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Freitag, 8. April 2022

Akshay Kumar in BACHCHHAN PAANDEY – Currywestern, Killer und Kino

 

Gleich im Vorspann von BACHCHHAN PAANDEY (2022) klingt es nach Western, aber nicht nach Currywestern, sondern nach hemmungsloser Morricone-Leone-Abkupferung. Da dröhnen die Morricone-Standards in klebriger Dichte, und die weiten Sandgegenden Rajasthans werden als Wilder Westen eingeführt. Erzählt wird eine Outlaw-Story und ist neben Hauptdarsteller Akshay Kumar als Paandey wirksam besetzt bis in kleine Nebenrollen. Dazu kommt das Vintage-Feeling des bösen Helden Bachchhan Paandey: Der liebt seinen alten Hochglanz-Oldtimer aus den 1950ern/-60ern, auf den kein Kratzer kommen darf. Doch bevor man in seine Gangsterwelt eintauchen darf, macht der Film noch einen filmischen Umweg.

Denn alles beginnt in Mumbai bei Dreharbeiten, wo eine streitbare junge Regieassistentin in der Gestalt von Kriti Sanon Ärger bekommt mit Regisseur und Produzent. Und am liebsten würden sie sie einfach zum Teufel jagen, wenn da nicht das Versprechen des Produzenten wäre, dass sie einen Film drehen dürfe, wenn sie ein gutes Thema vorweisen könne. Das muss aber erst gefunden werden. Sie stößt auf Berichte über den hochgefährlichen Bachchhan Paandey, ist begeistert und landet in Rajasthan und sammelt Material, was sich als nicht ganz ungefährlich erweist. Wäre sie ein Mann, wäre sie vermutlich schnell erschossen worden. Ihr Arbeitspartner hat daher mehr Angst als sie.

Akshay Kumar hat offensichtlich Spaß an der Rolle, wobei die Make-Up-Abteilung gute Arbeit geleistet hat. Doch der Film ist seltsam unschlüssig. Die Mischung aus brutalem Gangsterfilm-Western und Komödie funktioniert nicht. Das eine scheint das andere zu blockieren, sodass hinterher nur ein über weite Strecken ziemlich fader Eintopf herauskommt. Da ist zu viel Kumar-Show. Und die Hauptfigur bleibt einem fremd. Paandey will zwar Angst verbreiten als Überlebensstrategie im ziemlich gefährlichen Gangsterleben, wo man nicht unbedingt alt wird, aber als Bösewicht existiert er vor allem bloß verbal. Da ist ein Schauspieler, der mit Vergnügen seine Show abzieht und den Bösen markiert, der schießt, ohne dass man die Opfer sieht. Man nimmt brutale Morde gar nicht als solche wahr. Die Gewalt bleibt seltsam keimfrei. Er knallt ein bisschen mit der Pistole herum. Selbst das Brennen eines Journalisten bei lebendigem Leib berührt einen nicht. Wobei Produzent Nadiadwala, der selbst die Story geschrieben hat, hier vielleicht einen heimlichen Traum auslebt. Echte Bedrohung strahlt er nicht aus, Lichtjahre entfernt von Amjad Khan im berühmtesten aller Currywestern, SHOLAY (1975). Natürlich war es der Verlust einer Frau, der Paandey böse gemacht hat. Das ist doch mal psychologisch originell.

Das Amüsante im Film sind die Szenen, die dem Filmemachen und dem späteren Filmdreh gewidmet sind. Also besonders der Anfang und das Ende. Da kommt BACHCHHAN PAANDEY ganz gut in Fahrt. Da wird es dann auch hübsch amüsant, beispielsweise, wenn ein bekloppter, selbstverliebter Schauspiellehrer herangekarrt wird, denn die Gangster sollen sich selbst spielen. Das filmische Endergebnis hat eine löbliche, einfache Moral, denn das Gute im Gangster siegt. Aus dem mörderischen Outlaw, der so viel Wert darauf legte, dass die Menschen Angst vor ihm haben, macht der Film eine Art Heiligen. Das Schlussbild zeigt Paandey bei der Arbeit an einem neuen Film. Sein Erstlingswerk war sehr erfolgreich. Er guckt in die Kamera. Es ist ja im Grunde alles bloß Kino, alles bloß Film.

Dienstag, 5. April 2022

Richie Mehtas DELHI CRIME (Staffel 1) – Seelenlos

 

2012 macht ein Pärchen spät abends in Delhi Anhalter an einer befahrenen, aber einsam gelegenen Straße, die schon auf den ersten Blick unheimlich wirkt. Ein Bus hält, sie steigen ein und später liegen beide am Straßenrand. Sie ist unbeweglich, er kann nach einiger Zeit Hilfe herbeiwinken. Der junge Mann ist glimpflich davon gekommen, sie muss mit geringen Überlebenschancen ins Krankenhaus. Denn hier fand mehr als eine Vergewaltigung statt. Sie wurde in einem großen Anfall von Hass gefoltert, gebissen und von innen aufgerissen mit einer Stahlstange. Und das von sechs Männern gleichzeitig, und keiner von ihnen bemühte sich auch nur halbherzig, der Sache ein Ende zu machen.

Die erste Staffel von Richie Mehtas True-Crime-Fernsehserie DELHI CRIME (2019) beruht auf der damals auch medial ausgeschlachteten Massenvergewaltigung von 2012, wobei es in diesem Beitrag nicht darum gehen soll, Serie und Wirklichkeit auf das Verhältnis von Fakten und Fiktion zu untersuchen. Das große Ganze steht im Vordergrund. Die Serie ist spannend und aufschlussreich, weil sie nicht beim Verbrechen und einer Krimihandlung stehenbleibt, sondern anhand der Beteiligten von einer ganzen Gesellschaft erzählt. Auch ein Film über die Stadt Delhi, ihre dunklen Ecken, ihren geistigen Zustand. Zwischendurch immer wieder eine schnelle Erzählweise, die den Ehrgeiz zu haben scheint, dokumentarisch möglichst viele Quadratmeter Delhis aufzunehmen. Da sind die vollen Straßen, die Menschenmassen, die nächtlichen Lichter, die unaufhörliche Bewegung.

Die Tochter der Polizistin – eine von Shefali Shah mit Gefühl und Energie gespielte DCD (deputy commissioner of police), Chefin als eine Art Reviervorsteherin – jedenfalls will weg aus Delhi nach Nordamerika. In Indien könne man nicht leben, es sei viel zu unsicher, besonders für Frauen. An der Mutter jedenfalls liegt es nicht. Sie geht in ihrem Beruf an die Grenzen der Leidens- und Leistungsfähigkeit. DELHI CRIME ist gekennzeichnet durch eine positive Darstellung der Polizei und ihrer harten und oft auch erfolgreichen Arbeit, die nie wirklich gewürdigt wird. Auf die man sich nur stürzt, wenn etwas schiefgeht. DELHI CRIME zeigt hoch engagierte Beamte, die nicht aufgeben, bis sie ihre Aufgabe erledigt haben. Die Chefin muss ihre Untergebenen aber immer wieder motivieren. Es ist ein Kampf gegen Müdigkeit, ein schlafloser Kampf gegen ein Ultimatum von oben, den Fall restlos zu klären. Die oft intensiven Ermittlungen gehen unter Lebensgefahr bis nach Kashmir.

Die Polizei ist of der Prügelknabe, das schwächste und unterbezahlte Glied in der Kette. Solche Verbrechen passieren ja in Indien öfter, aber es ist eher selten, dass sie an die Öffentlichkeit kommen. Und das wird diesmal von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen ausgenützt, teilweise natürlich auch mit berechtigten Anliegen. Aber jeder hier kocht sein Süppchen, will seine Interessen durchsetzen. Und zwischen allen eben die Polizei, die unter Druck steht, die Täter zu finden und zu verhaften. Und es trifft die Beamten von allen Seiten. Zunächst gibt es spontane Demos aus der Bevölkerung heraus, Proteste, Schweigemärsche mit Kerze. Aber dann verselbständigt es sich. Es gibt Hetze im Fernsehen. Feministinnen verteilen Schuld. Die Politik benutzt die Konflikte für die politische Auseinandersetzung, auch um sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen. Denn die meisten Vorwürfe sollten doch gerade die Politik treffen. Schließlich werden da die Gesetze gemacht. Die Proteste werden dann gewalttätiger und die Tochter sieht am Ende die Politisierung und die vermutlich bezahlten Pseudodemonstranten. Sie will nicht mehr daran teilhaben und versöhnt sich mit der Mutter.

Mit der Suche nach den Tätern sieht man auch ihre Umgebung, ihre Lebensweise. Es geht bis weit nach unten in der Gesellschaft. Auf das Unmögliche verzichtet DELHI CRIME, zieht es vor, in manchen Bereichen an der Oberfläche zu bleiben und sich nicht der Psychologisierung hinzugeben. Am Ende bleibt die Frage nach dem Warum. Ein Polizist sagt lapidar, Pornos ohne Aufklärung seien schuld, aber das erklärt nicht die übermäßige Brutalität. Da spricht ein Frauenhass, der erschreckt. Die Reviervorsteherin liegt vielleicht am nächsten, wenn sie beim sadistischen Anführer der Männer feststellt, da wäre nur Leere in den Augen. Ein Mensch ohne Ich, Gefühle, Gedanken, vor allem ohne Unrechtsbewusstsein und ohne Empathie. Die Männer können sich nicht in die Leiden des weiblichen Opfers hineindenken, als wäre es kein Mensch.

Dabei sind es auf den ersten Blick doch ganz normale Männer, die sich um ihre Familien kümmern oder auch ihre Mütter lieben. Eine andere Familie bangt währenddessen im Krankenhaus am Bett des weiblichen Opfers. Da gibt es stille Szenen mit den Eltern und stillem Geflüster und einer halbtoten jungen Frau, die selbst spürt, dass sie zu verletzt ist und nicht überleben wird. Sie kann gerade noch vor ihrem Tod auf Bildern die Täter identifizieren. Eine junge Polizistin und Anfängerin ist als Aufpasserin eingeteilt und spürt die Belastung. Zwischendurch muss sie raus auf die Straße, um Demonstranten in Schach zu halten. Polizeilicher Alltag eben.