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Mittwoch, 26. Februar 2020

SHUBH MANGAL ZYADA SAAVDHAN – Eine bunte Familienkomödie


Kurz bevor er seine Indienreise antrat, twitterte US-Präsident Trump „great“, als ein US-Aktivist begeistert die Existenz der Familienkomödie SHUBH MANGAL ZYADA SAAVDHAN (2020) pries, in dem ein schwules Pärchen um Anerkennung und Verständnis innerhalb der Familie von einem der beiden kämpft. Hauptdarsteller Ayushmann Khurrana twitterte darauf wiederum: „Es war toll, eine Reaktion von US-Präsident Trump zu sehen. Ich hoffe und wünsche aufrichtig, dass dieser Kommentar Präsident Trumps Geste der Annäherung an die LGBTQ-Gemeinschaft ist und dass er fortdauernd und konstant daran arbeiten wird, die LGBTQ-Rechte aufrechtzuerhalten.“

Was ich damit sagen will: Thema, Inhalt, Botschaft sind zunächst einmal das Wichtigste an SHUBH MANGAL ZYADA SAAVDHAN, geschrieben und inszeniert von Hitesh Kiwalya. Schließlich ist der Film der erste dieser direkten Art ohne Umschweife. 2008 verpackte Produzent Karan Johar das Thema noch in die Pseudo-Schwulenkomödie DOSTANA (2008) mit John Abraham und Abhishek Bachchan als unechtes Pärchen, die aber einfach gerne bei Priyanka Chopra einziehen wollen. In Shakun Batras KAPOOR & SONS (2014) geht es auch um ein Coming-out. Und dann fallen mir noch zwei sehr ernsthafte Filme ein: Hansal Mehtals ALIGARH (2015) über einen Uni-Professor, der in den Selbstmord getrieben wird. Und vorher war da noch Karan Johars Beitrag zu dem Episodenfilm BOMBAY TALKIES (2013) über ein Ehepaar, bei dem es einfach nicht läuft im Bett. Der Film zeigt, wohin das Verbot gleichgeschlechtlicher Liebe durch §377 führte: zu frigiden Beziehungen mit Männern, die sich in der Ehe verstecken oder von ihrer Familie in der Ehe versteckt werden.

Das Prinzip von SHUBH MANGAL ZYADA SAAVDHAN ist einfach: Man integriert das Thema in die klassische, allseits vertraute Hochzeits-Familienkomödie. Und da gibt es zwei Erzählstränge: einmal den der gescheiterten Hochzeit, weil kurz vorher eine unbequeme oder skandalöse Tatsache ans Licht kommt und eine der beiden Familien geschlossen abwandert. Zweitens die von vornherein unerwünschte Hochzeit oder allgemein unerwünschte Pärchenbildung, also wegen Geld, Familie, Kaste, Klasse, Religion, was halt so indischen Familien unabdingbar wichtig sein kann. Jetzt wird einfach die Kategorie sexuelle Orientierung hinzugefügt.

Ziel aller Anstrengungen ist es, vor allem die Hauptfigur, den Vater, den Patriarchen für sich zu gewinnen. Der ist hier ganz bewusst ein gebildeter Mann, ein Wissenschaftler, der übrigens gerade schwarzen Kohl gezüchtet hat, also versucht, gegen die Natur zu arbeiten. Was natürlich nicht nur komödiantisch, sondern auch symbolisch gemeint ist. Aber als der Vater am Anfang des Films die beiden Männer beim Küssen erwischt, muss auch er erst einmal kotzen und verabschiedet sich in eine erholsame Ohnmacht. Bei all dem ist es gar nicht so sehr Ayushmann Khurrana, der hier im Mittelpunkt steht, sondern der bemerkenswerte Jitendra Kumar als gequälter Sohn, der zu seiner Familie einfach nicht nein sagen kann, weil eigentlich ja alle so nett sind. Gajraj Rao spielt den gequälten Vater, ohne in Klischees zu verfallen. Neeta Gupta ist die hektische Mutter, die unbedingt eine Ehe für den abseitigen Sohn arrangieren will. Und dann ist da die wunderbare Sunita Rajwar als frustrierte Cousine, deren Ehe so plötzlich ins Wasser fällt. Aber der Bräutigam war eh viel zu alt für sie. Die ersten 75 Minuten der knapp 120 Minuten sind tatsächlich ungeheuer temporeich, komisch und unterhaltsam, ohne je künstlich betroffen oder rührselig zu werden.

Das ist im Ganzen sehr geschickt gemacht. Der Zuschauer hat sich bis dahin so gut amüsiert, dass man den gebremsteren Rest akzeptiert. Denn im letzten Teil überwiegt das Thema, es wird allgemein gesellschaftlich, und das führt einfach dazu, dass ein dramaturgischer Bruch entsteht und die filmische Entertainment-Qualität natürlich nicht aufrecht erhalten bleiben kann. Da steht etwa Khurrana mit bloßem Oberkörper und Regenbogenfahne als Superheldenumhang auf einem Dach und hält eine Rede. Es wird sogar richtig konstruiert politisch, um das Thema in den historischen Kontext zu stellen. Denn wie der Zufall des Films es will, spielt das Ganze vor und nach den Tagen der Entscheidung des indischen Verfassungsgerichts um den erwähnten §377. Dieses Gesetz aus der Kolonialzeit wurde am 6. September 2018 als verfassungswidrig abgeschafft. Wenn man übrigens bedenkt, wie dröge man Filme dieser Art machen kann – ich denke da etwa an Stanley Kramers Anti-Rassismus-Film RATE MAL WER ZUM ESSEN KOMMT (1967) – dann fällt erst recht auf, wie gut man das alles im Rahmen des Möglichen und Nötigen umgesetzt hat.

SHUBH MANGAL ZYADA SAAVDHAN ist übrigens eine indirekte Fortsetzung, ein Spin-off von SHUBH MANGAL SAAVDHAN (2017), einem Familienfilm über Erektionsstörungen, auch mit Khurrana. Wenn man also bedenkt, dass dieser mit VICKY DONOR (2012), einem Film über Samenspenden, sein sofort erfolgreiches Kinodebüt hatte, dann könnte man ihn wohl inzwischen als König der Bollywood-Sexualaufklärung bezeichnen, während also Akshay Kumar mit Werken über Toiletten und Damenbinden der König der filmischen Hygiene-Aufklärung ist. Bollywood-Star ist ein komplexer Beruf.

Samstag, 22. Februar 2020

Rani Mukerji in MARDAANI 2 – Mörderisches Männerego


2014 spielte Rani Mukerji die Hauptrolle als Polizistin Shivani Shivaji Roy in dem Thriller MARDAANI (2014), subtil inszeniert von Pradeep Sarkar, in dessen Film LAAGA CHUNARI MEIN DAAG (2007, Der Weg einer Frau) die Schauspielerin eine ihrer besten Rollen hatte. MARDAANI ist ein sehr realistischer Film um verschwundene junge Mädchen und Mädchenhandel und Zwangsprostitution. Außerdem lässt sich der Film Zeit für die privaten Probleme der Polizistin. Das Ganze ist sowohl optisch elegant als auch sehr echt, beklemmend, aus dem Mumbaier Leben gegriffen.

Jetzt hat Mukerji für MARDAANI 2 (2019) erneut die Polizeiuniform angelegt, allerdings hat Shivani Shivaji Roy in den letzten Jahren Karriere gemacht und ist jetzt Superintendent, also sozusagen Polizeidistriktvorsteherin, in der Stadt Kota im Südosten Rajasthans, an der Grenze zu Madhya Pradesh. Gopi Puthran, der Drehbuchautor und Regieassistent des ersten Teils, wurde zum Regisseur des Films befördert, den er auch geschrieben hat. Übrigens gilt dasselbe auch für einen offensichtlich in Planung befindlichen dritten Teil. Das Ganze ist jetzt also eine Serie, ein Franchise, wobei MARDAANI 2 einen Schritt weiter in Sachen Entertainment geht als sein Vorgänger. Diesmal handelt es sich um einen einfacher gestrickten Frauenmörderthriller mit Twists und Turns und Überraschungen und viel Psychotischem. Alles flüssig, spannend, unterhaltsam, handwerklich gut inszeniert, dazu die authentische Optik von Rajasthan, und wenn ich mir das letzte Jahr geistig so Revue passieren lasse, hat Puthran verdient den Filmfare Award für das beste Regie-Debüt bekommen.

Aber in MARDAANI 2 ist nicht nur ein sehr junger frauenfeindlicher, psychopathischer, sadistischer Frauenmörder und Vergewaltiger unterwegs. Nein, er ist gleichzeitig auch noch superschlauer und genial durchgeplanter Auftragsmörder, was also irgendwie zwei Filme in einem sind. Eines von beiden hätte eigentlich vollauf gereicht. Nun nehme ich an, man wollte nicht einfach beim feministischen problemorientierten Thriller stehenbleiben, was der erste Teil ja durchaus ist, sondern ein bisschen spektakulärer werden, mehr Entertainment bieten. Was gelungen ist. Und an sich ist es ja auch eine schöne Sache, sich nicht zu wiederholen, aber es läuft alles ein bisschen zu glatt, zu sehr wie am Schnürchen ab, und im Endeffekt ist mir da zu viel Killer und nicht genug Rani Mukerji, die gut und routiniert agiert.

Dieser Killer wird in MARDAANI 2 ”new age criminal“ genannt, dem Berühmtheit und sein Ego wichtig sind, auch wenn er in Wirklichkeit nur ein Schwächling mit sehr kleinem Ego ist, das sich ganz besonders von zu selbstständigen Frauen bedroht fühlt. Wobei ich mich nebenbei frage, ob das wirklich so ungeheuer neu ist, denn auch so mancher Bandit des Wilden Westens war schon stolz auf seinen Steckbriefe und seinen Ruf. Um die Selbstverliebtheit filmisch zu verdeutlichen, spricht er jedenfalls ständig in die Kamera und teilt uns seine innersten Gedanken mit, die aber nicht sehr tiefsinnig sind. Vor allem am Anfang wirkt das noch ganz passend, aber auf Dauer ist es einfach zu intelligent und zu cool. Kurz: Es kann nerven. Da ist dann der Film selbst ein bisschen zu sehr in die eigene Intelligenz verliebt. Solch ein irreal überdimensionierter und ungewöhnlicher Mörder hat natürlich den großen Vorteil, dass es am Ende keine männlichen Beschwerden gibt, dass doch nicht alle Männer so seien.  Zuletzt bin ich im Zusammenhang mit Meghna Gulzars bemerkenswertem Säureattackenfilm CHHAPAAK (2020) auf solche Kommentare im Netz gestoßen. Männer, die sich von bösen Männern in Filmen angegriffen und seelisch gekränkt fühlen, haben etwas Heulsusiges.

Die ernsthafte Thematik um Frauen, Karriere, Gleichberechtigung, Missbrauch, Mord sollte in MARDAANI 2 trotzdem nicht fehlen. Aber vieles wirkt in dem Zusammenhang konstruiert, künstlich hinzugefügt. Vor allem werden diese Themen im Kampf und in der Zusammenarbeit mit Polizeikollegen und einem Fernsehjournalisten abgehandelt. Dabei wird es oft ziemlich theoretisch, vor allem wenn Mukerji am Ende vor den Fernsehkameras einen langen Monolog über Gleichberechtigung und Gleichheit halten darf. Es gibt auch die mediale Diskussion, ob eine Frau überhaupt Polizistin sein sollte, weil der Mörder hier so fixiert auf sie ist. Aber jeder weiß doch aus dem Kino, dass Serienmörder grundsätzlich fixiert sind auf jeden ermittelnden Beamten, der sich herablassend über sie äußert, völlig unabhängig vom Geschlecht. Vor dem Nachspann kommen dann noch pflichtschuldigst düstere indische Vergewaltigungsstatistiken. Nächstes Mal sollte man einfach einen Thriller mit weiblicher Hauptfigur drehen. Ganz selbstverständlich. Als wäre man immer dazu verpflichtet, sich mit Problemthemen auseinanderzusetzen. Wenn man das aber unbedingt will, dann sollte man zum Prinzip des ersten Films zurückkehren und es authentischer machen, organischer in den Film integrieren.

Freitag, 21. Februar 2020

Imtiaz Alis LOVE AAJ KAL – Lebensplanung und Liebesmut


Imtiaz Ali kehrt mit LOVE AAJ KAL (2020) zu alter Form zurück. Es war ja irgendwie deprimierend, dass er zuletzt ausgerechnet mit Shah Rukh Khan, immerhin der beste Schauspieler seiner Hero-Generation, den eher mittelmäßigen JAB HARRY MET SEJAL (2017) drehte, ganz unterhaltsam zwar, aber mehr nicht. Da ging es unter anderem ums Älterwerden in einer Altersunterschied-Romanze zwischen Khan und Anushka Sharma.

In Alis neuem Film geht es nebenbei auch ums Alter, aber hier vermischen sich jung und alt nicht. Im Übrigen müsste es ja eigentlich LOVE AAJ KAL 2 heißen, da er 2009 einen Film mit demselben Titel und Saif Ali Khan und Deepika Padukone in den Hauptrollen gedreht hat, aber offiziell wird das nicht gemacht. Dann will ich mich dem anschließen. Nur zwei Jahreszahlen vermerkt das Plakat als Unterschied: Es geht um Liebe 1990 und Liebe 2020 in Indien, wohlgemerkt innerhalb einer gebildeten, gut situierten, städtischen Mittelschicht, deren größtes Problem nicht Essen oder Wohnung ist, sondern ob der geschiedene Ex-Mann genug Geld überweist, um den Gärtner zu bezahlen. Das sind im Grunde ja doch direkt beneidenswerte Probleme.

Ali ist ja einer der wenigen Mainstream-Regisseure in Bollywood, die konsequent sehr persönliche Filme drehen und bei denen es wirklich Sinn macht, von „Auteur“ zu reden. Er macht meistens Liebesfilme, in denen viel geredet wird, und die immer auch ein bisschen zwar sehr lebendige, aber nichts desto weniger theoretische Abhandlungen über das Leben und die Liebe sind. Gleichzeitig erzählt Ali nicht bloß gerne eine Geschichte, er erzählt auch verstärkt über das Erzählen selbst. Das war schon extrem der Fall in TAMASHA (2015), einem Film über Fiktion und Wirklichkeit zweier Menschen, über Urlaub vom Ich und Alltag des Ichs.

Hauptdarstellerin von LOVE AAJ KAL ist Sara Ali Khan, die jetzt endlich den richtigen Regisseur und den richtigen Film gefunden hat, um überzeugend zu beweisen, dass sie tatsächlich mehr ist als ein von Filmfare gepuschtes Covergirl. Sie ist sehr lebendig, sehr natürlich und offen. Und es kommt mir fast so vor, als käme die Art ihres Talentes mehr von der Großmutter als vom Vater, der immer ein bisschen spröde ist.

In LOVE AAJ KAL ist Sara Ali Khan die Verkörperung des jungen, modernen Mädchens, das Karriere machen will und alles geplant hat, bis sie 55 ist. Was diese Figur angeht, musste ich an ein nicht zu überhörendes Gespräch irgendwann im Bus von zwei junge Damen – hinter mir, ich weiß also nicht, wie sie aussahen – denken, wo die eine der anderen ihren gesamten Lebens- und Heiratsplan auseinandersetzte, sogar die Regelung der Vermögensverhältnisse beim Hauskauf hatte sie in ihrem Kopf schon geregelt. Nur den Mann dafür hatte sie glaube ich noch nicht. So jung, und schon so alt. Jedenfalls geht Sara Ali Khans Figur in diese Richtung. Dann aber trifft sie auf einen jungen Mann, der es ernst mit ihr meint und das bringt sie aus der leichtlebigen und bequemen Fassung und sie fürchtet um ihre schöne Lebensplanung.

Kartik Aaryan spielt diesen jungen Mann als intelligenten Schluffi, der wie aus der Zeit gefallen wirkt und der zwar nicht genau weiß, was er will – das wäre ja zu viel Planung – der aber ganz genau weiß, was er nicht will. Er will keine Oberflächlichkeit. Er will keinen Sex, den er, wie er einmal einer an ihm interessierten Arbeitskollegin sagt, auch mit sich selbst haben kann, aber er will auch keine oberflächliche Beziehung oder Ehe, wie seine Eltern sie haben. Khan und Aaryan harmonieren gut als Pärchen mit Schwierigkeiten, aber sie sind doch auch so unterschiedlich, dass es nicht bösartig ist, sich zu fragen, ob das denn gut gehen kann. Aber die Liebe fällt nun mal hin, wo sie hinfällt.

Doch Ali begnügt sich eben nicht damit, einfach eine chronologische, standardmäßige Liebesgeschichte zu erzählen. Denn womit Sara Ali Khan wirklich kämpfen muss, das sind all die Geschichten um sie herum. Denn schnell im Film stellt sich heraus, dass auch ihre Lebensplanung im Grunde schon von Geschichten ferngesteuert wurde. Denn sie ist sozusagen der Karriere-Avatar der unrealisierten Träume der frustrierten, geschiedenen Mutter. Wir sind eben alle auch auf die eine oder andere Art das Produkt von Erzählungen, Geschichten, Fiktion, seien es die mehr oder weniger subtilen Fernsteuerungen von Eltern, Erwachsenen, die die eigenen Fehler oder Versäumnisse mit Hilfe einer jungen Generation ausbügeln wollen, seien es die Geschichten aus Filmen und ihren Liebesgeschichten, vor allem in einer Zeit, wo das realistischere Melodrama durch das kitschige Seifenopern-Prinzip ersetzt wurde. Und sämtliche neoromantischen Bollywood-Filme haben davon etwas. Gar nicht zu reden von den vielen TV-Serien. Am Ende muss sie frustriert einsehen, dass das Reden der Mutter von Unabhängigkeit nur ein Ergebnis von Traurigkeit und Frustration, nicht von wirklichem Wissen oder echter Weisheit ist. Das kapiert sie, als die Mutter es plötzlich für eine gute Idee hält, dass die Tochter einen Reichen heiratet.

Und dann ist da der ältere Randeep Honda als Internet-Café-Besitzer Raghu, der das Jahr 1990 verkörpert, wo er einst die eine große, durch eigenes Verschulden traurig endende Liebesgeschichte erlebte, obwohl er seiner Angebeteten nach Delhi gefolgt war und dafür sein Medizinstudium, sein ganzes Leben hinter sich gelassen hatte. Diese Story wird in LOVE AAJ KAL in drei Etappen erzählt und jedes Mal bedeutet sie etwas anderes und löst eine andere Reaktion bei Sara Ali Khan aus, stürzt sie tatsächlich von einem Extrem ins andere. Und Kartik Aaryan spielt ziemlich brillant in einer Doppelrolle auch den jungen Raghu.

1990 und 2020, in LOVE AAJ KAL geht es um die Relativität von Zeit, Ort, Sitten und Werte. Nostalgie nach der guten alten Zeit ist ebenso dumm wie die Verherrlichung des moralischen Fortschritts, der vielleicht gar keiner ist. Es gibt keine Regeln, kein Prinzip. Es gibt keine Zeit, die einfacher war. Und ja, es ist kompliziert, aber auch nicht planbar. Aber das Leben ist auch unerbittlich. Man kann Versäumtes nichts nachholen. Es gibt Fehler, die kann man nicht wieder gutmachen.

LOVE AAJ KAL ist, wie gezeigt, eine sehr verschachtelte Geschichte. Aber Ali ist nicht nur dramaturgisch, sondern auch visuell und von der Inszenierung her ein in jeder Hinsicht sehr sorgfältiger Regisseur. Und daher wünschte ich, ich könnte den Film noch einmal sehen, um genauer darauf einzugehen. Da gibt es beispielsweise eine Szene in dem Café, wo Khan und Honda sich unterhalten. Sie kommt herein, während draußen vor der Tür noch Leute zu sehen sind. Sie muss erst einmal zur Ruhe kommen, die Leute draußen verlassen das Bild. Auf die Art wird ganz unmerklich Stille hergestellt und wie nach einem Atemholen kann das ernste, intimere Gespräch beginnen.

Während des Nachspanns, der früher ein Vorspann gewesen wäre, gibt es den schönen Song „Haan Main Galat“ in stiliserten Studiokulissen, die Personen, Themen und Orte des Films aufgreifen. Und während des richtigen Nachspanns sieht man das erstarrte Bild von Romeo, der vor dem Balkon steht, dazu Stimmen und Geräusche, die vielleicht in seinem Kopf herumspuken und ihn vom Klettern abhalten. Aber vielleicht auch inspirieren. Das ikonische Bild einer Liebesgeschichte mit „Magie“, wie der Film es nennt.

Montag, 17. Februar 2020

Kabir Khans THE FORGOTTEN ARMY – Der Traum von Indien

Author: Kevin Thomas71293 (Wikimedia Commons)

Regisseur Kabir Khan, vor allem bekannt durch den Salman-Khan-Film BAJRANGI BHAIJAAN (2015), hat mit der empfehlenswerten Amazon-Prime-Miniserie THE FORGOTTEN ARMY (2020) endlich den Film über die Indian National Army gedreht, den er schon seit Jahren machen wollte. Über diese indische, antibritische Befreiungsarmee unter japanischer Protektion während des Zweiten Weltkrieges gibt es von Khan ja schon einen Dokumentarfilm von 1999, übrigens sein Debütfilm an sich, bevor er mit dem satirisch angehauchten Afghanistan-Spielfilm KABUL EXPRESS (2006) seinen Fiktionsdurchbruch hatte. THE FORGOTTEN ARMY – AZAADI KE LIYE (2020), ist seit Ende Januar bei Amazon Prime zu sehen. Wenn man die einzelnen Laufzeiten der fünf Folgen addiert, kommt man im Endeffekt auf gut 3 Stunden, also etwa so lang wie Bollywood-Filme früher viel öfter dauerten, bevor Drehbuch-Effizienz alles irgendwie kürzer und knapper machte. Das Ganze ist sehr ambitioniert. Man merkt, dass Khan sehr lange über das Thema nachgedacht hat.

Die INA, Indian National Army, mit ihrem zweiten Befehlshaber Subhash Chandra Bose ist ja kein einfaches Thema, weil Bose ausgerechnet mit Hilfe des Faschismus Indien befreien wollte. Erst war er deshalb in Deutschland bei Hitler, aber als das nicht so recht klappte, wandte er sich den Japanern zu. Die hatten gerade bei der Eroberung Singapurs die gesamte dort stationierte britische Armee als Kriegsgefangene genommen und die bestand nun einmal mehrheitlich aus der indisch-britischen Armee, also aus Indern. Dazu kamen Freiwillige, die in ostasiatischen Ländern lebten und teilweise nie in Indien gewesen waren. Sogar eine Fraueneinheit wurde aufgestellt. Militärisch war man dann nicht so erfolgreich, wobei der Monsun und fehlende Hilfe der Japaner, die gerade mit ihrem Rückzug aus Burma beschäftigt waren, das Ihrige dazu taten, die indische Armee krank zu machen und zu dezimieren.

Das Problem ist, dass ein freies und unabhängiges Indien in einer faschistischen, von Deutschland und Japan dominierten Welt, schwer vorstellbar ist. Aber gerade in der Niederlage wurde die INA siegreich, denn die indischen Proteste gegen die britischen Hochverratsprozesse der Nachkriegszeit gegen INA-Soldaten legten den Grundstein für das Erstarken der Unabhängigkeitsbewegung, die die Briten schließlich aus Indien wegfegen sollte. Die Person Boses selbst existiert in THE FORGOTTEN ARMY allerdings vor allem als lebender Mythos, als Ikone, als „Netaji“, als „respektierter Führer“. Dass es für ihn andernorts auch Begriffe wie „Indiens Quisling“, nach dem obersten Nazi-Kollaborateur in Norwegen gab, interessiert hier nicht.

Dass die Serie sehenswert ist, liegt ganz einfach daran, dass es Khan um etwas anderes geht als die politischen Zusammenhänge, die sich in Zeiten weltweiter totalitärer Herrschaft sowieso nicht mit dem moralischen Millimeterstab messen lassen. Auch in Osteuropa kämpften Menschen auf der Seite Hitlers, um einen verhassten Bolschewismus zu beseitigen. Es gab auch eine Russische Befreiungsarmee unter dem ehemaligen Generalleutnant der Roten Armee Andrej Wlassov. Auch Finnland stellte sich nach den Erfahrungen mit dem Winterkrieg-Überfall Stalins auf die deutsche Seite, um Gebiete von den Sowjets zurückzuholen. Und so sehr die Japaner Ostasien mit einem Terrorregime überzogen, so gab es auch in anderen asiatischen Ländern Befreiungsarmeen, die das Ganze als gute Gelegenheit betrachteten, den britischen Kolonialismus abzuschütteln.

Und man sollte nicht vergessen, dass es nicht zuletzt der Zweite Weltkrieg war, der die Briten so sehr schwächte, dass sie gar nicht mehr die Kraft besaßen, ihr Weltreich aufrechtzuerhalten. Ohne Krieg hätte sich das alles sicher noch länger hinausgezögert. Weltgeschichte ist wie ein Kaleidoskop. Nach jedem Schütteln sieht es anders aus. Und ist doch immer dasselbe. Khan klammert also folglich das große böse, widersprüchliche Weltgeschehen um die indische Armee herum aus und konzentriert sich auf die Schaffung eines schönen realistisch-pathetischen, idealistisch-patriotischen Films, wobei der Regisseur gleichzeitig seine Vorstellung von Indien hineinprojiziert. Hier wird sein Ideal eines demokratischen, säkularen Indiens Wirklichkeit: ein Indien ohne Kaste, Klassen, Religionen, das sagt sogar einmal jemand innerhalb des Films. Gleichzeitig steht die Serie in einer Reihe mit dem momentan in Bollywood stark gepflegten Patriotismus, auch wenn der in verschiedenen Facetten existiert.

Um diese alten Geschichten aus der musealen Heldenverehrung – es gibt ja einige INA-Gedenkstätten, an denen sich Politiker gerne fotografieren lassen – herauszuholen, hat Kabir Khan die Geschichte zweigeteilt und einen Bezug zur heutigen Zeit geschaffen. Zum einen wird die Geschichte der INA von der Schlacht um Singapur bis zu den Prozessen in Britisch Indien anhand einiger einzelner Figuren dargestellt, die auf realen Menschen beruhen. Auch sein eigener Dokufilm lieferte Khan da ausreichend Material. Und dann gibt es einen Gegenwartsteil, der 2009 spielt, wo ein alter INA-Kämpfer mit einem jungen Verwandten in das unter einer Militärdiktatur leidende Myanmar fährt, wo der Alte nach heftigen Auseinandersetzungen einen Soldaten erschießt, weshalb sie gemeinsam mit anderen indischstämmigen Birmanesen durch den Dschungel auf der damaligen Marschroute der INA durch das damalige Birma Richtung indische Grenze fliehen. Das alles ist korrekt, spannend, anschaulich, enthält gelungene Schlachtszenen. Gleich die vernichtende Schlacht um Singapur, in dem die Japaner auf Fahrrädern durch den dichten Wald fahren und überraschend angreifen, ist eine der beeindruckendsten Sequenzen des Films. Es gibt auch ein paar weniger überzeugende digitale Bilder, aber die stören das Gesamtbild nicht.

Eine Reihe junger ausgezeichneter, unbekannterer Darsteller, darunter Vicky Kaushals jüngerer Bruder Sunny, spielen die jungen Menschen, die ganz in ihrem Idealismus aufgehen. Sie haben zunächst alle verschiedene Gründe, dabei zu sein. Die junge Tochter eines indischen Fotografen, die aktuelle Bilder machen will und die Kämpferin in sich entdeckt. Ein paar Straßenmusiker, die für ihre englische Musik Prügel von den Japanern beziehen. Eine junge Inderin, die auf einer Farm arbeitete und vom britischen Besitzer missbraucht wurde. Bei den Soldaten ist es größtenteils einfach die Verhinderung einer Kriegsgefangenschaft. Und sie sehen ja auch die Gräueltaten der Japaner, die reihenweise Feinde köpfen.

Als einmal ein Inder und eine Inderin durch Singapur fahren und die abgeschlagenen Köpfe sehen, die die Japaner überall aufgehängt haben, sagt er zu ihr: „Gucken Sie nicht hin.“ Und sie gucken nicht mehr hin. Sie machen das Beste daraus und denken nur an Indien. Kann man es ihnen verdenken. Am Ende eint sie ein großer Idealismus. Aber erst müssen vor allem die vereidigten Soldaten ein neues Denken lernen. Ein Denken Indiens ohne Briten. Und das ist es auch, das ein großes Dilemma der Kämpfenden auflöst. Die Frage ist, ob man seinen Soldateneid brechen und hinterher die eigenen Landsleute, die in britischem Dienst stehen, angreifen darf. Dafür wird die Baghavad Gita zitiert. Bekanntlich ist die große Schlacht des Mahabharata eine Schlacht unter Familienmitgliedern, und als Arjun deshalb moralische Probleme hat, erklärt ihm Krishna, warum er die nicht zu haben braucht.

Diesen Idealismus möchte Khan nicht nur zeitgemäß machen, er will ihn auch für die Gegenwart nutzbar machen. Deshalb schlägt er den Bogen herüber ins Jahr 2009 und zeigt moderne junge Leuten, die sich in Birma gegen das Militärregime engagieren. Außerdem geht es darum, die Orte in der Gegenwart zu betrachten, so wie auch der Film voller Doku-Aufnahmen oder Zeitungsfotos ist. Aus verschiedenen Perspektiven wird das Geschehen betrachtet, zeitlich, räumlich und medial. Im Zentrum steht am Ende eine große, friedliche Höhle mit einer Buddha-Statue, ein spiritueller Ort der Ruhe, wo die Gegensätze und die Zeit sich auflösen, gleichzeitig Symbol einer großen,  unerfüllten Liebe.

Aber draußen geht alles weiter seinen bösen Gang. Es ist ein ewiger Kampf gegen Unterdrückung. Und natürlich bremst die Gegenwartsgeschichte die interessantere Vergangenheitsgeschichte aus. Das flüssige Storytelling wird durchaus in seiner Wirkung beschnitten. Aber man muss zugestehen, dass Khans Methode sein Ziel erreicht. Wenn man sich an den Film erinnert, ist es nicht bloß ein historischer Kriegsfilm unter vielen, den man geistig-visuell zu den Akten legt. Die beiden Handlungsstränge haben sich ineinander verwoben. Man kann den einen nicht ohne den anderen denken.

Donnerstag, 13. Februar 2020

Mohit Suris MALANG – Abgründe im Goa-Paradies

Mohit Suri, Spezialist für romantische Thriller, hat mit MALANG (2020) einen neuen Film gedreht und siegt diesmal vor allem durch Stil-Punkte. Nimmt man als Vergleich EK VILLAIN (2014), seinen vielleicht bekanntesten Film, der es als einziger zu einer deutschen DVD-Veröffentlichung gebracht hat, dann waren es da nur einzelne Szenen, die man in Erinnerung behielt. So wie die Mordszene inmitten der lächelnden Luftballons, doch ansonsten ist alles so konstruiert, dass nur ein bisschen Hirnverbiegung hilft, um zu folgen. Und dann gibt es diese junge Frauenfigur aus dem Wolkenkuckucksheim der Bollywood-Psychiatrie.

Beide Filme sind eine Mischung aus romantischer Liebesgeschichte und Thriller-Trash inklusive bösem Cop, Serienkiller, was man eben alles so braucht. Aber während EK VILLAIN sich durch faszinierend seltsame Story-Wendungen mühsam über die Zwei-Stunden-Grenze schleppt, läuft bei MALANG alles fließend und mühelos ab. MALANG enthält darüber hinaus einen Haufen ernster Themen, von denen man sich aber intellektuell dann nicht zu sehr beeindrucken lassen sollte. Das hier ist reine Unterhaltung mit Typen statt psychologisch ausgefeilten Charakteren, aber mit dem dichten Drehbuch funktioniert es sehr schön. 

Auch der Wechsel aus Thriller und Liebesgeschichte in der Rückblende, bis sich die beiden Erzählstränge treffen, ist gelungen. Und, wie gesagt, hier sind viele, viele Themen als Versatzstücke: Eltern-Kind, good cop-bad cop, Männlichkeit und Impotenz, Liebe und Freiheit, Moral und Moral, denn beides ist nicht immer dasselbe. Was übrigens beide Filme gemeinsam haben, ist, dass die Ehe aus Männern den psychopathischen Serienkiller herausholen kann. Auch eine interessante Theorie. Bei EK VILLAIN hört man übrigens bei den Mordzügen des Psychopathen einen Sound, der hemmungslos der Musik der Serienkillerserie DEXTER (2006-2013) entlehnt wurde.

MALANG nun ist durchgehend stylish, angenehm trashig und gelungen atmosphärisch. So voll wie MALANG inhaltlich ist, so übervoll ist er bildlich, ohne dabei penetrant zu werden. Die Noir-Dunkelheit kontrastiert mit dem authentischen, modernen, sonnendurchfluteten Goa-Leben. Dazu noch die bunte, nächtliche, flimmernde Party-Atmosphäre mit viel Goa-Techno und Drogen. Das Ganze in seiner Faszination, aber auch in seiner geistigen Leere, die solch ein scheinbar freies Leben auf Dauer produziert. Farben, Kamera, Licht, Schnitt, das ist es, was den Film von der ersten bis zur letzten Minute trägt, wobei man sich gerne mitnehmen lässt.

Dazu kommt eine wirklich gute Besetzung. Aditya Roy Kapoor darf seine zwei Seiten zeigen, einmal den smarten Sunnyboy mit schulterlangen Haaren und dann den muskelbepackten Rächer direkt aus dem Knast. Er hat einen schönen Auftritt in Form einer ausgedehnten Schlägerei im Gefängnis. Er will etwas zurückhaben, was ihm weggenommen wurde. Dafür prügelt  er sich durch die Gänge, und die Kamera folgt ihm in einer sehr langen Einstellung von hinten. Zwar digital unterstützt, aber dennoch ein Versprechen auf den ganzen Film, das tatsächlich gehalten wird. Die Freundin wird gespielt von Disha Patani, die ich zwar schon in Filmen wie BHARAT (2019) oder M.S. DHONI: THE UNTOLD STORY (2016) gesehen, aber nicht wirklich wahrgenommen habe. Das hat sich jetzt geändert, denn sie spielt ohne Attitüden und sehr natürlich.

Kunal Khemu tritt auf als perfekter, sanfter Superpolizist und Superehemann mit einer dunklen Seite. Und nicht vergessen will ich die Darstellerin einer dealenden Schwedin mit Dreadlocks, die desillusioniert und pleite in Goa hängengeblieben ist. Während des Films fragte ich mich, warum die Figur denn ausgerechnet Schwedin sein muss. Die Antwort ist einfach: Elli AvrRam ist Schwedin. Und die Mutter hat die Figur der Petra Ekdahl – wenn ich nur wüsste, wer das war – in Ingmar Bergmans Klassiker FANNY UND ALEXANDER (1982) gespielt.

Aber das Beste, oder der Beste, kommt zuletzt, wobei MALANG mit Anil Kapoor passenderweise beginnt und endet. Kapoor trägt eben auch dazu bei, den Film weit über den Thriller-Durchschnitt herauszuheben. Es fängt an mit ihm auf dem Klo, Koks schniefend, später Karaoke singend zu „Aaj Ki Raat Koi Aane Ko Hai Anamika“ von Asha Bhosle. Hier darf er als Bad Cop mal richtig, besoffen, bekokst, gewalttätig, abgefuckt aus sich herausgehen. Das sieht man in dieser halb realistischen, halb überspielten Perfektion nicht oft im indischen Kino. So echt und doch so unterhaltsam. Dazu kommt eine menschlich-tragische Komponente, wenn die Rückblende erst einmal zu den Ursachen für sein Benehmen kommt. Er badet masochistisch in seinem eigenen wutinfizierten Elend, und tötet kaltblütig sadistisch die Bösen oder die, die er dafür hält. Im Cinestaan-Interview (8.2.) hat Kapoor von seiner Vorbereitung auf die Rolle erzählt. Er hat sich von den beiden BAD-LIEUTENANT-Filmen inspirieren lassen, also Abel Ferraras brillantem Original (1992) mit Harvey Keitel und Werner Herzogs nicht minder großartigem Remake (2009) mit Nicolas Cage. Und dann fügte Kapoor im Interview hinzu, dass er das Ganze dann unterhaltsam und indisch machen musste. Und genau das ist ihm perfekt gelungen. Ich habe selbst gar nicht an diese beiden westlichen Filme gedacht während der Vorstellung. Man nimmt die Figur ernst, aber man hat eben ganz einfach auch ein tierisches Vergnügen dabei.