Es gibt ein aktuelles
Interview mit dem Regisseur des Telugu-Hits RRR, mit S.S.
Rajamouli, wo dieser davon redet, dass die Leute wegen des Stars ins
Kino gehen. Nicht wegen des Filmemachers. Und natürlich ist das
indische Kino ein Starkino par excellence, aber dennoch ist diese
Aussage in Rajamoulis Fall einfach falsche Bescheidenheit. Denn RRR gilt
ja in Gegenden, wo die beiden Hauptdarsteller NTR jr. und Ram Charan
keinen Starstatus haben, vor allem als der neue Film des Machers der zwei Teile von BAHUBALI (2015/2017).
Vor
dem Vintage-Hintergrund der 1920er wird in RRR die Geschichte von
Freiheitskampf und, parallel dazu, von einer aus Feindschaft und
Missverständnis langsam wachsenden, tiefen Freundschaft erzählt. Der scheinbar für die Briten aktive Karrierepolizist Ram
trifft auf den Stammesanführer Komaram aus dem Dschungel, der mit
einigen Mitkämpfern ein kleines, von einer reichen Engländerin
entführtes Mädchen befreien will. Räumlicher Mittelpunkt ist das
stark befestigte britische Fort, in dem sowohl gelebt als auch
begehrte Munition gelagert wird. Und Ram will in Wirklichkeit an die
Waffen herankommen, Komaram geht es nur um das Mädchen.
Individuelles, kurzfristiges Interesse und kollektives langfristiges
Denken treffen aufeinander. Ram Charan spielt den kontrollierten und
intellektuellen, manchmal etwas verbissenen Polizisten, und NTR jr.
den naiveren Hau-Drauf-Helden aus dem Dschungel, bei dem sich
Wagemut und ein gewisser Leichtsinn mischen. Hier finden sich Motive
aus dem Ramayana, aber stark abgewandelt. Nicht Sita etwa wird
entführt, sondern das einfache Waldmädchen. Hier steht das Volk im Mittelpunkt, nicht der Adel.
Man findet in RRR die Qualitäten von Rajamoulis Filmen, die oft große, epische, extrem gewaltige, gewalttätige und wilde Szenen enthalten. Aber immer wird alles in einem harmonischen Gleichgewicht gehalten. Rajamouli ist ein Meister solcher Gegensätze, was sich schon in den kleinen Dingen zeigt. Eines der anschaulichsten und augenfälligsten Beispiele ist der bildliche Anfang von BAHUBALI. Auf der einen Seite ist da das beindruckende Bild dieses riesigen Wasserfalls, auf der anderen Seite das in seinem Korb schwimmende kleine Baby, das als erwachsener Mann immer wieder versuchen wird, den steilen, hohen Berg, von dem das Wasser sich kraftvoll ergießt, hinaufzusteigen,. IN RRR findet sich Entsprechendes gleich zu Anfang. Szenen des Tempos, der kraftvollen Energie mit blitzschnellem Laufen einerseits und andererseits ein fast statischer, unglaublich-ungerührter Kampf gegen eine direkt irreale Riesenmenge, um einen einzigen Mann zu verhaften.
Dabei spielt die perfekt
choreographierte Bewegung eine große Rolle. Sowohl die
Tanzchoreographie als auch die im weiteren Sinne, vor allem der
Kamerachoreographie. In dem Lied „Naacho Naacho“ verbindet sich
das auf perfekte Weise. Bei Rajamouli gibt es noch schöne Musik- und
Tanzszenen, die zur Story beitragen. Man darf übrigens nicht vergessen, dass Rajamouli auch
anderes beherrscht als Fantasy und Action. MARYADA RAMANNA (2010) ist
das wunderbare Remake der Buster-Keaton-Komödie OUR HOSPITALISY
(1923). Hauptdarsteller Sunil ist hier in ständiger artistischer
Bewegung. Oder der temporeiche Fliegenfilm EEGA (2012), auch eine
Übung in digitalem Filmen, das bei Rajamouli nie in stumpfsinnige
Videospiel-Hässlichkeit abgleitet und sich von Film zu Film malerisch perfektioniert.
Ästhetischer Höhepunkt von RRR ist die Schönheit der Zeitlupe beim Endsieg Komarams und Rams über die britischen Truppen des Forts. Da verbinden sich pure Gewalt, pure Ästhetik, pures Vergnügen, wenn Politik und Religion sich hier verbinden. Rajamouli verliert sich nie selbstverliebt in seine Stärken. Es ist die Leichtigkeit, die einen ganz offensichtlich genau durchdachten und durchkomponierten Film wie RRR auszeichnet. Rajamouli sorgt für fließende Dynamik und Abwechslung. Auch in RRR macht er aus jeder kleinen Szene ein visuell-dramatisches Juwel, das immer den Dimensionen des Gezeigten angemessen ist. Das sind unzählige kleine Ideen, ohne demonstrativ darauf hinzuweisen: intelligente, präzise Einstellungen, kleine und große dramaturgische Höhepunkte. Nichts wirkt aufgesetzt oder konstruiert. Rajamouli verbindet das heroische „Bigger-than-life“ mit einem alltäglichen „All-das-ist-möglich“. RRR ist eine der besten Filme des Jahres. So viel zumindest kann man jetzt schon sagen.