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Dienstag, 27. Oktober 2020

J.P. Duttas PALTAN – Grenzkampf im Niemandsland

Im Mai und Juni 2020 kam es zu, im wörtlichsten Sinne, handgreiflichen Grenzstreitigkeiten zwischen China und Indien in Ladakh in Kaschmir und weiter südlich in Sikkim. Die Auseinandersetzungen in Ladakh führten zu schweren Verletzungen bei indischen Soldaten, ohne dass ein Schuss abgefeuert wurde. 20 von ihnen starben schließlich. Vermutlich wurde mit Steinen geworfen und geprügelt bis zum Totschlag. Die chinesische Seite gab keine Zahlen über Verletzte und Tote an die Öffentlichkeit. Wenn sich also in J.P. Duttas Hindi-Film PALTAN (2018) chinesische und indische Soldaten über eine primitive Grenzmarkierung hinweg prügeln und mit vom Boden aufgesammelten dicken Steinbrocken bewerfen, dann ist das nicht einfach bloß eine historische Szene von 1967, sondern es hat aktuelle, ganz allgemeine Bedeutung, auch wenn der Film zwei Jahre vorher entstanden ist. An der Grenze brodelt es ständig.

PALTAN ist an sich ein Kommentar zum Verhältnis der beiden Länder. Regisseur Dutta sagte: „PALTAN enthält alles, was ich über die indisch-chinesischen Beziehungen sagen wollte.“ Bei diesen Grenzstreitigkeiten geht es im Kern darum, dass China die alten Kolonialgrenzen nicht anerkennen will. Und heutzutage geht es auch um die expansive Strategie Chinas, die nicht nur in Indien als „Schuldenfallenpolitik“ kritisiert wird, und womit China sich überall einkauft, wo es geht und Länder von sich abhängig macht. Wie übrigens auch in Griechenland oder Bulgarien. Es gibt Grund genug, sich ein Beispiel an Indien zu nehmen und gegenüber Chinas „Belt and Road Initiative“ großes Misstrauen zu haben.

CIA-Karte: Shows southern part of China and northern part of India. Border disputes marked. (Wikimedia Commons)
 
Nach der Unabhängigkeit waren die Beziehungen beider Länder eigentlich positiv. Die Verschlechterung setzte mit dem indischen Asyl für den Dalai Lama im Jahre 1959 und der Veränderung im chinesisch-sowjetischen Verhältnis ein. Der erste Krieg zwischen China und Indien begann dann 1962 mit einem für Indien überraschenden und massiven Überfall, der viele indische Soldaten das Leben kostete. Ein hinterhältiger Überfall, aber die Inder waren auch in gutgläubiger Weise nicht vorbereitet. Die naive Politik des Vertrauens auf den Friedenswillen des Nachbarn, mit dem man brüderlich in Frieden leben wollte, war also vorbei. Chetan Anand machte aus diesem Trauma mit HAQEEQAT (1964) einen seiner besten Filme. 1967 schien sich Ähnliches in Sikkim zu wiederholen. In Nathu La kam es im September zu mehrtägigen kriegerischen Handlungen. Aber diesmal waren die Inder strategisch und moralisch besser vorbereitet und entschieden die Kämpfe für sich. PALTAN ist eine Interpretation dieser Ereignisse aus indischer Sicht. Geschildert wird der Krieg von 1967 ganz bewusst auch als Vergeltung für die Hinterhältigkeit von 1962. Man kann es also durchaus patriotische Propaganda nennen. Das fängt schon bei den Gesichtern an. Die chinesischen Soldaten sind ständig wütend und aggressiv, hassverzerrt. Die indischen Soldaten gucken wie normale Menschen.

Auch wenn man die vielen negativen Kritiken nicht teilt, muss man zugestehen, dass PALTAN zwischendurch tatsächlich ein zwiespältiges Erlebnis ist. So sind beispielsweise die Rückblenden der einzelnen Soldaten auf das Leben zu Hause eine erhebliche Schwachstelle und wirken eher wie lebendige Postkarten, die einen nicht wirklich berühren. Wenn man die Soldaten auf ein zerknittertes schwarzweißes Foto von Frau, Kindern, Familie gucken sieht, ist das weitaus bewegender. Auch das Zusammenleben der Soldaten wirkt manchmal etwas hölzern, aber im Endeffekt überwiegen doch die positiven Elemente.

PALTAN beginnt gleich beeindruckend mit zwei ausgezeichneten Szenen, die das Jahr 1962 prologartig zusammenfassen. Es beginnt mit einem blutigen Massaker der chinesischen Kommunisten an indischen Soldaten. Als Nächstes sieht man einen Briefträger, der sich mit dem Fahrrad durch die Straße eines Dorfes bewegt und bei einer Familie nach der anderen ein Telegramm abliefert, worauf dann hinter den hohen Mauern das große Klagen beginnt, ohne dass man irgendetwas sieht. Es wäre besser gewesen, diesen elliptischen, zurückhaltenden Stil auch weiter beizubehalten, dann wären da beispielsweise nicht die erwähnten Postkartenszenen, die natürlich auch einen Gegensatz bilden sollen zu der öden, kargen Berglandschaft, wo es nichts als Sand und Steine gibt. Das Beste aber an PALTAN ist, wie detailliert die Entwicklung dieses Grenzkonflikts gezeigt wird, aber vielleicht muss man sich für die Feinheiten internationaler Politik und des Militärs interessieren, um das alles mächtig spannend und interessant zu finden. Aber es ist Dutta anzurechnen, dass er diese kleinen Einzelheiten, die langsame Eskalation, nicht vereinfacht.

Indien-China, das ist für J.P. Dutta vor allem eine Auseinandersetzung zweier Mentalitäten. Auf der einen Seite steht eine maoistische Politik der Provokation und Hinterhältigkeit, der die Inder mit ihrem direkteren Denken und Zugang zunächst nichts entgegenzusetzen haben. Dann kommt ein neuer befehlshabender Offizier, gespielt von Arjun Rampal, der in England war und vom britischen Militär Taktik gelernt hat. Und er hat die Unterstützung des zuständigen Generals. Die Strategie lautet von nun an, schlauer zu werden, auch so unverschämt zu sein wie der Gegner. Die maoistische Terrortaktik geht von der ständigen Verstörung des Gegners aus, also muss man die Chinesen selbst aus der Fassung bringen. Das zerstört ihre Sicherheit, die oft nur eine künstliche Maske ist. Wenn die Chinesen in einem Scheinangriff auf die Grenze zustürmen, wo sie dann stehenbleiben, dann macht man eben auch mal dasselbe. Die Chinesen errichten einen Bunker, heben einen Schützengraben auf indischem Gebiet aus? Dann muss eben ein Zaun errichtet werden. Und so werden all die kleinen Eskalations-Schritte bis zur unvermeidlichen Auseinandersetzung gezeigt. Der Film endet dann, wie er angefangen hat, mit einer dramaturgisch verdichteten Schlacht mit vielen Toten. Im Ganzen also für etwa 150 Minuten gar nicht so viel Action. Aber genau da liegt ja, trotz der Schwächen, die Stärke des Films.


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