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Mittwoch, 25. September 2019

Shakti Samantas MEHBOOBA – Tragische Liebe und Wiedergeburt

Nur ein paar Flammen brennen im Hintergrund: Während des Vorspanns von Shakti Samantas Film MEHBOOBA (1976) steht Rajesh Khanna zunächst fast ganz im Dunklen, E-Gitarre in der Hand und trägt ein sehr rhythmisches Lied vor. Langsam wird klar, dass es eine Bühnensituation ist, wobei man das Publikum am Ende nur applaudieren hört, aber nicht sieht. Das ist der Auftakt zu einer Liebesgeschichte in zwei Epochen, eine tragisch endende in der Vergangenheit, eine zweite in der Gegenwart. Partnerin ist Hema Malini. MEHBOOBA ist eine der vielen Wiedergeburtsfilme, die inspiriert sind von den Anfängen des indischen Geister- und Wiedergeburtsfilms: Kamal Amrohis MAHAL (1949) und Bimal Roys MADHUMATI (1958). Genau wie diese beiden Filme dreht es sich um ein altes Haus, einen prächtigen Palast, ein Ölporträt, ein traurig-ätherisches und ungeheuer sehnsuchtsvolles Lied und vor allem eine tragisch, vorzeitig im Tod geendete Liebesgeschichte. Zwischendurch tauchen sogar Bilder und Kameraeinstellungen auf, die vermutlich weniger bewusste Kopien aus den alten Filmen sind als vermutlich vielmehr Erinnerungsfetzen von Drehbuchautor Gulshan Nanda (1929-1985) oder Regisseur Samanta (1926-2009) oder beiden, die sicherlich diese Filme gesehen haben, als sie damals frisch herausgekommen sind. Es sind immer nur kleine Augenblicke, wo man Déjà-vu-Momente haben kann, als wäre man Protagonist in einem Mystery-Film: Das Boot im Wasser mit der geisterhaften Frau aus MAHAL. Oder die an einer gesperrten Straße endende Fahrt im Regen mit einem rettenden Haus gleich in der Nähe sowie ein Spaziergang im Wald und der Blick auf das Dschungelmädchen wie in MADHUMATI.

Es ist aber gleichzeitig eine echte Literaturverfilmung nach einem Roman von Drehbuchautor Gulshan Nanda selbst. Samanta und Nanda hatten 1971 einen großen Erfolg mit dem ausgezeichneten KATI PATANG, mit Khanna in der Hauptrolle. Der Film war eine der großen Hits der kurzen, aber heftigen Popularitätswelle, die Khanna Ende der 60er, Anfang der 70er hatte und die abebbte, als der „Angry young man“ in Gestalt von Amitabh Bachchan 1973 mit ZANJEER die Leinwandbühne des Hindi-Kinos betrat und lange unangefochten beherrschte. Doch es war nicht nur eine Starablösung, sondern auch eine des Prinzips, der Inhalte, der Haltung. Natürlich auch, weil die Zeiten sich geändert hatten und sich der Unabhängigkeits-Idealismus in Form von Sozialismus und späterem Wirtschaftsaufschwung in handfeste gesellschaftliche Probleme aufgelöst hatte. Aber MEHBOOBA erinnert daran, dass Khanna der letzte große Star der 60er war, der eine moderne, freie Version der Romantik verkörperte, wie sie in den 30ern bis in die frühen 60er mit Schauspielern wie Ashok Kumar und Dilip Kumar ganz normal war und erst Ende der 1980er, beginnend mit den Filmen von Sooraj Barjatya, im Hindi-Film wieder einen großen Raum einnehmen würde. Die nächsten beiden Wiedergeburtsfilme, vier Jahre nach MEHBOOBA, sollten dann ganz anders sein und trafen, jeder auf seine Weise und unterschiedlich erfolgreich, den Nerv der Zeit. Subhash Ghais KARZ (1980) war ein großer Blockbuster mit Rishi Kapoor und das Titellied „Om Shanti Om“ inspirierte Farah Khan zu ihrem Filmtitel OM SHANTI OM (2007). Und Chetan Anands KUDRAT (1981) war ein moderner Wiedergeburtsthriller zwischen Spiritualität und medizinischer Psychologie. Aber interessanterweise spielen bei Anand, wie in MEHBOOBA, Hema Malini und Rajesh Khanna mit.

Die Story von MEHBOOBA ist einfach: Ein mächtig erfolgreicher Sänger bekommt ein altes Saiten-Instrument, eine Tanpura, geschenkt, auf dem der Name einer Frau steht, einer Kurtisane aus islamischen Hofzeiten. Von da an ist er nicht mehr ganz er selbst. Er wacht mitten in der Nacht auf, hört klassische Musik aus dem Nichts, geht durch sein Haus. Später in der Gewitternacht, als er ein fremdes Haus betritt, ist er wie hypnotisiert, wandert weiter herum zu einem Palast, findet ein Bild und jetzt hört er sogar eine Stimme aus dem Jenseits, was zu einer langen Rückblende führt. Das alles folgt zum großen Teil reiner Traum- oder besser Tagtraumlogik. Dass jemand in solchen Liebes-Mystery-Filmen hinter der Gesangsstimme einer Frau hinterherläuft, ist nichts Ungewöhnliches, aber hier wandert jemand tatsächlich zwischen den Zeiten. Mal ist es Nacht, dann plötzlich Tag, wenn er sie sieht und gleichzeitig ist das Unwetter weg. Die Palastszenen, der Tanz, die Musik sind auch sehr gelungen und in der Liebesgeschichte steckt echte Tragik, die ohne Bösewicht auskommt. Jeder hat hier auf seine Weise recht.

Auf diesen Teil der Geschichte folgt das Wiedersehen in der Gegenwart. Und das ist dann auch der schwächere Teil des Films. Das hat ganz einfach dramaturgische Gründe, denn die Romantik ist ein bisschen weg, da es hauptsächlich darum geht, dass sie sich, so wie er, auch an alles aus der Vergangenheit erinnern soll. Daher braucht man hier einen Bösewicht, um mit Zorn und Intrigantentum Spannung zu erzeugen. Aber der Akt der Erinnerung selbst ist wiederum sehr schön. Ort ist der Palast. Zu Khannas Worten, der von der Vergangenheit berichtet, geht Malini immer im Kreis, immer schneller und die Kamera macht diese kreiselnden 360-Grad-Bewegungen unaufhörlich mit. Dazu lächelt Malini immer fröhlicher, und die Tonspur mit ihren rhythmischen Tanzgeräuschen scheint das Verschüttete eines früheren Lebens regelrecht freizuklopfen. Nur der Schluss mit seiner Kampfszene ist grässlich. Khanna ist einfach kein Action-Star. Das muss ein Zugeständnis an den inzwischen härteren, actionorientierten Zeitgeschmack gewesen sein. Hat aber auch nichts geholfen, denn der Film war ein Misserfolg.

MEHBOOBA hat einen äußerst schönen Soundtrack von R.D. Burman, der zwar mit dem poppigen Titelsong beginnt, aber im Ganzen sehr klassisch klingt. Dazu kommen schöne Visualisierungen von Regisseur Samanta. Khanna wollte übrigens zwei verschiedene Playbacksänger. Einmal Manna Dey für die klassische Epoche, auf die dieser spezialisiert war im kommerziellen Hindi- Kino. Sein ganzes Können hört man am besten in „Gori Tori Paijaniya“. Und Kishore Kumar dann, die eigentliche Stimme Khannas, übernahm die Gegenwart. Lata Mangeshkar singt das herausfordernde „Aapke Shahar Mein Aayi Hoon“, zu dem Malini auf Khannas Hochzeit mit einer anderen tanzt. Ein Duett von Mangeshkar und Kumar ist das Liebesduett „Parbat Ke Peeche Chambela Gaon“ mit hübscher Berglandschaftspoesie. Das zentrale Lied des Films aber ist „Mere Naina Sawan Bhadon“, das aus dem Nebel der Vergangenheit erklingt. Khanna sitzt und raucht, schaut zum Kronleuchter hinauf, der mit dem Einsetzen des Gesangs leicht und sehnsuchtsvoll ins Schwanken gerät. In der Gegenwart singt er es dann selbst, damit sie sich an das erinnert, was zwischen ihnen beiden einst war.