Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 29. April 2020

BIDAAY BYOMKESH – Detektiv im Dämmerlicht


In der ersten Einstellung ist ein rot verschmiertes, bluttropfendes Messer im Vordergrund in Nahaufnahme zu sehen. Es wird in Kniehöhe von einem Menschen gehalten, der sich auf eine nächtliche Polizeistation in Kolkata zubewegt. Eine lange Kamerabewegung nach vorne begleitet ihn. BIDAAY BYOMKESH (2018) beginnt dramatisch wie ein Horror-Thriller, etwa wie ein italienischer Giallo. In und vor der Polizeistation döst man schon kräftig vor sich hin; ungehindert geschieht das Betreten der Räumlichkeiten an den Wachen vorbei, aber beim Anblick des Messers wird einer der schläfrig im Schreibtischstuhl hängenden Beamten schnell wach. Ein Mord soll geschehen sein. Als Täter bezichtigt sich der Mann mit dem Messer selbst. Er ist der seit zwei Jahren verschwundene Sohn des alt gewordenen berühmten ikonischen bengalischen Detektivs Byomkesh Bakshi. Damit ist klar, dass das hier kein normaler Fall ist.

BIDAAY BYOMKESH ist der sechste von insgesamt sieben bengalischen Byomkesh-Kinofilmen mit Abir Chatterjee in der Hauptrolle. Es kann in dem Zusammenhang zunächst etwas verwirrend wirken, dass es zwei Byomkesh-Kinoreihen von zwei verschiedenen Produktionshäusern gibt und dass Chatterjee 2010-2014 erst bei der einen, danach bei der anderen die Hauptrolle innehatte. Zehn Filme mit der Figur des Schriftstellers Saradindu Bandyopadhyay insgesamt sind entstanden, dazu kommen noch einzelne Produktionen wie SATYANWESHI BYOMKESH (2019), der die Handlung in die Zeit der indischen und bengalischen politischen Konflikte verlegt, ein Jahr nach dem Tod des Autors 1970.

BIDAAY BYOMKESH jedenfalls wurde produziert von Shrikant Mohta und Mahendra Sonibei für Shree Venkatesh Films (SVF), die übrigens auch Sandip Rays PROFESSOR SHONKU O EL DORADO (2019) produziert haben und verantwortlich sind für eine Reihe von Rituparno-Ghosh-Filmen, darunter leider auch dessen SATYANWESHI (2013), einen völlig missglückten Byomkesh-Film mit Sujoy Ghosh in seiner letzten Rolle, bevor er sich auf seine Regiekarriere konzentrierte. Die danach gestartete Reihe ist glücklicherweise weitaus überzeugender bei der Umsetzung der Welt von Saradindu Bandyopadhyay.

Auch Arindam Sils BYOMKESH PAWRBO (2016), den ich vor ein paar Wochen gesehen habe, gehört zu dieser Reihe von SVF. Dieser Krimi hat nicht so eine dramatische Anfangsszene wie BIDAAY BYOMKESH, ist klassischer, aber dabei sehr unterhaltsam und stilvoll. Ohne ein Postkartenfilm zu sein, ist seine größte Qualität die atmosphärisch schöne Zeichnung einer ländlichen End-1940er-Provinzwelt mit einem Dorf, seinen Bewohnern, dem Dschungel, des Nachts, aber vorwiegend bei Tag und strahlender Sonne. Dazu eine mysteriöse Story um Geisterreiter und Waffenschmuggel. Und auch die Rolle von Byomkeshs Ehefrau wurde als Reisebegleiterin ausgebaut. Das alles beruhend auf einer Originalstory, die es auch auf Englisch gibt: Als „The Death of Amrito“ ist sie erschienen in dem Buch „The Rhythm of Riddles. Three Byomkesh Bakshi Mysteries“ (2012), und das hat ein Vorwort des Filmregisseurs Dibakar Bannerjee, der wiederum vor einigen Jahren mit DETECTIVE BYOMKESH BAKSHY! (2015) den besten aller Byomkesh-Filme gedreht hat, der aber auch ganz anders ist als die so sympathische klassische Detektivfilmunterhaltung und den ich lobpreisend erwähne, wo immer sich die Gelegenheit bietet.

DETECTIVE BYOMKESH BAKSHY! ist schnell, düster und spielt in der Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges, als man in Kalkutta japanische Luftangriffe fürchtete, dazu unterlegt mit moderner, krachender Metal- und Industrialmusik, was aber perfekt zur vorherrschenden Dunkelheit passt. Gezeigt wird ein junger Detektiv, der dabei ist, seinen Weg zu finden, noch Fehler macht. Die Handlung ist nicht ganz unkompliziert, aber dafür ist es ein Film, der mit wiederholtem Gucken immer besser wird. Leider war das Werk kein großer Erfolg und verstörte so manchen Byomkesh-Puristen, aber es ist ein Film für die Ewigkeit oder zumindest für das, was Menschen darunter verstehen. Und vielleicht fällt ja plötzlich Finanzierungs-Geld vom Himmel und Bannerjee kann doch noch einen zweiten Film drehen.

Aber um auf BIDAAY BYOMKESH zurückzukommen, das Wagnis einer neu erfundenen Story geht auch Regisseur und Drehbuchautor Debaloy Bhattacharya ein. Das ist ja etwas, wofür man nicht zu Unrecht schnell Prügel beziehen kann. Aber der vermutlich beste aller Sherlock-Holmes-Filme, Billy Wilders DAS PRIVATLEBEN DES SHERLOCK HOLMES (1970), ist auch eine reine Fiktion-Fiktion, die sich Autor Conan Doyle so nicht ausgedacht hat. In BIDAAY BYOMKESH, was „Auf Wiedersehen, Byomkesh“ hat man es im Gegensatz zu Bannerjees Film nicht mit dem noch unsicheren jungen Byomkesh zu tun, sondern mit einem plötzlich unsicheren alten Mann, der zaudert, mit sich und seinem grundlegendes Prinzip der Wahrheitssuche hadert, die er ja ganz philosophisch über die Notwendigkeit der Verhaftung und Strafe stellt. Durch private Gefühle sieht er sie gefährdet, eingeschränkt. Denn hier geht es um ein Familiengeheimnis, um Familienbande und Familienkonflikte. Die zweite Hauptfigur ist Byomkeshs Enkel, der sich zunächst kräftig gegen das Detektiv-Erbe wehrt und seine Wahrheitssuche lieber auf die Physik, etwa auf die Brechung von Licht, verlegt hat. Aber dann zieht es ihn unweigerlich doch hinein. Diese Familiengeschichte der drei Generationen ist der eigentliche emotionale und geistige Kern des Films.

Die formale Umsetzung allerdings kann zunächst etwas irritierend wirken und zunächst habe ich geistig mit den Zähnen geknirscht. Aber nach und nach schluckt man es als nötigen Theatereffekt, weil es auf Dauer einfach funktioniert: Denn Abir Chatterjee und Sohini Sarkar spielen Doppelrollen. Einmal als Byomkesh und jung aussehender Geist seiner Frau, dann als Enkel und dessen Freundin. Der alte Byomkesh in Chatterjees Maskengestalt ist wie eine Mischung aus dem nuschelnden Marlon Brando in DER PATE (1972) und dem greisen David Bowie in Tony Scotts BEGIERDE (1983). Byomkesh selbst ist trotz seines hohen Alters und seiner eingeschränkten Beweglichkeit geistig sehr wach und anderen wie gewohnt schnell einen Schritt voraus. Aber gleichzeitig ist er geistig schon halb im Totenreich. Er redet mit seiner toten Frau, seinem toten Freund Ajit, der aus den Abenteuern immer die Kriminalromane machte. Das alles hat eine melancholisch-morbide Poesie, wo der Tod längst keinen Schrecken mehr hat. Vermutlich ist es kein Zufall, dass von Regisseur Bhattacharya ausgerechnet ein Vampirfilm auf seine Premiere wartet: MR. DRACULA (2020) sollte eigentlich ab Mai in den Kinos zu sehen sein, aber wer weiß, auf welcher Streaming-Plattform der arme Film jetzt vorzeitig endet.