Verrisse
und Lobeshymnen haben etwas gemeinsam. Man kann sich hineinsteigern.
Und dabei richtig Spaß haben. Nur dass es bei Lobeshymnen nicht
sonderlich schlimm ist, wenn man übertreibt. Was macht es schon,
wenn man einen Film vor Begeisterung besser macht, als er ist? Bei
Verrissen ist das etwas anderes. Da muss man aufpassen, die Grenzen
nicht zu überschreiten, damit man nicht etwas schreibt, dass einem
später leid tun könnte. Filmregisseur Truffaut war in seiner Zeit
als Kritiker zu jeder Bösartigkeit fähig. Als er Mitte der 70er ein
Buch mit seinen wichtigsten Kritiken zusammenstellte, nahm er nicht
eine einzige deftige Rezension mit hinein. Kollege Godard fand das
unehrlich. Vielleicht. Aber um so was überhaupt zu verhindern,
können Verrisse schrecklich viel Arbeit machen, vor allem wenn die
Filme von Leuten sind, die man sonst uneingeschränkt mag. Ich weiß
noch, wie ich mich abgequält habe bei einem Artikel zu Ashutosh
Gowarikers MOHENJO DARO (2016), um genau darzulegen, was meiner
Meinung nach so schrecklich schief gegangen ist bei dem Film.
Übrigens hätte ich nicht erwartet, einen Film mit Süd-Star Prabhas
nicht zu mögen.
Ändert aber nichts an
der Tatsache: Für mich ist der Heist-Actionthriller SAAHO (2019) von
Regisseur Sujeeth der erste indische Kinofilm in diesem Jahr, an dem
ich einfach nichts Gutes finden kann. Gar nichts. Klar, die Kinder im Saal haben es wohl gemocht, wie ich hinterher den Eindruck hatte. Krach,
bum, Glamour, Glitzer. Wie eine leider schlecht gelaunte Achterbahnfahrt. Und die PR-Propaganda um die Einspielergebnisse ließ tatsächlich denken, dass das Publikum es anders sieht als die Kritiker. Aber die Zahlen täuschen. Im Kino wird der Film seine hohen Kosten wahrscheinlich nicht einspielen. Es hat sich nach dem ersten Ansturm also doch herumgesprochen. Dass beispielsweise die Gags nicht lustig sind. Dass es echt anstrengend war, überhaupt nicht zu denken, damit man
jedenfalls so tun konnte, als mache die Aneinanderreihung einzelner
Szenen irgendeinen Sinn. Dabei machen mir sinnfreie Bollywoodkomödien
ja oft viel Spaß, aber hier war alles viel zu angestrengt und
verbissen. Selbst der ausladende, schnelle Stil mit den Schnitten und
den Einstellungswechseln wirkte verkrampft und unnatürlich. Bei den
Action-Szenen habe ich bloß die Programmierer am Computer vor mir
gesehen. Und die Musik … War da etwas, was sich Musik nennen
dürfte?
Natürlich gibt es
Zuschauer, die einen ganzen Film durch in Form einer Art Tunnelblick
nur auf ihren Star-Helden achten und sich keine Gedanken um
irgendwelche filmischen Qualitäten machen. Das ist auch eine
Art, einen Film zu gucken. Aber leider fand ich hier selbst die Stars
in Haupt- und auch Nebenrollen fürchterlich blass und
orientierungslos. Routiniert spielten sie ihr Pensum herunter. Sowohl
Prabhas wie auch dem ganzen Film fehlt etwas, was ein Film über einen
genialen Dieb haben müsste: Charme. Das einzig Gute an dem Ganzen
ist eigentlich, wie eindringlich der Film unfreiwillig beweist, dass
das indische Kino zwar dem Marketing nach ein Starkino, ein
Heldenkino ist. Aber in Wirklichkeit hängt eben doch alles vom
Regisseur ab. Wie schon Kareena Kapoor einmal in einem
Filmfare-Interview festgestellt hat. Und sie hat recht. Auch ein
Prabhas kann nicht von alleine funktionieren und das Charisma wie in
Rajamoulis BAHUBALI (2015) versprühen. Dabei wird rein formal alles
getan, um ihn ikonisch herauszustellen, inklusive BAHUBALI-Verweisen,
was aber gar nicht ironisch, sondern eher hilflos wirkt. Da springt
er vom Felsen, da wird er von einem Raubtier angegriffen. Und am Ende
gibt es noch ein bisschen Endzeit-Wüstenfilm.
Auf dem Papier muss SAAHO
sich gut angehört haben. Und es gibt ja wirklich eine schöne und
lange Tradition des fantasievollen Krimis und Agentenfilms im
indischen Kino. Wer ihn nicht kennt, sollte sich mal Vijay Anands
JEWEL THIEF (1967) mit Dev Anand angucken. Auch mit Shammi Kapoor hat
Vijay Anand solch einen unterhaltsamen Thriller gedreht: TEESRI
MANZIL (1966). Der Regisseur bei SAAHO heißt ja, wie erwähnt,
Sujeeth und es ist sein zweiter Film nach einem Werk aus dem Jahre
2014. Vermutlich hat er ein paar Jahre an dem Drehbuch gesessen und
hat dabei jede Idee, die ihm in dieser Zeit gekommen ist, die er aus
einem anderen Film geklaut hat, notiert und dann alles in einen
einzigen Film gepackt. Daher gibt es in diesem Film nur einen
Anwärter auf den Herrscherthron des genialen Diebes. Das ist der
Regisseur. Nicht Prabhas. In einer Mischung aus Dilettantismus,
Selbstverliebtheit oder vielleicht der reinen Panik, zu wenig oder
einen Fehler zu machen, wirkt der Film eher wie eine Parodie auf den
deftigen Stil der Blockbuster aus dem Süden. Gleichzeitig ist der
Regisseur offensichtlich so stolz auf seine visuelle Welt, dass man
direkt hören kann, wie er sich ständig auf die Schulter geklopft
hat. Er hat dabei den Film als großes Ganzes vergessen.