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Donnerstag, 28. März 2019

Akshay Kumar in KESARI – Bis zum letzten Mann

In der Mitte des Films KESARI (2019) gibt es eine schöne Szene: Gerade sind mehr als 10.000 afghanische Krieger vor der kleinen, schwach besetzten Grenzfestung Saragarhi aufgetaucht, in der Havildar Ishar Singh, befehlshabender Sikh-Sergeant der indisch-britischen Armee nur 20 Sikh-Soldaten und einen Koch unter sich hat. In wenigen Augenblicken wird eine mehrere Stunden andauernde, heftige Schlacht folgen, durch die dieser kleine Teil des 36. Sikh-Regiments den Gegner davon abhalten will, die beiden größeren Forts in der Gegend anzugreifen und einzunehmen. Ein paar rhythmisch schlagende Trommler der Afghanen sollen die Übermacht in Stimmung bringen, sollen auf die schnelle und zügige Zerstörung des so sehr unterlegenen Feindes einschwören. Da taucht Akshay Kumar als Havildar Singh an den Zinnen der Festung auf und schlägt auf einer Dhol punjabische Tanzrhythmen, die die stumpfsinnigen Kriegstrommler aus dem Takt und schließlich zum Verstummen bringen. Dass er überhaupt gehört wird, könnte mit dem Echo zusammenhängen. Aber natürlich ist es vor allem magisch, magisch wie die Tatsache, dass diese 21 Mann so lange, bis zum eigenen Tod, dem Gegner standhalten werden, weshalb die großflächigen Angriffspläne des Feindes scheiterten an diesem 12.September 1897. Denn der Film beruht auf historischen Ereignissen.
Die Schlacht von Saragarhi (Demi Public Domain Map Server) 
Diese Trommel-Szene steht für zwei Dinge: Erstens, dass es Akshay Kumar ist, der in diesem Film den Takt, den Rhythmus, die Stimmung bestimmt. Er ist die Batterie des Films, in dem er sich trotz der einfachen und eingeschränkten Handlung von verschiedenen Seiten zeigen darf. Damit auch die emotionale Seite zum Tragen kommt, hat er sogar Phantasien von der Anwesenheit seiner Ehefrau, was ein paar Gastauftritte, inklusive romantischen Liebesliedes, von Parineeti Chopra mit sich führt. Akshay Kumar ist nun mal der Meister des Film-Patriotismus, der Mann mit der Militär-Glaubwürdigkeit, und wenn man die bisherigen Einspielergebnisse dieses Blockbusters sieht, dann haben auch seine Annahme der kanadischen Staatsbürgerschaft und die Tatsache, dass er in Kanada öffentlich Toronto als sein Zuhause – „home“ – bezeichnet hat, wo er nach Ende seiner Karriere hinziehen wird, keine Auswirkungen gehabt. Aber solche Dinge gehen sowieso nur die Inder etwas an, denn ansonsten ist er von allen Stars seiner Generation der vielseitigste, dem sogar das Altern gut zu tun scheint.

Zweitens zeigt die Trommel-Szene, wie sehr man sich vom reinen stumpfen Befehlsgehorsam absetzen will. Es geht um Individualität gegen stumpfe Einheit, Demokratie gegen Diktatur. Im Film ist es eine freie Entscheidung jedes einzelnen indischen Soldaten zu bleiben und zu kämpfen. Dafür sorgt Havildar Singh im geschickten Umgang mit seinen Männern, die er in kurzer Zeit von einem disziplinlosen Haufen zu einer engen Gemeinschaft geführt hat. Das geschieht auch mit ein bisschen Komödie. So lernt der Zuschauer die Männer, die bald sterben werden, etwas kennen. Die Gründe für die Aufopferung sind sowohl praktisch-miliärischer Natur als auch persönlicher. Ein britischer Offizier hatte die indischen Soldaten als feige bezeichnet. Und im Hintergrund lebt die Hoffnung auf Befreiung von Fremdherrschaft. Es gab übrigens letztes Jahr schon einen Film über Sikh-Soldaten in der britischen Armee. In dem regionalen Punjab-Film SAJJAN SINGH RANGROOT (2018) kämpfen sie während des ersten Weltkrieges in Europa auf Seiten der Briten gegen Deutschland. Auch hier wird das Kriegführen für den Kolonisator mit dem Kampf um eigenes Selbstbewusstsein, um staatliche Unabhängigkeit verbunden.

Dass der Film so ein Erfolg ist, liegt vor allem an Akshay Kumars subtiler darstellerischer Energieleistung, der nicht nur den wild und leidenschaftlich kämpfenden Helden spielt. Er ist auch ein unangepasster, stolzer Mann, der Probleme mit Vorgesetzten und Befehlen hat, die ihm falsch erscheinen. Aber vermutlich trifft KESARI auch einen gewissen Nerv. Denn gerade in historischen Filmen dieser Art ist die Vergangenheit immer auch die Gegenwart. Und wenn die Bedrohung aus dem Westen und Nordwesten kommt, wenn moslemische Krieger mit dem Dschihad angestachelt werden, dann denkt man natürlich an Indiens Konflikt mit Pakistan, das Terroristen Unterkunft gewährt und sie unterstützt. Gleichzeitig muss das friedliche Zusammenleben im eigenen Land gefördert werden. Und so bauen die Sikh-Soldaten im nahe gelegenen Dorf eine Moschee. Der Film ist direkt mathematisch präzise darin, die Dinge im Gleichgewicht zu halten, keine gefährlichen Emotionen zu schüren. Der größte Feind sind der Hassprediger und sein militärischer Verbündeter, hinterhältige und bösartige Ausgeburten aus der Hölle. Aber auch hier schafft man ein Gegengewicht mit einem anderen afghanischen Heerführer, der sich beklagt, dass Gott als Waffe benutzt wird und der dafür sorgt, dass die Turbane der toten Sikh-Soldaten unberührt bleiben. Natürlich geht so eine penible Ausgewogenheit auf Kosten eines natürlichen Fließens der Handlung, die etwas vorhersehbar wirkt. Man spürt dann einfach die bewusste Konstruktion.

Durch viele kleine Details verstärkt KESARI diesen modernen Eindruck. Da ist ein dunkel gekleideter afghanischer Scharfschütze, wie importiert aus Clint Eastwoods AMERICAN SNIPER (2014), übrigens sehr feminin wirkend. Was immer Produzent Karan Johar uns damit sagen will … Havildar Singh baut während der Schlacht mal eben ein Zielfernrohr an sein Gewehr. Und wenn ein Soldat zwei Gewehre gleichzeitig abschießt, steht er da in Rambo-Pose. Fehlen nur noch die MGs. Und dann werden auch noch zwei Afghanen, die heimlich Sprengstoff an der Außenmauer der Festung zünden wollten, bombenbeladen in die eigenen Reihen zurückgeschickt, wo sie als echte Selbstmordattentäter in die Luft gehen.

Alls dies geschieht eingebettet in epische Bilder von der Weite der Grenzregion mit Sand und Stein und Bergen. Die Schlachtszenen stimmen im Kern vollständig mit den historischen Berichten überein und sind gewaltig, teilweise überwältigend wild anzuschauen. Sie sind dabei zwangsläufig sehr gewalttätig, auch wenn in einer Dharma-Produktion selbst der Krieg noch schön anzugucken ist. Und natürlich wirkt alles überlebensgroß. Havildar Singh hat in Akshay Kumars Darstellung etwas von einem Superhelden, der auch gleich am Anfang des Films eine junge Frau aus den Klauen des Hasspredigers rettet. Alles ist schön und spannend anzugucken, kurzweilig, aber schließlich fehlen die letzten Emotionen. Es bleibt eine gewisse Distanz, die am Ende keine echte unsentimentale, feierliche Tragik in diesem „Ruhm in der Niederlage“ erlaubt. Vielleicht sind die Helden doch ein bisschen zu perfekt. Ich habe irgendwo gelesen, dass dieser Havildar Singh illegalen Alkohol hergestellt hat. Das macht ihn mir persönlich natürlich zwar noch sympathischer. Aber das hätte vielleicht am Lack des reinen indischen Helden gekratzt. Übrigens ist das wenig abwechslungsreiche monochrome Ocker des ganzen Films auf Dauer etwas penetrant. Da hat man es sich mit dem Licht und der Farbgebung doch ein bisschen leicht gemacht. Es gibt zu demselben Thema die Netflix-Serie 21 SARFAROSH SARAGARHI 1897 (2018), zu der ich leider nichts sagen kann, aber der Trailer macht den Eindruck einer ruhigen und realistischen Wiedergabe und Interpretation der Ereignisse.
 Saragarhi Memorial Ferozepur (Author: RameshSharma1)