visuell intensiver Thriller und Jagdfilm
mit Action, Kämpfen und sogar einigen Bombenexplosionen.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Aus der Haltung zur
Gewalt folgt ein brodelnder Generationenkonflikt, der nicht zu
besänftigen ist und überkocht. Auf der einen Seite der
versöhnliche, weich wirkende, saufende Vater Sivasaami, gespielt vom
großartigen Südstar Dhanush; auf der anderen Seite der zornige
ältere Sohn Chidambaran, verkörpert von Ken Karunas; dazu der
jüngere Sohn, der den großen Bruder als Vorbild nimmt, weil er den
Vater verachtet. Die Schlüsselszene dieses Filmteils ist ein toter
Hund, der mitten in einem unter Hochspannung gesetzten Zaun des
Großgrundbesitzers stirbt, eine Elektrifizierung, die dieser nicht angekündigt hatte. Der
gibt danach zum Ausdruck, dass es ihm auch völlig egal wäre, wenn
die einfachen Bauern oder ihre Angehörigen darin sterben. Sie sind
nichts wert für ihn. Und so kommt es beim Kampf um Wasser zu Konflikten. Mordopfer wird
der ältere Sohn. Ein grässlicher Kollektivmord mit Erhängen und
Durchbohren mit dem Speer. Später findet man mitten auf einem Feld
eine grausam verstümmelte Leiche, die nicht endgültig als älterer
Sohn identifiziert werden kann, was zu einem Familienleben in Agonie
führt. Und da greift ausgerechnet der junge Sohn zur mörderischen
Hacke.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Im Mittelpunkt der
Fluchtszenen steht die Vater-Sohn-Beziehung. Da gibt es
Missverständnisse, unter der Oberfläche die stille Verachtung für
die Passivität des Vaters. Aber der jüngere Sohn ist naiv und macht
Fehler wie den, im Dunkeln Feuer anzuzünden oder die wichtige
Machete im Schlaf wegrutschen zu lassen. Um die beiden herum ist die raue
Kraft der Natur, der Landschaft, in der Sivasaami sich traumwandlerisch bewegt. Es sind Szenen epischer Breite bei
dieser Flucht, in den steilen Hügelketten und in dem riesigen, sandigen
Wald, von dem eine Luftaufnahme mit umgekehrtem Zoom die
labyrinthische Gleichheit jeden Quadratmeters offenbart. Es folgt
eine extreme Kampfszene des Vaters gegen eine menschliche Übermacht,
die voller wilder Brutalität ist. Selbst der Sohn ist erstaunt und
fast entsetzt über den gewalttätigen Vater, der sich im letzten
Augenblick in dem wilden Kampf auf der sandigen Lichtung zurücknimmt
und nicht tötet.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;"><span style="font-weight: normal;">Durch
die zweite Rückblende zurück in die jüngeren Jahre des Vaters,
gespielt jetzt von Ken Karunas, erhält der Film eine breitere
episch-komplexe Form. Drei Mal meldet sich in ASURAN ein Erzähler aus dem Off,
der die Dinge kurz zusammenfasst. Der Film beruht ja auf dem Roman
„Vekkai“ von Autor Poomani, wobei dieser sich wiederum von dem
Kilvenmani-Massaker im Jahre 1968 hat inspirieren lassen. </span>Es
beginnt Ende 1950er, Anfang der 60er, schließt sich gewissermaßen
an Bimal Roys DO BIGHA ZAMIN (1953), den großen indischen
Filmklassiker über Zamindarausbeutung und Landenteignung an. Der
Vater arbeitet als junger Mann als Bootlegger für einen Landbesitzer
und macht sich die dumme Illusion, er wäre akzeptiert. Er fühlt
sich irrigerweise als Teil der Oberwelt, dabei wird er nur als
lukratives Werkzeug gebraucht. Im Grunde wird er genauso verachtet
wie alle anderen, gilt nicht als Mensch, sondern als Sklavenmaterial.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Eine scheinbar
alltägliche, aber gleichzeitig schreckliche und authentische
Alltagsszene verdeutlicht dies perfekt. Das Verbot des Tragens von
Slippern ist ein kleines, aber widerwärtiges Mosaiksteinchen im
demütigenden Machterhalt der herrschenden Kaste. Aber in seiner
Naivität missachtet Sivasaami diese Regeln. Es ist eine niedliche
Liebesgabe für die Verlobte, damit sie nicht mehr in Dornen tritt.
Doch der Buchhalter seines Bosses verprügelt sie und treibt sie
durchs Dorf mit den Slippern auf ihrem Kopf. Als Sivasaami nach einer
Revanche seinerseits vom Chef auf seinen Platz verwiesen wird, wird
ihm seine wahre Position überdeutlich. Der Landbesitzer macht
reinen Tisch, will den Widerstand durch ein Massker brechen.
Sivasaamis völlig verbrannte Verlobte kann ihm in Agonie noch ein
paar Worte zuflüstern. Die Dorfbewohner wurden in Hütten gesperrt,
die die Täter anzündeten. Sivasaami tötet auch und flüchtet. Wie
durch ein Wunder erhält er eine zweite Chance, gründet eine
Familie. Man sieht an dieser Zusammenfassung, wie viel in diesem Film
passiert und wie doch alles ruhig und übersichtlich erzählt wird.
Alles dient auch zum Veranschaulichen der mal perfide subtilen, mal brutal mörderischen Machtmechanismen, die
Herrschaft absichern sollen. Demütigungen sollen von innen heraus
entmenschlichen, damit der Kopf der Masse unten gehalten wird. Wenn das nicht hilft, folgt physische Vernichtung.<br /></p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Alle Figuren in ASURAN
sind mehr oder weniger auf einen gewissen Charakter festgelegt, aber
der von Dhanush so brillant gespielte Vater hat mehrere Facetten, und
Dhanush vereint sie alle, ohne dass es künstlich wirkt oder
Widersprüche hervortreten. Dhanush und sein Regisseur holen aus der
Figur des Vaters das gesamte Spektrum heraus. In der Verleugnung
seines wütenden Wesens ist er versoffen, weich, hilflos. Und dann
ist er von einer ungeheuren zerstörerischen Gewalttätigkeit. Und dann
wieder ist er ungeheuer klar, friedlich, versöhnlich, benutzt
einfach seine Intelligenz, um die Familie überleben zu lassen.<br /></p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Am Schluss geht Sivasaami
für den Sohn ins Gefängnis. Und hier gibt es die einzige deutlich
ausgesprochene Botschaft des Films, einen Auftrag eines Vaters an
seinen Sohn. Und es hat nichts mit Gewalt zu tun, ist jenseits davon.
Die Antwort auf das Elend ist Lernen, Bildung, ein einflussreicher
Job. Es geht ja in ASURAN auch um den legalen Kampf gegen die
Großgrundbesitzer, die sich langsam in unser modernes agrarisches
Groß- und Globalkapital verwandeln. Prakash Raj spielt den zentralen
Anwalt der Story. Die Gesetze sind ja da. Sie müssen nur vertreten,
angewendet und durchgesetzt werden. Und der Sohn hat begonnen, den
Vater zu begreifen. ASURAN ist ein ebenso direkt wirkender wie fast
abstrakter Film über einen Lernprozess, an dessen Ende das Verstehen
der eigenen Situation und das daraus folgende richtige Verhalten
steht.</p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-50840084765571026012021-05-28T04:19:00.006-07:002021-07-19T05:10:24.824-07:00SANT DNYANESHWAR – Die große Bhakti-Vereinigung<p style="text-align: center;"></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhVKP0ACVLZbzUVmkqhkYG1lkww43FKxEys1J1-lbQQQpyT00flBHzrCHpxi3DY5km0OZV3Ao0lGafa3A4RIkxZy0Lfd9yjFXtf86stgDX2k5QZPdbShtU38Wpk0l2dLESKG2Ivkdkt_Vtw/s240/Sant+Dnyaneshwar+Cover.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="239" data-original-width="240" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhVKP0ACVLZbzUVmkqhkYG1lkww43FKxEys1J1-lbQQQpyT00flBHzrCHpxi3DY5km0OZV3Ao0lGafa3A4RIkxZy0Lfd9yjFXtf86stgDX2k5QZPdbShtU38Wpk0l2dLESKG2Ivkdkt_Vtw/s0/Sant+Dnyaneshwar+Cover.jpg" /></a></div><p></p><p style="text-align: justify;">
</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">SANT DNYANESHWAR (1940),
eine Prabhat Films Produktion von Vishnupant Govind Damle und Sheikh
Fattelal, ist ein Marathi-Heiligenfilm über Dnyaneshwar Vitthal
Kulkarni (1275-1296). Dessen große Tat liegt vor allem in der
Übersetzung der Bhagavad Gita in zeitgemäßes Marathisch. Dazu
verfasste er einen ausführlichen, leicht verständlichen Kommentar,
dessen Besonderheit darin besteht, dass er sich nicht in abstrakter
Gelehrsamkeit ergeht, sondern den Dialog zwischen Krishna und Arjuna
kongenial fortführt, ausweitet, beschreibt. Selbst die erhältliche
Übersetzung in modernem Prosa-Englisch gibt noch einen guten
Eindruck von der Einfachheit, Klarheit und Anschaulichkeit dieses
Kommentars.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">SANT DNYANESHWAR ist ein
vor allem auf der Legende Dnyaneshwars beruhender Film. Die
theoretischen Hintergründe seines Denkens wie die Nathi Yogi Sekte
werden außen vor gelassen, was dem Film aber in seiner direkten
spirituellen Wirkung gut tut. Es ist gleichzeitig ein sehr
engagierter, teilweise heftiger Film gegen gefühlloses Brahmanentum,
gegen tote Wort-Orthodoxie. Doch daraus wird schließlich ein Film
der großen Versöhnung, der alle Volksgruppen umfasst. Gemeinsam
singen sie ein Bhakti-Lied, was einfach gesagt bedeutet: ein Liebeslied
an Gott, an Krishna. Überhaupt handelt es sich um einen Film mit
vielen wunderbaren Songs mit der Musik von Keshavrao Bhole.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Die erste Sequenz zeigt
den kleinen Dnyaneshwar, der mit einem vertrauensvollen religiösen
Lied durch sein Dorf geht und Almosen sammelt in Form von ein bisschen
Getreide in einer Stofftasche. Er wirkt wie ein Abbild von Unschuld,
Hingabe und Glaube, aber er wird misshandelt. Überall wird er
weggescheucht, beleidigt, man beschwert sich über seinen Schatten.
Die Almosen werden im Sand verstreut von einem bösen Brahmanen. Der
erste Teil des Films ist eine reine Passions-Geschichte, eine Zeit
fürchterlichen Leidens für die vier Kinder von in
gesellschaftlicher Ungnade lebender Eltern. Die Ursache findet sich
in der Biografie des Vaters, der vier Tage als Sanyasi, als der Welt
entsagender Asket, lebte und dann unerlaubterweise zur Familie
zurückkehrte. Jetzt hat die Familie ihren Brahmanen-Status verloren,
wurde aus dem Dorf gejagt. Sie sind damit Ausgestoßene und leben in
Armut und Verzweiflung.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Im Brahmanen-Rat findet
man in den Schriften keine Antwort darauf, wie der Vater sein
Vergehen sühnen soll. Sein Fall ist nicht vorgesehen. Nur der Tod
könnte die Sünde auslöschen. Es folgt eine düstere nächtliche
Szene in tiefstem Schwarz, wenn der Vater aufsteht, um sich
umzubringen. An Dnyaneshwars Bett legte er ein Exemplar der Bhagavad
Gita und dazu eine kleine Flamme. Es ist die Hoffnung des Vaters,
dass Dnyaneshwar seinen Wunsch, die Inhalte der Gita für alle
Marathen zu verbreiten, wahr machen kann, wenn er tot ist. Dann
springt er mit seiner Frau in den Fluss.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Das Leiden der Waisen
wird nun in mehreren herzzerreißenden und empörenden Sequenzen
überdeutlich gemacht. Zunächst einmal suchen sie verzweifelt ihre
Eltern, bis sie langsam die Wahrheit begreifen. Besonders qualvoll wird es bei
einem langen, endlosen Marsch durch eine menschenleere Gegend in die
Stadt Paithan zum höchsten Brahmanen-Rat. Es geht durch die Wüste,
durch steinige Gegenden. Sie quälen Hunger, Durst, Erschöpfung,
müssen sich schützende Blätter um die wunden nackten Füße
binden. Die Wanderung bringt sie fast um. Nach Bitte um Hilfe werden
im Brahmanen-Rat die Schriften herangezogen. Ein riesiger Stapel
eingepackter Papierbündel, die geöffnet, studiert, gelesen werden.
Es zieht sich endlos hin, dazwischen geschnitten immer wieder
Dnyaneshwars erwartungsvoller Blick, der aber immer hoffnungsloser
wird. Erneute Begründung: So ein Fall ist nicht vorgesehen, also
kann nicht entschieden werden. Dnyaneshwar hingegen spricht von
der göttlichen Seele in allen Lebenden, worauf die Brahmanen mit
Verachtung reagieren. Aber auch das Büffelwunder, wo ein Büffel
unter Dnyaneshwar Einfluss einen religiösen Text zu Ende spricht, das in Paithan die Gelehrten beeindruckt, wird bei ihm zu Hause verlacht. So groß
ist der Hass.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Die Kinder gehen fort und
begegnen auf dem Weg einem Bauern auf seinem Büffelkarren. Er nimmt sie
mit. Wie eine Befreiung vom Elend wirkt das heitere Lied des Bauern,
der das Thema Religion auf nach den Tod verschoben hat. Er ist
agnostisch, weil da ja nichts für Leute wie ihn da ist. Das Lied
hüpft direkt im Rhythmus der Fahrt, zum Klirren des Glöckchens, zum
sich drehenden Wagenrad. Also wendet Dnyaneshwar sich jetzt an die
einfachen Leute, und mit seinen Vorträgen gewinnt er ihre Herzen und Seelen. Er findet über die Jahre immer mehr Zuhörer
über die Bhagavad Gita im verständlichen Marathisch. Zunehmend größere Mengen kommen zu seinen Vorträgen.
Hier gibt es dann durch einen einfachen Schnitt im Rednerstuhl,
umgeben von der Menge, den Übergang zum älteren Dnyaneshwar,
gespielt von Shahu Modak.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Die Brahmanen-Gegner
versuchen mehrere Attacken, wogegen Gott schützend durch Wunder
hilft. So das Feuerwunder in einer Hütte, bei dem ein großes Feuer
von göttlichem Atem ausgeblasen wird. Oder die Überwindung des
letzten Gegners, eines mächtigen, viel zu stolzen Yogi, der mit
peinlichem Bombast durch die Gegend zieht und aus seinen
übernatürlichen Kräften Schauwerte für die Masse macht. Durch
einen Flug auf einem großem Felsen schlägt Dnyaneshwar ihn mit
seinen eigenen Mitteln. Mit diesen überzeugenden Trickaufnahmen und
den Massenszenen, den realistischen Bauten, zeigt sich der immense Aufwand
dieser schönen Produktion.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Schließlich ist eine riesige
Bhakti-Menge zusammengekommen, alle singen gemeinsam. Dnyaneshwar hat sein Werk
vollendet. Er ist bereit für den endgültigen Samadhi, den
Trancezustand im Superbewusstsein, in dem der Yogi totale Kontrolle hat, auch über den Körper und dazu gehört auch der Sterbevorgang, der auf diese Weise korrekt vor sich gehen
kann, sodass die Seele mit Sicherheit aus dem Wiedergeburts-Zyklus austreten kann.
SANT DNYANESHWAR ist mehr als ein Film über Bhakti. Er ist durch die
vielen Lieder und die von Dnyaneshwar ausgehende Sanftheit und Liebe
zu Gott selbst Bhakti. Und ich nehme an, dass die Menschen ihn damals
im Kino auch so gesehen und gefeiert haben.</p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-80652954054698394052021-05-26T05:51:00.001-07:002021-05-26T06:15:06.778-07:00KAVALTHURAI UNGAL NABAN – Alptraumort Polizeistation<p style="text-align: center;"></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjvkSZ9Tlvx4ax7vfDL3QZhyQTfMl1d1NXeUGOpQ1nW1Pfo-vvyHPfphyphenhyphend13GiYsG9Ggg9AeZuZFPkX9q81H03eD2zhMf-5H_HUPGJE-JufeutoVTit5X4Dh8Uk8NcaC-5ftarGPHKZFFT5/s621/Kavalthurai+Ungal+Nanban+Plakat.png" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="621" data-original-width="442" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjvkSZ9Tlvx4ax7vfDL3QZhyQTfMl1d1NXeUGOpQ1nW1Pfo-vvyHPfphyphenhyphend13GiYsG9Ggg9AeZuZFPkX9q81H03eD2zhMf-5H_HUPGJE-JufeutoVTit5X4Dh8Uk8NcaC-5ftarGPHKZFFT5/w285-h400/Kavalthurai+Ungal+Nanban+Plakat.png" width="285" /></a></div><p></p><p style="text-align: justify;">
</p>
<p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Es beginnt
markerschütternd und unübersichtlich. Aber eindeutig qualvoll. Man
hört in dem Tamil-Film KAVALTHURAI UNGAL NABAN (2020) von Regisseur
und Autor RDM zunächst das Geschreie und Gestöhne eines Mannes. Das
ist so eindringlich, dass ich schnell den Ton heruntergedreht habe, damit
nicht im nächsten Moment verschreckte Nachbarn vor der Tür stehen.
Dazu sieht man verstaubt goldbraune Bilder aus einer voll gestellten
Garage, einer zugerümpelten Werkstatt. Langsam und nur schwer
beginnt man, eine Gestalt zu identifizieren, die in einer brutalsten
Folterstellung auf einem Hocker zusammengebunden wurde. Der Rücken
ist bis zum Brechen nach hinten durchgebogen, die Hände in
Bodennhähe an den Fersen festgebunden. Keine Möglichkeit, die
Haltung zu ändern. Ganz eindeutig: Das waren Folterprofis.
Weggepackt, weggestellt wie Müll. Man weiß also Bescheid: In diesem
bewusst politisch radikalen Film passiert Grässliches. Als Zuschauer
kann man also nicht sagen, man wäre nicht gleich zu Anfang gewarnt
worden.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Die erste halbe Stunde
widmet sich dem Privatleben des jungen Ehepaares Prabhu und Indhu mit
allen Höhen und den kleinen unvermeidlichen Tiefen, wenn er den
ersten Hochzeitstag vergisst und auch noch schlechte Laune an den Tag
legt. Man hat wenig Geld, aber jeder hat einen Job – Büro und
Essen ausfahren. Nachwuchs hat sich angekündigt und die Zukunft
liegt vor ihnen. RDM lässt sich Zeit für dieses private Portrait,
sehr intim, echt, gut besetzt mit Suresh Ravi und Raveena Ravi, bei
der es wirklich schade gewesen wäre, hätte sie ihr ganzes Leben als
Synchronsprecherin verbracht. Sie leben ohne Familienrückhalt, die
Hochzeit fand gegen den Willen der Familie statt. Dann eines Abends
lässt er sie nach Feierabend in ihrem Büro warten, holt sie nicht
ab und sie fährt allein nach Hause. Auf der letzten Strecke zu Fuß
muss sie durch einen dunklen Weg, wo sie überfallen und unsittlich
begrabscht wird.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Das Paar macht sich mit
dem Motorrad auf den Weg zur Polizei und gerät in eine korrupte
Polizeikontrolle. Statt Hilfe zu bekommen, werden sie tyrannisiert.
Denn er tritt fordernd auf, lässt es an der nötigen Demut fehlen,
die die Polizisten von armen Leuten erwarten, denn für die sind sie
ja nicht in erster Linie da. Mit denen bessern sie gerade ihr
spärliches Gehalt auf. Er wird verhaftet, angeblich war er zu
schnell, betrunken, beleidigend, hatte keine Papiere. Dann beginnen
die kammerspielartigen Szenen in der Polizeistation.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Der Fall hier ist
natürlich extrem. Der Inspektor ist ein von Mime Gopi gespielter
echter Psychopath mit Freude an der Gewalt. Er ist nicht nur
tyrannisch-korrupt, sondern auch voller Wut und Zorn, dass Polizisten
neuerdings mit Kamera und Handys auf die Finger geschaut wird. Immer
wieder wird die Polizeistation von außen in einer Totalen gezeigt.
Sie sieht aus wie viele andere im Land, doch dahinter verbirgt sich
zumindest in diesem Fall der Schrecken. Er ist ein Rückzugsort für
Polizisten, der letzte Ort, wo sie sie selbst sein können und sich
ausleben dürfen.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Der Film bleibt im
Prinzip im Alltagsrealismus. Das hier kann grundsätzlich jedem
passieren, wenn er nicht Geld oder irgendwelche Beziehungen zu
Mächtigen hat. Es ereignet sich kein Wunder. Kein moralischer
Polizist greift ein. Es gibt sie zwar, aber im Endeffekt können sie nur
hilflos zuschauen. Es kommen bloß, wie aus dem dunklen Nichts,
Schattenpolizisten, um Drecksarbeit zu verrichten. Man muss also auf
einen reinigenden Gewaltausbruch wie im Mainstream-Kino verzichten,
einer, der tatsächlich hilfreich wäre und für dauerhafte Befreiung
von Ungerechtigkeit sorgen könnte, aber eigentlich ja nur
Blitzableiter für angestaute Alltagsungerechtigkeit ist.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Das Warten, die Schläge,
das Eingesperrtsein, das Vertröstetwerden. Es wird immer
entwürdigender und schmerzhafter für Prabhu, um ihm zu zeigen, wer hier für wen da
ist. Bürokratische Erledigung ist ein Gnadenakt, für den man
dankbar sein muss. Die Kamera beobachtet sehr ruhig das Geschehen.
Der Film ist also hart, aber kein emotional aufpeitschender
Immersionsfilm, der den Zuschauer einzig und allein sadistisch
mitleiden lassen will. Das verhindern die grotesk-brutalen
Übersteigerungen und etwas künstlichen Höhepunkte aus der magischen Kiste des kommerziellen Kinos
vor allem am Ende des Films. KAVALTHURAI UNGAL NABAN ist gleichzeitig
aber auch ein analytischer Film über Verhaltensweisen und Mechanismen. Arme
können sich nicht für jeden Polizeibesuch einen Anwalt leisten.
Körperhaltung und Stimme müssen glaubwürdig die Ehrerbietung für
den Staatsdiener ausdrücken. Auf jede kleine Spur der Ironie,
Verachtung, Rebellion wird hier mit Brutalität reagiert.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Und so wirkt KAVALTHURAI
UNGAL NABAN wie eine intimere, alltagskonzentriertere Version des
bekannten und erfolgreichen Tamil-Films VISARANAI / THE INTERROGATION
(2015). Regisseur Vetrimaaran, der KAVALTHURAI UNGAL NABAN übrigens
präsentiert hat, zeigt nicht bloß die Mechanismen, sondern ein
ganzes System mit seinen dysfunktionalen, absurden Entartungen –
von ganz unten bis nach ganz oben. Vier arme, nette, ehrliche
Tamil-Arbeiter, die bloß ein bisschen Geld verdienen wollen im
Nachbarbundesstaat Andhra Pradesh sollen gezwungen werden, ein
Geständnis zu unterschreiben, damit ein Inspektor unter Druck von
oben einen Fall abschließen kann. Aus der Sache kommen sie nach
vielen physischen Wunden heraus. In der zweiten Hälfte geraten sie
aber vom Regen in die Traufe, sitzen fest in einem Politthriller um
Bestechung, Korruption und anstehende Wahlen. Ein .Film voller
starker Bilder des Entsetzens: Die Großaufnahme des Gesichts eines
desillusionierten Inspektors, während die Helfershelfer weiter hinten in seinem
Rücken versuchen, die verzerrten Arme eines zu Tode gefolterten
Mannes in die richtige Position zu bringen, damit es wenigstens ein
bisschen wie Selbstmord aussieht, wenn die Leiche in seiner Wohnung
an den Ventilator gehängt wird.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">In KAVALTHURAI UNGAL
NABAN eskalieren die Ereignisse langsam bis zur Katastrophe. Prabhu
sieht sein Leben und seine großen Pläne dahinziehen. Er wird immer
stiller, brütender. Indhu beschwört ihn trotz allem, einfach an sie
beide zu denken. Aber er denkt an Rache, die natürlich hinterher nur
ein Opfer haben kann: ihn selbst. Das sagt auch etwas über verletzte
Männlichkeit, Unfähigkeit, trotz allem besser mit der Schulter zu
zucken, vielleicht woanders hinzuziehen, auf den Pass für die
Auslandsarbeit zu verzichten. Das Ende ist voller stummer Tränen,
fühlt sich leer an wie ein Schluss mit Auslassungspunkten. Zurück
bleibt, vor der Polizeiwache stehend, eine in Tränen aufgelöste
junge Frau, die bloß in Zweisamkeit glücklich sein wollte.</p>
Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-45221814324367590872021-05-24T10:29:00.003-07:002021-05-25T06:23:13.795-07:00WILD DOG – Keine Gefangenen<p style="text-align: center;"> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEga8ohS8X7oOxMidhq7sQrwRy3n3w6AbigWh9BXP9-un5psip4SJCLtQ6zBtQlXKMWZTRYYb-LWl-C1Gqy_iTCZ2roau8DETLcUuYeNpKzo1gSlm_vTLNujkWf9xqXyICXpM70H_GPntZyl/s316/Wild+Dog+Plakat.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="316" data-original-width="316" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEga8ohS8X7oOxMidhq7sQrwRy3n3w6AbigWh9BXP9-un5psip4SJCLtQ6zBtQlXKMWZTRYYb-LWl-C1Gqy_iTCZ2roau8DETLcUuYeNpKzo1gSlm_vTLNujkWf9xqXyICXpM70H_GPntZyl/s0/Wild+Dog+Plakat.jpg" /></a></p>
<p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Yasin Bhatkal ist ein,
vom pakistanischen Geheimdienst ausgebildeter, Mittäter und
Drahtzieher einer Reihe von islamisch motivierten Terroranschlägen
in Indien in den Jahren 2006-2012, wobei viele Menschen starben.
Als sich das Netz der Ermittlungen um ihn enger zog, setzte er sich
nach Nepal ab, während das Gerücht herumging, er sei schon in
Pakistan. Doch er wurde in Nepal gesehen. Unter viel bürokratischen
Schwierigkeiten folgte ihm inoffiziell eine indische Spezialeinheit
und schaffte ihn 2013 zurück über die Grenze. Nach einem langen Prozess
wurde er 2016 zum Tode verurteilt. Etwas anonymisiert wurde über diese
nepalesische Aktion von P.R. Ramesh unter dem Titel „Thankless
India“ in der Zeitschrift „Open – The Magazine“ (online:
11.9.2014) ausführlich berichtet.<br /></p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Und sollte sie jemandem
jetzt irgendwie bekannt vorkommen, dann hat er vermutlich Raj Kumar Guptas INDIA'S
MOST WANTED (2019) gesehen. Man kann aber bei dem Telugu-Film WILD DOG (2021) nicht von
einem Remake reden, denn es handelt sich formal betrachtet einfach nur um die zweite Verfilmung
desselben Stoffes, doch kann man auch nicht so tun, als gäbe es
den vorherigen Film nicht. Denn es wirkt im Ganzen, als hätte man bei
WILD DOG bewusst den entgegengesetzten Weg gewählt, um jeden näheren
Vergleich überflüssig zu machen.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Guptas Film beruht auf Realismus
und Authentizität, vor allem in Nepal, wo die Agenten als angebliche
Urlauber streng von der Polizei überwacht werden und keine Waffe
tragen dürfen. Der Reiz des Films besteht gerade darin, wie man
einen gefährlichen Terroristen ohne jede Waffe dingfest macht. Aber
in dem Artikel heißt es ja auch ausdrücklich: „ohne einen
Schuss“. In WILD DOG ist das anders. Kaum sind die Agenten in
Nepal, gehen sie auf den Waffenschwarzmarkt, und decken sich
ordentlich mit schwerer Artillerie ein, die auch kräftig benutzt wird. Keine
Gelegenheit für Action wird ausgelassen. Guptas Film hingegen beruht vor allem auf den Figuren und der Mise-en-scène, der Inszenierung, und
dann des Schnitts, was auf elegante und präzise Weise sowohl innere
als auch äußere Spannung erzeugt. INDIA'S MOST WANTED ist ein
ausgezeichneter Film eines ausgezeichneten Regisseurs.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Das über WILD DOG zu
behaupten, wäre eine mächtige Übertreibung, aber es ist
interessant, sich anzugucken, wie der Originalstoff verarbeitet
wurde. Allein schon die beiden so unterschiedlichen Hauptdarsteller
sorgen für ganz unterschiedliche Filme. Gupta wählte mit Arjun
Kapoor einen Hauptdarsteller mit einer gewissen Schwere, von dem man
keine rasante Action erwartet, wo kein Fan deshalb unzufrieden nach Hause
geht. John Abraham, der ja sonst auf intelligente Politthriller
spezialisiert ist, wäre beispielsweise eine absolut falsche
Besetzung gewesen. Nagarjuna in WILD DOG ist schon vom Alter her
ein ganz anderer Typ Hauptdarsteller als Kapoor. Er ist, wenn auch schon fast ein Veteran,
beweglicher, agiler, für schnelle Action geeignet. Er hält den Film
zusammen, verkörpert glaubwürdig den bodenständigen und
intelligenten Agenten, dessen harte Philosophie aus Nagarjunas Mund
ganz nüchtern wirkt und einfach auf Tatsachen, auf Erfahrungswerten
beruht: „Wenn du sie nicht tötest, töten sie dich.“ Dämonen
muss man sofort vernichten, sonst fressen sie einen aus dem Hinterhalt auf.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Und eine solche
Anti-Terror-Aktion nach dem Motto „Keine Gefangenen“ gibt es
gleich zu Anfang des Films. Die Vorgesetzten hadern damit, denn
offizielle Politik darf das ja nicht sein, aber man braucht Leute wie den "Wilden Hund". Die erste Stunde liefert eine perfekte, gut funktionierende
Ermittlung, bei der sich leider zwei Behörden gegenseitig behindern,
sodass der Oberterrorist nach Nepal entschlüpfen kann. WILD DOG
arbeitet mit einem sehr vereinfachten Feind-Bild. In Nepal
beispielsweise ist man nur von Feinden umgeben, wo die Aktion doch
ohne nepalesische Kooperation nicht möglich gewesen wäre. Erfunden
hat man auch Action-Szenen gegen maoistische Naxaliten, hinter denen
sicher die Gulag-Kommunisten aus China stecken, sodass auch der
zweite Gegner Indiens identifiziert ist und weiß, dass er mehr als
einen auf die Finger bekommt, wenn er sich nicht benimmt.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Und WILD DOG ist absolut
desinteressiert an den echten Details der Nepal-Aktion. Der Terrorist
in Nepal hatte natürlich seine wilde Frisur gekürzt, war überhaupt
ein Verwandlungskünstler. Hier muss man ihn nicht lange
identifizieren, denn er sieht aus wie vorher. Hauptsache, man hat
Szenen als Voraussetzung für Action. Die einzelnen Charaktere der
Spezialeinheit, als individuelle Menschen, treten bei all dem völlig
in den Hintergrund. WILD DOG hat aber trotz all dieser Schwächen
einen sympathisch-einmalguckenswerten B-Film-Charme. Dem kann man man sich
nicht entziehen. Vorausgesetzt, man mag es, wenn es kräftig kracht
im Kampf gegen das Böse. Und wenn man das Denken herunterdrehen
kann, während die nicht inspirierte, aber durchweg solide Regie
von Asishor Salomon ihren einen wichtigen Kampfauftrag erfüllt: Immer nach
vorne. Und am Ende sogar ausnahmsweise mal mit einem lebendigen Gefangenen.</p>
<p></p><p> <br /></p><p>Weiterlesen (die wahre Geschichte):</p><p><a href="https://openthemagazine.com/features/india/thankless-india/" target="_blank">"Thankless India", in: Open Magazine (online) 11.9.2014 </a></p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-76348995293811579382021-04-30T13:48:00.003-07:002021-05-10T05:07:30.857-07:00Die Filme von Adoor Gopalakrishnan – Spiritueller Realismus aus Kerala<p style="text-align: center;"></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhXRSQ9ASpfM0xLwMWahaMDrii4d1h3iQ7Ht8f-eBqLOlvE8JCedQerYX_nQbTlfcJWEnYDYakvv6Lsu77d2W8VYi0eiUskDnSOptpYMFHH1DxzjfBIXE2SHWZs5YlcUl_57aFB5Y1DhBQS/s374/Elippathayam.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="374" data-original-width="265" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhXRSQ9ASpfM0xLwMWahaMDrii4d1h3iQ7Ht8f-eBqLOlvE8JCedQerYX_nQbTlfcJWEnYDYakvv6Lsu77d2W8VYi0eiUskDnSOptpYMFHH1DxzjfBIXE2SHWZs5YlcUl_57aFB5Y1DhBQS/w284-h400/Elippathayam.jpg" width="284" /></a></div>
<p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Der 1941 geborene Filmregisseur Adoor
Gopalakrishnan aus dem indischen Bundesstaat Kerala hat, rein
quantitativ betrachtet, eine bescheidene Filmografie vorzuweisen.
Einer der besten und bedeutendsten Filmemacher des Weltkinos hat in
den 44 Jahren 1972-2016 nur elf Spielfilme, fast ausschließlich auf
Malayalam, gedreht. Er selbst bezeichnet sich da schon mal
entschuldigend als einen faulen Menschen, den seine inzwischen verstorbene Ehefrau zum
nächsten Film oft anschieben musste. Aber seine Filme sind auch
keine Filme, die man einfach mal macht. Dafür sind sie zu persönlich
und genauestens kontrolliert. Mit scheinbar einfachen Mitteln
tauchen sie ein in die gezeigte Welt und in die Seelen der handelnden
Figuren. Sie sind voller Leerstellen, Andeutungen, mitunter wie nicht
Ausformuliertes, als hörte jemand mitten im Satz auf zu reden, und
doch wirkt alles ganz glasklar in diesem reinen Realismus, der sich
durch Gopalakrishnans Stil hin zu einem faszinierenden spirituellen
Realismus erweitert. Auf eine subtile Art hat hier alles Bedeutung,
ohne dass extra darauf hingewiesen wird. Die Tonspur wird ebenso
sorgfältig geschnitten wie der Film selbst. Dafür zieht der
Regisseur nach den Dreharbeiten persönlich erneut hinaus und macht
selbst die benötigten Aufnahmen. Kleine Laute können in diesen
Filmen, die oft ohne oder mit nur sehr eingeschränktem
Musiksoundtrack arbeiten, eine große Wirkung haben. Auf den
Zuschauer hat das Zusammenspiel all dieser Elemente eine sogartige
Wirkung, derer man sich gar nicht richtig bewusst ist.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Die geistigen und
technischen Grundlagen des Filmemachens erlernte Gopalakrishnan am Filminstitut von
Pune. Er wollte eigentlich Stücke schreiben, am Theater arbeiten,
ging dann mit falschen Vorstellungen zur Filmschule und wurde
plötzlich gepackt von den Möglichkeiten der Filmkunst, für die er
sich vorher nur als passiver Zuschauer interessiert hatte. Er ist
zwar ein Filmkenner, ein Cinephiler mit Filmbüchern im Büro, aber
er ist kein demonstrativ cinephiler Regisseur. In seinen Filmen gibt
es Intellektuelle, Schriftsteller, aber keinerlei Zitate aus anderen
Filmen oder gar Anspielungen auf die Filmindustrie. Was ihn nicht
davon abhält, mit echten Filmstars wie Mammootty zu arbeiten, wenn
sie ihm als perfekte Besetzung erscheinen. Ein Schauspieler sei ein
Schauspieler, egal, wie populär er sei. Dass er dafür von
ideologisch korrekter Seite getadelt wurde, kümmerte ihn nicht. Nach
seinem Abschluss in Pune war er aktiv als Gründer einer Kerala
Film Society, was auch die Herausgabe einer Zeitschrift, das Halten
von Vorträgen und die Veranstaltung eines Filmfestivals mit
einschloss. Seine aktive Filmkarriere begann in den 1960ern als
Dokumentarfilmregisseur. Seit 1995 hat er auch eine Reihe von Dokus
über klassische Theater-, Musik- und Tanzformen aus Kerala gedreht. Mit
diesen Künsten ist er groß geworden als Sohn einer
Großgrundbesitzerfamilie, die traditionell auch Künstler finanziell
unterstützte. In seinen Filmen, die oft in der Vergangenheit
spielen, beschränkt er sich auf die Zeit, die er selbst erlebt hat
und die mit dem späten Feudalismus beginnt, worauf der Zerfall
durch die Unabhängigkeit folgte. Und er betrachtet die weitere Entwicklung der
Gesellschaft mit ihren verschiedenen Umbrüchen. Alle seine Filme spielen
in und um Kerala.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;"><span style="font-style: normal;"><span style="font-weight: normal;">Gopalakrishnans
Regiedebüt SWAYAMVARAM </span></span>/ ONE'S OWN CHOICE (1972)
ist der erste Malayalam-Film mit Originalton, was großen Einfluss
auf das Kino in Kerala hatte. Auch erste Experimente mit dem Ton gibt es
hier, wenn auch noch sehr auffällig und expressiv, wenn etwa beim
Tod eines Menschen laute Geräusche aus einem Sägewerk zu hören
sind. Es beginnt ganz alltäglich. Ein vor der Familie geflüchtetes
junges Pärchen sitzt in einem Bus. Sie sind, aus welchem Grund auch
immer, nicht verheiratet. Mehr erfährt man als Zuschauer nicht.
Allein die erste Sequenz, die lange Busfahrt mit dem echten Ton des
Motors, dem Reden der anderen Passagiere muss in Kerala filmrevolutionär gewirkt
haben. Es folgt das Ankommen im Hotel, dann glückliches
Beisammensein wie in einem populären Film. Gopalakrishnan filmt es ein bisschen
wie ein glückliches Songvideo am Wasser. Als spielte das Pärchen
Kino und sie glaubten an eine strahlende Zukunft. Der wahre Weg aber
führt kontinuierlich nach unten. Gopalakrishnan Absicht, gegen die
Storys und die Wirklichkeit des Mainstreamfilms anzuschreiben, wird
ein bisschen musterhaft überdeutlich. Der junge Mann ist Autor, sein
abgelehnter Roman heißt „Ekstase“, und so spielen die beiden zu
Beginn auch Ekstase, ohne die materielle Grundlage für eine Existenz
zu haben. Sie enden in einer schmierigen, halbseidenen Umgebung. Ehe
und Arbeit sind ein ewiger Kampf in einer rechtlosen Welt. Der
Arbeitgeber des Mannes, ein Schuldirektor, steht aber selber kurz vor
Pleite, sein Wagen ist kaputt, da bleibt nur Saufen. Statt in Ekstase
endet alles in Agonie. Zwischendurch marschieren protestierende
Arbeiter durchs Bild, aber zu denen gehört der Bürgerliche nicht.
Er muss sich ganz individuell durch sein eigenes Elend quälen,
allein und weder mit Familien- noch mit Klassenrückhalt.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;"><span style="font-style: normal;"><span style="font-weight: normal;">KODIYETTAM </span></span>/
THE ASCENT (1977), ebenfalls noch in Schwarzweiß, war das Debüt des
später so berühmten Schauspielers Bharat Gopy. Es ist eine
Erwachsenwerden-Geschichte mit Verspätung, denn die Hauptfigur ist
der schon 32-jährige Sankarankutty mit kindlichen Vorlieben. Er
spielt mit den Kindern, holt ihnen ihre Drachen von den Bäumen und
treibt sich mit Vorliebe auf den Jahrmärkten der Umgebung herum,
immer hoffend, dass ihm jemand etwas bezahlt. Verwöhnt von der
Schwester ist er in einem kindartigen Zustand geblieben. Er heiratet,
ändert aber sein Verhalten nicht, sodass die Ehefrau mitsamt Kind zur
Mutter zurückzieht. Realismus des Provinzlebens zeichnet KODIYETTAM
aus, aber ohne aufgesetzte Düsternis. Die Düsternis des wahren Lebens schimmert immer
nur vage durch, und Sankarankutty beobachtet sie mit einer gewissen
Naivität, doch irgendwann fällt sie ihm durch den Selbstmord einer Frau, die ihm immer geholfen hat, zum ersten Mal deutlich
auf. Dann kümmert er sich doch um einen Job, sieht das Doppelleben
seines Trucker-Chefs mit Familie und Geliebter. KODIYETTAM ist einer
der wenigen Filme Gopalakrishnans mit schönem Ende. Es gibt eine
Wiederannäherung mit der Ehefrau und vor allem dem Kind, das jetzt
vielleicht doch noch einen Vater bekommt.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;"><span style="font-style: normal;"><span style="font-weight: normal;">Gopalakrishnans
erster Farbfilm, und gleichzeitig sein erstes großes Meisterwerk,
ELIPPATHAYAM / THE RAT TRAP (1981) spielt im </span></span>stattlichen
Anwesen eines Landbesitzers, der dort mit zwei Schwestern
wohnt. Alles dreht sich um den Mann, der im Privaten noch Feudalismus
spielt, obwohl dessen Zeit längst vorbei ist. Die ältere Schwester
Rajammi macht die ganze Arbeit und wird dabei immer kränker. Die
Jüngere denkt an die Moderne da draußen außerhalb des Dschungels
und vor allem in der Luft, in Form von Flugzeugen. Eines Tage ist sie
einfach fort mit einem jungen Mann. Der Film handelt aber nicht, wie
das klassische Melodrama-Kino es machen würde, vom deprimierenden Leiden einer ausgebeuteten Frau, die der Bruder nicht heiraten
lässt. Denn die verheiratete dritte und älteste Schwester bringt
Widerstand herein, will den ihr zustehenden Anteil am Erbe. Vor allem
ist <span style="font-style: normal;"><span style="font-weight: normal;">ELIPPATHAYAM
ein </span></span>Männerporträt, aber nicht das klischeehaft
autoritäre, wie man es eher gewohnt ist, sondern das eines Mannes, der
lethargisch, wie geistig tot ist, gar nicht existiert, weich, passiv,
nicht überlebensfähig. So wie eine gejagte Ratte sich in einer Ecke
oder einem Loch versteckt, so verkriecht er sich am Ende vor der
Wirklichkeit und ihren Anforderungen in seinem Haus. Das Rattenmotiv
zieht sich durch den Film. Am Anfang werden bildliche Ausschnitte aus
Haus und Gegend gezeigt, durchbrochen von panischem Geschrei wegen
einer angeblichen Ratte. Der im Bett liegende Mann fühlt sich
gebissen. Er muss bemuttert werden.Von da an werden drei Mal, wie in
einem Ritual, Ratten im Käfig zum Ghat gebracht und dort ersäuft.
Es gibt viele Szenen im Dunkel. Gopalakrishnan filmt ganz abstrakt
Licht und Schatten, die Natur, die Elemente, vor allem den Regen,
den man nicht nur fallen sieht, sondern auch durch das Geräusch zu
spüren meint. Gopalakrishnan trifft bei allem Visuellem eine präzise
Auswahl, ohne gewollt bedeutsam zu wirken. Da gibt es Einstellungen
wie die des verlassenen Bruder im Regen, der wie ein Schleier
zwischen ihm und der Kamera steht, als wäre er jetzt eine
ertrinkende Ratte. Eine Vorahnung auf das Bad, das ihn am Ende
erwartet.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">In MUKHAMUKHAM /
FACE TO FACE (1984), den ich nicht gesehen habe, kommt ein alter
Kommunist nach vielen Jahren zurück in seine Heimat, die er wegen
staatlicher Verfolgung verlassen hatte. Doch aus dem einstigen
Arbeiterhelden ist ein heruntergekommener Trinker geworden. Um die
Legende aufrecht zu halten, töten ihn seine ehemaligen Genossen. Der
Film erregte bei der schon immer bös empfindlichen Linken viel
Aufregung.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;"><span style="font-style: normal;"><span style="font-weight: normal;">ANANTARAM /
MONOLOGUE</span></span> (1987) ist ein Film über eine psychische
Grenzerfahrung, irgendwo zwischen Krankheit und Fantasiewelt. Erzählt
wird die Geschichte eines Waisenjungen. Es beginnt mit einem
weinenden Baby, das adoptiert wird von einem Arzt, der alleinstehend
ist mit einem von Mammootty verkörperten, Medizin studierenden Sohn.
Dann wird die Geschichte in zwei Versionen erzählt, und es scheint
zunächst so, als sei die erste Version reine Fiktion, ein reiner
Wunschtraum, sodass es mit den tatsächlichen Begebenheiten von vorne
beginnt. Aber auch das ist nicht wirklich sicher. Nichts ist sicher
in diesem Film außer einer rein subjektiven Sichtweise, die nicht
objektiviert wird, um einen distanzierten, den Zuschauer beruhigenden
Überblick zu verschaffen. In der ersten Version ist der Junge ein
fantastischer Schüler, ein Einzelgänger, weil er so ein
ausgestoßener Überflieger ist. Eine Schwägerin kommt ins Haus und
sie erwidert seine Liebe. Dann sieht man Leute vor dem Collegezimmer
des Jungen, was auf einen Selbstmord hindeuten könnte. Nun geht es
von vorne los mit ihm als kleinem Kind, mit dessen Fantasie drei
Hausangestellte ein paar fantastische Scherze zu viel treiben, denn
er ist sehr empfänglich für deren Gruselmärchen und den
Verdrehungen der Wirklichkeit, sodass er hinterher nichts mehr
auseinanderhalten kann. Und wieder taucht die unerreichbare
Schwägerin auf in Form einer Liebesgeschichte zur Collegezeit, als
er immer auf sie im Bus gewartet hat. Das ist sehr poetisch, aber
vielleicht ist hier in Wirklichkeit überhaupt nichts wirklich.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;"><span style="font-style: normal;"><span style="font-weight: normal;">MATHILUKAL /
WALLS</span></span> (1989) beruht auf einem Roman von Vaikom Muhammad
Basheer. Mammootty spielt einen bekannten Schriftsteller, der wegen
Verrats zu 2,5 Jahren in britisch-indischen Gefängnissen verurteilt
wurde. Er ist immer freundlich, lächelnd und versucht, es alles auf
duldsame Art zu nehmen, hat guten Kontakt zu Wärtern, Mitgefangenen.
Viele kennen und mögen seine Bücher. Aber er trifft auch auf
weniger Privilegierte, auf Unschuldige, die im Gegensatz zu ihm gar
nicht wissen, warum sie da sind und nun im Gram über Ungerechtigkeit
geistig und körperlich verfallen. Da sind die langen Gänge an
scheinbar endlosen Mauern, begleitet von seitlichen Kamerafahrten.
Auf der anderen Seite spielt sich in seiner Zelle und im Garten vor
der Zelle ein einsames Kammerspiel ab. Er hat Sehnsucht nach
Schönheit. Seine Hand geht zu einem gelben Schmetterling. Und er
pflanzt Rosen, spricht sogar mit der einen Rose, die nicht blüht.
Und die Zeit vergeht. Die ewige Gefängnis-Routine wechselt mit
einigen außergewöhnlichen Augenblicken wie dem nächtlichen
Zubereiten des letzten Tees für einen zum Tode Verurteilten. Darauf
folgt eine durchwachte Nacht für diesen Todgeweihten. Er wandert den
Gang an den Zellen auf und nieder, und sein Lächeln ist nicht mehr
so natürlich. Eine Amnestie für Politische betrifft ihn nicht.
Allein bleibt er zurück und verfällt in eine Depression. Er
freundet sich an mit einer weiblichen Stimme hinter der hohen Mauer, wo das
Frauengefängnis liegt. Sie verabreden ein Treffen. Gerade jetzt wird
er jedoch entlassen und ist plötzlich unendlich traurig. Tränen
stehen in seinen Augen.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;"><span style="font-style: normal;"><span style="font-weight: normal;">In
VIDHEYAN / THE SERVILE</span></span> (1993) verkörpert
Mammootty das genaue Gegenteil seiner sanften Rolle aus MATHILUKAL.
Wie in ELIPPATHAYAM geht es um einen heruntergekommenen Landbesitzer,
der die Zeichen der Zeit nicht erkennt. Aber diesmal ist es kein
Weichling, sondern ein sehr aktiver, mörderischer Dämon, der seine
Umgebung mit Unheil und Tod überzieht. Mammootty ist beängstigend
überzeugend in der Rolle dieser durch und durch abstoßenden Figur.
VIDHEYAN ist allerdings weit mehr als ein Film über die Untaten
eines brutal-sadistischen Landbesitzers, der sich so benimmt, als sei es
seine Pflicht. Erzählt wird vor allem ein Herr-Knecht-Verhältnis
aus der Sicht des Letzteren. Wie Hass auf den Mann, der seine Frau
vergewaltigt und sie sich als Geliebte nimmt, umschlägt in
Servilität und Abhängigkeit. Erst will der Diener den Herrn nach
der Vergewaltigung in Stücke schneiden, doch dann gibt es
Gunstbeweise und er wird in das Leben des Herrn hineingezogen. Die
Folge ist die totale Identifizierung. VIDHEYAN ist ein Film mit viel
tiefem Schwarz, finsteren Nachtszenen, in denen sich auch die Rituale
des Bedienens, des ewigen Arrakh-Einschenkens, wiederholen. Der
Landbesitzer mag nichts Gutes, Unschuldiges, Heiliges um sich. Allein
deshalb bringt er seine sanfte Ehefrau um, was seinen Untergang
herbeiführt. Aber vielleicht war es das, was er immer gesucht hat.
Düsteres göttliches Vorzeichen ist der missglückte Dynamitanschlag
auf die heiligen Fische im Dorfteich. Nach dem gewaltsamen Tod des
Herrn steht der Diener allein da. Eine der letzten Einstellungen
zeigt ihn als schwarzen Schatten gegen den blauen Himmel, als wäre
er einen Moment lang gar nichts ohne seinen Herrn. Dann läuft er
nach Hause, für den Moment zumindest freudig, zu seiner Frau.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;"><span style="font-style: normal;"><span style="font-weight: normal;">In
KATHAPURUSHAM / THE MAN OF THE STORY</span></span><i><b> </b></i><span style="font-style: normal;"><span style="font-weight: normal;">(1995)
erzählt Gopalakrishnan zum ersten Mal auf epische Weise über einen
längeren Zeitraum hinweg. Die Jahre </span></span>1937-1977 umfassen
den Feudalismus, die Unabhängigkeit, kommunistische Agitation und
den nationalen Ausnahmezustand Indira Gandhis. Man verfolgt den Weg
eines Jungen zum Mann. Er ist, das muss man so sagen, als Kind ein
fürchterliches Weichei und eine echte Heulsuse. Der strenge Lehrer
macht sein Stottern beim Alphabet-Aufsagen aber auch nicht besser.
Das Mädchen Meenakshi, Tochter der Köchin, ärgert ihn, bemuttert
ihn aber auch. Er wächst auf in einem geborgenen Feudalismus,
gemeinsam mit den Bediensteten herrscht eine familiäre Atmosphäre.
Der Schulweg in Begleitung des Hausdieners durch die monsungrünen
Felder und Wälder Keralas in großen Totalen, das gehört zu den
Bildern, die man sofort mit dem Film verbindet. Verdunkelt wird sein
Leben durch die Abwesenheit des Vaters und die bettlägerige
Kränklichkeit der Mutter. Es gibt in KATHAPURUSHAN eine Reihe von
Männern, die ihre Familie im Stich lassen oder vernachlässigen. Er
selbst kommt zum Tod der Mutter, der Großmutter und auch des
abwesenden Vaters zu spät. Seine dumm-idealistische Unterstützung
der Naxaliten hat fast böse Folgen, aber er wird vor Gericht
freigesprochen. Von Politik hat er nun genug. Die klassenlose
Gesellschaft setzt er jetzt lieber im Privaten um. Und dies führt zu
einer der unvergesslichen Szenen des Films, wo er endlich Meenakshi
aufsucht, die sich allen Versuchen, sie zu verheiraten, widersetzt hat.
Sie sieht müde aus, hat dunkle Ringe unter den Augen. Ihre Mutter
und Schwester gehen still ins Haus. Meenakshi bricht in Tränen aus,
in Tränen der Erleichterung, der Freude: „Du hast uns doch nicht
vergessen!“ Nur der saufende Vater will eine Mitgift, denn Alkohol
gibt es nirgendwo auf der Welt kostenlos. Sie verkaufen das große Anwesen und ziehen in ein kleines Haus mit Garten, wo er schreibt.
Gerade im Moment des Erfolges greift der Staat wieder ein und
verbietet das Buch. Da muss er lachen, das Stottern ist weg, und
gemeinsam mit Frau und Kind singt er das Alphabet, was er in der
Schule nie geschafft hat. KATHAPURUSHAM ist Gopalakrishnans
berührendster, emotionalster und intimster Film. Es ist kein
autobiografischer Film, aber in der Atmosphäre und sicher in vielen
Details voll von Autobiografischem. So kann man hier beispielsweise das Geburtshaus des Regisseurs sehen.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;"><span style="font-style: normal;"><span style="font-weight: normal;">NIZHALKUTHU /
SHADOW KILL</span></span> (2002) ist kein Film, der grundsätzlich
gegen die Todesstrafe ist. Es geht vielmehr darum, dass die ethischen
und religiösen Diskussionen über die Todesstrafe in einer korrupten
Welt überflüssig sind. Wer in dieser Welt für die Todesstrafe ist,
der ist so dumm, dem Staat und der Justiz zu trauen. Der
Breitwandfilm spielt auf dem Land, zum größten Teil auf dem
abgelegenen Anwesen eines Henkers im Jahre 1941 in einem Fürstentum
im heutigen Kerala. Zwischen den Momenten, wo er gerufen wird, um
sein Amt auszuüben, trinkt er viel und betätigt sich als Heiler mit
der Asche des Stricks, der im Gebetsraum für die Göttin Kaali hängt.
Und das funktioniert, er kann sogar böse Geister austreiben. Er
rätselt selbst darüber, warum es funktioniert, vollzieht viele
Reinigungen. Gerade ist seine Tochter Frau geworden, und die
Feierlichkeiten werden begangen. Bis dahin wirkt es wie ein
fatalistischer Film über den Kreislauf von Tod und Leben. Doch
zwischendurch gibt es Gespräche über die vielen Fehlurteile, dass
sowieso nur unschuldige arme Leute hingerichtet werden, dass alles
eine korrupte Scheinjustiz ist. Gopalakrishnan benutzt
kontrapunktische Musik mit harten, metallischen Rhythmen, wenn drei
mittelalte Damen sich beim Baden über die Wirkung der Strickasche
unterhalten. Der Henker geht derweil immer mehr zugrunde, verbrennt
regelrecht von innen, als spürte er den Alkohol und das Feuer des
Stricks. All die vielen Rituale können nicht die Tatsache
verhindern, dass Unschuldige hingerichtet werden. Die Geschichte
eines solchen unschuldig Hingerichteten vermischt sich in seiner
Phantasie mit der eigenen Familie. Gopalakrishnan arbeitet mit den
Geräuschen der Natur bei der Geschichte um einen Flötenspieler,
einer unschuldigen Liebe, ruiniert durch einen Vergewaltiger und
Mörder. Der alte Henker stirbt mit diesen Gedanken. Und die grausame
Ironie ist, dass dessen Sohn als Anhänger von Gandhi und
Gewaltlosigkeit die Arbeit des Vaters zu Ende bringen muss.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Es folgen zwei
Episodenfilme, direkt hintereinander gedreht, nach den Erzählungen
von Thakazi Sivasankara Pillai. Gesehen habe ich allerdings nur NAALU
PENNUNGAL / FOUR WOMEN (2007). Es ist ein schöner Film, aber
nicht ganz so großartig wie gewöhnlich, denn Gopalakrishnan-Filme
brauchen eine gewisse Zeit, um sich zu entwickeln, sich beim
Zuschauer einzuschleichen. Und bei einer Länge von 20-30 Minuten pro
Episode geht diese Wirkung natürlich teilweise verloren. Hier geht
es vor allem um Beobachtung, Präzision und Pointe. 2008 folgte
sofort ORU PENNUM RANDAANUM / A CLIMATE FOR CRIME (2008), den
ich aber nicht kenne.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Sein bisher letzter Film
PINNEYUM / ONCE AGAIN (2016) zeichnet ein düsteres Bild von der
Geldgier, die das Schlimmste aus ganz normalen, gut bürgerlichen Menschen herausholen
kann. Es ist eine Familiengeschichte. Ein Familienvater kann nach
Jahren des Versagens einen guten Job in Dubai ergattern. Das bringt
Geld, Anerkennung, eine höhere soziale Rolle innerhalb seiner Kaste. Und jetzt hat er Blut
gerochen und leider in seinem Leben zu viele klassische
Kriminalromane gelesen. Also hat er sich das perfekte und komplett
idiotische Verbrechen, einen Versicherungsbetrug, ausgedacht. Am Ende
sind Onkel und Schwiegervater im Gefängnis. Und der nette Schwager
bleibt bis zum Tod verkrüppelt von der Polizeifolter. Dabei war er
absolut unschuldig. Zwei Szenen bleiben besonders in Erinnerung. Vor
allem natürlich das brutale Erdrosseln eines Mannes, der dringend zu
seiner Frau ins Krankenhaus muss. Und dann nach vielen Jahren die
nächtliche Rückkehr des Familienvaters zur Frau, die er mitnehmen möchte. Sie
weigert sich. Mehrmals schleicht er nachts durch den dicht zugewachsenen Garten an ihr Fenster. Als sie es sich, für die als Kind eines Mörders
gesellschaftlich ausgestoßene Tochter, anders überlegt, ist es zu
spät. Mit einem Toten in einem Motelzimmer hatte der Film begonnen.
Damit endet er. Und jetzt weiß man, um wen es sich bei diesem
Selbstmörder handelt. Sein Pseudonym war das des Mordopfers.</p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3636906702515807582.post-3513740764797508302021-04-29T05:03:00.004-07:002021-05-10T05:14:29.311-07:00Jabbar Patels DR. BABASAHEB AMBEDKAR – Für die Entrechteten<p style="text-align: center;"> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg4R3nEIV86d1KL1K7OoRBRVYAAesS_i9VfC5ZDicsQsZmD1oISLw0z88-UpzgZx4DjuhFij_6aKoIg9wvlKvpm_UoPVmJ0hIw4W8DN6YjcG-9mrLkrRhhMp_fcLeLrALCdUDuEEWRn3RVG/s340/Dr._Babasaheb_Ambedkar+Plakat.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="340" data-original-width="228" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg4R3nEIV86d1KL1K7OoRBRVYAAesS_i9VfC5ZDicsQsZmD1oISLw0z88-UpzgZx4DjuhFij_6aKoIg9wvlKvpm_UoPVmJ0hIw4W8DN6YjcG-9mrLkrRhhMp_fcLeLrALCdUDuEEWRn3RVG/w269-h400/Dr._Babasaheb_Ambedkar+Plakat.jpg" width="269" /></a></p>
<p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Weggejagt zu werden, kein
Wasser zu trinken zu bekommen trotz fürchterlichen Durstes, das
gehört zum üblichen Alltag des kleinen Bhimrao aus der Kaste der
Unberührbaren. Doch eine der schlimmsten Demütigungen für dieses
hochintelligente und an Bildung interessierte Kind ist es, die heiligen Schriften nicht auf Sanskrit lesen zu
dürfen. Das ist dem Brahmanen-Monopol vorbehalten. Es gibt viele
solcher kurzer Einblicke in Kindheit und Jugend von Bhimrao Ramji
Ambedkar (1891-1956), dem unermüdlichen Menschenrechtsaktivisten
nicht nur für seine eigene Kaste der Unberührbaren, auch beispielsweise für Frauen. Als kleine
Rückblenden werden solche Schlüsselerlebnisse im Laufe des biografischen Spielfilms DR.
BABASAHEB AMBEDKAR (2000) nach und nach eingefügt.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Ambedkar wächst hinein
in ein erstarrtes System, das ihm als Schudra oder Unberührbaren –
ich verwende die Begriffe, die im Film benutzt werden – jedes
Bürgerrecht verwehren darf. Und diese filmischen Erinnerungsfetzen zeigen auch, dass
die erlitttenen Ungerechtigkeiten immer in seinem Innersten präsent sind, dass
sie sein ganzes Handeln bestimmen. Und nicht einmal ein zweifacher
Doktorgrad aus den USA und Großbritannien an den angesehensten Unis
bei weltweit anerkannten Professoren in Wirtschaft und Jura reichen
dann in Indien aus, ihm ein auch nur annähernd normales Leben zu garantieren.
Nach der Rückkehr aus dem Ausland erlebt er Entsprechendes im sehr
hindu-orthodoxen Bundesstaat Gujarat. Dort hat er einen guten Posten
bei einem Maharadscha, der ihm das Studium bezahlt hat, bekommt aber keine
Wohnung. Der Film zeigt die Haltung gegenüber den Unberührbaren als
tief in der Gesellschaft sitzendes geistiges Krebsgeschwür, das
bekanntlich auch heutzutage noch kräftig wuchert.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Regie bei DR. BABASAHEB
AMBEDKAR führte der Marathi-Regisseur Jabbar Patel, der für Film
und Theater tätig ist. Es ist sogar sein zweiter Film über
Ambedkar. 1991 drehte er unter demselben Filmtitel eine
Ambedkar-Dokumentation für die Films Division, das staatliche
Dokumentarfilminstitut. Es ist interessant, sich die beiden Filme
hintereinander anzugucken und festzustellen, dass vieles direkt
übernommen wurde und der Spielfilm sicher auch dadurch echte
Substanz ohne Leerstellen hat, in den drei Stunden Laufzeit ungeheuer
viel unterbringt, ohne dabei Klarheit und den Überblick zu verlieren. Wie
bei solchen Filmen üblich, die einen weiten Zeitraum umfassen, gibt
es eine Art Best-of der entscheidenden privaten und öffentlichen
Stationen.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Gleichzeitig ist es auch
ein visuell sehr sorgfältig gemachter Film. Es gibt ein
authentisches, ganz natürliches Gefühl für die Vergangenheit, was
mir besonders auch deshalb aufgefallen ist, da ich gerade zum ersten
Mal die erste Staffel der überschätzten deutschen Serie BABYLON BERLIN (2017)
geguckt habe, wo ich irgendwie bloß Schauspieler in Kostümen inmitten von geleckten Dekors gesehen habe. Die Innenräume in DR. BABASAHEB
AMBEDKAR hingegen haben auf ganze natürliche Art dieses typisch
warme gelbbraune Licht, diese Mischung aus braunen Möbeln, der
Sonneneinstrahlung und der künstlichen Beleuchtung.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Die Hauptrolle als
Ambedkar hat der südindische Star Mammootty. Er ist die Seele des
Films. Er macht gar nicht viel. Aber Mammootty schafft es, die
arbeitsame Besessenheit, die ständige Konzentration dieses pausenlos
aktiven Mannes hinter der mitunter undurchdringlich scheinenden
Fassade durchscheinen zu lassen. Umso bewegender sind dann die
persönlichen Krisen, wenn der Tod – seines Kindes, seiner
Frau – Ambedkar aus der Routine reißt, kleine emotionale Risse sichtbar werden und er fast nicht
weiterarbeiten kann. Seine Familie hat er immer sträflich vernachlässigt.
Nur im zweiten Teil des Films wirkt die hohe Stirn, die die
zurückgehenden Haare hervortreten lassen, etwas zu hoch. Da könnte
man den Verdacht bekommen, dass der Star seine eigene Haarpracht
nicht zu sehr anrühren wollte für den Film.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Ambedkar beginnt mit der
politischen Aktivierung der Kaste der Unberührbaren aus ihrem
passivem Leidenszustand, schafft eine eigene Organisation. Und der
Film hat keine Angst davor, theoretisch zu sein. Die Herkunft und
Entwicklung des Schudra-Begriffes aus den heiligen Schriften wird
ausführlich erläutert. Ist die indische Kastenunterteilung im
Ursprung eine korrekte Beschreibung der menschlichen Gesellschaft, wo
Schudra einfach Arbeiter bedeutet, verwandelte sie sich in eine
Rechtfertigung für ein erstarrtes und mitleidloses System
ökonomischer Ausbeutung und sadistischer Unterdrückung, wozu eine
totale Undurchlässigkeit des Systems kam. Eine der besten und treffendsten Filme zu dem Thema
ist Satyajit Rays im Netz zu findender Film SADGATI (1981) mit Smita
Patil und Om Puri. Hier wird detailliert gezeigt, mit welcher
Gleichgültigkeit ein Unberührbarer als reines Instrument missbraucht
wird. In DR. BABASAHEB AMBEDKAR gibt es Vergleiche zu den Juden der Nazizeit und den
Schwarzen in den USA vor den Bürgerrechtsgesetzen. Da die heiligen
Schriften eine große Rolle bei der Rechtfertigung dieser Zustände
spielen, veranstalten Ambedkar und seine Gefolgsleute eine
provokative öffentliche Verbrennung von entsprechenden Zitaten.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Zunächst versucht
Ambedkar im Kleinen, Rechte durchzusetzen, sei es an einem Unberührbaren verbotenen Teich, sei
es beim Betreten eines Tempels. Aber irgendwann sieht er, dass mit
diesem Kleinkrieg nichts gewonnen wird. Es kann nur um einen Anteil
an der Macht im Staat gehen. Was ihn dann auszeichnet, ist zwar
Gewaltlosigkeit, aber gleichzeitig eine intellektuelle Radikalität,
die selbst der Kongresspartei Angst macht. Ohne falsche
Rücksicht auf die Interessen der führenden Politiker fährt er nach
London auf eine britische Regierungskonferenz, die vom Kongress
boykottiert wird, und erobert dann alle Schlagzeilen und den Respekt
der Briten. Schluss damit, die eigene Sache der paternalistischen
Fürsorge oberer Kasten und ihrer sich nie erfüllenden Versprechen anzuvertrauen. Aus seinen Erfahrungen zieht er den berechtigten
Schluss, dass die Unberührbaren sich auf niemand anderen, auf keine
leeren Worte mehr verlassen dürfen.</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Er provoziert bewusst mit
seiner einfachen und korrekten Logik, sagt beispielsweise, er hätte
kein Heimatland. Er will die Unberührbaren aus dem Hinduismus
ausklammern und als eigene Wählerschaft anerkannt wissen. Gandhi
hingegen will die Einheit des Hinduismus bewahren und greift zu
seiner strategisch mitleiderregenden Lieblingswaffe, dem
Hungerstreik. Hier wird der Film spannend wie ein Thriller, auch wenn
man dessen Ausgang kennt: der Streit mit Gandhi um diese
Machtverteilung. Ambedkars Logik ist, dass der Hinduismus
Unberührbare nicht wie Menschen behandelt, sie also eine
eigenständige Gruppe seien. Er scheut keine offenen Worte gegenüber dem Mahatma: „Mahatmas
kommen und gehen, und sie hinterlassen meist nur Staub.“</p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Dennoch wird er später
beauftragt, den Verfassungsentwurf für ein unabhängiges Indien
auszuarbeiten. So gilt er heute vor allem als „Architekt der
indischen Verfassung“. Und er ist derjenige, der mit seinem Satz
„Ich werde nicht als Hindu sterben“ und seinem Übertritt zum
Buddhismus den Unberührbaren den Religionswechsel als Lösung
nahegelegt hat. Dass das die Probleme nicht löst, hat er vermutlich
selbst geahnt. Die Unterdrückung endet dann ja nicht, wie das Beispiel Christentum zeigt: "Den historischen Auftrag des indischen Christentums, nämlich durch
westlich geprägte Aufklärung und demokratische Grundhaltung gegen das
Kastenwesen im Hinduismus, die Benachteiligung von Frauen und den
Feudalismus vorzugehen, hat es weitgehend nicht erfüllen können.
Stattdessen ist das Kastenwesen in die Mentalität auch der christlichen
Bevölkerung eingedrungen. Über Generationen hinweg erinnern sich
Christen ihrer Kaste vor der Bekehrung, so dass es also „christliche
Brahmanen“ und „christliche Kastenlose“ gibt, die oft nicht
untereinander heiraten und gesellschaftlich verkehren. Damit entfällt
einer der ursprünglichen Gründe, weshalb Kastenlose und
Stammesangehörige – die sogenannten „Dalits“ – zum Christentum
konvertiert sind, nämlich um den Demütigungen des Kastenwesens zu
entkommen." (aus: Martin Kämpchen, "Die Kirchen gleichen sich den Kasten an", FAZ online 12.3.2019). Wie bei anderen Themen, muss man im Allgemeinen auch den westlichen Narrativen zu Indien und den Dalits misstrauen. Wenn sich
also hinter einer deutschen
Dalit-Unterstützungs-Organisation ein christliches Missionswerk mit
seinen eigenen finsteren Interessen verbirgt, dann kann
man indische Gesetze etwa zum Missionsverbot nicht bloß verstehen, sondern nur unterstützen.<br /></p><p align="JUSTIFY" style="margin-bottom: 0cm;">Um aber zum Film zurückzukehren: Das einzig wirklich
Störende an DR. BABASAHEB AMBEDKAR sind Teile des Soundtracks, wenn
zwischendurch ein ungenießbarer Klangbrei aus Saxophon und
Klaviermusik erklingt, was sich anhört, als habe man zufällig
gerade eine CD mit irgendwelcher Fahrstuhlmusik herumliegen gehabt.
Oder man hat dabei auf das internationale Publikum geschielt, wollte
die Musik nicht zu indisch machen, doch das Kalkül ging nicht auf.
Der auf Englisch gedrehte Film hatte außerhalb Indiens keine
Kinopremiere. Was schade ist. Im heutigen Indien jedenfalls ist
Ambedkar ziemlich populär. Gleich zwei
TV-Serien handeln von ihm. Einmal EK MAHANYAK – DR. B R
AMBEDKAR (seit 2019) und dann DR. BABASAHEB AMBEDKAR –
MAHAMANVANCHI GAURAVGATHA (seit 2019). Die Serie hat mit 343 Episoden
bemerkenswerte Seifenoperndimensionen.</p>Martin Abrahamhttp://www.blogger.com/profile/14783564318753730764noreply@blogger.com