KALANK (2019) ist
wunderschön anzugucken und auch musikalisch angenehm anzuhören. Unter der Regie von Abhishek Varman
ziehen die edlen Bilder zu halbklassischer indischer Musik an einem vorbei, und
das macht Spaß, wenn man sich darauf einlässt und nichts anderes
mehr erwartet. Nicht nur auf IMDb blühen aber
momentan die negativen Rezensionen, wobei von vielen Autoren alle Elemente
des Films bösartig in die Tonne getreten werden. Aber man sollte die
Kirche oder den Tempel im Dorf lassen. Das Hindi-Kino der letzten
Jahre war dermaßen voll von realistischen Filmen mit wenig Liedern
und von nach dem dramaturgischen Regelwerk erzählten Storys, dass es
mir gefällt, wenn gleich von Anfang an Lieder und prächtige Szenen
in ausschweifendem Stil endlos aufeinanderfolgen. Und das alles
inmitten großer, weiter Dekors, hübschen Frauen in hübschen
Kleidern, in denen perfekt getanzt wird. Jedes Bild gibt einen neuen
malerischen Eindruck, mal von oben, von der Seite, von unten. Und das
geht lange so, oder eigentlich den ganzen Film hindurch. Einer der
Höhepunkte ist ein prächtiges Dussehra-Fest, wo Alia Bhatt und
Varun Dhawan vor einer brennenden Ravana-Statue stehen.
So lernt man dann
zwischendurch, nach und nach, die einzelnen Figuren kennen, als
sollte man daran erinnert werden, dass der Film ja auch noch etwas
erzählt, aber das ist eigentlich alles eher nebensächlich. Denn bis
auf ganz am Schluss, beim dramatischen Finale, hat das Formale die
Oberhand und ist das Wichtigste. Und das ist doch mal eine gute
Gelegenheit, um ein paar verantwortliche künstlerische Mitarbeiter
und Mitarbeiterinnen zu erwähnen, die man sonst so schnell außer
Acht lässt, als wäre ihre Arbeit selbstverständlich. Aber hier
sind sie die wahren Stars. Wenn ich bei einem Film von Sanjay Leela
Bhansali nicht das Bedürfnis habe, sofort nach den Verantwortlichen für Kamera oder Dekor zu
gucken, dann weil alles ein Teil der Vision des Regisseurs ist. Aber
da ich in KALANK keine Vision und keine Regie erkennen kann, ist das
hier anders. Und da kann man übrigens nebenbei den Eindruck bekommen, dass die Macher
von KALANK ganz geplant in Bhansalis Gewässern fischen wollten.
Cinematographer, also
verantwortlich für die Bilder, das Licht, ist Binod Pradhan, der
etwa die großartigen Filme aus den 90ern von Vidhu Vinod Chopra
gemacht hat, wie MISSION KASHMIR (2000) und 1942: A LOVE STORY
(1994). Aber er hat auch Bhansalis DEVDAS (2002) gemacht, hat also
schon einmal Madhuri Dixit als liebende und tanzende Kurtisane
ausgeleuchtet und gefilmt. Bei den Kostümen findet sich Maxima Basu,
die daran auch für Bhansalis RAM-LEELA (2013) und dessen BAJIRAO MASTANI
(2015) gearbeitet hat. Die Musik ist von Sanchit und Ankit Balhara,
deren schöne Sounds man ebenfalls schon bei Bhansali gehört hat.
Sie gehören zu denen, die für die Eleganz in dieser
Dharma-Produktion Karan Johars sorgen und einen visuell
übersteigerten, vergangenen Traum des nordöstlichen Indiens vor der
Teilung herbeizaubern, bis am Ende alles brennt, vernichtet wird von
hasserfüllten Massen.
Aber daneben gibt es noch die Mitte der 1940er im heutigen Pakistan angesiedelte Geschichte um
eine sterbende Ehefrau, die ihre Nachfolge selbst regelt, ein
Familiengeheimnis, einen unehelichen Sohn mit Rachegelüsten, eine
würdevolle Kurtisane und Bordellbesitzerin. Und dann auch noch etwas
verworrene Politik um den Kampf der einzelnen Schmiedehandwerker gegen die
Industrialisierung, um die Auseinandersetzungen für und gegen die Teilung Indiens,
als viele eiligst für vollendete Tatsachen durch die gewaltsame
Vertreibung der jeweiligen Minderheiten sorgten. Und da hüpft der
Film von einem Thema zum nächsten, ohne sich wirklich für eines von
ihnen zu interessieren. Und irgendwie im Mittelpunkt ist eine
Dreiecksbeziehung, die mit dem Fluss der Bilder so dahintreibt. Alia
Bhatt ist elegant und spielt routiniert. Varun Dhawan ist gut im
Zornigsein. Aditya Roy Kapoor ist der scheinbar unerschütterliche
Geschäftsmann-Intellektuelle. Da haben es die älteren Stars besser.
Sanjay Dutt und Madhuri Dixit haben eine überlebensgroße
Leinwandpräsenz, die Bhatt oder Dhawan trotz aller Qualitäten noch nicht
haben. Die immer würdevolle Madhuri Dixit braucht nur da zu sein und alles
bekommt irgendwie Bedeutung.
Erst als die Story auf das große Finale zusteuert, kommt der Film
dramaturgisch und emotional etwas besser in Schwung, aber das
wiederum ist vor allem dem Schnitt zu verdanken, also Shweta Vekant.
Was an KANKAL von Anfang
an auffällt, ist die Angst, den Zuschauer zu verlieren, ihn nicht
aus dem Bann der Bilder zu lassen. Das ist das genaue Gegenteil von Abhishek Varmans 2 STATES (2014), einer kleinen sympathischen Familienkomödie mit
Alia Bhatt und Arjun Kapoor über Freud und Leid der Beziehung
zwischen einer Tamilin und einem Punjabi. In diesem
Regiedebüt war vieles gedehnt, langatmig, und das
kann man bei einer teuren Großproduktion nicht zulassen. KALANK geht
also sofort in die Vollen, als misstraute man der Wirkung der
Geschichte an sich. Vor dem Vorspann gibt es sogar mehrere Szenen von
den späteren filmischen Höhepunkten, wie eine Art verwirrender Minitrailer.
Dann erzählt Alia Bhatt auch noch plötzlich zehn Jahre später
einem Reporter ihr Leben, ganz unvermittelt, und nur in ein paar
Szenen. Allerdings frage ich mich da, ob der Film ursprünglich
anders aufgebaut oder noch länger war, ob da mehr Zusammenhang in
den Einzelteilen war. Hat Produzent Karan Johar im Endeffekt dieses
zur Abstraktion tendierende Destillat aus Höhepunkten zu
verantworten? Hat er seinem Regisseur das Heft aus der Hand genommen?
Spekulation, unmöglich zu sagen.
Jedenfalls beruht KALANK auf einem
alten Projekt seines Vaters Yash Johar. Es ist der letzte Film, an
dem dieser vor seinem Tod 2004 gearbeitet hat. Aber es ist immer
etwas problematisch, die Vision eines anderen zu verwirklichen. Das
erklärt vielleicht auch, warum der Film im Formalen stehenbleibt und
so wenig echte Innerlichkeit hat, was für eine Johar-Produktion
dieser Art ungewöhnlich ist. Da ist so vieles, was unzusammenhängend wirkt.
Ganz am Ende spricht Varun Dhawans Figur auch noch einen Satz aus dem
Grab, warum auch immer. Und dann folgen noch ein paar weise
Kalendersprüche mit einer sonnenbeschienenen seligen Alia Bhatt,
woraufhin der Zuschauer mit einer prätentiösen Frage über „Liebe
oder Zerstörung?“ in den Nachspann entlassen wird. Die Panik eines
Misserfolgs liegt in diesen Methoden. Ich habe absolut nichts gegen
Seifenopern, aber in solch einem Film, der eigentlich etwas Anderes,
Größeres, Ernsteres will, sind ihre Mittel unpassend. Aber, wie
gesagt, KALANK ist wunderschön anzugucken. Da sollte niemand auf die
vielen berufsnegativen Stimmen im Netz hören und sich etwas anderes
einreden lassen.