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Sonntag, 20. September 2020

GANDHI TO HITLER – Ein Untergang mit Holi

 

Was die meisten nicht wissen: Es gibt eine Art Bollywood-Remake des deutschen Films DER UNTERGANG (2004), der bekanntlich Hitlers letzte Zeit im Berliner Bunker zeigt. Der von Rakesh Ranjan Kumar inszenierte indische Film von 2011 hat zwei Titel, einen indischen und einen internationalen: GANDHI TO HITLER und dann den irgendwie doch missverständlichen DEAR FRIEND HITLER. Vielleicht nicht die beste Idee, auch wenn der Ausgangspunkt für diese kreative Betitelung eines Bunker-Kriegsfilms zwei authentische Briefe sind, die Gandhi an Hitler geschickt hat mit der Bitte, er solle doch seine Untaten unterlassen. Wie im deutschen Original ist das Wichtigste des Films der Führer untertage mit seinen letzten Getreuen. Und natürlich dürfen die von Mama Magda ermordeten Kinder des Goebbels-Ehepaares nicht fehlen.

Oliver Hirschbiegels Film DER UNTERGANG (2004) hat also kräftig was angerichtet. Und nur der arme, naive Lars von Trier war so dumm, es laut auszusprechen und wurde gemeinerweise dafür in pseudobetroffener Manier abgestraft. Von „Mitleid mit Hitler“ in seinem Bunker hatte er auf einer Pressekonferenz in Cannes fabuliert. Aber das ist schließlich das Prinzip des Films. Denn diese Bernd-Eichinger-Produktion verwandelt Hitlers Ende unten im Bunker in eine Tragödie Shakespeareschen Ausmaßes in der Tradition der Königsschurken wie „Macbeth“ oder „Richard III.“ Als Alibi gibt es ja die Parallelmontage der fürchterlichen Gewalt in Berlin. Doch im Endeffekt dreht sich alles um Bruno Ganz' Darstellung und seinen immer mehr in sich zusammensackenden Führer, der endlich romantisch frei ist zu heiraten, um mit seiner Angetrauten Eva Braun ein paar Stunden später ins Germanen-Walhalla zu entschwinden. Deshalb ist G.W. Pabsts DER LETZTE AKT (1955) der bessere Film, denn im Mittelpunkt steht hier ein skeptischer Offizier, der Hitler sehen und sprechen muss, um ihn über die tatsächliche Kriegssituation aufzuklären. Aber der Führer ist längst wahnsinnig und nicht mehr normal ansprechbar. Da ist nichts Menschliches mehr, der Hass seiner Politik hat den letzten Verstand weggefressen. DER UNTERGANG mag aus überprüfbaren Fakten zusammengestückelt sein, aber die Wahrheit hinter dieser sichtbaren Wirklichkeit findet sich eher bei Pabst. Hitler hat bei ihm zumindest nichts mitleiderregend Tragisches.

Nichts Tragisches hat auch die Hitler-Figur in GANDHI TO HITLER, auch wenn die Zeichen des Tragischen imitiert, nachgespielt werden. Aber da die ganze Atmosphäre nur Schmierentheater ausstrahlt, ist es durch und durch eine unfreiwillige Satire, wirkt wie ein parodistisches, billiges Avantgardetheater. Aber er schimpft und schreit schön und keifend wie ein Rohrspatz. Und der Zuschauer amüsiert sich dabei ganz unanständig. Nebenbei bemerkt fühle ich mich nicht ganz wohl bei diesem Spott, denn eigentlich sind hier auch angesehene Schauspieler wie der Hitler-Darsteller Raghubir Yadav beteiligt. Aber sie waren nun mal dabei. Mitgefangen, mitgehangen. Einmal liest der Adolf dem Josef Goebbels etwas aus Shakespeare vor. Da wirkt der Adolf noch kleiner als sowieso. Denn eine faszinierende Besetzung in dem Film ist die von Goebbels. Ein großer stattlicher Model-Typ, gegen den der Gartenzwerg Adolf zwei Köpfe im Boden versinkt. Das ist umso lustiger, als dass der echte Hitler auf allen Fotos ein kleines Stück über seinen Propagandaminister hinausragt. Eva Brown ist hier ein echtes sexy Item-Girl wie aus einem Hindi-Film-Cabaret. Aus Albert Speers Nachname wurde übrigens Speers, vermutlich hatte da jemand zu viel Britney im Kopf. Dieser indische Hitler hat also schon rein äußerlich so gar nichts mit Bruno Ganz zu tun. Am ehesten erinnert er an den bekanntesten Hitler-Typ der indischen Filmgeschichte, den kleinen schimpfenden Gefängnisaufseher aus dem modernen Curry-Western SHOLAY (1975). Das ist so prägend, dass man sich wohl ganz automatisch daran orientierte. Oder man fand keinen anderen Darsteller. Das kann ja auch sein. Man hatte ja Anupam Kher gefragt, der aber sicher auch ohne Fanproteste rechtzeitig die Flucht ergriffen hätte.

Statt der Zerstörung Berlins, auch wenn es einige Archivaufnahmen vom Kriegsgeschehen gibt, zeigt der Film britisch-indische Soldaten, die sich als Kriegsgefangene der Deutschen von Subhash Chandra Bose verführen ließen, um mit den Deutschen den Freiheitskampf gegen die Engländer zu führen und die nach dessen Abreise aus Deutschland hilflos in der SS landeten. Im Film irren sie durch Europa, möchten zurück nach Indien und unterhalten sich in Form von Dialogen voller weiser Platitüden. Natürlich überlebt keiner die Odyssee. Sie müssen für ihren Glauben an die Gewalt dramaturgisch bestraft werden. Aber vorher ist der Film wirklich erfindungsreich. Rückblenden in die indische Vorkriegszeit gibt es. Und auf die Art schaffen die Macher es, in einen Hitler-Bunker-Film nicht nur eine bunte Holi-Szene, sondern ein ganzes Holi-Lied unterzubringen. Da möchte man begeistert Beifall klatschen, denn auf die Idee wären die Produzenten in dem Mel-Brooks-Film THE PRODUCERS (1967), die das geschmacklose Nazi-Musical „Frühling für Hitler“ auf die Beine stellen, zu Recht stolz gewesen.

Sowohl Hitler als auch die Soldaten haben eben nicht auf Gandhi und seine Ideologie der Gewaltlosigkeit gehört. Als Gegensatz zu Hitler steht hier der heilige Gandhi, der diese Ideologie vertritt und der hier ständig durch die Gegend wandert und weise Sprüche für seine hübschen weiblichen Gefolgsdamen absondert, darunter auch die Ehefrau eines der in Europa zugrunde gehenden indischen Soldaten. Man könnte die grobschlächtige pazifistische Logik des Films übrigens weiterspinnen und den Alliierten vorwerfen, dass sie überhaupt gegen Deutschland Krieg geführt haben. Wieso hat man nicht einfach pazifistische Menschenketten mit Kerzen in den Händen gegen die vorrückende Wehrmacht gebildet. Die wären bestimmt stehen geblieben, um bloß keinem weh zu tun. Und überhaupt die Juden. Die haben laut Gandhi ja sowieso alles falsch gemacht, wie er es zwar nicht in einem Brief, sondern in einem Interview 1946 formuliert hat: „Hitler hat fünf [sic] Millionen Juden getötet. Das ist das größte Verbrechen unserer Zeit. Aber die Juden hätten sich dem Schlachtermesser selbst opfern sollen. Sie hätten sich von Klippen ins Meer stürzen sollen … Es hätte die Welt und das deutsche Volk aufgeschreckt … So wie es ist, sind sie sowieso millionenfach erlegen.“ Um es mal frei mit Krishnamurti zu sagen: Eine reine Ideologie der Gewaltlosigkeit ist eben genauso dumm wie eine reine Ideologie der Gewalt. Genauso dumm wie der Film, dessen Macher aber die Bauernschläue besaßen, die Premiere auf den Filmmarkt in Cannes zu legen, sodass man zwangsläufig etwas von einer Uraufführung in Cannnes im Netz lesen kann, als wäre GHANDI TO HITLER Teil des Festivalprogramms gewesen. Was dieser seltsamen Skurrilität aber auch nichts genützt hat.