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Dienstag, 22. Dezember 2020

Anurag Basus LUDO – Das ganze Leben ist ein Spiel

Das Leben ist wie „Mensch ärgere dich nicht“, international auch als „Ludo“ bekannt. Das ist die Grundweisheit von Anurag Basus gleichnamiger Hindi-Gangster-Action-Komödie LUDO (2020), das hier sogar ein Spiel des Totengottes, in der Gestalt von Basu selbst, und seines Buchhalters ist, die dann durch das Chaos, das sich abgespielt hat, in ihrer ironischen Allwissenheit schreiten. Denn sie sind, wie die Kamera und mit ihr die Zuschauer, immer pünktlich am zentralen Ort des Geschehens. Natürlich ist das alles bloß ganz amüsanter Formalismus, der eigentlich nur helfen soll, die einzelnen Episoden in diesem Schachtelfilm zusammenzuhalten. Natürlich ist das Leben nicht wie Ludo, denn nach dem Herauswurf darf man ja mit einer Sechs wieder auf dasselbe Spielfeld zurück. Wiederauferstehung statt Wiedergeburt sozusagen. Also vielleicht ist das Leben ja eher wie „Schiffe versenken“, da geht man unter und das war's, aber das Spiel hat man ja mit dem Trash-Blockbuster BATTLESHIP (2012) vor ein paar Jahren schon verfilmt. Und übrigens, ich habe gerade einen Artikel gelesen, in dem es hieß, nicht nur das Leben, nein, das ganze Universum, sozusagen unsere universale Existenz, seien wie Schach. Genau genommen habe ich aber nur etwa die Hälfte gelesen. Dann hatte ich keine Lust mehr auf die ganze verwurstete Logik. LUDO allerdings habe ich ohne Pause, Toilettenpause nicht mitgerechnet, bis zum Ende geguckt, weil ja doch auch so einiges passiert und es über weite Strecken sehr unterhaltsam ist.

Nach der Eröffnung durch einen Mord finden sich nach und nach alle im Hauptquartier eines Gangsters ein. Und da kommen alle Figuren-Farben aufs Spielfeld in Form einer stilgerechten Eröffnung, denn dabei müssen sie über einen tiefen Wassergraben springen. Und dann findet erst mal durch eine Explosion ein Massenherauswerfen mit vielen Toten statt. Solch ein Massenschlachten gibt es noch einmal am Ende. Und man hat das Gefühl, dass Basu den Film vor allem für die ausgeklügelten Konstruktionen des Anfangs und des Endes gedreht hat. Leider wird es in der langen Mitte hin und wieder etwas gedehnt. Die vier Hauptspielfiguren, zu denen sich noch einige Partnerfiguren gesellen, sind: außer dem Gangster ein junger Mann auf der Suche nach einem die Frau kompromittierenden Sexvideo, ein Gangster mit Sehnsucht nach seiner kleinen Tochter, ein unglücklich verliebter Restaurantbesitzer.

Das Beste am Film ist nicht die amüsant-theoretische Ludo-Prämisse, sondern sind die äußerst gut gelaunten Darsteller, denen das Ganze offensichtlich Spaß gemacht hat. Alle überragend ist Rajkummar Rao als tragikomisch verliebter Ex-Gangster im peinlichen Mithun-Chakraborty-Look, der der Liebe seines Lebens, die einen anderen geheiratet hat, einfach nichts abschlagen kann. Anstatt klugerweise das Weite zu suchen, wenn sie auch nur am Horizont auftaucht, erstarrt er, hängt an ihren Lippen und tut, worum immer sie ihn bittet. Und das ist nicht wenig. Dann ist da Pankaj Tripathi als unendlich schmieriger Gangster. Aditya Roy Kapoor als mittelloser Bauchredner, Synchronsprecher und Stimmenimitator. Oder Sanya Malhotra, die reich heiraten will, aber sich gerne wider besseres Wissen volllaufen lässt und dumme Sachen macht. Und während alle sich auf die eine oder andere Art austoben dürfen, hat Abhishek Bachchan die Rolle des Verlierers und Ausgestoßenen, der sowieso keine Chance hat. Mit überwiegend finsterem Gesichtsausdruck und demonstrativ vorgeschobener Unterlippe absolviert er seinen Part, um den herum die ewig lange Entführungsgeschichte aus Basus BARFI (2012) neu aufgekocht wird. Als wäre es da nicht schon ausreichend überstrapaziert worden. Da hätte man Bachchan etwas Originelleres gegönnt. Das ist definitiv der schwächste Teil des ganzen Erzählknäuels.

Mit diesem großen Ensemblefilm knüpft Basu von der Struktur her an seinen, neben GANGSTER-- A LOVE STORY (2006), schönsten Kinofilm LIVING IN A … METRO (2007) an, der auch verschiedene Schicksale miteinander verflochten hat. Sonst macht es sich Basu ja ganz gerne sehr leicht. Seine beiden wohl bekanntesten Filme sind reine, technisch einwandfreie Oberflächenwerke, stylisch, perfekt gemacht, aber bei genauerer Betrachtung ziemlich leer. Einmal KITES (2010) mit seiner Hochglanzfassade und Hrithik Roshans breitem Damenbezauberungs-Dauerlächeln, das die, auf die es nicht wirkt, durchaus nerven kann. Und dann die aufgesetzte Dauernaivität von BARFI mit seiner Penetranzpoesie. Auch in seiner TV-Arbeit springt Basu unbefangen von Anspruchsvollerem wie der TV-Serie STORIES BY RABINDRANATH TAGORE (2015) zu einer Rolle als Jurymitglied in „Super Dancer“. Bei LUDO, der sich irgendwo dazwischen bewegt, verflüchtigt sich jetzt in den besten Momenten erfreulicherweise alles in Action, Tempo, Chaos und Ironie.