Da freue ich mich immer
wieder, wie erholsam es ist, in indischen Filmen ständig
standardböse Kolonial-Engländer, aber nicht standardböse
Nazi-Deutsche zu sehen, und dann gucke ich mir endlich Reema Kagtis
GOLD: THE DREAM THAT UNITED OUR NATION (2018) an, und gleich am
Anfang gibt es – Nazis. Da ich nach Möglichkeit
im Vorfeld Inhaltsangaben meide, war das wirklich eine Überraschung. Doch es
beginnt tatsächlich im Deutschen Reich von 1936, bekanntlich das
Jahr der berühmten Olympischen Spiele in Berlin. Ein wenig
ruhmreicher Moment deutscher Sportgeschichte geschieht, als das Team
von British India im Hockeyfinale die Deutschen auf dem Platz
demütigt und mit 8:1 die Goldmedaille gewinnt. Großer
Wermutstropfen für die Inder: Man muss bei der Siegerehrung die
britische Fahne ertragen. Man schwört, irgendwann sportliche Rache
für 200 Jahre Unterdrückung zu nehmen, zu der es erst 1948 durch
die Unabhängigkeit des Vorjahres und die ersten Nachkriegs-Spiele ausgerechnet in
London Gelegenheit gibt.
Die Geschichte ist zwar
inspiriert von den wahren Ereignissen, aber man hat sich, vermutlich
wegen der vielen künstlerischen Freiheiten, für andere Namen für
die Filmfiguren entschieden. Die von Akshay Kumar dargestellte Hauptfigur des Films ist kein
Hockey-Spieler, sondern ein Verbandsmanager namens Tapan Das mit
einer großen Schwäche für die Flasche, wenn das Leben nicht so
will, wie er es sich vorstellt. Erst als es nach dem Krieg wieder
Aussicht auf Sport gibt, wacht er aus seinem Rinnsteinkoma auf, weil
er davon besessen ist, eine Hockey-Nationalmannschaft nach London zu
entsenden. Dass er seine Frau zur Verzweiflung treibt, dürfte wenig
überraschen und sie seufzt schon mal wenig überzeugend, dass sie da
auch ein anderes Heiratsangebot hatte – vermutlich von einem
zuverlässigeren und langweiligeren Mann. Denn Tapan ist auch
liebenswert, intelligent und charmant und hat Ideen, die andere nicht haben, aber er kann eben auch äußerst
exzessiv berauscht werden. Das sieht man in zwei sehr schönen
Musiknummern. Und
es sind in GOLD vor allem die einzelnen Szenen, die ausgezeichnet
besetzten Figuren, die flüssige Erzählweise ohne Wiederholungen und
Leerstellen, die den Film gut funktionieren lassen. Visuell leuchtet
er in vielen Szenen sonnig nostalgisch und golden-optimistisch. Eine gewisse Leichtigkeit
durchzieht den ganzen Film, verkörpert durch den unbändig
optimistischen Kampfeswillen von Akshay Kumars Tapan Das, den keine
Flasche von seinem Ziel abbringen kann. GOLD ist in der Beziehung
übrigens ein ganz wunderbarer Trinkerfilm, wie man ihn im indischen Kino
nicht so oft sieht.
GOLD ist Reema Kagtis
dritte Regiearbeit. Sie ist ja besonders durch ihre Drehbucharbeit
eng mit der Akhtar-Familie verbunden ist. An Zoya Akhtars schönem
GULLY BOY (2019) war sie zuletzt als Autorin ja auch beteiligt. Die Akhtar-Familie hat wohl irgendwie Spaß an patriotischen Sportfilmen gewonnen nach dem Läuferfilm BAAG MILKA BAAG
(2013), für den Farhan Akhtar immerhin einen Filmfare Award für die beste
Hauptrolle bekam. Der hat GOLD mitproduziert. Und die Dialoge des
Drehbuchs wurden von Javed Akhtar ausgefeilt. Da hat man es
vielleicht auch ihm mit zu verdanken, dass es nicht zuletzt deshalb ein so
angenehmer, unterhaltsamer Film ist, weil dessen nationales Pathos
nie übertrieben oder sirupig wird. Alles bleibt sehr friedlich, ohne
jede Aggressivität. Es geht um Kolonialismus und Unabhängigkeit,
nationale Einheit der Regionen und Religionen, um die Teilung, die 1947
eine funktionierende Nationalmannschaft auseinander reißt, sodass
von vorne angefangen werden muss. Über diese Zersplitterung des Teams freuen die Engländer sich zunächst, wobei dies
ein Spiegelbild der von teile-und-herrsche bestimmten großen
britischen Politik darstellt, die eine der geistigen Grundlage für die Trennung Indiens ist und zu seiner vermeintlichen Schwächung
führen sollte. Doch weder Sport noch Politik sind eben so mechanisch plan- und vorhersehbar. GOLD war der perfekte Film für den
Unabhängigkeitstag 2018, an dem der Film erfolgreich Premiere hatte.