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Sonntag, 29. Dezember 2019

Akshay Kumar in GOOD NEWWZ – Fortpflanzungsstress

Nirgendwo werden Warenlogos und Luxusgüter mit mehr Liebe gefilmt als bei Karan Johars Dharma Productions, selbst wenn noch andere Firmen beteiligt sind. Das konnte man jetzt zum Jahresende mal wieder in der Komödie GOOD NEWWZ (2019) von Regisseur Raj Mehta sehen. Da schaut die Kamera in perfekter Werbeästhetik gleich am Anfang ehrfürchtig zum Volkswagen-Logo an einem edlen Autohaus hinauf. Da streichelt sie erotisierend über die Wagen hinweg, die ein nicht sehr erfolgreicher Verkäufer einem gleichzeitig von den schreienden kleinen Sohn terrorisierten Kunden andrehen will. Da erscheint Akshay Kumar als der so siegessichere Kollege Batra und besticht den Jungen mit einem Spielzeugauto. Doch Kinder sind illoyal und deshalb unbestechlich. Das Blag brüllt schnell wieder los, und der Papa tritt mit ihm die Flucht an. Akshay Kumar kann dem Kleinen gerade noch das Spielzeugauto wegnehmen. Das hat der sich ja nicht ehrlich verdient.

Und so ein ähnlich nerviges Kind will ihm seine Frau – Kareena Kapoor Khan von ihrer zu allem entschlossenen Seite – jetzt auch ins Haus setzen. Und dazu muss er pünktlich zur Stelle sein, denn sie kennt ja ihren Kalender. Selbst vom gemütlichen Feierabend-Bier mit den Kollegen wird er abkommandiert, um endlich nach sieben Jahre Ehe für Nachwuchs zu sorgen. Bier und Zigaretten sind für so was ganz schlecht. Der Gatte fühlt sich da doch sehr unter Druck gesetzt, es entwickelt sich Dauerstreit, man findet eine künstliche Lösung und das ist einerseits alles sehr vorhersehbar, aber auch sehr unterhaltsam. Und Akshay Kumar zeigt mal wieder, dass er der Beste und Unerschrockenste ist. Ich möchte behaupten, dass das hier die coolste ärztliche Samenprobeabgage der Filmgeschichte ist.

Nach der Pause wird es immer mehr ein anderer Film. Schuld daran ist ein dummes Spermadurcheinander. Oder Spermiendurcheinander. Wie sagt man? Bei einer In-Vitro-Befruchtung als letzter Ausweg wurde durch die Namensgleichheit zweier Ehepaare Batra der Samen verwechselt und daher die Damen falsch herum befruchtet. Daher kommt jetzt ein sehr enthemmtes Punjabi-Pärchen in Gestalt von Diljit Dosanjh und Kiara Advani mit ins Spiel, wobei ich bei diesem Ehepaar nicht begriffen habe, wie sie zu ihrem Geld gekommen sind. Aber wie dem auch sei: Die vier bilden ein amüsant harmonisierendes ungleiches Quartett, das den Film auch über die müderen Strecken zu schleppen weiß.

Trotz der konfus-absurden Voraussetzungen entwickelt sich die Story weder zu einer wilden Boulevard-Komödie noch zu einem echten Melodrama, aber auch keinem Mittelding daraus. Mit Hilfe von Versatzstücken aus Emotionen, Witzen und sehr ernsten Problemen wird es immer mehr zu einer Art Kulturfilm oder Aufklärungsfilm mit vielen Erklärungen und Diskussionen. Die Qualität des Films leider darunter, aber glücklicherweise wird alles zwischendurch mit genug Komik gewürzt. Die In-Vitro-Klinik, die Details von Schwangerschaft und davor, die Fruchtbarkeit im Alter und sonst auch so werden ausführlich und informativ behandelt. Es fehlt nur noch, dass der alleinstehende doppelte Adoptivvater Karan Johar als Volksaufklärer durchs Bild läuft und noch ein paar Dinge mehr erkläutert.

Dass der aufklärerische Inhalt im Mittelpunkt steht, sieht man übrigens auch an der fürchterlich enttäuschenden Musik in GOOD NEWWZ. Ein kreativer Gebrauch von Liedern wurde im Drehbuch nicht eingeplant. Jedes der Pärchen hat eine Party-Nummer. In einer Kneipe gibt es dann ein bisschen Bhangra mit Akshay und Diljit, was aber schnell abgebrochen wird, damit sich die beiden noch streiten können. Und dann hat man den Nachspann mit einer glamourösen Item-Nummer mit allen vier Stars versehen. Das wummert dumpf und glitzert bunt, aber, wie bei solchen Nummern üblich, ist man geistig schon auf dem Weg nach draußen oder aufs Klo. Ja, während des Films hat man wohl mal Lieder im Hintergrund gehört, aber ohne sie wirklich wahrzunehmen.

Donnerstag, 12. Dezember 2019

Ashutosh Gowarikers PANIPAT – Eine siegreiche Niederlage

Er hat so viel Kritik einstecken müssen für seine Leistung in Ashutosh Gowarikers neuem ausgezeichneten Historienfilm PANIPAT (2019), deshalb ganz deutlich gleich zu Anfang: Arjun Kapoor ist perfekt in der Hauptrolle als Maratha-Offizier Sadashiv Rao Bhau. Punkt. Ein Ausrufezeichen hat er nicht nötig. Arjun Kapoor ist kein übergroßer Hero-Typ, auf den ein Film sich einstellt. Daher ist PANIPAT kein Arjun-Kapoor-Film, sondern ganz und gar ein Gowariker-Film. Kapoor spielt sehr diszipliniert mit sehr viel Ruhe und ohne Verbissenheit einen Krieger, der einfach nur Krieger sein will und keine Ambitionen auf politische Macht hat. Bei der Verkörperung dieser Figur macht er nichts, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen, um demonstrativ seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Das passt zu einem Krieger, bei dem man das Gefühl hat, dass er seine Person am liebsten auslöschen möchte. Er will ja nicht einmal ein Privatleben. Doch Kriti Sanon als zukünftige Ehefrau kann ihm das ausreden.

PANIPAT ist ein nationaler, nationalistischer Film über die Maratha-Vorherrrschaft im 18.Jahrhundert, die zeitlich zwischen der der Mogulen und der der Briten lag, und die man hier als Vorläufer des späteren geeinten, unabhängigen Indien betrachtet. Herausgefordert wird diese Macht durch den Afghanen-Herrscher Ahmad Shah Abdali, gegen den es am 14. Januar 1761 bei Panipat zu einer großen Schlacht kommt, die verloren geht. Abdali kehrt danach nach Afghanistan zurück. Die brutalen Massaker der Afghanen nach der Schlacht lässt der Film weg. Sanjay Dutt spielt den afghanischen Eroberer voller düsterer, destruktiver, aber auch charismatischer Kriegslust.

Sadashiv Rao Bhau hingegen zeichnen Kraft und strategisches Denkvermögen aus, aber dann hat er auch etwas Schwerfälliges und besonders im Privaten etwas Unbeholfenes. Gleich in der Anfangsszene hat er keinen beeindruckenden spektakulären Hero-Eröffnungs-Auftritt, sondern schleicht sich in einer Schlacht bei Nacht praktisch durch die Hintertür hinein, indem menschliche Leitern die hohen Mauern einer Festung überwinden helfen. Außerdem bekommt man seine menschliche, aber auch klug vorausschauende Seite zu Gesicht: Er macht einen militärisch-strategisch brillanten Feind zum Verbündeten, gegen die Bedenken anderer.

PANIPAT lässt sich mit fast drei Stunden viel Zeit. Das ist angenehm. Gowariker gibt ein echtes Gefühl für diese umfangreiche Art von Feldzug, die man früher führte. Gerade die Details der strategischen Dinge, die die Kriegsführung betreffen, werden hier sehr detailliert gezeigt. Da geht es um Verhandlungen mit Fürstentümern, um das Organisatorische wie die ganz banalen, aber grundlegenden Fragen der Finanzen und der Verpflegung. Die Wirklichkeit als Material ist Gowarikers große Stärke. Immerhin hat er mit LAAGAN (2001) einen brillanten Welterfolg über einen Film voller Cricket-Regeln gemacht, was sich in der Theorie doch eher fluchtergreifend anhört. Oder der in KEHELIN HUM JEE JAAN SEY (2010) die genau rekonstruierten Umstände eines Aufstandes gegen die Briten darstellt. Wenn er sich der reinen Fantasie und Spekulation widmete, drehte er seine schwächsten Filme WHAT'S YOUR RAASHEE (2010) und MOHENJO DARO (2016).

Ein Historienfilm wie PANIPAT ist immer auch ein Film über die Gegenwart. Daher geht es, übrigens wie auch in dem Kangana-Ranaut-Film MANIKARNIKA (2019), um die Betonung der Einheit Indiens, die Ablehnung des Kommunalistischen, des Regionalistischen. Der Gegenwartsbezug trifft aber auch auf die schöne, jedoch angenehm nüchterne Liebesgeschichte zu, die auf Augenhöhe geschieht. Alles ist sehr praktisch, heiter, ohne Sentimentalität und künstliche Romantik, was bei diesem Krieger-Mann auch eher unpassend wäre. Und Kriti Sanon ist die ideale Ehefrau. Nehmen wir einfach mal an, dass in HOUSEFULL 4 (2019) nur ein digitaler Klon von ihr zu sehen war. In PANIPAT spielt sie die einfache Frau aus dem Volk, energisch und intelligent, und gar nicht verzärtelt. Sie ist tätig als Ärztin, begleitet den Ehemann in den Feldzug und im Notfall kann sie auch kämpfen. Dennoch weiß er hinterher zu schätzen, wie sie mit dem Zelt bunt schummerige Privatheit herstellt. Zum Schluss kommt es zur Vereinigung der Liebenden im Tod, denn wenn einer weiterlebt, ist es ein trauriges Ende, wenn beide sterben, ist es ja eine Art Happy End.

Natürlich ist PANIPAT ein Mainstream-Film mit Schauwerten, aber einer, der seine Hauptreize nicht aus sich verselbstständigenden visuellen Effekten nimmt. Das ist so sehr Standard geworden, vor allem in digitalen Zeiten, wo jeder idiotisch-überflüssige Effekt möglich ist, dass ich über PANIPAT das Wort „altmodisch“ gelesen habe. Eine, freundlich formuliert, seltsame und völlig nichtssagende Bezeichnung, wo Ashutosh Gowariker doch bloß auf fast alles Überflüssige verzichtet. Sein Stil liegt offen da. Flüssig erzählt er mit Hilfe eines prächtigen, schönen Bollywood-Realismus, was ein wirkliches Gefühl für die Zeit Mitte des 18. Jahrhunderts gibt. Das ist selten geworden. Und auch wenn ich großer Fan von Rajamouli und Bhansali bin, wird es problematisch, wenn die fantastische Epik des einen und die Monumental-Poesie des anderen zum erwarteten Standard werden. Der Oberflächen-Film KALANK (2019) beispielsweise hätte mehr nüchterne Wirklichkeit und weniger mechanische Bhansali-Nachahmung gebraucht, um zu berühren.

Die starken Szenen in PANIPAT entstehen allein aus der Handlung heraus. Etwa, wenn sich die beiden Todfeinde über den reißenden Jamuna mit dem Fernglas betrachten. Die Schlachtszenen sind ausgezeichnet und von großer Kraft. Obwohl auch ein Gowariker hier nicht auf einige zeitgemäße Standards verzichten darf. So gibt es, wie in MANIKARNIKA, die digitalen Aufnahmen einer Person in der Schlacht, die visuell hervorgehoben und in Zeitlupe ganz im Mittelpunkt eins wilden und eigentlich unübersichtlichen Geschehen steckt. Und noch mit etwas anderem steht Gowariker voll im Zeitgeschmack. Einmal mit dem Kampf gegen afghanische Eroberer aus dem Nordosten, was vermutlich immer auch ein bisschen eine modern zu verstehende Anspielung auf Pakistan ist. Und dann, wie in KESARI (2019) oder MANIKARNIKA, mit der Glorifizierung von militärischen Niederlagen, die zumindest in der Fiktion und im Mythos über sich hinausweisen, in die Zukunft strahlen und der Beginn eines Sieges auf lange Sicht sind.