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Mittwoch, 22. Juli 2020

KUMBALANGI NIGHTS – Keralapoesie

(Quelle: Indisches Filmfestival Stuttgart)

Madhu C. Narayanans Malayalam-Film KUMBALANGI NIGHTS (2019), ein Regiedebüt, war der schönste Spielfilm des Indischen Filmfestivals Stuttgart 2020 (online), sowohl im Sinne von „schön anzusehen“, als auch ganz simpel im Sinne von „am besten“. Die verträumte Atmosphäre, die ruhige Poesie und eine gewisse abgehobene Leichtigkeit, sowohl in den ernsteren, den tragischeren als auch den lustigeren Szenen, verleihen dem Ganzen etwas magisch Unwirkliches und sorgen für einen echten Erfolg. Dabei ist es faszinierend, wie der Film alle Gefahren umschifft, auf die ein ungeschickter Regisseur bei der Verfilmung des Drehbuchs von Syam Pushkaran aufgelaufen wäre.

KUMBALANGI NIGHTS hat rein formal zwar Züge eines typischen Feelgood-Films, aber ohne die oft künstlichen Probleme und den aufgesetzten, mitunter nervigen Banaloptimismus. Der Film ist auch voller Postkartenbilder vom Fischerdorf Kumbalangi, außerhalb von Kochi liegend, das gleichzeitig ein Öko-Tourismusressort ist und mitunter pittoresk wie ein indisches Bullerby wirkt. Da liegen Kitsch und Reisewerbung für den indischen Bundesstaat Kerala nicht weit entfernt, aber Narayanan verwandelt das Material in echte, authentische, dezent bunte filmische Lyrik. Und der Hang zur Skurrilität, die in Filmen manchmal zu einer amüsierten Entfremdung von den Figuren führt, überschreitet nie gewisse Grenze.

Das Geheimnis des Erfolges ist vor allem, dass der Film an sich glaubt, dass er zu keinen künstlichen Tricks greift. Er ändert zwar ständig die Tonart, aber nicht seinen Grundrhythmus. KUMBALANGI NIGHTS hat auch keine richtige Handlung, keine das stete, ruhige Fließen störenden Dramatisierungen, sondern er bleibt dem lockeren Aufbau bis zum Ende treu. Die Story ist bloß ein Rahmen, aus dem heraus sich die vielen kleinen Szenen entwickeln. Alles bleibt in der Schwebe, etwas abstrakt und fern. Es geht um ewige Themen wie Liebe, Familie, Arbeit, Klassenunterschiede und dennoch wird keine betont tiefe Botschaft angestrebt.

Der Film beginnt mit dem jüngsten von vier Brüdern, der an einer feinen Schule ein Stipendium hat und in den Ferien sein Zuhause besucht, das ihm peinlich ist. Es ist eine kleine Fischerhütte am Ende der Straße, unaufgeräumt, bewohnt von zwei seiner Brüder, die zwar auf dem Papier erwachsen sind, aber so in den Tag hinein leben und sich ständig streiten und sogar prügeln. Sie sind Fischer, die nicht fischen. Es ist eine elternlose Familie ohne Geld, fast ein soziales Todesurteil, wie sie feststellen müssen, als einer der Brüder heiraten möchte. Und da kommt als frisch eingeheirateter Schwager der Braut in spe ein echter Psychopath ins Spiel, dessen Familie vermutlich glücklich war, ihm eine Ehe verschafft zu haben und ihn los zu sein. Eine Mischung aus gefährlich und seltsam ist er, wie gefährlich, erfährt man am Schluss. Am Ende ist dann fast eine kleine Kommune entstanden, eine kleine Utopie, wenn auch nur als Momentaufnahme. Die Touristin wird weiter- oder zurückreisen. Der jüngste Bruder wird wieder auf die Schule gehen. Auch dadurch, dass der Film eine gewisse Demut ausstrahlt, die nicht mit Gewalt zu viel will, wirkt er sehr groß.