GUNJAN SAXENA: THE KARGIL GIRL (2020) ist vor allem ein Film über die Verwirklichung eines scheinbar unmöglichen Traums. Von klein auf will das 1975 geborene Mädchen Gunjan Saxena Pilotin sein und fliegen. Dafür tut sie alles, aber immer wieder sind die Widerstände größer als erwartet, sodass sie wiederholt kurz davor ist aufzugeben. Bis sie bei der indischen Luftwaffe ihre Chance suchen kann. Auf diese plötzliche Möglichkeit, die sich ihr durch eine neue Rekrutierungspolitik eröffnet, macht sie ihr Vater, selbst Offizier, nicht nur aufmerksam. Der Vater an sich ist es, der sie immer wieder aufmuntert weiterzumachen, nicht aufzugeben, der sie auch vor den aggressiv-traditionellen Ansichten des Bruders beschützt. Der wahre Kern des Films ist also weniger das Militär, sondern dieses Vater-Tochter-Verhältnis, das sich später bei einem älteren, sie fördernden Offizier, im Kleinen wiederholen wird.
Und an sich wird diese Vater-Tochter-Geschichte durchaus hübsch, nett erzählt. Wenn mich nicht irgendwas irritiert hätte. Denn auch wenn die reale Gunjan Saxena selbst irgendwie an dem Projekt beteiligt war, stellt sich schon bei diesem Teil des Films die Frage, wie authentisch das alles eigentlich ist. Das ist zwar nicht unbedingt etwas, dass an sich bedeutsam sein muss, aber ich hatte beim Sehen des Films ein seltsames Deja-vu-Feeling, schob es aber zunächst auf die Tatsache, dass man solch eine Geschichte ja nicht zum ersten Mal erzählt bekommt. Aber dann wurde mir klar, dass es mich an den Malayalam-Film UJARE (2019) erinnerte, wo das spätere Säureopfer unbedingt Pilotin werden will und dabei bedingungslos von ihrem Vater unterstützt wird.
Als Saxena es dann tatsächlich in die Armee zur begehrten Ausbildung zur Hubschrauberpilotin geschafft hat, ist sie die einzige Frau dort und es wartet überall Widerstand. Mit aller Kraft macht der Film sie zur Solo-Heldin, um dann die Story in das klassische Gut-Böse-Schema zu pressen. Denn eine Heldin braucht Gegnerschaft, um sich zu beweisen. Und wie es sich gehört für einen Armeefilm, ist es besonders ihr Ausbilder, der sie terrorisiert, der ihr klarmachen will, dass sie als Frau nicht die richtige Härte für den Krieg hat.
Und ab da vergisst man lieber, dass das alles angeblich inspiriert ist von einer echten Geschichte, denn erzählt wird es so offensichtlich klischeehaft und grob holzschnittartig und nach Standard-Muster, dass man spätestens jetzt weiß, an einen ganz beliebigen Armeefilm nach Baukastenprinzip geraten zu sein. Und auch hier kann man übrigens ein Deja-vu haben. Denn am Ende rettet Saxena ihrem Ausbilder das Leben. Das erfordert nicht nur die Dramaturgie. Das gibt es zufälligerweise auch in dem thematisch verwandten US-Erfolgsfilm DIE AKTE JANE (1997) von Ridley Scott. Aber das war ein Film, der die Fiktion seiner unterhaltsam militaristisch-feministischen Phantasie ja gar nicht verleugnete. Allein der Originaltitel G.I. JANE, statt des Ausdrucks „G.I. Joe“, gab dem Ganzen etwas Allgemeines. GUNJAN SAXENA hingegen arbeitet mit dem Namen einer historischen Person.
Die indische Luftwaffe hat sich gegen ihre eigene Darstellung im Film gewehrt und einige Korrekturen veröffentlicht. Schließlich wird der Film unverschämterweise mit "A true story" beworben. Dabei ist die Frage, wie korrekt das Ganze ist, zumindest für die Betrachtung und Bewertung des Films unwichtig. Schließlich ist es ein Spielfilm. Selbst die Tatsachen, dass Gunjan Saxena in Wirklichkeit nicht die einzige neue Pilotin war, dass die Heldentat am Ende nicht stattgefunden hat, sind nicht das Problem. Dennoch hat man hier eine Chance vertan. Natürlich gab es Probleme, Reibungen, Widerstände und sicher auch genug Männer, die an sich keine Frauen in der Armee wollten, aber in GUNJAN SAXENA herrscht eine unglaubwürdige, unsubtile, ganz offene, grundsätzlich kollektive Ablehnung. Andere Fliegerinnen berichten, dass es in Wirklichkeit eher um eine unterschwellige Ablehnung ging, was sehr glaubwürdig klingt. Doch der Film greift aus purer Faulheit zur Methode der Stereotypisierung, um gegen Stereotypisierung anzukämpfen. Mit den Mitteln des Kinokassenfeminismus stereotypisiert man ganz einfach die Armee und die Soldaten an sich. Das ist kein Verbrechen, aber es produziert einen langweiligen, fürchterlich vorhersehbaren Film ohne jede Zwischentöne.
Janhvi Kapoor spielt
Saxena, und voller künstlicher Emotionalisierungen haben große
Teile des Publikums darauf reagiert. Auf der einen Seite totale
Begeisterung, auf der anderen kühle Nepotismus-Verachtung, als wäre
das ein Kriterium. Die Nepotismus-Debatte ist eine müßige Debatte,
da Bollywood eine Privatindustrie ist und das Schöne daran ist, dass
der Staat da keine Eingreifmöglichkeiten hat und auch nicht haben
sollte. Und es wird auch schnell vergessen, dass das indische
Starsystem andere Qualitäten verlangt, als allein schauspielern zu
können. Und Starkids hatten schließlich eine ganze Kindheit und
Jugend Zeit, sich das alles durch Zugucken anzueignen. Aber ist
Janhvi Kapoor eine gute Schauspielerin. Ich weiß es nicht. Spielt
Janhvi Kapoor gut in GUNJAN SAXENA? Sie funktioniert ganz ordentlich
in einem nicht sonderlich guten Film. Mehr wird von ihr nicht
verlangt. In Zoya Akhtars Episode aus dem Horror-Omnibusfim GHOST
STORIES (2019) hat sie mir aber sehr gut gefallen. Aber das war ja
auch ein guter Kurzfilm von einer guten Regisseurin. Man muss halt
abwarten. Oh ja, einen Regisseur hat der Film angeblich auch:
Saran Sharma. Wieder einmal hat Produzent Karan Johar einen
Assistenten und Regiedebütanten verschlissen, von dem man vermutlich
nicht mehr viel hören wird.