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Donnerstag, 30. Januar 2020

Ajay Devgn in TANHAJI – Martialische Worte

TANHAJI – THE UNSUNG WARRIOR (2020) von Regisseur Om Raut mit Ajay Devgn in der Titelrolle ist ein erfolgreicher Film. Allerdings sind die Gründe für den Erfolg nicht hauptsächlich filmischer Natur. Um das festzustellen, muss man den Film eigentlich nicht einmal gesehen haben. Die nüchternen Zahlen sagen dies schon. Die Business-Seite livemint meldete am 20. Januar, dass 50% des Einspielergebnisses aus dem Bundesstaat Maharashtra stammt. Und wenn man in einer IMDb-Rezension lesen kann, dass ein Zuschauer „eine Gänsehaut“ verspürte, als er zum ersten Mal in der Geschichte des Weltkinos Shivaji, den Begründer des großen Maratha-Reiches, im Kino sah, dann wird klar, dass es hier nicht vorwiegend um Ästhetik oder Spannung, sondern um Politik, emotionalen Nationalismus, für die Gegenwart ideologisch genutzte Vergangenheit geht.

Ganz vertrauenerweckend wird im Vorspann denn auch ein beratender Experte zu dem Thema genannt. Damit kann man einerseits natürlich möglichen Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen. Es ist aber auch ein Deckmantel, denn selbst wenn die Eckdaten und grundsätzlichen Fakten allesamt korrekt sind, hat man es hier doch in jeder Hinsicht mehr mit Spektakel zu tun als mit ernsthaftem Historienfilm. Schon gleich zu Anfang sieht man Devgn an Tauen durch die hohen bergig zerklüfteten Lüfte fliegen, um den Gegner zu überraschen.

Der Film schildert Ereignisse, die in die Schlacht von Sinhagard am 4. Februar 1670 mündeten. Konkret trafen hier der Maratha-Heerführer Tanaji Malusare (1600-1670) auf den Mughal-Heerführer Udaybhan Singh Rathore. Diese waren jeweils Shivaji (1630-1680) und Großmogul Aurangzeb unterstellt. Die beiden Kontrahenten werden dargestellt von Ajay Devgn und Saif Ali Khan, würdiger Held trifft hier auf sadistische Giftspinne. Sie bringen Leben in den Film. Shivaji selbst bleibt ein wenig im Hintergrund und seine Darstellung geschieht ganz offensichtlich mit der höchsten Vorsicht, um ja auch niemanden zu verärgern. Er ist die leibhaftige heilige Perfektion und bleibt gerade dadurch etwas blass.

Es wirkt, als hätte sich in Indien dauerhaft etwas geändert, wenn man einige der Historienfilme der letzten Jahre nimmt. Über Jahrzehnte wurden in Bombay und später Mumbai Mogulzeit-Filme gedreht, in der immer die Toleranz der Herrscher über ein geeintes Indien betont wurde. Jetzt wird vor allem die Tatsache der feindlichen Invasion und Fremdherrschaft hervorgehoben. Der Ursprung des freien, unabhängigen Indien liegt jetzt hier in Maharashtra, Ausgangspunkt des alten Maratha-Reiches. Es wäre bloß schön, wenn die Begeisterung sich mehr auf Filme wie Gowarikers PANIPAT (2020) konzentrieren würde. TANHAJI ist primitiver, anbiedernder und voll heroisch-martialischer Sprüche, die männliche Heldenbrüste anschwellen lässt, selbst wenn sie träge mit Popcorn und Cola im Kino sitzen.

Und solche Emotionen können dann auch den Blick auf die Wirklichkeit verstellen. Was ich am erstaunlichsten finde, ist, wie das Visuelle des Films vielerorts gepriesen wird, wo doch alles aussieht wie ein mittelmäßiges Computerspiel. Die ganze digitale visuelle Gestaltung ist misslungen. Da wünsch ich mir die authentischen Pappkulissen von früher zurück. Nichts davon wirkt auch nur im Entferntesten echt, vor allem nicht die Tiere. Man will offensichtlich alles zeigen, Spektakel sein, ohne wirklich die Mittel oder die Fähigkeiten dazu zu haben

In einem Film sind es oft ganz bestimmte einzelne Szenen, die plötzlich wie ein Tor in die Gedankenwelt eines Films und ihrer Macher sind, mal im Guten, mal im Schlechten, so wie leider hier. Da ist beispielsweise die Geschichte mit der entführten Prinzessinen-Witwe: Der Bösewicht ist mit einem adligen Geschwisterpaar groß geworden. Als er in der Vergangenheit der Prinzessin sagte, dass er sie heiraten wollte, lachte sie ihn aus, seine Mutter sei doch nur Dienerin, auch wenn er Sohn eines Ministers sei. Daraufhin bringt er seine Mutter um und wird restlos böse. Ansonsten hat die Szene keine Verbindung mit dem Rest der Geschichte. Es ist ein seltsamer Versuch, psychologische Tiefe hineinzubekommen, aber nur in einer Szene, während der Rest ungestört weiter läuft. Eigentlich wirkt es sogar so, dass der Film sich mit der Position der Prinzessin identifiziert.

Ein anderes Beispiel betrifft eine Hinrichtung. Mehrere Männer stehen mit Stricken um den Hals da und warten auf den Tod. Da bekommt der Bösewicht die Nachricht, dass die Prinzessin ihn endlich heiraten will, was allerdings eine Finte ist. Auf jeden Fall reißt er jubelnd den Arm hoch. Die Henker nehmen es als Signal und die Männer baumeln tot in der Luft. Das kommt aber nicht tragisch oder grausam rüber, sondern ganz einfach komödiantisch. Da lachten auch die Kinder im Kino, die irgendwo in der Nähe saßen. Ist das zynisch oder dilettantisch? Beides wohl, auf jeden Fall offenbart es eine totale Gleichgültigkeit und Emotionslosigkeit.

Was noch erwähnt werden sollte, ist eine Qualität des Films, vor allem in den Schlachten. Denn es herrscht immer wieder eine gewisse primitive Energie vor, getragen vor allem von den beiden Hauptdarstellern, aber angesichts des ernsten Themas mit seinen politischen Implikationen verbot sich wohl leider der Übergang zum echten, wilden, blutigen B-Trash, für den der Regisseur sich offensichtlich doch viel besser eignen würde. Besonders der Endkampf von Ajay und Saif ist gelungen. Saif Ali Khan kann überhaupt unter wilder Mähne und Vollbart ganz schön sardonisch grinsen. Aber das hat nicht genug Bedeutung innerhalb des großen Ganzen. Man wird einfach den selbst gesteckten grandiosen Ansprüchen nicht gerecht. Übrigens gibt es während des Nachspanns noch einen Song zu Kajol in vielen Großaufnahmen. Wie als Wiedergutmachung für die ansonsten banale Hausfrauenrolle, die sie neben ihrem Göttergatten spielt.

Montag, 27. Januar 2020

Varun Dhawan in STREET DANCER 3D – Nächstes Mal bleib ich zu Hause

Vor einigen Jahren kam eine kleine Welle von „Street Dance“-Filmen in die deutschen Kinos. Sie hatten alle gemeinsam, dass sie nicht sehr teure britische oder US-Produktionen waren, die Schauspieler nicht unbedingt brillant waren, aber echte Tänzer, oft auch echte Typen und allein dadurch schon Authentizität in die Filme kam. Die gab es auch in den Probeszenen und den Tanznummern, die oft sogar sehr einfallsreich choreographiert und gefilmt wurden. Selbst das Aufeinandertreffen von Street Dance und Ballett in einem dieser Filme funktionierte. Kurz und gut, es hat trotz aller Schwächen immer Spaß gemacht, sich diese Filme anzugucken. Und immer war alles echt. Das war das einfache Rezept, an das man sich hielt. Aber in Bollywood ticken die Uhren anders.

Die Vorläufer vom neuen STREET DANCER (2020) hatte ich mir geschenkt. Aber wie bei der mir ansonsten unbekannten HOUSEFULL-Reihe, wo ich mich kürzlich vom vierten Teil quälen ließ, dachte ich mir voller Übermut, jetzt wäre es mal an der Zeit, auch einen dieser Tanzfilme zu gucken, auf die ich sonst ebenfalls nie Lust gehabt hatte, weil ich zu Recht Böses ahnte. Jedenfalls habe ich nur die 2D-Version gesehen, wofür ich äußerst dankbar bin, da der Film mir dann jedenfalls nicht ganz so dicht auf die Pelle rücken konnte. Zurück bleibt nur die Frage: Wie kann es eigentlich sein, dass aus Bombay, der Welthauptstadt des Filmtanzes, so ein ungenießbarer Eintopf herauskommt. Selbst schlechte Filme haben manchmal einen unterhaltenden Charme, aber hier ist alles gefangen in einer grellen Künstlichkeit und weh tuender Pseudo-Authentizität. Und warum eigentlich spielt Varun Dhawan einen Hip-Hop-Tänzer, wenn er doch gar keiner ist? Die digitalen Effekte bei seinen Saltos und anderen Hüpfereien sind dann auch noch so offensichtlich, dass es zum Fremdschämen ist. Und wenn er nach so einem Effekt ein stolz-cooles Gesicht macht und in die Kamera guckt, dann beginne ich alles Positive, was ich jemals über ihn gedacht und geschrieben habe, zu überdenken. Wenn ich mir übrigens in der Hindi-Kinovorschau seine nächsten Filme angucken, frage ich mich, wohin er will mit seiner Karriere?

Gleichzeitig scheint sich die Regie nicht darüber im Klaren zu sein, dass sie den Gipfel der Verlogenheit schnell erreicht hat und der Film ein einziges peinliches Herunterpurzeln ist: Da gibt es beispielsweise eine ganz kurze nichtssagende Tanznummer bei einem Wettbewerb, Kamera aus der Ferne, ein paar Schnitte. Im Endeffekt hat man nichts gesehen. Dann ertönt der Ansager oder Moderator und rattert ein paar imposante Adjektive herunter, wie doll das alles doch gewesen ist. Es gibt schlechte und gute Filme, und dann gibt es Filme, die merken gar nichts.

Diesen ganzen unauthentischen Tanzmist versucht der Film durch eine authentische Rahmenhandlung auszugleichen. Dafür hat man sich einmal die Rivalität zwischen Indien und Pakistan ausgesucht und das dann mit den armen Obdachlosen gekuppelt. Am Ende sieht man sogar ein paar echte Bilder von SWAT, der Londoner Sikh-Hilfsorganisation für Obdachlose, die die Filmemacher inspiriert haben soll. Die Organisation hat übrigens eine Homepage und die sollte man sich lieber angucken als diesen Film.

Wer trotzdem mehr über den Film wissen will, soll zu IMDb gehen und sich die Verrisse durchlesen. Stimmt alles. Ohne Ausnahme. Nächstes Mal bleibe ich bei so was zu Hause.

Donnerstag, 23. Januar 2020

Vishal Bhardwajs PATAAKHA – Schwesternkrieg

Nach dem aufwendigen, ordentlich unterhaltsamen, aber stellenweise etwas zu verkrampften RANGOON (2017) wollte Regisseur Bhardwaj eigentlich ein Projekt mit Irrfan Khan und Deepika Padukone realisieren, das aber auf Eis gelegt wurde wegen Irrfans schwerer Erkrankung. Also nahm er sich eine einfache Geschichte auf dem Land vor. Er wählte dazu schließlich nach einigem Casting zwei ausgezeichnete Hauptdarstellerinnen, die aber keine kostenintensiven großen Stars sind. PATAAKHA (2018) beruht auf einer Hindi-Kurzgeschichte von Charan Singh Pathik, von dem, soweit ich das bis jetzt überschauen konnte, bisher nichts ins Englische übersetzt wurde. PATAAKHA ist einer dieser Filme, wo die Versuchung groß ist, den gesamten Inhalt einfach nur nachzuerzählen, weil das allein schon ausreichend amüsant wäre. Was gleichzeitig natürlich nicht sehr einfallsreich wäre. Außerdem besteht der Film aus mehr als einer äußerst hübschen Story. Er ist auch rein formal sehr gelungen, neben einer großen Lebendigkeit ist er voller Liebe zum Detail, mit einer Atmosphäre zwischen echtem Realismus und erzählerischer, alles möglich machender Fantasie.

In PATAAKHA trifft Sanya Malhotra, die Hauptdarstellerin aus dem Ringer-Film DANGAL (2016), auf Radhika Madan, die durch eine TV-Serie bekannt wurde. Die beiden verkörpern auf das Innerlichste und Überzeugendste zwei Schwestern, die sich streiten und am Ende doch nicht ohne einander leben können. Aber die beiden streiten sich nicht nur, sie prügeln sich, und wenn schon, dann richtig. Und wenn der geplagte, allein erziehende Vater dazwischengeht, kann es ihm im Eifer des Gefechts der beiden passieren, dass er auch einen abkriegt. Da sieht man ihn schon mal, irgendwie wie der Papa von Astrid Lindgrens Michel, wütend mit dem Stock hinter den beiden herlaufen, die sich verstecken und gemeinsam nicht nach Hause trauen. Da sind sie sich dann mal einig. Aber es geht in dem Film auch um die Verwirklichung von weiblichen beruflichen Träumen angesichts von finanziellen und familiären Zwängen. Daher versuchen sie sich zu befreien, aber so leicht wird man die unsichtbaren, aber deswegen nicht weniger fesselnden Familienbande nicht los. Und manchmal will das Schicksal es doch anders.

Oft scheint dieser schöne, witzige, dramatische, wilde, bunte Film ins Melodrama, ins Tragische abzudriften, dann aber nimmt die Story doch immer wieder die Wendung ins Komische. Viel Ironie ist dabei. Ich nehme mal ganz dreist an, dass dieser Ton, diese Stimmungen schon in der Vorlage angelegt sind. Für mich ist PATAAKHA der schönste und unterhaltsamste indische Film über den Alltag auf dem Land seit WELCOME TO SAJJANPUR (2008) von Shyam Benegal. Wobei man MATRU KI BIJLEE KA MANDOLA (2013), die andere ländliche Komödie von Bhardwaj, nicht vergessen darf, wo er Bertolt Brechts „Puntila und sein Knecht Matti“ nach Indien verlegt hat, und der auch einen entsprechenden skurrilen und absurden Klassenkampf-Humor hat, bei dem richtig viel gesoffen wird.

Aber auch PATAAKHA soll mehr sein als reine soziale Komödie. Der Film hat eine weitere, allgemeinere Bedeutung. Der Kampf der Schwestern ist ein Kommentar zu dem scheinbar ewigen und oft so sinnlosen Kampf zwischen Pakistan und Indien. Aber das lässt sich wirklich nur auf einer sehr allgemeinen Ebene verstehen, als eine Art zusätzliche Botschaft. Würde es nicht direkt im Film vom Erzähler gesagt, würde Bhardwaj dies in Interviews nicht ausdrücklich sagen, ich wäre ehrlich gesagt nicht von alleine darauf gekommen. Im Übrigen können diese sinnlosen Schwesternkämpfe auf alles Mögliche hin verallgemeinert oder übertragen werden, wozu der Zuschauer Lust hat. Aber ich denke, die meisten werden den Film doch vor allem sehr direkt als einfache Familiengeschichte sehen.

Der Film hat eine ganze Galerie einprägsamer Nebenrollen, die allesamt mit wunderbaren Darstellern besetzt wurden. Da ist vor allem Sunil Grover als erfindungsreicher Straßenhändler und Erzähler, der immer wieder ins Geschehen eingreift, mal die Konflikte anfeuert, mal das Schlimmste verhindert. Und nur ihm ist es zu verdanken, dass es auf Dauer eine Komödie bleibt und nicht ins ernsthafte Melodrama abdriftet. Theaterschauspieler Vijay Raaz, den man von unzähligen Charakterrollen kennt, spielt den Vater. Gefallen hat mir neben dem perversen Witwer, dem zwei Mal verdientermaßen die Braut wegläuft, ganz besonders  die nur kurz erscheinende Figur eines Sadhus, der Dämonen austreiben soll, als Bezahlung eine Ziege und eine Flasche Whiskey verlangt und von der Patientin dann verprügelt wird. Und da in einem solchen Film natürlich alles irgendwie, den Umständen entsprechend, gut ausgehen muss, gibt es zum Schluss ein lustiges, ausgelassenes Holi-Lied mit der gesamten Besetzung, zu dem sich dann auch Regisseur Bhardwaj persönlich gesellt.

Dienstag, 21. Januar 2020

Mohanlal in BIG BROTHER – Angenehm altmodisch

Wer Spaß hat an altmodischem Hero-Masala, getragen von einem charismatischen Superstar, das Ganze ohne Verbindung zur Wirklichkeit und mit Logiklöchern, die einfach dazugehören wie die Löcher zu bestimmten Käsesorten, der dürfte sein Vergnügen an dem neuen Malayalam-Film BIG BROTHER (2020) mit Mohanlal haben, der dem Film ganz im Alleingang die nötige Bodenständigkeit und die nötige Menschlichkeit verleiht, damit das Ganze nicht bloß in Abziehbildern stecken bleibt. „Altmodisch“ ist der Film von Regisseur Siddique in dem Sinne, dass er sich mit seiner Ruhe dem modernen emotionslosen und ruhelosen Jahrmarktskino-Stil verweigert. Zwar gibt auch Mohanlal zwischendurch den schwerelos kämpfenden fliegenden Fighter, aber das ist eher amüsant fantastisch und nicht übertrieben heroisch. Wobei es die Sache erleichtert, Fan von Mohanlal zu sein. Sonst besteht doch die Gefahr, sich an den Logiklöchern festzubeißen, die der Film vor allem im zweiten Teil reichlich hat.

Mohanlal spielt einen durch die Bemühungen des jüngsten Bruders nach 25 Jahren aus dem Gefängnis freigekommenen Mann, der einst als Jugendlicher zwei Männer umbrachte: Einmal durch einen Unfall den brutalen Ex-Mann der Stiefmutter und dann einen sadistischen Beamten aus dem Jugendknast, den man mit einer Schlinge um den Hals an Gitterstäben hochzog. Und da der Staat irgendwie schnell beleidigt ist, wenn es seine Angestellten trifft, bekam der sehr junge Mann zwei Mal lebenslänglich ohne jede Milde.

Was nach dieser Entlassung zunächst kommt, ist ein amüsanter komödiantischer Teil, wobei alle Entlassenen-Klischees, die es sonst oft gibt, vermieden und sogar umgekehrt werden denn normalerweise will man in diesen Filmen einen Verwandten aus dem Gefängnis eben nicht bei Feiern dabei haben. Hier ist das Gegenteil der Fall. Dazu gibt es hübsche Musik von Deepak Dev, zwar nur drei oder vier Songs, ist ja ein Thriller, aber eine charmante Hochzeitstanznummer heißt „Kalamanodishtam“ und ist charmant und zurückhaltend visualisiert, wo man in Bollywood-Filmen oft zum Überproduzieren tendiert. Jedenfalls fragt Mohanlal als Gefangener ständig um Erlaubnis, redet die Bediensteten mit Sir an und hilft beim Bettenmachen. Das wird als verwirklichter Sozialismus betrachtet, an dem sich die anderen Hausherren sich ein Beispiel nehmen sollten. Er zeigt große Schüchternheit gegenüber Frauen wie ein verklemmter Teenager. Übrigens ist die Hauptfigur selbst durch ihre lange Abweseheit "altmodisch". Aber eigentlich gefällt dem ehemaligen Gefangenen das alles nicht, er möchte am liebsten wieder zurück ins Gefängnis. Aber da setzt die Handlung ein und es wird ernst.

Denn dann kommt der Thriller und der Action-Teil, bei dem man nicht zu viel denken sollte. Wer die Fähigkeit dazu hat, der wird seinen Spaß haben, so wie ich ihn hatte. Mohanlal kann hier im Dunkeln sehen und war war Teil einer illegalen Gefangenen-Kampfeinheit, die man unbewaffnet als Kanonenfutter bei schwierigen Einsätzen vorschickte. Jetzt geht es auf die Jagd nach einem geheimnisumwitterten Drogenboss. Es gibt dann noch einige hübsche Ideen und es geht hin und her und her und hin und am Ende ist der Bösewicht natürlich der, den man schon lange als solchen in Verdacht hatte, und auch Mohanlal ahnte es schon lange. Keine Überraschung, nichts Neues, was auch mal richtig schön sein kann.

Donnerstag, 16. Januar 2020

ARJUN REDDY – Sex, Drogen & Wutanfälle

Letztes Jahr kam Sandeep Vangas Hindi-Film KABIR SINGH (2019) mit Shahid Kapoor in der Hauptrolle in die Kinos, ein Remake des Telugu-Films ARJUN REDDY (2017) von demselben Regisseur. Dass ich KABIR SINGH nicht gesehen habe, erweist sich rückblickend plötzlich als Glücksfall, denn so konnte ich jetzt das Original ganz frisch entdecken. Übrigens gibt es auch noch das mir ebenfalls unbekannte Tamil-Remake ADITHYA VARMA (2019) von Gireesaaya, mit Vikrams Sohn Dhruv Vikram in der Hauptrolle.

ARJUN REDDY ist ein Phänomen, ein absolut unperfekter, überlanger Film, dessen Charme man sich aber unmöglich entziehen kann. Fürs indische, speziell südindische Kino kam sicher auch noch der Reiz des Ungewöhnlichen, des Anderen dazu, aber auch so, wenn man hier in Westeuropa mit sogenanntem Arthouse-Kino vollgestopft ist, hat er seine Faszination, wobei gerade die Schwächen das Interessante ausmachen. Wie gesagt, der Film ist zu lang, aber man möchte dann doch nichts herausschneiden. Den Figuren, der Logik an sich, kann man manchmal geistig nicht ganz folgen, es dann doch einfach zu tun, ist das Lustige daran. Man kann den Kult-Status dieses Films voller abrupter, unvermittelter Brüche also nachvollziehen.

ARJUN REDDY wirkt wie ein äußerst persönlicher Film, wo jemand ziemlich ungefiltert private Erfahrungen verarbeitet, wo der direkte Ausdruck wichtiger ist als das kalkuliert Glatte. Schon die beiden Hauptfiguren sind seltsam. Arjun Reddy selbst ist eine seltsame Hauptfigur, mit charmanter und ungerührter Arroganz gespielt von Vijay Devarakonda. Er hat die Wutanfälle eines Masala-Bösewichts oder eines Psycho-Mafiosi, aber er ist Vorzeige-Mediziner auf dem College. Er beschimpft und verprügelt andere, aber am meisten schadet er sich selbst. Dann ist da eine seltsame weibliche Hauptfigur, die erziehungsbedingt sehr schweigsam ist, kaum zu existieren scheint. Und da fragt man sich schon, ob sie den autoritären Vater bloß durch eine andere starke Persönlichkeit ersetzt. Aber das ist nicht wirklich Thema des Films, das dachte ich bloß nach Ende des Films so nebenbei. Auf jeden Fall ist sie für einen Egomanen wie Arjun die ideale Projektionsfläche. So hat er jemanden zum Beschützen. Andererseits schläft er ein mit dem Kopf auf ihrem Schoß, woraufhin sie es eine ganze Nacht lang nicht wagt, sich zu rühren und selbst sitzend einschläft. Und stille Wasser sind manchmal tief. Die Liebe zwischen beiden übersteht sogar eine jahrelange Fernbeziehung.

ARJUN REDDY ist auch ein Gesellschaftsporträt, das zwei scheinbar schwer vereinbare Welten darstellt. Da ist einmal die Jugend, das freie Leben der jungen gut Begüterten auf dem College, wo es tatsächlich sehr frei und sehr wild zugehen kann. Und dann ist da das ritualisierte Leben der Ehe, wo die Familie dazukommt, selbst wenn man Jahre vorher in wilder Ehe gelebt hat. Plötzlich existiert man nicht mehr für sich alleine. Alles, was man tut, hat Auswirkungen auf das familiäre Kollektiv. Grenzenloser Individualismus und Einordnung in eine Gruppe mit traditionelleren Vorstellungen. Das ist ein Widerspruch, den man erst einmal unter einen Hut stopfen muss. Und in ARJUN REDDY geht das zunächst gar nicht gut. Und der junge Mediziner sucht einsam und verlassen Trost in Alkohol und Drogen.

ARJUN REDDY hat aber absolut nichts Tragisches. Ganz im Gegenteil. Es ist schon fast unmoralisch, wie viel Spaß der Film in dieser Beziehung vermittelt. Und das ist man vom indischen Kino nicht so gewohnt. Der absurde, manchmal sprachlos machende Humor, der sich mit den Drogen, aber auch den Wutanfällen verbindet, ist einer der Stärken des Films, während die Liebesgeschichte nicht wirklich innerlich ist. Es hat einfach etwas, wie man Reddy aus dem Alkoholkoma holt mit ein paar dicken Linien Kokain. Und es hat etwas, wenn er voller Drogen eine Operation leitet, indem er den Schwestern sagt, was sie tun sollen und dann vom Stuhl kippt. Überraschenderweise gibt es keine Sex-Exzesse. Er heult sich überall aus und alle Frauen bemuttern ihn. Allenfalls sucht er mal eine Freundin für die physischen Bedürfnisse. Und dann muss er doch „Ich liebe dich“ hören, und das ist der Satz, den er nicht hören will. Wunderbar ist Arjuns sinnloses Gerede, die seltsamen Theorien, die er in seinem Nebel aufstellt. Alles klingt so logisch und ist doch nur Käse. Und das ist realistisch, diese unglaublich reale Parallelwelt des Drogen- und Alkoholkonsumenten, bei der man aufpassen muss, sich nicht anstecken zu lassen.

ARJUN REDDY könnte man  durch folgende Reihung legendärer Filmgestalten zusammenfassen: DEVDAS trifft PIERROT LE FOU trifft den HULK. Dabei ist Devdas die Grundlage, und anders geht es in Indien vermutlich nicht, wenn unglückliche Liebe und Selbstzerstörung sich verbinden. Die Struktur ist dieselbe: Mann und Frau, die füreinander geschaffen sind, kriegen sich nicht. Hauptschuld ist die Unversöhnlichkeit und Verwöhntheit des Mannes, der es nicht gewohnt ist, mit Schwierigkeiten umzugehen. Seine Aggressionen sind auch ein Schutzmechanismus dagegen. Sie heiratet jemand anders. Er kann sie nicht vergessen und säuft sich in den Abgrund. Ein Freund hilft ihm.

Aber es muss heutzutage eine unstillbare Sehnsucht nach einem Happy End geben, so harmonisch wandelt sich am Ende alles. Aber die Zeiten haben sich ja wirklich geändert. ARJUN REDDY nutzt die Moderne, wo auch eine indische Frau nach drei Tagen Ehe einfach gehen kann und wo sie notfalls auch alleine ein Kind großziehen kann. Schon Anurag Kashyap hatte seine moderne Devdas-Version DEV.D (2009) vor zehn Jahren auf die Leinwand gebracht, und bei ihm gab es ebenfalls ein glückliches Ende, wenn auch mit Chandramukhi, bekanntlich die Prostituierte, bei der der originale Devdas nicht bleiben kann, weil seine Erziehung ihn eben doch sehr elitär gemacht hat. Da soll noch einer sagen, früher wäre alles besser gewesen.

Mittwoch, 15. Januar 2020

Raj Kumar Guptas INDIA'S MOST WANTED – Terroristenjagd ohne Waffen

Raj Kumar Guptas INDIA'S MOST WANTED (2019) beginnt ganz harmonisch. Es ist ein schöner sonniger Tag in Pune. Junge Leute sitzen vor einem Café. Ein Pärchen macht Musik. Drinnen sieht man jemanden an einem Tisch, immer in der Rückenansicht, und so wie Hindi-Kino funktioniert, könnte man sich zunächst vorstellen, dass hier gleich der Hauptdarsteller einen mysteriös-spektakulären Eingangsauftritt hat. Aber diese Person steht bloß auf und geht weg, und kurz darauf geht eine Bombe hoch. Es ist ein schlimmer Terrorakt in einer Reihe von vielen. Und in gewisser Weise ist dieser Mann ein heimlicher, unheimlicher, unsichtbarer zweiter Hauptdarsteller, denn er ist das große Phantom, nach dem gesucht wird. Immer wieder ertönt seine Stimme aus dem Off mit der bekannten Terrorlogik, nach der sterben muss, wer sich nicht bekehren lässt. Dazu gibt es Bilder von den Terroranschlägen, um die Echtheit des Geschehens zu untermauern. Auf grausige Details wird dankenswerterweise verzichtet. Die wichtigen indischen Sicherheitsdienste stehen vor einem Rätsel. Sie haben noch keine Ahnung, dass Ahmed Siddibapa der Chef der Indian Mujaheedin ist, die ab 2008 für eine Reihe von Bombenanschlägen mit mehreren 100 Toten verantwortlich war.

Auch Guptas zweiter Film NO ONE KILLED JESSICA (2011) orientierte sich an einem wahren Mordfall, aber darüber war ja alles bekannt. Es war ein Mordfall, dessen Vertuschung die Medien und die Öffentlichkeit verhinderten. Alles steht in den Akten und in den Zeitungen. Diesmal ist nur der grobe Rahmen absolut sicher: 2013 ging ein indisches Undercover-Team nach Nepal, um diesen zu der Zeit schlimmsten indischen Terroristen ausfindig zu machen und mit nach Indien zu bringen. Es gelang ihnen. Aus Sicherheitsgründen kennt man weder die Details noch die Namen der Beteiligten. Auf jeden Fall war es eine Aktion ohne Waffen, denn die durften sie nicht tragen in Nepal. Das wiederum erinnert an Guptas letzten, sehr gelungenen Film RAID (2018), wo ein Steuerbeamter ohne Gewalt eine ganze Mob-Familie auseinandernimmt und ihr verstecktes Schwarzvermögen ausfindig macht. Auch diesmal geht es um Teamwork mit einem nicht minder besessenen Chef, der sein Leben dem Dienst am Land untergeordnet hat.

Hier herrscht ein praktischer, unpompöser Patriotismus vor, einer des Einsatzes, der Tat, nicht der hohlen Rhetorik. Die Agenten sind Alltagsmenschen, keine Superhelden. Arjun Kapoor spielt mit stiller Entschlossenheit den Leiter des Teams, dem bequeme Bürokraten das Leben schwer machen. Das ist zwar Standard in Spionagefilmen, aber dadurch nicht weniger wahr. Das Team besteht aus Männern, die zwar Terroristen jagen können, aber wie alle normalen Männer Angst vor der Ehefrau haben. Die sind nicht zu Unrecht oft böse, denn die Männer zweigen für ihren Job schon mal privates Geld ab, obwohl sie sowieso schon so wenig bekommen. Der Jüngste verschweigt seiner Mutter diesen Job sogar, weil die ihn sonst im Zimmer einsperren würde. Es ist der Einsatz des Einzelnen, der hier alles am Laufen hält, nicht die überbezahlte Staatsmaschinerie.

Die Story ist sehr einfach, sehr geradlinig. Es geht darum, einen Informanten zu treffen, dessen Glaubwürdigkeit zu überprüfen, den Terroristen ausfindig zu machen, ihn zu fangen und über die Grenze nach Indien zu verschleppen. Das ist alles ganz normale Agentenarbeit. INDIA'S MOST WANTED ist dicht und spannend, kommt aber fast ohne Schießerei aus. Da hat man einfach Vergnügen an den Mechanismen, die da ablaufen. Klassische Katz-und-Maus-Spannung entsteht durch die Gegner vom pakistanischen Geheimdienst, die den Indern hinterherjagen und ihren Verbündeten, den Terroristen, schützen wollen. Eingebettet ist alles in das städtische Flair von Kathmandu und die Landschaft Nepals. Die Wiedergabe dieser Atmosphäre ist sehr gelungen, was überhaupt eine der Stärken von Gupta ist. In AAMIR (2008) schickte er durch die dunklen Straßen von Mumbai einen unbeteiligten Mann, den anonyme Terroristen auf perfide Weise als Attentäter missbrauchen. INDIA'S MOST WANTED ist nicht so düster. Und der Terrorist wird aus seiner Anonymität gezogen. Ahmed Siddibapa ist inzwischen zum Tode verurteilt worden.

Dienstag, 14. Januar 2020

Meghna Gulzars CHHAPAAK – Säureopfer

Vor einem Regierungsgebäude in Delhi findet eine wütende Großdemo wegen eines brutalen Vergewaltigungsfalles statt, dessen Opfer zwischen Leben und Tod schwebt und dessen Ausgang über den Fortbestand der Regierung entscheiden kann. Schließlich kommt es zu echten Aggressionen, ganz vorne wollen wütende junge Männe die Polizeisperre durchbrechen. Am Rande dieser lauten politischen Veranstaltung wird in Meghna Gulzars CHHAPAAK (2020) das Thema Säureattacken sehr leise eingeführt. Ein schüchterner älterer Mann hält ein kleines Passfoto von einem Opfer vor die Kamera. Damit erzeugt er zunächst wenig Interesse bei der professionellen Journalistin, die weiß, womit man Einschaltquoten erzeugt und womit nicht.

Im Kern ist CHHAPAAK ein Biopic. Die Geschichte beruht auf dem Fall von Laxmi Agarwal, die erst 15 war, als ihr im Jahre 2005 von einem 32-jährigen Vertrauten der Familie gemeinsam mit der kriminellen Lebensgefährtin des Bruders Säure ins Gesicht geschüttet wurde. Sie hatte sich an seinen Annäherungen nicht interessiert gezeigt. Der Film hält sich an die Fakten, nimmt sich nur bei der Chronologie einige Freiheiten. Und die Namen wurden geändert. Im Film heißt das Opfer Malti. Laxmi Agarwal, die sich übrigens im Vorfeld positiv über das Projekt mit Deepika Padukone in der Hauptrolle äußerte und sich angemessen bezahlt fühlt von den Produzentinnen, ist eine passende Wahl für einen solchen Film. Bei ihr verbinden sich persönliches Schicksal, politisches Engagement und eine nationale und sogar internationale Bekanntheit, an die man für einen Film anknüpfen kann. Sie ist unter anderem die Initiatorin der Kampagne für das Verbot des Verkaufs von Säure. Deepika Padukone spielt sie voller Zurückhaltung und sehr innerlich, mit all den widersprüchlichen Emotionen, die solch eine Tat beim Opfer erzeugt. Vor allem spielt sie sie völlig normal, ohne irgendwelche schauspielerischen Tricks. Sie verschwindet hinter der Figur.

Es liegt auf der Hand, dass man in Zusammenhang mit dem Film vor allem über Inhalte redet, so wie ich es direkt nach der Kinovorstellung im Café die Straße runter in Form von ein paar Gesprächsfetzen vom Nachbartisch mitbekam. Es ist einfach schwierig, bei diesem Thema beim rein Filmischen zu bleiben und nicht ständig ins Grundsätzliche abzuschweifen. Um keinen Unsinn zu schreiben, habe ich ja auch einige Artikel im Internet gelesen. Aber CHHAPAAK ist trotz aller Authentizität eben doch mehr, mehr als eine einfache Lebensbeschreibung und ein geschicktes Propagandastück, um endlich das völlige Verbot des Verkaufs von Säure in Indien durchzusetzen.

CHHAPAAK ist trotz des Themas ein sehr ruhiger, nüchterner und unaufgeregter Film, der den Zuschauer in Ruhe lässt und nicht ständig erzählerisch an der Hand führt, was ja das Prinzip des klassischen Storytellings ist. Natürlich löst der Film Emotionen aus, aber sehr dezent und leise, und es ist oft nicht so sehr der Film, der direkt emotional ist, sondern er erzeugt Emotionen ganz einfach durch die Fakten, durch das, was da ist. Ein stiller Schmerz zieht sich durch den Film, untestützt durch die Lieder im  Hintergrund mit den Texten des Vaters der Regisseurin. Es gab letztes Jahr übrigens den Malayalam-Film UYARE über ein Säureopfer, bei dem man sich nur die Inhaltsangabe durchlesen muss, um zu sehen, dass dieser ganz anders, also traditioneller funktioniert. Da wird die Regel, den Zuschauer mit einem guten Gefühl zurückzulassen, eingehalten, da das Opfer am Ende eine große Tat vollbringt, wodurch sich Probleme lösen.

Aber Meghna Gulzar geht es eben nicht um ein einzelnes Schicksal, sondern um das große Ganze. Konsequent torpediert der äußerst gelungene Schluss von CHHAPAAK den, angesichts der Umstände, harmonischen Verlauf des Lebens von Malti, die eine stille Liebesgeschichte mit einem sozialen Aktivisten erlebt. Plötzlich wird eine Hochzeit gezeigt, aber die von einer dem Zuschauer fremden Frau in einer fremden Familie. Ein wahrer Fall: Ein maskierter Mann springt ins Bild und bewirft die Braut mit Säure, die in der Folge daran gestorben ist, wie ein Text vor dem Nachspann informiert. Es hört nicht auf. Und es hat zugenommen in Indien.

Zurückhaltend dauert es am Anfang etwas, bis wir uns Hauptfigur Malti nähern. Und die konkrete Vorgeschichte der Tat wird sowieso erst ganz am Ende gezeigt. Was man zunächst bloß sieht, ist eine junge Frau, die unter offensichtlich entsetzlichen Qualen mitten am Tag mitten auf der Straße steht. Das alles in Zeitlupe, weil es sich sicher wie eine Ewigkeit anfühlt, so wie alles, was danach an Qualen kommt. In einem düsteren Moment wird sie später eine Frau beneiden, die durch die Säure gestorben ist. Man sieht Malti schreien, bewegungslos da stehen, sich winden, auf die Knie fallen. Die Menschen schauen regungslos zu. Aber ein Taxifahrer, ein Sikh, weiß sofort, was los ist. Er nimmt eine Flasche Wasser und gießt es ihr an den Haaransatz, damit die Flüssigkeit über das Gesicht laufen kann. Genau die richtige Maßnahme.

CHHAPAAK präsentiert ein Mosaik aus verschiedenen Aspekten, die ein abstraktes, großes Gesamtbild entstehen lassen. Ein Mosaik, das der Zuschauer selbst zusammensetzen muss. Fast alles in der Geschichte von Malti bekommt etwas Allgemeines, weist über diese eine Geschichte hinaus. Durch die Arbeit der Organisation erfährt man noch zusätzlich etwas über andere Fälle, so wie den der beiden Dalit-Mädchen aus Patna, die nur deshalb Säure ins Gesicht bekamen, weil sie eine Ausbildung machen wollten. Viele Aspekte des Themas werden deutlich. Es geht um das Juristische, sowohl im langjährigen Prozess gegen die Täter als auch um die Anstrengungen für Gesetzesänderungen, wo das Politische und das Mediale dazukommen. 

Neben dem rein Persönlichen geht es um die Familie, um andere Familienmitglieder, die vernachlässigt werden, um das Geld, das man für Behandlung und Operationen braucht. Aber auch darum, dass die Täter meist aus dem nächsten Umkreis stammen. Und es geht um das Chirurgische, die vielen Operationen, das Ästhetische, wenn Malti ein Kind anlächelt, das zurückguckt und losschreit. Aber sie selbst hat ja geschrien, als sie sich im Spiegel sah. Dahin, dass nur innere Werte zählen, ist es weit. Vor allem, da in Indien oft erwartet wird, dass Säureopfer sich nicht zeigen oder sich verhüllen. Und es geht natürlich um das Weiterleben der Opfer. Es wird gezeigt, dass das durchaus möglich ist, aber unter so schweren Bedingungen, wie die lange erfolglose Jobsuche von Malti zeigt.

Und es geht um Geschlechterrollen, Geschlechterverhältnisse, denn die Opfer dort sind fast immer Frauen. Es gibt in CHHAPAAK erfreulich wenig Interesse für die Täter und ihre Psychologie. Täterpsychologie kann gefährlich sein, denn vom Verstehen zum Entschuldigen ist es nicht weit. Es wird nur ganz kurz darüber geredet, dass das Böse ja jeder in sich hat, es aber unmöglich zu theoretisieren ist, wieso es wann bei wem herausbricht. Aber gleichzeitig verzichtet CHHAPAAK auf Dämonisierungen. Die Täter sind scheinbar ganz normale Männer. Vielleicht sind sie normalerweise nicht viel anders als die, die man am Anfang auf der Anti-Vergewaltigungsdemo sah. Auch der spätere Täter spielt sich einmal als Beschützer für Malti auf. Die männliche Sorge um weibliche Moral kann auch eine Inbesitznahme sein. Da reimt sich dann Beschützer auf Besitzer. Doch auch Frauen sind beteiligt. Nicht nur die Lebensgefährtin des Bruders. Da erlebt man eine monströse Kopftuch-Matriarchin, die Mutter des Täters. Es sind schließlich auch die Mütter, die ihre Söhne zu dem machen, was sie sind und was in ihnen steckt. Es gibt hier keine einfachen Wahrheiten oder Lösungen. CHHAPAAK macht es dem Zuschauer nicht leicht und geht manchmal an die Schmerzgrenze der Erkenntnis. Das ist seine ganz besondere Qualität.

Dienstag, 7. Januar 2020

AVANE SRIMANNARAYANA – Schatzsuche mit Cowboy Krishna

Der südindische AVANE SRIMANNARAYANA (2019) war genau der richtige Film, um kinoindisch ins neue Jahr zu kommen. Ganz einfach unkompliziertes überdrehtes Kino-Masala. Um es europäisch zu sagen: Wenn der Terence Hill der 70er heute einen indischen Unterhaltungsfilm drehen würde, dann sähe er wohl in etwa aus wie AVANE SRIMANNARAYANA, inszeniert von Regiedebütant Sachin Ravi, der bisher als Cutter gearbeitet hat. Denn ein bisschen Western gibt es in diesem im nostalgischen Vintage-Land angesiedelten Film auch, nicht nur durch die weite, wüstenartige Landschaft, sondern so richtig mit Saloon und Bier und Zielschießen und einem Besitzer namens Cowboy Krishna, einem Fan der Cowboy-Kultur. Der wird wortlos gespielt von Rishab Shetty, und diese Figur kam sofort beim Publikum so gut an, dass jetzt ein eigener Film für sie geplant wird. Dann vielleicht auch sogar mit ein bisschen echter passender indischer Country-Musik, mehr als das bisschen Imitation von Morricone-Leone-Sounds wie in AVANE SRIMANNARAYANA.

AVANE SRIMANNARAYANA wird wegen seiner technischen Dimensionen als Großtat des Kannada-sprachigen Kinos gefeiert. Und tatsächlich muss er sich er sich schon rein visuell vor den Konkurrenten der benachbarten und größeren Tamil- oder Telugu-Industrien nicht verstecken. Zwar könnte ich jetzt an Schwächen des Films hängen bleiben, aber wozu, wen interessiert's? Erstens ist das alles viel zu sympathisch. Und zweitens erfüllt der Film punktgenau seinen Zweck als Massenentertainer. Und dabei bleibt der Film immer entspannt, versucht stilistisch nichts zu erzwingen, was sehr angenehm wirkt, wodurch man selbst ganz entspannt seinen Spaß hat. Masala-Film, das bedeutet ja vor allem viele Ideen und ein Gefühl der schwerelosen Freiheit von dramaturgischen und oft auch logischen Zwängen. Nur in wichtigen Schlüsselszenen werden auch hier alle Mittel wie schnelle Schnitte und digitale Tricks aufgefahren. Das sollten sich die Masala-Dilettanten, die pausenlos mit tausend nervigen Mitteln den Zuschauer wirkungsmäßig auswringen wollen wie eine Zitrone, ein Beispiel dran nehmen. Ja, SAAHO, ich rede auch von dir.

Handlung gibt es wie immer irgendwie auch: Im Prinzip geht es um eine Schatzsuche nach geraubtem Gold aus Regierungsbesitz, und alles ist ein ständiges Hin und Her zwischen den einzelnen Personen und Personengruppen. Die Täter waren einst die Mitglieder einer Theatertruppe, die dem Chef eines Banditenclans zuvorgekommen sind, der sie deshalb beleidigt erschießen ließ. Dazu kommt eine Rahmenhandlung um zwei Söhne dieses Killers, dem Streit zwischen ehelichem und unehelichem Sohn, dem Streit um die Nachfolge. Dazu kommt noch ein riesiger Haufen mythologischer Anspielungen, die aber zum größten Teil schön verständlich erklärt werden. Also können auch die, die nicht so epenfest sind, geistig mithalten. Von mir aus hätten es ruhig ein paar Musiknummern mehr dabei sein können. Am einfallsreichsten und nettesten ist ein Lied im Wald, mit einer großen tanzenden Theatertruppe in mythologischen Kostümen.

Rakshit Shetty gibt mit verdrehtem Charme den schurkigen Scheriff, der auch gleichzeitig ein bisschen schusselig ist, wenn er schon mal die Bodyguards statt der Banditen verhaftet. Aber durch eine Frau kann auch der fürchterlichste Mann zum Guten gezähmt werden. Und solch eine Frau gibt es hier auch, natürlich erst mal als emanzipierte Schimpfdame, die dem Scheriff dauernd Beschwerden über seine eigenen Versäumnisse diktieren will. Dabei muss man nur nett zu ihm sein und ihm täglich Tee bringen lassen, damit er wie vorgeschrieben funktioniert. Aber dieser Hero schwankt ja noch. Ständig biegt sich sein Oberkörper zur Seite, rechts, links, beugt sich vor, zurück. Ob das jetzt ein amüsanter Hero-Manierismus ist oder eine tiefgründige Metapher für die moralische Unentschlossenheit der Hauptfigur zwischen Gut und Böse darstellt, schwer zu sagen. Nehmen wir einfach mal an, beides.

Donnerstag, 2. Januar 2020

MANIKARNIKA, JHANSI KI RANI: 2019, 1953


Als ich vor kurzem endlich den Historienfilm MANIKARNIKA: THE QUEEN OF JHANSI (2019) mit Kangana Ranaut gesehen habe, hatte ich das Bedürfnis, mir zusätzlich den themengleichen alten Hindi-Filmklassiker JHANSI KI RANI (1953) von Sohrab Modi nach langer Zeit mal wieder anzuschauen. Genauer gesagt habe ich mir die zwei parallel gedrehten Versionen von Modis Film angesehen, einmal eine bunte, englischsprachige 95-Minuten-Fassung, die 1956 in den USA herauskam, und zum anderen eine 40 Minuten längere Hindi-Fassung in Schwarzweiß. Die lange Hindi-Farbversion scheint verschollen. Die Unterschiede zwischen Modis zwei Versionen liegen nicht in Musikszenen, wie man spontan annehmen könnte, denn die gibt es in beiden Filmen. Die lange Version ist entspannter, hat mehr typisch Kulturelles, zeigt eher das Bild von innen, vor allem in der ersten Hälfte. Die kurze Version ist dafür eher der gestraffte Blick von außen. Vergleicht man Modis Arbeit nun mit MANIKANRIKA, dann liegt der Unterschied nicht so sehr darin, was erzählt, sondern wie die Geschichte der Königin von Jhansi (1828-1858) interpretiert wird, die Teil der großen antibritischen Rebellion ab 1857 war und die gegen die Britische Ostindien-Kompanie kämpfte und dabei starb. Man könnte den Gegensatz des neuen und des alten Films zusammenfassen als Heldin vs. Historie.

Denn die Diskussionen darüber, wie groß Ranauts Anteil an der Regie und am Gesamtergebnis von MANIKARNIKA im Verhältnis zum Hauptregisseur Radha Krishna Jagarlamudi, kurz Krish, nun wirklich ist, sind eigentlich ganz belanglos, da es gefühltermaßen sowieso durch und durch ein Kangana-Ranaut-Film ist. Das fängt schon am Anfang an, wo sie nicht nur Reitkunststücke zeigt, sondern sogar - und ehrlich gesagt etwas albern - beim Besteigen eines Pferdes martial-arts-mäßig den fliegenden Chinesen gibt. Sie ist auch Kriegerin, aber ein ein Dorf bedrohender Tiger wird nur betäubt. Hier ist es eher die vegetarische Tierschützerin Ranaut, die über die Filmfigur bestimmt. Der Drehbuchablauf der historischen Ereignisse ist auf sie zurechtgeschnitten, und sie steht folgerichtig ganz und gar im Mittelpunkt. Als der königliche Lehrer Manikarnika auf seiner Suche nach einer passenden Frau für den Thron entdeckt, ist sie kein außergewöhnliches rebellisches sehr junges Mädchen, sondern schon eine ausgewachsene junge Frau, die dann mit dem 40 Jahre älteren König von Jhansi verheiratet wird. Es ist hier eben wichtig, dass sie in der Gestalt von Kangana Ranaut entdeckt wird und nicht als Mädchen.

MANIKARNIKA geht bis zur Ikonisierung, zur abschließenden Vergöttlichung. Außerdem ist es eine moderne Pop-Feminismus-Interpretation historischer Ereignisse, wobei so vieles ins Übersteigerte und Fantastische gleitet, was natürlich unterhaltende Schauwerte liefert. Die Persönlichkeit der Hauptdarstellerin ist es, die diesem geschmackvollen Film, der eine Reihe von sehr schönen Liedern zu bieten hat, seine unbestreitbare Energie verleiht. Wobei ich es sehr erfrischend finde, dass da in Bollywood jetzt auch eine Frau ist mit dem gewissen egomanischen Hero-Größenwahn, den man doch braucht, um solche Rollen auf so eine Art zu spielen. Denn auch wenn Frauen große Rollen haben, so spielen sie doch meist Hauptrollen und keine Hero-Rollen wie es etwa Salman Khan in seinen Ich-rette-die-Welt-und-mach-sie-besser-Knallern macht. Und so wird MANIKARNIKA immer wieder zur kraftvollen, übersteigerten Masala-Manikarnika, besonders in Bezug auf die Bösen und das Böse. Hier geht es nicht um politische Abläufe und Mechanismen, sondern um den Kampf zwischen Gut und Böse, verkörpert durch Briten, die nur dazu da sind, den Hass des Publikums auf sich zu ziehen. Es ist eine Welt der unvereinbaren Gegensätze und der bösen Mächte. Selbst der Tod des Sohnes, des eigentlichen Thronnachfolgers, erscheint hier durch dämonische Kräfte von außen verschuldet, von den Briten und von einem mit ihnen verbündeten indischen Verräter. Und so hält man sich zwar im Prinzip an die historischen Ereignisse, aber sie werden angepasst.

Aber auch bei Sohrab Modi sind Filme über geschichtliche Ereignisse nicht zweckfrei, und als Schauspieler ist er durch seine Gestalt und seine Diktion sowieso nicht zu übersehen, so wie seine Figur des königlichen Lehrers in JHANSI KI RANI eine ganz bedeutende Rolle spielt und immensen Einfluss auf die Entscheidungen der Königin hat. Hier ist also auch ein präsensstarker Darsteller mit schauspielerischem Ego. Aber dennoch wird die Geschichte nüchterner, aunaufgeregter und mit mehr Demut behandelt. Bis zu dem Streit über die Thronnachfolge versteht man sich noch mit den Briten, die Königin hat sogar einen britischen Freund aus Kindertagen. Modi war schon in den 40ern mit Filmen wie SIKANDER (1941) ein Meister des wortgewaltigen Historienfilms. SIKANDER war ein Film über den Besatzer und den Besetzten, eine Metapher für das britisch kolonialisierte Indien, aber es findet ein sachlicher Dialog statt zwischen Alexander dem Großen und König Porus. JHANSI KI RANI war dann ein feierliches Freiheits-Epos des endlich unabhängigen Indien. Der internationale Titel des Films ist THE TIGER AND THE FLAME, auf ostdeutsch DIE MAHARANI VON DSCHANSI und auf westdeutsch FEUER UND STURM. Leider lief diese beeindruckende Großproduktion in Indien nicht gut. Es war wohl so, dass das Publikum Hauptdarstellerin Mehtab mit 34 als zu alt in der Rolle der Königin empfand, was unverständlich und ungerecht ist. Sie spielt mit authentischer Würde und unerschütterlicher Stärke. Im Ganzen ist es ein gut besetzter Ensemblefilm mit einer ausgewogenen Mischung aus Sachlichkeit, Poesie und Schauwerten, den ich gerne zwei Mal hintereinander geguckt habe. Die kurze Farbfassung ist außerordentlich intensiv, spannend und wunderbar anzugucken. Es machte sich bezahlt, dass Modi den US-Kameramann Ernest Haller, verantwortlich für Licht und Bild von Farbklassikern wie VOM WINDE VERWEHT (1939) und DENN SIE WISSEN NICHT, WAS SIE TUN (1955), engagiert hatte.

Zwei Schlüsselszenen verdeutlichen sehr schön die Unterschiede der Verfilmungen. Da ist einmal ein entscheidender Moment in einer Schlacht, als die Briten ihre Kanonen zu einem Tempel stellen, da sie annehmen, dass dann nicht gefeuert wird von den Indern. In MANIKARNIKA wird daraus eine bravouröse Actionszene. In JHANSI KI RANI hingegen gibt die Königin den Befehl, trotzdem zu feuern und auf Gott zu vertrauen. Und dann betet sie einfach. Und wird erhört. Modis Film ist sowieso einer des langen Atems und der stillen, gottergebenen Religiosität, wobei der Königin immer wieder eine der zentralen Stellen der Bhagavad Gita eingeschärft wird, dass der Mensch Pflicht zum Handeln, aber kein Recht auf die Früchte seiner Arbeit habe. Und dann gibt es die Todesszene, wo Kangana Ranaut während der Schlacht nach der tödlichen Verwundung in gewaltigen Flammen aufgeht. Das ist so viel sanfter in JHANSI KI RANI. Da kann die Köngin vom Schachtfeld fliehen und landet bei einem Sadhu, einem Mönch, wo sie inmitten eines schönen Gartens stirbt. In der Farbversion wirkt das so friedlich und harmonisch, dass der Tod nicht nur ohne Schrecken bleibt, sondern direkt als etwas Angenehmes erscheint. Der Sadhu verbrennt die Leiche dann mitsamt des Hauses. Die genauen Umstände ihres Todes sind, wie wie so manches andere, nicht völlig klar.

Mittwoch, 1. Januar 2020

Reema Kagtis GOLD – Rache für 200 Jahre

Da freue ich mich immer wieder, wie erholsam es ist, in indischen Filmen ständig standardböse Kolonial-Engländer, aber nicht standardböse Nazi-Deutsche zu sehen, und dann gucke ich mir endlich Reema Kagtis GOLD: THE DREAM THAT UNITED OUR NATION (2018) an, und gleich am Anfang gibt es  – Nazis. Da ich nach Möglichkeit im Vorfeld Inhaltsangaben meide, war das wirklich eine Überraschung. Doch es beginnt tatsächlich im Deutschen Reich von 1936, bekanntlich das Jahr der berühmten Olympischen Spiele in Berlin. Ein wenig ruhmreicher Moment deutscher Sportgeschichte geschieht, als das Team von British India im Hockeyfinale die Deutschen auf dem Platz demütigt und mit 8:1 die Goldmedaille gewinnt. Großer Wermutstropfen für die Inder: Man muss bei der Siegerehrung die britische Fahne ertragen. Man schwört, irgendwann sportliche Rache für 200 Jahre Unterdrückung zu nehmen, zu der es erst 1948 durch die Unabhängigkeit des Vorjahres und die ersten Nachkriegs-Spiele ausgerechnet in London Gelegenheit gibt.

Die Geschichte ist zwar inspiriert von den wahren Ereignissen, aber man hat sich, vermutlich wegen der vielen künstlerischen Freiheiten, für andere Namen für die Filmfiguren entschieden. Die von Akshay Kumar dargestellte Hauptfigur des Films ist kein Hockey-Spieler, sondern ein Verbandsmanager namens Tapan Das mit einer großen Schwäche für die Flasche, wenn das Leben nicht so will, wie er es sich vorstellt. Erst als es nach dem Krieg wieder Aussicht auf Sport gibt, wacht er aus seinem Rinnsteinkoma auf, weil er davon besessen ist, eine Hockey-Nationalmannschaft nach London zu entsenden. Dass er seine Frau zur Verzweiflung treibt, dürfte wenig überraschen und sie seufzt schon mal wenig überzeugend, dass sie da auch ein anderes Heiratsangebot hatte – vermutlich von einem zuverlässigeren und langweiligeren Mann. Denn Tapan ist auch liebenswert, intelligent und charmant und hat Ideen, die andere nicht haben, aber er kann eben auch äußerst exzessiv berauscht werden. Das sieht man in zwei sehr schönen Musiknummern. Und es sind in GOLD vor allem die einzelnen Szenen, die ausgezeichnet besetzten Figuren, die flüssige Erzählweise ohne Wiederholungen und Leerstellen, die den Film gut funktionieren lassen. Visuell leuchtet er in vielen Szenen sonnig nostalgisch und golden-optimistisch. Eine gewisse Leichtigkeit durchzieht den ganzen Film, verkörpert durch den unbändig optimistischen Kampfeswillen von Akshay Kumars Tapan Das, den keine Flasche von seinem Ziel abbringen kann. GOLD ist in der Beziehung übrigens ein ganz wunderbarer Trinkerfilm, wie man ihn im indischen Kino nicht so oft sieht.

GOLD ist Reema Kagtis dritte Regiearbeit. Sie ist ja besonders durch ihre Drehbucharbeit eng mit der Akhtar-Familie verbunden ist. An Zoya Akhtars schönem GULLY BOY (2019) war sie zuletzt als Autorin ja auch beteiligt. Die Akhtar-Familie hat wohl irgendwie Spaß an patriotischen Sportfilmen gewonnen nach dem Läuferfilm BAAG MILKA BAAG (2013), für den Farhan Akhtar immerhin einen Filmfare Award für die beste Hauptrolle bekam. Der hat GOLD mitproduziert. Und die Dialoge des Drehbuchs wurden von Javed Akhtar ausgefeilt. Da hat man es vielleicht auch ihm mit zu verdanken, dass es nicht zuletzt deshalb ein so angenehmer, unterhaltsamer Film ist, weil dessen nationales Pathos nie übertrieben oder sirupig wird. Alles bleibt sehr friedlich, ohne jede Aggressivität. Es geht um Kolonialismus und Unabhängigkeit, nationale Einheit der Regionen und Religionen, um die Teilung, die 1947 eine funktionierende Nationalmannschaft auseinander reißt, sodass von vorne angefangen werden muss. Über diese Zersplitterung des Teams freuen die Engländer sich zunächst, wobei dies ein Spiegelbild der von teile-und-herrsche bestimmten großen britischen Politik darstellt, die eine der geistigen Grundlage für die Trennung Indiens ist und zu seiner vermeintlichen Schwächung führen sollte. Doch weder Sport noch Politik sind eben so mechanisch plan- und vorhersehbar. GOLD war der perfekte Film für den Unabhängigkeitstag 2018, an dem der Film erfolgreich Premiere hatte.