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Donnerstag, 22. August 2019

MISSION MANGAL – Indische Haushaltswissenschaft

Wie dreht man mit MISSION MANGAL (2019) einen kurzweiligen 2-Stunden-Film über die erfolgreiche Mars-Satelliten-Mission der indischen Raumfahrtbehörde IRSO (Indian Space Research Organisation) im Jahre 2013, bei der es einmal um einem Haufen bürokratischer Streitigkeiten und dann vor allem um mathematische und naturwissenschaftliche Details geht. Wie mache ich alles leichter und kleiner? Wie verbrauche ich weniger Treibstoff? Die Wirklichkeit muss eine detektivisch-akribische Kleinarbeit gewesen sein, die vermutlich spannender war als alles, was der Film erzählt. Aber ein Mainstream-Film, ein „Familien-Blockbuster“, wie es in der Werbung lautet, kann natürlich nur die Oberfläche streifen, sodass es, im wahrsten Sinne des Wortes, jedes Kind versteht. Wobei man sagen muss, dass der Film ganz gut darin ist, die Erklärungen und Zusammenhänge unterhaltsam zu vermitteln. Ein Kompliment an die Drehbuchautoren, darunter Regisseur Jagan Shakti und der allseits bekannte R. Balki.

Vor allem zeigt man das Privatleben der Wissenschaftler, tatsächlich Menschen wie du und ich, von jedem so ein kleines Mosaiksteinchen. Taapsee Pannu kann nicht Auto fahren. Sonakshi Sinha muss morgens rechtzeitig die Männer aus dem Schlafzimmer werfen, damit die Reinmachefrau keinen moralischen Herzanfall bekommt. Eine andere, Moslemin, bekommt wegen ihres Namens keine Wohnung vermietet. Nur der Leiter des Teams, Akshay Kumar, hat kein Privatleben. Er ist mit seinem Beruf verheiratet. Soll es ja auch geben. Bloß über die von Vidya Balan gespielte Frau und ihre Familie erfährt man etwas mehr. Und wenn dann das Forscherteam mit schmalem Budget einfallsreich sein muss, kommt die Inspiration oft aus eben diesem Privatleben, aus den Erfahrungen des täglichen Haushalts. Das sind dann Lösungen, über die manch gestandener Bürokraten-Mann erst einmal lacht, die aber rückwirkend betrachtet so einfach und augenfällig erscheinen, dass man sich besorgt fragt, warum noch niemand vorher darauf gekommen ist. Vielleicht sorgt zu viel Geld ja für gedankliche Bequemlichkeit.

Und deshalb erzählt der Film uns, dass es kein Unmöglich gibt. Mir hat das übrigens vor langer Zeit der große amerikanische Filmregisseur Allan Dwan beigebracht, der in dem empfehlenswerten Interviewbuch „The Last Pioneer“ eine lehrreiche Anekdote erzählt. Bei Stummfilmdreharbeiten in der Prärie übernachtete er einmal im Haus eines Pfarrers, dessen Frau eine brillante Köchin war. Als sie ihn fragte, wie er sein Frühstücksei wolle, sagte er, vermutlich etwas aus Übermut, „halb gekocht, halb gebraten“. Aber das ist es, was er bekam. Die Dame kochte ein weiches Ei, schnitt ein Ende auf, ließ etwas herausfließen und briet es. Der Rest blieb gekocht. Und so aß er sein Ei, wie gewünscht, „halb gekocht, halb gebraten“. Dwan sagte: „Damit übertrumpfte sie Christopher Columbus. Und es lehrte mich, dass nichts unmöglich ist. Wann immer ich auf ein schweres Problem stoße, denke ich an dieses Ei.“ Da ich jetzt eh schon abschweife, interessiert es die Freunde der Wissenschaftsgeschichte vielleicht, dass Dwan ursprünglich Ingenieur und bei der Peter Hewitt Company in Chikago Mitentwickler der Quecksilberdampflampe war, die man dann auch beim Film einsetzte und die der Vorläufer der Neonlampe war.

Aber diese Art, an Probleme heranzugehen, ist natürlich eine besondere Haltung, eine halb instinktive, halb intellektuelle Einstellung, die mit bürokratischem Dienstabreißen in einer staatlichen Behörde nicht zu verbinden ist. Deshalb geht es in dem Film auch um Motivation. Und an dem Punkt wird der Satellitenfilm zum Sportfilm. Mannschaftssport natürlich. Die Beispiele aus dem Sport, die hier in Dialogen gebraucht werden, sind nicht zufällig. Es geht um ein Team aus begabten, aber hauptsächlich jungen und unerfahrenen Leuten, denen keiner etwas zutraut, die aber ihr wahres Potential entdecken. Im Film wird als sportliches Gleichnis der indische Gewinn des Cricket World Cup im Jahre 1983 genannt. Patriotismus ist hier natürlich auch eine Motivation, denn man macht es nicht allein für sich. Und irgendwie spricht der Film gleichzeitig auch immer das Kinopublikum an. Und wird dadurch auch zum Werbefilm.

Ein Werbefilm für die Raumfahrt und die Wissenschaft allgemein und vor allem für Frauen in den Wissenschaften, denn das Team besteht vornehmlich aus Frauen. Es geht um Begeisterung für die Wissenschaft, um weibliche Begeisterung für die Wissenschaft. Deshalb sollte dieser Blogbeitrag auch erst „Frauen auf den Mars“ heißen, aber dann begann ich zu befürchten, dass man das missverstehen könnte. Und das passiert heutzutage so schnell. Und es geht um junge weibliche Begeisterung. Und wenn die deutschen Unis mal wieder Programme zu „mehr Mädchen in Physik“ oder so was machen, sollten sie einfach diesen Film zeigen. In seiner Wirkung ist er sehr überzeugend und funktional. Obwohl man dann natürlich fürchten muss, dass plötzlich alle später nach Indien wollen. Wegen fehlender Möglichkeiten hierzulande. 

Dabei wäre es ja irgendwie schön, wenn man sich in Deutschland mal ganz praktisch für etwas anderes begeistern könnte als für den Temperatur-Weltuntergang. Dann würden die Rezepte dagegen vielleicht auch nicht so fürchterlich den brillanten Methoden gegen radioaktiven Fallout in den 1950ern ähneln: Buch über den Kopf und unter den Tisch kriechen. In MISSION MANGAL braucht man keine "Klimawandel-Ersatzreligion für eine atheistische Gesellschaft", wie jemand es vor Jahren schön ausgedrückt hat. In MISSION MANGAL existieren durch die Figur von Vidya Balan und das, was sie darüber sagt, Gott und Wissenschaft ganz selbstverständlich und problemlos miteinander und nebeneinander. Deshalb kann man sich mit wichtigen Dingen beschäftigen. Gestern stand noch in Welt Online, dass Deutschland bei Raumfahrt nur noch dumm zuguckt. Jetzt könnte man natürlich sagen, dass das sehr philosophisch und weise ist, denn an sich wird die Menschheit durch Raumfahrt nicht glücklicher. Leider ist es aber doch viel eher eine deutsche stupide Trägheit und Verblödung, die es früher nicht gab und die seltsamerweise nur wenigen unheimlich vorkommt. Jetzt bin ich wieder abgeschweift... Aber zu MISSION MANGAL gibt es einfach nicht viel mehr zu sagen. Der Film ist sympathisch und macht Spaß. Das reicht doch schon.