SWAMI VIVEKANANDA (1998), G.V. Iyers biografischer religiöser Spielfilm, endet mit der Ankunft des unter dem bürgerlichen Namen Narendranath Datta (1863-1902) in Kalkutta geborenen Mönchs in Südindien. Er hat gerade einen vierjährigen Aufenthalt 1893-1897 im Westen hinter sich. Beginnend mit seinem phänomenalen Erfolg beim „Internationalen Parlament der Weltreligionen“in Chicago, hielt der Advaita-Vedanta-Anhänger Vorträge und gab Unterricht in indischer Religion und Spiritualität und setzte sie in Verhältnis zum westlichen Denken. Zum ersten Mal wurde der Westen in systematischer Weise mit den vier Wegen des Yoga – Karma, Jnana, Raja, Bhakti – vertraut gemacht. In dieser Zeit entstanden auch seine vier bekannten Yoga-Bücher, die zum Teil aus seinen Reden bestehen. Bis zu seinem Tod war Vivekananda danach noch sehr aktiv, arbeitete etwa für die internationale Ausweitung der von seinem Guru Ramakrishna initiierten Ramakrishna-Mission, deren Grundlage Karma Yoga in Form von Dienst am Menschen ist, wobei man sich besonders für das Elend der unteren Klassen und Kasten einsetzt, denn „Menschen mit leerem Bauch braucht man nicht mit Religion zu kommen“.
Und dennoch beendet Iyer vorzeitig seinen Film mit einem politisch-religiösen Satz, der wie eine Programmerklärung zur modernen konservativen Rehinduisierung Indiens klingt. Drei Mal wird der Satz wiederholt: „Lieber die alte Orthodoxie als das westliche Modell.“ Nicht, dass ich etwas gegen den Satz an sich oder Rehinduisierung hätte, aber es scheint mir problematisch,Vivekananda überhaupt auf einen einzigen Satz festzulegen und hier das Bild einfrieren zu lassen, als wäre der Satz die Essenz seines Lebens. Andererseits passt es zu einem Film, der die sehr persönliche Sicht des Regisseurs auf die legendäre Gestalt des Vivekananda wiedergibt.
Iyer lässt es also mit diesem Triumph enden, bei dem sich zeigte, dass Vivekanandas Wirken im Westen auf Indien zurückgestrahlt hatte. Verehrt wird er nicht zuletzt für seinen allgemeinen Beitrag zur geistig-spirituellen Wiederbelebung Indiens, die nach all den Überfällen und Einflüssen fremder und fremdartiger Mächte nötig war. Und trotz seines nationalistisch inspirierten Wirkens konnte Vivekananda ins Grübeln kommen, was denn Nationen überhaupt für eine Bedeutung haben, aus konsequent spiritueller Sicht. Vivekananda war eben ein Mensch mit vielen Facetten. Seine Texte und Reden zeichnet neben den klar erklärten Grundlagen des Hinduismus eine pathetische Verkündigung von der Gemeinsamkeit aller Religionen, nicht nur der Hindi-Sekten, aus, und dazu kommt ein überwältigender, mitreißender Optimismus, der sicher einiges zu seinem Erfolg beigetragen hat.
SWAMI VIVEKANANDA besteht aus zwei Teilen. Der erste ist der einheitlichste und beste und umfasst seine Kindheit, seine Ausbildung und dann seine Begegnung mit seinem Guru Ramakrishna. Da prallen dann zwei Welten aufeinander. Auf der einen Seite der rationale, intellektuelle, brillante Student, dem eine große Zukunft prophezeit wird, ganz in den Fußstapfen seines Vaters, eines Richters. Aber er hat auch seine Zweifel, ist durch die Erziehung der Mutter religiös geprägt. Doch reicht ihm Gauben nicht, er will Gott erfahren und sehen. Also macht er sich auf die Suche, doch bleibt erfolglos. Bis er Ramakrishna begegnet, der ihm bestätigt, dass er Gott so klar sehe wie ihn, dass man Religion erleben und leben könne. Passiver Glaube wird hier als nicht ausreichend betrachtet. Doch kann der Intellektuelle sich trotz allem zunächst gar nicht richtig begeistern für einen einfachen Analphabeten, denn er misst weltlicher Bildung noch einige Zeit lang zu viel Wert zu. Auch die intellektuelle Hochnäsigkeit muss er aufgeben. Aber nach und nach tritt ein Wandel ein. Schön ist auch das Aufeinandertreffen der Stimmungen, denn der angehende Schüler hat überhaupt keinen Humor, während Ramakrishna es liebt, Scherze mit ihm zu machen. Mithun Chakraborty schafft es, die spirituelle, erleuchtete Seite und das weltlich-humorvolle Ramakrishnas glaubwürdig und einheitlich zu verbinden. Nicht zufällig gab es dafür den nationalen Filmpreis für die beste Nebenrolle. Aber auch Sarvadanam D. Banerjee als Vivekananda ist mit seinem sparsamen und innerlichen Spiel eine ausgezeichnete Besetzung. Ein wichtiges Mittel, das die steigende Verbindung von Guru und Schüler zeigt, sind Lieder und die Musik von Salil Chowdhury. Das gibt dem Film eine kontinuierlich religiös-poetische Stimmung, eine Verbindung aus Klassischem und Populärem.
Im zweiten Teil des Films wird alles gedrängter, verkürzter. Gezeigt werden die entscheidenden Phasen: die jahrelangen Wanderungen durch Indien, hier bevorzugt durch einsame Gegenden. Das unterstreicht das Kräftezehrende, ist aber auch rein produktionstechnisch geldsparend. Da nimmt Vivekananda zum ersten Mal deutlich Notiz vom Elend der arbeitenden Kasten oder Klassen. Nicht fehlen darf die berühmte Bild-Anekdote mit dem Fürsten, der sich über Götterbilder mokiert und aufgefordert wird, sein eigenes Bild anzuspucken. Aber nirgendwo bleibt Vivekananda lange. Dieser Teil des Films fällt einerseits durch fehlenden Zusammenhang stückwerkartig etwas auseinander, überzeugt aber andererseits immer wieder durch überzeugende Ideen, die Dinge zusammenzufassen oder auf den Punkt zu bringen, ohne sie direkt zeigen zu müssen. So ist der ausgehungerte Mönch bei einem Mann zum Essen eingeladen, bei dem ein Bettler vorbeikommt: In der Folge hat Vivekananda eine tranceartige auditive Vision von erbärmlich schreienden hungernden Massen. Immer wieder verdeutlicht er den Herrschenden, denen er begegnet, ihre Verantwortung für diese Menschen. Die vier Jahre im Westen werden verkürzt auf die Zitate aus der umjubelten Eingangsrede auf dem Weltreligionen-Kongress und man sieht am Schluss Vivekakandas Gesicht in Großaufnahme mit einem dankbaren Lächeln, während historische Fotos der Menschen eingeblendet werden, die ihm in all der Zeit geholfen haben.
Die wenig begeisterten Kritiken damals und der fehlende Erfolg an den Kinokassen täuschen leicht darüber hinweg, dass SWAMI VIVEKANANDA ein sehr schöner Film ist. Aber gerade in der zweiten Hälfte hilft es doch, wenn man zumindest ansatzweise vertraut ist mit seinen Schriften und seinem Leben. Veredelt wird der fast dreistündige Film übrigens durch Kurzauftritte von Shammi Kapoor, Shashi Kapoor, Mammootty oder auch Anupam Kher.