Als ich vor kurzem
endlich den Historienfilm MANIKARNIKA: THE QUEEN OF JHANSI (2019) mit Kangana Ranaut
gesehen habe, hatte ich das Bedürfnis, mir zusätzlich den
themengleichen alten Hindi-Filmklassiker JHANSI KI RANI (1953) von
Sohrab Modi nach langer Zeit mal wieder anzuschauen. Genauer gesagt
habe ich mir die zwei parallel gedrehten Versionen von Modis Film
angesehen, einmal eine bunte, englischsprachige 95-Minuten-Fassung,
die 1956 in den USA herauskam, und zum anderen eine 40 Minuten
längere Hindi-Fassung in Schwarzweiß. Die lange Hindi-Farbversion scheint
verschollen. Die Unterschiede zwischen Modis zwei Versionen liegen nicht in Musikszenen, wie man spontan annehmen könnte, denn die gibt es in beiden Filmen. Die lange Version ist entspannter, hat mehr
typisch Kulturelles, zeigt eher das Bild von innen, vor allem in der ersten Hälfte. Die kurze Version ist dafür
eher der gestraffte Blick von außen. Vergleicht man Modis Arbeit nun mit MANIKANRIKA, dann liegt der Unterschied nicht so sehr darin, was erzählt, sondern wie die Geschichte der Königin
von Jhansi (1828-1858) interpretiert wird, die Teil der großen antibritischen
Rebellion ab 1857 war und die gegen die Britische Ostindien-Kompanie
kämpfte und dabei starb. Man könnte den Gegensatz des neuen und des alten Films zusammenfassen als Heldin vs. Historie.
Denn die Diskussionen
darüber, wie groß Ranauts Anteil an der Regie und am Gesamtergebnis
von MANIKARNIKA im Verhältnis zum Hauptregisseur Radha Krishna
Jagarlamudi, kurz Krish, nun wirklich ist, sind eigentlich
ganz belanglos, da es gefühltermaßen sowieso durch und durch ein
Kangana-Ranaut-Film ist. Das fängt schon am Anfang an, wo sie nicht
nur Reitkunststücke zeigt, sondern sogar - und ehrlich gesagt etwas albern - beim Besteigen eines Pferdes martial-arts-mäßig den
fliegenden Chinesen gibt. Sie ist auch Kriegerin, aber ein ein Dorf
bedrohender Tiger wird nur betäubt. Hier ist es eher die
vegetarische Tierschützerin Ranaut, die über die Filmfigur
bestimmt. Der Drehbuchablauf der historischen Ereignisse ist auf sie
zurechtgeschnitten, und sie steht folgerichtig ganz und gar im
Mittelpunkt. Als der königliche Lehrer Manikarnika auf seiner Suche nach einer passenden Frau für den Thron entdeckt, ist sie kein
außergewöhnliches rebellisches sehr junges Mädchen, sondern schon eine ausgewachsene junge
Frau, die dann mit dem 40 Jahre älteren König von Jhansi verheiratet wird. Es
ist hier eben wichtig, dass sie in der Gestalt von Kangana Ranaut entdeckt wird
und nicht als Mädchen.
MANIKARNIKA geht bis zur
Ikonisierung, zur abschließenden Vergöttlichung. Außerdem ist es eine moderne Pop-Feminismus-Interpretation
historischer Ereignisse, wobei so vieles ins Übersteigerte und
Fantastische gleitet, was natürlich unterhaltende Schauwerte
liefert. Die Persönlichkeit der Hauptdarstellerin ist es, die diesem
geschmackvollen Film, der eine Reihe von sehr schönen Liedern
zu bieten hat, seine unbestreitbare Energie verleiht. Wobei ich es
sehr erfrischend finde, dass da in Bollywood jetzt auch eine Frau ist
mit dem gewissen egomanischen Hero-Größenwahn, den man doch braucht, um solche
Rollen auf so eine Art zu spielen. Denn auch wenn Frauen große
Rollen haben, so spielen sie doch meist Hauptrollen und keine
Hero-Rollen wie es etwa Salman Khan in seinen
Ich-rette-die-Welt-und-mach-sie-besser-Knallern macht. Und so wird
MANIKARNIKA immer wieder zur kraftvollen, übersteigerten
Masala-Manikarnika, besonders in Bezug auf die Bösen und das Böse.
Hier geht es nicht um politische Abläufe und Mechanismen, sondern um
den Kampf zwischen Gut und Böse, verkörpert durch Briten, die nur
dazu da sind, den Hass des Publikums auf sich zu ziehen. Es ist eine
Welt der unvereinbaren Gegensätze und der bösen Mächte. Selbst der
Tod des Sohnes, des eigentlichen Thronnachfolgers, erscheint hier
durch dämonische Kräfte von außen verschuldet, von den Briten und
von einem mit ihnen verbündeten indischen Verräter. Und so hält
man sich zwar im Prinzip an die historischen Ereignisse, aber sie
werden angepasst.
Aber
auch bei Sohrab Modi sind Filme über geschichtliche Ereignisse nicht
zweckfrei, und als Schauspieler ist er durch seine Gestalt und seine
Diktion sowieso nicht zu übersehen, so wie seine Figur des königlichen Lehrers
in JHANSI KI RANI eine ganz bedeutende Rolle spielt und immensen
Einfluss auf die Entscheidungen der Königin hat. Hier ist also auch
ein präsensstarker Darsteller mit schauspielerischem Ego. Aber
dennoch wird die Geschichte nüchterner, aunaufgeregter und mit mehr Demut behandelt. Bis zu dem Streit über die Thronnachfolge versteht man sich noch mit den Briten, die Königin hat sogar einen britischen Freund aus Kindertagen. Modi war schon in den 40ern mit Filmen wie SIKANDER (1941) ein
Meister des wortgewaltigen Historienfilms. SIKANDER war ein Film über
den Besatzer und den Besetzten, eine Metapher für das
britisch kolonialisierte Indien, aber es findet ein sachlicher Dialog statt
zwischen Alexander dem Großen und König Porus. JHANSI KI RANI war
dann ein feierliches Freiheits-Epos des endlich unabhängigen Indien. Der
internationale Titel des Films ist THE TIGER AND THE FLAME, auf
ostdeutsch DIE MAHARANI VON DSCHANSI und auf westdeutsch FEUER UND
STURM. Leider lief diese beeindruckende Großproduktion in
Indien nicht gut. Es war wohl so, dass das Publikum Hauptdarstellerin Mehtab mit 34 als zu alt
in der Rolle der Königin empfand, was unverständlich und ungerecht ist. Sie spielt mit
authentischer Würde und unerschütterlicher Stärke. Im
Ganzen ist es ein gut besetzter Ensemblefilm mit einer ausgewogenen
Mischung aus Sachlichkeit, Poesie und Schauwerten, den ich gerne zwei
Mal hintereinander geguckt habe. Die kurze Farbfassung ist
außerordentlich intensiv, spannend und wunderbar anzugucken. Es
machte sich bezahlt, dass Modi den US-Kameramann Ernest Haller,
verantwortlich für Licht und Bild von Farbklassikern wie VOM WINDE
VERWEHT (1939) und DENN SIE WISSEN NICHT, WAS SIE TUN (1955),
engagiert hatte.
Zwei Schlüsselszenen
verdeutlichen sehr schön die Unterschiede der Verfilmungen. Da ist
einmal ein entscheidender Moment in einer Schlacht, als die Briten
ihre Kanonen zu einem Tempel stellen, da sie annehmen, dass dann
nicht gefeuert wird von den Indern. In MANIKARNIKA wird daraus eine
bravouröse Actionszene. In JHANSI KI RANI hingegen gibt die Königin den
Befehl, trotzdem zu feuern und auf Gott zu vertrauen. Und dann betet
sie einfach. Und wird erhört. Modis Film ist sowieso einer des
langen Atems und der stillen, gottergebenen Religiosität, wobei der
Königin immer wieder eine der zentralen Stellen der Bhagavad Gita
eingeschärft wird, dass der Mensch Pflicht zum Handeln, aber
kein Recht auf die Früchte seiner Arbeit habe. Und dann gibt es die
Todesszene, wo Kangana Ranaut während der Schlacht nach der
tödlichen Verwundung in gewaltigen Flammen aufgeht. Das ist so viel
sanfter in JHANSI KI RANI. Da kann die Köngin vom Schachtfeld fliehen und landet bei einem
Sadhu, einem Mönch, wo sie inmitten eines schönen Gartens stirbt. In der
Farbversion wirkt das so friedlich und harmonisch, dass der Tod nicht nur ohne Schrecken bleibt, sondern direkt als etwas Angenehmes erscheint. Der Sadhu verbrennt die Leiche dann mitsamt des Hauses. Die genauen Umstände ihres Todes sind, wie wie so manches andere, nicht
völlig klar.