Es ist schön, wenn ein
Film genau das hält, was der Trailer verspricht. So ist es bei
LUCIFER (2019), dem neuen Malayalam-Film aus dem südindischen
Bundesstaat Kerala, mit Superstar Mohanlal in der Hauptrolle. Regie
geführt hat mit Prithviraj Sukumaran ein jüngerer Starschauspieler,
und das zum ersten Mal. Der Film ist ein visuell ansprechendes, dicht
erzähltes Polit-Gangster-Drama zwischen. Und natürlich gibt es Massenszenen und Action,
Kämpfe Mann gegen Mann, und dann mit Vorliebe Mohanlal gegen einen
ganzen Haufen. Aber größtenteils besteht der Film aus Dialogen, aus
verbalen Auseinandersetzungen, aus der einfachen Konfrontation von Menschen. Gelegenheit für markante Sätze. Und das fast volle drei Stunden lang in einem ordentlichen Tempo, in dem die Handlung
vorangetrieben wird. Da werden keine Konzessionen an Menschen mit träger
Auffassungsgabe gemacht.
Das Drehbuch stammt von
Morali Gopy, der als Journalist angefangen hat. Da wundert es nicht,
dass die Story eingeleitet wird von einem unabhängig arbeitenden
Enthüllungs-Journalisten, der in seinem Live-Vlog die
Ausgangsvoraussetzungen der Story erzählt: Da ist ein toter,
mächtiger Politiker, Ministerpräsident von Kerala und
unbestrittener Chef in seiner Partei. Und dann sind da die Menschen,
die unter Umständen Anspruch auf seine Nachfolge haben. Wie ein
einleitender Erzähler im Theater berichtet der Reporter dies alles.
So geht keine Zeit verloren und es geht schnell mitten rein ins
Geschehen. Die große Unbekannte bleibt eine Zeitlang ein gewisser
Stephen in der Gestalt von Mohanlal, den man versucht, von den
Trauerfeierlichkeiten fernzuhalten.
Das Schöne an
überlebensgroßen rächenden Helden ist die Tatsache, dass die Wirklichkeit in
ihrer ganzen möglichen Grässlichkeit dargestellt werden kann, ohne beim Zuschauer Depressionen auszulösen, denn
es kommt ja jemand, um aufzuräumen, um zu retten. „Das ist die
größte Komödie der Welt. Indische Politik.“, sagt der Sohn des
verstorbenen Politikers, der erst mal durch die Maske musste, um
seinem Vater zu ähneln. Eine fertige Rede hat man auch schon für
ihn. Eine Welt des Scheins, des Marketings und der Lügen. Aber wenn
das nur alles wäre, doch im Mittelpunkt steht der
graue Backstage-Bereich der Kerala-Politik. Und Macht gibt es natürlich selten ohne Geld und Korruption. Mit Geld kauft man sich die Polizei, die Jusiz, auch die Medien, die sogenannte freie Presse. Dass die Finanzierung der Politiker und Parteien durch
dunkle Kanäle wie illegale Immobilien- und Grundstücksgeschäfte
erfolgt, ist nichts Neues. Aber in diesem Film kommt als große
Bedrohung das Drogengeld dazu. Und da geht nichts ohne die
Russenmafia. Doch für solche Probleme ist der mysteriöse Stephen ja zur Stelle, der Luzifer des Filmtitels, der mythische Ex-Engel Gottes.
Denn das Böse kann man nach seiner Logik nur mit dem Bösen
bekämpfen. Deshalb wird er gebraucht. Und zur Abwechslung gibt es
hier mal keine Anspielungen auf die indischen Epen, sondern aufs
Christentum. Denn in Kerala lebt ja eine stattliche christliche
Minderheit. Sogar der Gegensatz Barabbas-Jesus wird hier
herangezogen, als Stephen durch eine Fake-News-Intrige kurzzeitig im
Gefängnis sitzt.
Regisseur Prithviraj
konzentriert sich ganz darauf, innerhalb dieser inhaltsreichen Story
einen Mythos aus gut und böse zu inszenieren. Denn natürlich
benutzt Stephen alle Mittel, ist aber auch ein Wohltäter für die
Opfer, finanziert ein Haus für einsame schwangere Frauen. Und so
spielt Mohanlal ohne viele äußere Gefühlsregungen, sehr
konzentriert, und nie mit übereilten Bewegungen. Er hat es nicht
nötig, künstlich Aufmerksamkeit zu erzeugen. Er spielt keine
Gefühle, keine Gedanken, sondern absolute Souveränität. Und man
muss kein Mohanlal-Fan, mit einem Gepäck von früheren Filmen im
Kopf, sein, um das zu genießen. Die Regie unterstützt das sehr bewusst und geschickt. Wenn
Mohanlal seine Solo-Auftritte hat, scheint der Film in eine andere Dimension zu wechseln. Es ist
amüsant, dass Regisseur Prithviraj selbst den präzise agierenden obersten
Gangster-Gehilfen der Mohanlal-Figur spielt. Eine Anspielung auf
seine Hauptfunktion. Denn es ist eben sein gelungener Hauptjob gewesen,
Mohanlal ins rechte Licht zu setzen, sodass dieser den ganzen Film
hindurch entspannt bleiben kann. Der Gegenspieler ist Vivek Oberoi
als schleimiger Schurke ohne jede gute Eigenschaft. Er macht die
Stieftochter sogar absichtlich mit zu starkem Marihuana krank und
willenlos und missbraucht sie sexuell.
Trotz
der Länge gibt es fast keine Lieder in dem Film. Das erste ist mit "Varika Varika" ein nationalistisches Marschlied für die Massen aus der Zeit der Unabhängigkeit und wird passenderweise im Gefängnis angestimmt. Und dann gibt es gegen
Ende ein zweites. Und während ich da im Kino saß und mich noch
wunderte über diese so gar nicht in den gedämpften Stil des Films
passende grell-bunte Item-Nummer in einer Bar mit ein paar leicht
bekleideten Damen, während ich also innerlich etwas irritiert maule,
werde ich schnell eines Besseren belehrt, dass das alles Sinn macht.
Denn parallel dazu gibt es den nächtlichen, stark ästhetisierten
Schlusskampf. Die Straßen, in denen geprügelt und getötet wird,
sind genauso neonbunt erleuchtet. Darüber die hämmernden Beats. Sex
und Gewalt. Spekulativ? Na klar, aber nur ein bisschen, und es ist
schön und wirkungsvoll. Dann finden draußen und drinnen zusammen,
wenn Mohanlal die Bar mit den Tänzerinnen betritt. Das war also
keine Fantasy-Musiknummer, wie sie manchmal in Filme eingeschoben
werden. Auch in Bezug auf etwas anderes wird hier populäres Kino
regelrecht theoretisiert. Einmal sagt Mohanlal, dass es bei
Prügeleien auf die Härte der Schläge ankomme, nicht auf die
Anzahl, worauf man im Norden so viel Wert lege. Und wer kennt sie
nicht aus Bollywood-Filmen, diese ewigen Prügeleien, wo sich auch nach dem was weiß ich wievielten Schlag
der Gegner noch aufrecht halten kann.Das ist hier anders. Ein harter Treffer und der Feind liegt tot auf dem Boden.