Dieses Blog durchsuchen

Dienstag, 20. Oktober 2020

Hansal Mehtas SHAHID – Die Beschleunigung der Justiz

 

Hansal Mehtas auf Tatsachen beruhender Hindi-Film SHAHID (2013) beginnt mit einem Mord, den man nicht sieht, sondern nur hört. Der Mord an einem offensichtlich Ahnungslosen, der seine Mörder gerade noch freundlich hineingebeten hat. Kurz danach fallen Schüsse. Am Ende des Films, als dieser Augenblick wiederholt wird, sieht man die Mörder nur als verschwommene Schemen.

Dass dieser Mord im Jahre 2010 an dem Anwalt Shahid Azmi einer mit Ansage war, davon handelt SHAHID auch. Denn ernst zu nehmende Drohungen gegen ihn hatte es schon lange gegeben. Und alles im Prinzip nur, weil Shahid seine Arbeit als Anwalt korrekt ausführt, im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen ohne Zynismus, ohne aufs Geld zu schielen, ohne die Verdrehung von Tatsachen und Beweisen, ohne manipulierte Zeugen. Er verteidigt bevorzugt Menschen, gegen die es keine ausreichenden Beweise gibt und die daher als unschuldig zu gelten haben.

SHAHID schildert ein Land mit einem an sich absolut funktionierenden Rechtssystem, das aber einerseits zu langsam arbeitet und wo andererseits in gewissen Fällen Teile der Bevölkerung und auch des Staatsapparates nicht der Meinung sind, dass die Prinzipien des Rechtsstaates konsequent Anwendung finden sollten. Das gilt vor allem für die Anti-Terror-Gesetze. Und viele von Shahids Klienten sind nun einmal individuelle Kollateralschäden der Anti-Terror-Ermittlungen und sich daraus ergebender Verhaftungen. Mit seinen erreichten Freisprüchen blamiert er ein unter Druck stehendes Ermittlungs- und Anklagesystem, das zur Not auch manipuliert. SHAHID demonstriert dies anschaulich anhand von zwei beispielhaften, dramaturgisch verdichteten Fällen. Ungemütlich für Shahid wird es besonders, als er Angeklagte der schlimmen islamischen Terrorattentate von 2006 verteidigt.

SHAHID beruht auf gründlichen Recherchen, wobei auch mit der Familie gesprochen wurde. Shahid Azmi macht das, was ihm richtig erscheint, ein bisschen auch, als könnte er die eigenen Wunden damit heilen. Denn er hat genug eigene Erfahrungen. Als junger Mann mit Brüdern und Mutter übersteht er 1992 schwere anti-islamische Ausschreitungen. Danach sieht man ihn in einem Ausbildungslager von Kaschmir-Terroristen. Aber dort ist er nur kurz, denn daraus flieht er, als er anschaulich den wahren Kopf-ab-Sadismus dieser Menschen vorgeführt bekommt. Aber die Spur seiner Verbindung verschwindet nicht und wegen einer Telefonnummer auf dem Handy eines Terroristen kommt er ins Gefängnis. Dort gerät der leicht naive junge Mann fast an die Dschihad-Rattenfänger, die Nachwuchs und Neuzugänge mit schönen, sanften Worten und geschliffener Rhetorik für später rekrutieren. Davor wird er bewahrt von zwei Helfern, einem Professor und einem unschuldig eingesperrten Mann, die ihn ermuntern weiter zu lernen und zu studieren. Und tatsächlich schafft er es, wieder draußen und als unschuldig rehabilitiert, Anwalt zu werden.

Rajkummar Rao, der hier seine große Durchbruchsrolle hatte, macht bis zum Schluss keinen Helden aus Shahid. Am Anfang wirkt er bloß wie ein verwirrter großer Junge, der auf naive Weise wütend wird und dies fast in Terrorismus kanalisiert hätte. Aber eine gewisse Getriebenheit bleibt, und die nutzt er für seine Arbeit. Das Justizsystem ist zu langsam? Er beschleunigt es mit unbestechlicher Logik. Er bringt Tempo, Energie, Ungeduld und Empörung in diese träge, manchmal auch bewusst träge, Ermittlungsbürokratie. Seine besondere Art kann privat aber ebenso unerwartet, direkt verstörend auf die Menschen in seiner Umgebung wirken. Einen Heiratsantrag stellt er ganz unvermittelt in einer nicht sehr gepflegten Lokalität. Er bekommt jede Hilfe seiner traditionellen Familie, verschweigt aber die Heirat mit einer modernen, geschiedenen jungen Frau. Aber im Endeffekt ist ihm die Arbeit immer wichtiger als das Persönliche. Er kann nicht aufhören, und Rao spielt dies eher als unaufhörliche innerlich notwendige Zwangshandlung denn als irgendwie bewussten Heroismus.

Diese Darstellung der Figur Shahid passt zu dem sehr improvisiert gedrehten Film mit seinem rauen Stil und der alles andere als gelackten, einheitlichen Lichtsetzung. SHAHID ist ein sehr angespannter Film, ruhelos, mit leichter Nervosität, ohne jedoch hektisch zu sein. Die Lebensstationen gehen ziemlich eilig ineinander über und es gibt mit intensivierter Dramatik eine Konzentration auf das Wesentliche. Die Kamera ist beweglich, anpassungsfähig. Kleine, kaum merkbare Jump Cuts in derselben Einstellung, mal ein Stück näher, dann ein Stück weiter, sorgen für eine gedankliche Fragmentierung, obwohl alles zeitlich chronologisch erzählt wird. Zu Recht hat Editor Apurva Asrani Drehbuch-Credits bekommen, denn tatsächlich trägt diese Erzählweise mit ihrem regelmäßigen, aber unaufhörlich pulsierenden Rhythmus, unerhört viel zu Inhalt und Atmosphäre bei.