(Quelle: Indisches Filmfestival Stuttgart)
Madhu C. Narayanans
Malayalam-Film KUMBALANGI NIGHTS (2019), ein Regiedebüt, war der schönste Spielfilm
des Indischen Filmfestivals Stuttgart 2020 (online), sowohl im Sinne
von „schön anzusehen“, als auch ganz simpel im Sinne von „am
besten“. Die verträumte Atmosphäre, die ruhige Poesie und eine
gewisse abgehobene Leichtigkeit, sowohl in den ernsteren, den
tragischeren als auch den lustigeren Szenen, verleihen dem Ganzen
etwas magisch Unwirkliches und sorgen für einen echten Erfolg. Dabei
ist es faszinierend, wie der Film alle Gefahren umschifft, auf die
ein ungeschickter Regisseur bei der Verfilmung des Drehbuchs von
Syam Pushkaran aufgelaufen wäre.
KUMBALANGI NIGHTS hat
rein formal zwar Züge eines typischen Feelgood-Films, aber ohne die
oft künstlichen Probleme und den aufgesetzten, mitunter nervigen
Banaloptimismus. Der Film ist auch voller Postkartenbilder vom
Fischerdorf Kumbalangi, außerhalb von Kochi liegend, das
gleichzeitig ein Öko-Tourismusressort ist und mitunter pittoresk wie
ein indisches Bullerby wirkt. Da liegen Kitsch und Reisewerbung für den indischen Bundesstaat Kerala nicht weit entfernt, aber Narayanan verwandelt das Material
in echte, authentische, dezent bunte filmische Lyrik. Und der Hang
zur Skurrilität, die in Filmen manchmal zu einer amüsierten
Entfremdung von den Figuren führt, überschreitet nie gewisse
Grenze.
Das Geheimnis des
Erfolges ist vor allem, dass der Film an sich glaubt, dass er zu
keinen künstlichen Tricks greift. Er ändert zwar ständig die
Tonart, aber nicht seinen Grundrhythmus. KUMBALANGI NIGHTS hat auch
keine richtige Handlung, keine das stete, ruhige Fließen störenden
Dramatisierungen, sondern er bleibt dem lockeren Aufbau bis zum Ende
treu. Die Story ist bloß ein
Rahmen, aus dem heraus sich die vielen kleinen Szenen entwickeln.
Alles bleibt in der Schwebe, etwas abstrakt und fern. Es geht
um ewige Themen wie Liebe, Familie, Arbeit, Klassenunterschiede und
dennoch wird keine betont tiefe Botschaft angestrebt.
Der Film beginnt mit dem
jüngsten von vier Brüdern, der an einer feinen Schule ein
Stipendium hat und in den Ferien sein Zuhause besucht, das ihm
peinlich ist. Es ist eine kleine Fischerhütte am Ende der Straße,
unaufgeräumt, bewohnt von zwei seiner Brüder, die zwar auf dem
Papier erwachsen sind, aber so in den Tag hinein leben und sich
ständig streiten und sogar prügeln. Sie sind Fischer, die nicht
fischen. Es ist eine elternlose Familie ohne Geld, fast ein soziales
Todesurteil, wie sie feststellen müssen, als einer der Brüder
heiraten möchte. Und da kommt als frisch eingeheirateter Schwager
der Braut in spe ein echter Psychopath ins Spiel, dessen Familie
vermutlich glücklich war, ihm eine Ehe verschafft zu haben und ihn
los zu sein. Eine Mischung aus gefährlich und seltsam ist er, wie
gefährlich, erfährt man am Schluss. Am Ende ist dann fast eine
kleine Kommune entstanden, eine kleine Utopie, wenn auch nur als
Momentaufnahme. Die Touristin wird weiter- oder zurückreisen. Der
jüngste Bruder wird wieder auf die Schule gehen. Auch dadurch, dass
der Film eine gewisse Demut ausstrahlt, die nicht mit Gewalt zu viel
will, wirkt er sehr groß.