(Quelle: Indisches Filmfestival Stuttgart)
Dadurch, dass das
Indische Filmfestival Stuttgart 2020 den von Manu Ashokan
inszenierten Malayalam-Film UYARE (2019) ins coronabedingte Online-Programm aufgenommen
hat, konnte ich endlich eine cinephile Lücke füllen. Erwähnt habe
ich den Film zwar schon in meinem Blogbeitrag zu Meghna Gulzars
CHHAPAAK (2020) Anfang des Jahres, allerdings aus zweiter Hand, ohne
ihn gesehen zu haben. Denn es ist ja UYARE mit seinem Autorenteam
Bobby-Sanjay, der das Thema Säureattentat zum ersten Mal auf
ernsthafte und sachliche Art und Weise zum Thema eines kommerziellen
indischen Films gemacht hat, ganz ohne den Masala-Sensationalismus
eines Films wie TEZAAB (1985). Dafür wurde auch mit Opfern
gesprochen. Ein paar von ihnen spielen kurz im Film mit, allerdings
ohne weiter darauf einzugehen, was das für ein Café ist, wo sie
sich da befinden.
Und da wird auch schon
der offensichtliche Unterschied zu CHHAPAAK deutlich, in dem diese
Cafés, in denen Säureopfer arbeiten, bedienen, kochen viel
ausführlicher und in größerem Zusammenhang auftauchen. Ein
direkter Vergleich der beiden Filme ist müßig und unpassend, da es
zwar ganz selbstverständliche Schnittmenge, wie das schwierige
Weiterleben oder die Diskussion gängiger Schönheitsideale, gibt,
aber im Endeffekt grundsätzlich verschiedene Zielsetzungen
verfolgt werden. UYARE ist kein Film über Säureattacken an sich. Er
erzählt anhand eines fiktiven Einzelschicksals eine individuelle
Geschichte nach den Mustern einer klassischen märchenhaften
Mainstream-Geschichte um einen Helden oder eine Heldin, die
Widerstände zu überwinden hat, äußere und innere, und dies auch
schafft. CHHAPAAK hingegen ist anhand eines authentischen Schicksals
ein Film über Säureattentate und Säureopfer im Allgemeinen und ist
damit ein zwar bewegender, aber eben auch offener politischer Film,
der zwar einer der besten des Jahres 2020 ist, doch durch die
Darstellung all der grausamen Hintergründe, Schicksale und
Zusammenhänge sehr schmerzhaft und verstörend zu gucken ist.
Der erste Teil von UYARE
erzählt sehr realistisch eine possessive Beziehungsgeschichte, die
außer Kontrolle gerät, was zu dem Säureattentat führt, wodurch
die großen Träume einer jungen Frau, Pilotin zu werden, ein jähes Ende
finden, denn durch die Tat wurde ihr Sichtfeld eingeschränkt. Der
zweite Teil erzählt dann die Utopie von einem Säureattentats-Opfer
als Stewardess, wobei es abschließend noch zu einer fantastisch
heroischen Tat kommt, kurz gesagt, das Drehbuch wagt sich da erzählerisch sehr
weit vor. Aber Hauptdarstellerin Parvathy Thirovothu verleiht dem Ganzen
bis zum Schluss die nötige Glaubwürdigkeit. Einerseits ist UYARE
zweifellos aufrichtig gemeint und besonders im ersten Teil sehr
gelungen, aber andererseits spürt man das bewusste Ziel der Macher,
dass der Zuschauer sich nicht allzu unwohl fühlt. Aber natürlich
spricht nichts dagegen, mit dem Thema Säureattacke eine im Endeffekt
positive utopische Geschichte zu erzählen.
Dass solche Utopien aber
dennoch nicht völlig unproblematisch sind, zeigt nicht der filmische
Vergleich, sondern der Vergleich der Rezeption, der
Zuschauerreaktionen auf die beiden Filme. Und ohne übertriebene
Schlüsse daraus zu ziehen, so sind besonders die Reaktionen der männlichen Zuschauer interessant, die einem die
Bewertungsstatistik von IMDb frei Haus liefert. Ist bei UYARE eine
auf beide Geschlechter gleichmäßig verteilte Begeisterung
festzustellen, so ist dies bei CHHAPAAK überhaupt nicht der Fall.
Der statistische Stand der Dinge war am 18.7.:
alle Altersgruppen: 5,1
zu 7,5 (männlich zu weiblich)
bei 18-29: 5,6, zu 7,5
bei 30-44: 4,8 zu 7,6
bei 45+: 5,0 zu 7,1
Wenn man dabei bedenkt,
dass bei dieser Bewertung zehn Mal so viele männliche wie weibliche
Nutzer teilgenommen haben, dann erklärt sich die schwachsinnig
niedrige IMDb-Gesamtnote von 5,1. Handelt es sich bei dieser Zahl also um
eine furchteinflößende männliche Psychopathen-Note? Natürlich unmöglich zu
sagen bei diesen wenigen Daten, und sicher auch etwas übertrieben. Aber ich werde den Eindruck nicht los,
dass viele das ungute Gefühl beim Gucken einfach auf die Qualität
des Films abgespalten haben, als wollten sie etwas von ihrem tiefsten
persönlichen Inneren wegschieben. Die User-Rezensionen machen denn auch sehr
deutlich, wie verzweifelt, unsachlich und kategorisch das Haar in der
Suppe gesucht wird: schlechte Regie, schlechte Darsteller. So ein
Blödsinn! Mein Lieblingssatz bei all dem ist von krazzy_aldfo:
„Watch the malayalam movie UYARE and you'll be much more satisfied
than this supposedly true story !!“ Klar, UYARE macht es einem ja
auch leichter.