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Mittwoch, 15. Januar 2020

Raj Kumar Guptas INDIA'S MOST WANTED – Terroristenjagd ohne Waffen

Raj Kumar Guptas INDIA'S MOST WANTED (2019) beginnt ganz harmonisch. Es ist ein schöner sonniger Tag in Pune. Junge Leute sitzen vor einem Café. Ein Pärchen macht Musik. Drinnen sieht man jemanden an einem Tisch, immer in der Rückenansicht, und so wie Hindi-Kino funktioniert, könnte man sich zunächst vorstellen, dass hier gleich der Hauptdarsteller einen mysteriös-spektakulären Eingangsauftritt hat. Aber diese Person steht bloß auf und geht weg, und kurz darauf geht eine Bombe hoch. Es ist ein schlimmer Terrorakt in einer Reihe von vielen. Und in gewisser Weise ist dieser Mann ein heimlicher, unheimlicher, unsichtbarer zweiter Hauptdarsteller, denn er ist das große Phantom, nach dem gesucht wird. Immer wieder ertönt seine Stimme aus dem Off mit der bekannten Terrorlogik, nach der sterben muss, wer sich nicht bekehren lässt. Dazu gibt es Bilder von den Terroranschlägen, um die Echtheit des Geschehens zu untermauern. Auf grausige Details wird dankenswerterweise verzichtet. Die wichtigen indischen Sicherheitsdienste stehen vor einem Rätsel. Sie haben noch keine Ahnung, dass Ahmed Siddibapa der Chef der Indian Mujaheedin ist, die ab 2008 für eine Reihe von Bombenanschlägen mit mehreren 100 Toten verantwortlich war.

Auch Guptas zweiter Film NO ONE KILLED JESSICA (2011) orientierte sich an einem wahren Mordfall, aber darüber war ja alles bekannt. Es war ein Mordfall, dessen Vertuschung die Medien und die Öffentlichkeit verhinderten. Alles steht in den Akten und in den Zeitungen. Diesmal ist nur der grobe Rahmen absolut sicher: 2013 ging ein indisches Undercover-Team nach Nepal, um diesen zu der Zeit schlimmsten indischen Terroristen ausfindig zu machen und mit nach Indien zu bringen. Es gelang ihnen. Aus Sicherheitsgründen kennt man weder die Details noch die Namen der Beteiligten. Auf jeden Fall war es eine Aktion ohne Waffen, denn die durften sie nicht tragen in Nepal. Das wiederum erinnert an Guptas letzten, sehr gelungenen Film RAID (2018), wo ein Steuerbeamter ohne Gewalt eine ganze Mob-Familie auseinandernimmt und ihr verstecktes Schwarzvermögen ausfindig macht. Auch diesmal geht es um Teamwork mit einem nicht minder besessenen Chef, der sein Leben dem Dienst am Land untergeordnet hat.

Hier herrscht ein praktischer, unpompöser Patriotismus vor, einer des Einsatzes, der Tat, nicht der hohlen Rhetorik. Die Agenten sind Alltagsmenschen, keine Superhelden. Arjun Kapoor spielt mit stiller Entschlossenheit den Leiter des Teams, dem bequeme Bürokraten das Leben schwer machen. Das ist zwar Standard in Spionagefilmen, aber dadurch nicht weniger wahr. Das Team besteht aus Männern, die zwar Terroristen jagen können, aber wie alle normalen Männer Angst vor der Ehefrau haben. Die sind nicht zu Unrecht oft böse, denn die Männer zweigen für ihren Job schon mal privates Geld ab, obwohl sie sowieso schon so wenig bekommen. Der Jüngste verschweigt seiner Mutter diesen Job sogar, weil die ihn sonst im Zimmer einsperren würde. Es ist der Einsatz des Einzelnen, der hier alles am Laufen hält, nicht die überbezahlte Staatsmaschinerie.

Die Story ist sehr einfach, sehr geradlinig. Es geht darum, einen Informanten zu treffen, dessen Glaubwürdigkeit zu überprüfen, den Terroristen ausfindig zu machen, ihn zu fangen und über die Grenze nach Indien zu verschleppen. Das ist alles ganz normale Agentenarbeit. INDIA'S MOST WANTED ist dicht und spannend, kommt aber fast ohne Schießerei aus. Da hat man einfach Vergnügen an den Mechanismen, die da ablaufen. Klassische Katz-und-Maus-Spannung entsteht durch die Gegner vom pakistanischen Geheimdienst, die den Indern hinterherjagen und ihren Verbündeten, den Terroristen, schützen wollen. Eingebettet ist alles in das städtische Flair von Kathmandu und die Landschaft Nepals. Die Wiedergabe dieser Atmosphäre ist sehr gelungen, was überhaupt eine der Stärken von Gupta ist. In AAMIR (2008) schickte er durch die dunklen Straßen von Mumbai einen unbeteiligten Mann, den anonyme Terroristen auf perfide Weise als Attentäter missbrauchen. INDIA'S MOST WANTED ist nicht so düster. Und der Terrorist wird aus seiner Anonymität gezogen. Ahmed Siddibapa ist inzwischen zum Tode verurteilt worden.