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Mittwoch, 1. Januar 2020

Reema Kagtis GOLD – Rache für 200 Jahre

Da freue ich mich immer wieder, wie erholsam es ist, in indischen Filmen ständig standardböse Kolonial-Engländer, aber nicht standardböse Nazi-Deutsche zu sehen, und dann gucke ich mir endlich Reema Kagtis GOLD: THE DREAM THAT UNITED OUR NATION (2018) an, und gleich am Anfang gibt es  – Nazis. Da ich nach Möglichkeit im Vorfeld Inhaltsangaben meide, war das wirklich eine Überraschung. Doch es beginnt tatsächlich im Deutschen Reich von 1936, bekanntlich das Jahr der berühmten Olympischen Spiele in Berlin. Ein wenig ruhmreicher Moment deutscher Sportgeschichte geschieht, als das Team von British India im Hockeyfinale die Deutschen auf dem Platz demütigt und mit 8:1 die Goldmedaille gewinnt. Großer Wermutstropfen für die Inder: Man muss bei der Siegerehrung die britische Fahne ertragen. Man schwört, irgendwann sportliche Rache für 200 Jahre Unterdrückung zu nehmen, zu der es erst 1948 durch die Unabhängigkeit des Vorjahres und die ersten Nachkriegs-Spiele ausgerechnet in London Gelegenheit gibt.

Die Geschichte ist zwar inspiriert von den wahren Ereignissen, aber man hat sich, vermutlich wegen der vielen künstlerischen Freiheiten, für andere Namen für die Filmfiguren entschieden. Die von Akshay Kumar dargestellte Hauptfigur des Films ist kein Hockey-Spieler, sondern ein Verbandsmanager namens Tapan Das mit einer großen Schwäche für die Flasche, wenn das Leben nicht so will, wie er es sich vorstellt. Erst als es nach dem Krieg wieder Aussicht auf Sport gibt, wacht er aus seinem Rinnsteinkoma auf, weil er davon besessen ist, eine Hockey-Nationalmannschaft nach London zu entsenden. Dass er seine Frau zur Verzweiflung treibt, dürfte wenig überraschen und sie seufzt schon mal wenig überzeugend, dass sie da auch ein anderes Heiratsangebot hatte – vermutlich von einem zuverlässigeren und langweiligeren Mann. Denn Tapan ist auch liebenswert, intelligent und charmant und hat Ideen, die andere nicht haben, aber er kann eben auch äußerst exzessiv berauscht werden. Das sieht man in zwei sehr schönen Musiknummern. Und es sind in GOLD vor allem die einzelnen Szenen, die ausgezeichnet besetzten Figuren, die flüssige Erzählweise ohne Wiederholungen und Leerstellen, die den Film gut funktionieren lassen. Visuell leuchtet er in vielen Szenen sonnig nostalgisch und golden-optimistisch. Eine gewisse Leichtigkeit durchzieht den ganzen Film, verkörpert durch den unbändig optimistischen Kampfeswillen von Akshay Kumars Tapan Das, den keine Flasche von seinem Ziel abbringen kann. GOLD ist in der Beziehung übrigens ein ganz wunderbarer Trinkerfilm, wie man ihn im indischen Kino nicht so oft sieht.

GOLD ist Reema Kagtis dritte Regiearbeit. Sie ist ja besonders durch ihre Drehbucharbeit eng mit der Akhtar-Familie verbunden ist. An Zoya Akhtars schönem GULLY BOY (2019) war sie zuletzt als Autorin ja auch beteiligt. Die Akhtar-Familie hat wohl irgendwie Spaß an patriotischen Sportfilmen gewonnen nach dem Läuferfilm BAAG MILKA BAAG (2013), für den Farhan Akhtar immerhin einen Filmfare Award für die beste Hauptrolle bekam. Der hat GOLD mitproduziert. Und die Dialoge des Drehbuchs wurden von Javed Akhtar ausgefeilt. Da hat man es vielleicht auch ihm mit zu verdanken, dass es nicht zuletzt deshalb ein so angenehmer, unterhaltsamer Film ist, weil dessen nationales Pathos nie übertrieben oder sirupig wird. Alles bleibt sehr friedlich, ohne jede Aggressivität. Es geht um Kolonialismus und Unabhängigkeit, nationale Einheit der Regionen und Religionen, um die Teilung, die 1947 eine funktionierende Nationalmannschaft auseinander reißt, sodass von vorne angefangen werden muss. Über diese Zersplitterung des Teams freuen die Engländer sich zunächst, wobei dies ein Spiegelbild der von teile-und-herrsche bestimmten großen britischen Politik darstellt, die eine der geistigen Grundlage für die Trennung Indiens ist und zu seiner vermeintlichen Schwächung führen sollte. Doch weder Sport noch Politik sind eben so mechanisch plan- und vorhersehbar. GOLD war der perfekte Film für den Unabhängigkeitstag 2018, an dem der Film erfolgreich Premiere hatte.