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Donnerstag, 2. Januar 2020

MANIKARNIKA, JHANSI KI RANI: 2019, 1953


Als ich vor kurzem endlich den Historienfilm MANIKARNIKA: THE QUEEN OF JHANSI (2019) mit Kangana Ranaut gesehen habe, hatte ich das Bedürfnis, mir zusätzlich den themengleichen alten Hindi-Filmklassiker JHANSI KI RANI (1953) von Sohrab Modi nach langer Zeit mal wieder anzuschauen. Genauer gesagt habe ich mir die zwei parallel gedrehten Versionen von Modis Film angesehen, einmal eine bunte, englischsprachige 95-Minuten-Fassung, die 1956 in den USA herauskam, und zum anderen eine 40 Minuten längere Hindi-Fassung in Schwarzweiß. Die lange Hindi-Farbversion scheint verschollen. Die Unterschiede zwischen Modis zwei Versionen liegen nicht in Musikszenen, wie man spontan annehmen könnte, denn die gibt es in beiden Filmen. Die lange Version ist entspannter, hat mehr typisch Kulturelles, zeigt eher das Bild von innen, vor allem in der ersten Hälfte. Die kurze Version ist dafür eher der gestraffte Blick von außen. Vergleicht man Modis Arbeit nun mit MANIKANRIKA, dann liegt der Unterschied nicht so sehr darin, was erzählt, sondern wie die Geschichte der Königin von Jhansi (1828-1858) interpretiert wird, die Teil der großen antibritischen Rebellion ab 1857 war und die gegen die Britische Ostindien-Kompanie kämpfte und dabei starb. Man könnte den Gegensatz des neuen und des alten Films zusammenfassen als Heldin vs. Historie.

Denn die Diskussionen darüber, wie groß Ranauts Anteil an der Regie und am Gesamtergebnis von MANIKARNIKA im Verhältnis zum Hauptregisseur Radha Krishna Jagarlamudi, kurz Krish, nun wirklich ist, sind eigentlich ganz belanglos, da es gefühltermaßen sowieso durch und durch ein Kangana-Ranaut-Film ist. Das fängt schon am Anfang an, wo sie nicht nur Reitkunststücke zeigt, sondern sogar - und ehrlich gesagt etwas albern - beim Besteigen eines Pferdes martial-arts-mäßig den fliegenden Chinesen gibt. Sie ist auch Kriegerin, aber ein ein Dorf bedrohender Tiger wird nur betäubt. Hier ist es eher die vegetarische Tierschützerin Ranaut, die über die Filmfigur bestimmt. Der Drehbuchablauf der historischen Ereignisse ist auf sie zurechtgeschnitten, und sie steht folgerichtig ganz und gar im Mittelpunkt. Als der königliche Lehrer Manikarnika auf seiner Suche nach einer passenden Frau für den Thron entdeckt, ist sie kein außergewöhnliches rebellisches sehr junges Mädchen, sondern schon eine ausgewachsene junge Frau, die dann mit dem 40 Jahre älteren König von Jhansi verheiratet wird. Es ist hier eben wichtig, dass sie in der Gestalt von Kangana Ranaut entdeckt wird und nicht als Mädchen.

MANIKARNIKA geht bis zur Ikonisierung, zur abschließenden Vergöttlichung. Außerdem ist es eine moderne Pop-Feminismus-Interpretation historischer Ereignisse, wobei so vieles ins Übersteigerte und Fantastische gleitet, was natürlich unterhaltende Schauwerte liefert. Die Persönlichkeit der Hauptdarstellerin ist es, die diesem geschmackvollen Film, der eine Reihe von sehr schönen Liedern zu bieten hat, seine unbestreitbare Energie verleiht. Wobei ich es sehr erfrischend finde, dass da in Bollywood jetzt auch eine Frau ist mit dem gewissen egomanischen Hero-Größenwahn, den man doch braucht, um solche Rollen auf so eine Art zu spielen. Denn auch wenn Frauen große Rollen haben, so spielen sie doch meist Hauptrollen und keine Hero-Rollen wie es etwa Salman Khan in seinen Ich-rette-die-Welt-und-mach-sie-besser-Knallern macht. Und so wird MANIKARNIKA immer wieder zur kraftvollen, übersteigerten Masala-Manikarnika, besonders in Bezug auf die Bösen und das Böse. Hier geht es nicht um politische Abläufe und Mechanismen, sondern um den Kampf zwischen Gut und Böse, verkörpert durch Briten, die nur dazu da sind, den Hass des Publikums auf sich zu ziehen. Es ist eine Welt der unvereinbaren Gegensätze und der bösen Mächte. Selbst der Tod des Sohnes, des eigentlichen Thronnachfolgers, erscheint hier durch dämonische Kräfte von außen verschuldet, von den Briten und von einem mit ihnen verbündeten indischen Verräter. Und so hält man sich zwar im Prinzip an die historischen Ereignisse, aber sie werden angepasst.

Aber auch bei Sohrab Modi sind Filme über geschichtliche Ereignisse nicht zweckfrei, und als Schauspieler ist er durch seine Gestalt und seine Diktion sowieso nicht zu übersehen, so wie seine Figur des königlichen Lehrers in JHANSI KI RANI eine ganz bedeutende Rolle spielt und immensen Einfluss auf die Entscheidungen der Königin hat. Hier ist also auch ein präsensstarker Darsteller mit schauspielerischem Ego. Aber dennoch wird die Geschichte nüchterner, aunaufgeregter und mit mehr Demut behandelt. Bis zu dem Streit über die Thronnachfolge versteht man sich noch mit den Briten, die Königin hat sogar einen britischen Freund aus Kindertagen. Modi war schon in den 40ern mit Filmen wie SIKANDER (1941) ein Meister des wortgewaltigen Historienfilms. SIKANDER war ein Film über den Besatzer und den Besetzten, eine Metapher für das britisch kolonialisierte Indien, aber es findet ein sachlicher Dialog statt zwischen Alexander dem Großen und König Porus. JHANSI KI RANI war dann ein feierliches Freiheits-Epos des endlich unabhängigen Indien. Der internationale Titel des Films ist THE TIGER AND THE FLAME, auf ostdeutsch DIE MAHARANI VON DSCHANSI und auf westdeutsch FEUER UND STURM. Leider lief diese beeindruckende Großproduktion in Indien nicht gut. Es war wohl so, dass das Publikum Hauptdarstellerin Mehtab mit 34 als zu alt in der Rolle der Königin empfand, was unverständlich und ungerecht ist. Sie spielt mit authentischer Würde und unerschütterlicher Stärke. Im Ganzen ist es ein gut besetzter Ensemblefilm mit einer ausgewogenen Mischung aus Sachlichkeit, Poesie und Schauwerten, den ich gerne zwei Mal hintereinander geguckt habe. Die kurze Farbfassung ist außerordentlich intensiv, spannend und wunderbar anzugucken. Es machte sich bezahlt, dass Modi den US-Kameramann Ernest Haller, verantwortlich für Licht und Bild von Farbklassikern wie VOM WINDE VERWEHT (1939) und DENN SIE WISSEN NICHT, WAS SIE TUN (1955), engagiert hatte.

Zwei Schlüsselszenen verdeutlichen sehr schön die Unterschiede der Verfilmungen. Da ist einmal ein entscheidender Moment in einer Schlacht, als die Briten ihre Kanonen zu einem Tempel stellen, da sie annehmen, dass dann nicht gefeuert wird von den Indern. In MANIKARNIKA wird daraus eine bravouröse Actionszene. In JHANSI KI RANI hingegen gibt die Königin den Befehl, trotzdem zu feuern und auf Gott zu vertrauen. Und dann betet sie einfach. Und wird erhört. Modis Film ist sowieso einer des langen Atems und der stillen, gottergebenen Religiosität, wobei der Königin immer wieder eine der zentralen Stellen der Bhagavad Gita eingeschärft wird, dass der Mensch Pflicht zum Handeln, aber kein Recht auf die Früchte seiner Arbeit habe. Und dann gibt es die Todesszene, wo Kangana Ranaut während der Schlacht nach der tödlichen Verwundung in gewaltigen Flammen aufgeht. Das ist so viel sanfter in JHANSI KI RANI. Da kann die Köngin vom Schachtfeld fliehen und landet bei einem Sadhu, einem Mönch, wo sie inmitten eines schönen Gartens stirbt. In der Farbversion wirkt das so friedlich und harmonisch, dass der Tod nicht nur ohne Schrecken bleibt, sondern direkt als etwas Angenehmes erscheint. Der Sadhu verbrennt die Leiche dann mitsamt des Hauses. Die genauen Umstände ihres Todes sind, wie wie so manches andere, nicht völlig klar.