Dieses Blog durchsuchen

Montag, 20. Juli 2020

UYARE – Über den Wolken

(Quelle: Indisches Filmfestival Stuttgart)

Dadurch, dass das Indische Filmfestival Stuttgart 2020 den von Manu Ashokan inszenierten Malayalam-Film UYARE (2019) ins coronabedingte Online-Programm aufgenommen hat, konnte ich endlich eine cinephile Lücke füllen. Erwähnt habe ich den Film zwar schon in meinem Blogbeitrag zu Meghna Gulzars CHHAPAAK (2020) Anfang des Jahres, allerdings aus zweiter Hand, ohne ihn gesehen zu haben. Denn es ist ja UYARE mit seinem Autorenteam Bobby-Sanjay, der das Thema Säureattentat zum ersten Mal auf ernsthafte und sachliche Art und Weise zum Thema eines kommerziellen indischen Films gemacht hat, ganz ohne den Masala-Sensationalismus eines Films wie TEZAAB (1985). Dafür wurde auch mit Opfern gesprochen. Ein paar von ihnen spielen kurz im Film mit, allerdings ohne weiter darauf einzugehen, was das für ein Café ist, wo sie sich da befinden.

Und da wird auch schon der offensichtliche Unterschied zu CHHAPAAK deutlich, in dem diese Cafés, in denen Säureopfer arbeiten, bedienen, kochen viel ausführlicher und in größerem Zusammenhang auftauchen. Ein direkter Vergleich der beiden Filme ist müßig und unpassend, da es zwar ganz selbstverständliche Schnittmenge, wie das schwierige Weiterleben oder die Diskussion gängiger Schönheitsideale, gibt, aber im Endeffekt grundsätzlich verschiedene Zielsetzungen verfolgt werden. UYARE ist kein Film über Säureattacken an sich. Er erzählt anhand eines fiktiven Einzelschicksals eine individuelle Geschichte nach den Mustern einer klassischen märchenhaften Mainstream-Geschichte um einen Helden oder eine Heldin, die Widerstände zu überwinden hat, äußere und innere, und dies auch schafft. CHHAPAAK hingegen ist anhand eines authentischen Schicksals ein Film über Säureattentate und Säureopfer im Allgemeinen und ist damit ein zwar bewegender, aber eben auch offener politischer Film, der zwar einer der besten des Jahres 2020 ist, doch durch die Darstellung all der grausamen Hintergründe, Schicksale und Zusammenhänge sehr schmerzhaft und verstörend zu gucken ist.

Der erste Teil von UYARE erzählt sehr realistisch eine possessive Beziehungsgeschichte, die außer Kontrolle gerät, was zu dem Säureattentat führt, wodurch die großen Träume einer jungen Frau, Pilotin zu werden, ein jähes Ende finden, denn durch die Tat wurde ihr Sichtfeld eingeschränkt. Der zweite Teil erzählt dann die Utopie von einem Säureattentats-Opfer als Stewardess, wobei es abschließend noch zu einer fantastisch heroischen Tat kommt, kurz gesagt, das Drehbuch wagt sich da erzählerisch sehr weit vor. Aber Hauptdarstellerin Parvathy Thirovothu verleiht dem Ganzen bis zum Schluss die nötige Glaubwürdigkeit. Einerseits ist UYARE zweifellos aufrichtig gemeint und besonders im ersten Teil sehr gelungen, aber andererseits spürt man das bewusste Ziel der Macher, dass der Zuschauer sich nicht allzu unwohl fühlt. Aber natürlich spricht nichts dagegen, mit dem Thema Säureattacke eine im Endeffekt positive utopische Geschichte zu erzählen.

Dass solche Utopien aber dennoch nicht völlig unproblematisch sind, zeigt nicht der filmische Vergleich, sondern der Vergleich der Rezeption, der Zuschauerreaktionen auf die beiden Filme. Und ohne übertriebene Schlüsse daraus zu ziehen, so sind besonders die Reaktionen der männlichen Zuschauer interessant, die einem die Bewertungsstatistik von IMDb frei Haus liefert. Ist bei UYARE eine auf beide Geschlechter gleichmäßig verteilte Begeisterung festzustellen, so ist dies bei CHHAPAAK überhaupt nicht der Fall. Der statistische Stand der Dinge war am 18.7.:
alle Altersgruppen: 5,1 zu 7,5 (männlich zu weiblich)
bei 18-29: 5,6, zu 7,5
bei 30-44: 4,8 zu 7,6
bei 45+: 5,0 zu 7,1

Wenn man dabei bedenkt, dass bei dieser Bewertung zehn Mal so viele männliche wie weibliche Nutzer teilgenommen haben, dann erklärt sich die schwachsinnig niedrige IMDb-Gesamtnote von 5,1. Handelt es sich bei dieser Zahl also um eine furchteinflößende männliche Psychopathen-Note? Natürlich unmöglich zu sagen bei diesen wenigen Daten, und sicher auch etwas übertrieben. Aber ich werde den Eindruck nicht los, dass viele das ungute Gefühl beim Gucken einfach auf die Qualität des Films abgespalten haben, als wollten sie etwas von ihrem tiefsten persönlichen Inneren wegschieben. Die User-Rezensionen machen denn auch sehr deutlich, wie verzweifelt, unsachlich und kategorisch das Haar in der Suppe gesucht wird: schlechte Regie, schlechte Darsteller. So ein Blödsinn! Mein Lieblingssatz bei all dem ist von krazzy_aldfo: „Watch the malayalam movie UYARE and you'll be much more satisfied than this supposedly true story !!“ Klar, UYARE macht es einem ja auch leichter.