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Samstag, 26. September 2020

Raj Kumar Guptas GHANCHAKKAR – Geld und Eifersucht

GHANCHAKKAR (2013) ist der einzige der fünf Spielfilme von Raj Kumar Gupta mit echten, starken Komödien-Elementen. Eigentlich hat er ja bisher vorwiegend sehr ernste Thriller-Dramen gedreht – fiktiv authentisch oder sogar direkt inspiriert von wirklichen Ereignissen – auch wenn sein bisher bestes Werk, der Steuerfahndungs-Film RAID (2018) mit Ajay Devgn, ausgeprägt absurd-komische Momente hat, wenn man etwa als Zuschauer aus dem Staunen über die erfindungsreichen Schwarzgeldverstecke auf dem Anwesen nicht herauskommt.

GHANCHAKKAR (2013) ist einer dieser schönen Filme, die zwischen den Stühlen sitzen und schwer einzuordnen sind, aber auch nicht zum Masala-Film gehören, wo ja so ziemlich alles erlaubt ist. Vielleicht eine Erklärung dafür, dass es leider nicht den eigentlich verdienten Erfolg gab. Es beginnt als Ehekomödie, wird dann zum heiteren Heist-Film und vermischt dann Ehe- und Eifersuchtsdrama mit dem Thriller-Genre, alles gewürzt mit krudem Humor. Ohne die Ehegeschichte wäre GHANCHAKKAR im Übrigen einer von vielen absurden Thrillern, bei denen in den Kritiken grundsätzlich mindestens einmal auf Tarantino verwiesen wird. Wer aber Entsprechendes in Reinform erwartet, der wird tatsächlich enttäuscht, denn lange Zeit dreht sich die Handlung bloß ziemlich still stehend im Kreis, während sich ein Ehedrama entspinnt. Und dann hat es zwischendurch mehr mit Claude Chabrols Eifersuchtsdrama DIE HÖLLE (1994) zu tun als mit oft zum Zynismus neigenden Thrillern.

Im Mittelpunkt steht ein Ehepaar: Emraan Hashmi als echt authentischer Ehemann wie aus dem Bilderbuch: träge und ständig vor dem Fernseher. Vieles lässt er einfach nur resigniert und regungslos über sich ergehen. Vidya Balan ist die muntere, quietschlebendige Ehefrau, die immer etwas overdressed die neuesten Sachen an der Grenze zur Geschmacklosigkeit trägt, denn ihre Nase steckt ständig in Zeitschriften wie Vogue und Femina. Und sie kann sehr böse werden, wenn jemand den Salzgehalt ihres gekochten Essens kritisiert.

Dann bekommt der Mann von zwei kleinen, etwas trotteligen, aber ganz und gar nicht ungefährlichen Gangstern das Angebot eines nächtlichen, sehr einträglichen Bankraubs, zu dem er nicht nein sagen kann. Die Frau gibt immerhin ordentlich Geld aus, und er selbst könnte einen neuen großen Fernseher gebrauchen. Vor allem die Aussicht auf Letzteres lässt sein sonst etwas apathisches Gesicht merklich aufleuchten. Nach dem Coup soll er das Geld aufbewahren. Drei Monate später wollen die anderen beiden das Geld teilen, aber der Mann hat aufgrund eines Unfalls das Gedächtnis verloren. Oder zumindest Teile davon. Das kann sich sehr unterschiedlich äußern, erläutert sein Arzt. Und tatsächlich wird es immer schlimmer mit ihm. Oder tut er nur so? Das fragt ihn selbst seine Frau, die ins Zweifeln geraten ist. Zweifel und Unsicherheit sind bis zum Schluss elementare Bestandteile von GHANCHAKKAR und sorgen für die bis zum Schluss anhaltende innere Spannung.

Raj Kumar Gupta erzählt das alles mit seinem gewohnten einfachen, direkten Realismus ohne Effekte. Es gibt nach und nach eine vorsichtige Steigerung der Intensität, des Rhythmus, ganz unmerklich. Die Suche nach dem vergessenen Geld ist eine ständige, erfolglose, absurde Wiederholung mit leichten Variationen, parallel zu seiner Vergesslichkeit. Mit dem steigenden Druck, endlich das geraubte Geld finden zu müssen, und seiner gleichzeitig immer schlimmeren Vergesslichkeit wird der Mann hilfloser, aber nach und nach auch aggressiver, was ja eigentlich ganz gegen seine Natur ist. Das ist eine Wut als Reaktion auf das Entgleiten seiner Welt. Hashmi ist ausgezeichnet. Und da seine Figur sonst so still ist, überzeugen die Ausbrüche um so mehr. Große Teile des Films sind reines Kammerspiel in der Mittelklasse-Wohnung des Ehepaares. Gupta behält die Zügel bis zum Schluss kontrolliert in der Hand, lässt die Story nicht entgleiten. Also auch wenn die Handlung am Ende in den Irrsinn abgleitet, bleibt alles übersichtlich. Und auf einen blutigen bizarren Höhepunkt folgt ein düsterer Anti-Klimax.

Aber GHANCHAKKAR ist eben auch der erwähnte Ehe- und Eifersuchtsfilm, ein Film über Misstrauen und Wirklichkeit. Denn je mehr der Mann vergisst, um so mehr bastelt er sich die Einzelteile, die er zufällig mitbekommt oder erfährt und die an die er sich erinnert oder nur zu erinnern glaubt, zusammen und trifft doch nie die Wahrheit. Dieses immer psychotischere, nur scheinbar sinnvolle Zusammenfügen einzelner Indizien, ergibt in Wirklichkeit eine total schiefe Fiktion, ein Wahnbild. Er beginnt mit kleinen Einbildungen und verliert sich in einem klebrigen Netz aus reinen Vorstellungen und falschen Schlüssen. Der Stress macht es natürlich nicht besser. Gupta geht hier wie nebenbei, im Rahmen von Genre-Elementen, sehr rational und unsentimental, aber unterlegt von stiller Tragik, mit dem Verlust des Ichs, der Persönlichkeit und der Vergangenheit um. Im weitesten Sinne gehört GHANCHAKKAR natürlich zu den modernen Demenz-Filmen, die aber immer ein bisschen auf die Betroffenheits-Tränendrüse drücken, was ein einfacher Weg ist. Aber auch GHANCHAKKAR erweist sich am Ende als ein trauriger Film.