TEZAAB (1988) ist der
Film, der aus Madhuri Dixit einen Star machte, was sie der Initiative
von Filmpartner Anil Kapoor zu verdanken hatte, da statt weiblicher Hauptrolle
Mohini erst nur die Schwesternrolle für sie vorgesehen war. Und so
gehört ihre Bühnennummer zu dem Song „Ek Do Teen“ mit
einfallsreichen Tanzschritten und in leuchtendem Pink zu den
klassischen Musikszenen des Hindi-Kinos. TEZAAB befestigte mit der
Rolle des Mahesh, der zum Gangster Munna wird, aber auch den
Star-Status von Anil Kapoor, der im Jahr zuvor in MR.
INDIA (1987) geglänzt hatte. Und so ist es natürlich auch der erste
Film eines meiner Lieblings-Filmpaare im Hindi-Kino aus Anil Kapoor
und Madhuri Dixit, die sich gerade für den Film TOTAL DHAMAAL (2019)
wieder einmal zusammengefunden haben. Eine schwierige
Liebesgeschichte haben die beiden auszustehen in TEZAAB, der in
seiner Originallänge statt drei sagenhafte fünf Stunden gedauert
haben soll. Es gibt ein langes Hin und Her. Einmal steht Mohini sogar
am Swimmingpool im Badeanzug und Mahesh beachtet sie nicht. Das ist
nur vorstellbar, weil es im Drehbuch steht. Eine Liebeswette erweist
sich fast als desaströs. Erst ein Sprung vom Dach führt alles zu
einem, allerdings nur vorläufigen, einträchtigen Zusammensein.
Bei TEZAAB handelt es
sich um ein inoffizielles und sehr freies Remake von Walter Hills
Film STRASSEN IN FLAMMEN (1984), der ja eine ganz einfache Handlung
hat. Motorrad-Rocker entführen Diane Lane als Starsängerin Ellen Aim von der Bühne
weg und nehmen sie in ihr Gossenviertel mit. Michael Paré als Ellens Ex-Freund, mit
dem es nicht klappte, weil ihr die Karriere wichtiger war, macht sich
für Geld auf ins Outlaw-Zentrum. Bei der Befreiung wird viel
Maschinenschaden angerichtet. Nachhausekommen wird noch einmal
schwierig. Am Ende gibt es einen Vorschlaghammerkampf zwischen Ex-Freund und
Outlaw-Chef. STRASSEN IN FLAMMEN spielt irgendwann, irgendwo und ist
ein Neon-Western mit 50s-Rock'n'Roll. Retter ist der einsame Wolf,
der Lone Rider, dessen Vergangenheit im Dunkeln liegt. Vermutlich war
er mal bei der Armee.
TEZAAB übernimmt das
Prinzip von Hills Film, das ja sehr einfach ist. Allerdings gibt es
hier keine Soldatin, die an Anil Kapoors Seite kämpft. Auch kommt
kein Manager mit. Begleitet wird Mahesh von seiner Gang. Dazwischen
gibt es sehr lange Rückblenden, die damit fast den Hauptteil des
Filmes ausmachen. Das, was in STRASSEN IN FLAMMEN geheimnisvoll
bleibt, wird hier ausführlich erzählt und begründet. Wie wurde
Mahesh zum Gangster Munna, wieso ist er aus seiner Heimatstadt verbannt, was verband Mohini und Mahesh, was trennte
sie? Einige Details wurden aus dem Original übernommen, vor allem
die Entführung am Anfang, die Konzertszene, wo die Gangster sich
langsam nach vorne schieben und dann alles in einer Schlägerei
endet. Da ähneln sich sogar die Einstellungen. Nach der wildesten
Actionszene in Zusammenhang mit der Befreiung gibt es im leicht
beschädigten Wagen das entspannte Nachtlied „So Gaya Yeh Jahan“.
In STRASSEN IN FLAMMEN ist dieser Verschnaufer von der ganzen
Aufregung eine Szene im Bus. Und das Liebespaar kommt im strömenden Regen wieder zusammen. Allerdings lässt TEZAAB die Liebesnacht weg. Es gibt sogar ebenfalls einen Kampf mit
Vorschlaghämmern, den aber hier nicht Held und Bösewicht ausfechten.
Besondere Pointe im Hindi-Film ist, dass die Gegner sich mit jeweils einem heftigen
Schlag gegenseitig tot hauen.
Regisseur N. Chandra war
damals, Ende der 80er, an der zeitlichen Schwelle zum
neokonservativen global werdenden Bollywood-Kino, ein Vertreter von
rauem Realismus im Stile des 70er-Kinos mit seinem „angry young
man“. TEZAAB gilt als dritter Film einer Trilogie, deren andere
Teile das Regiedebüt ANKUSH (1986) und der Nachfolger PRATIGHAAT
(1987) sind. In TEZAAB geht es um die Rückholung in die Gesellschaft
von jungen Männern, die irgendwie herausgerutscht sind. Auch wenn
sie gesetzlos sind, handeln sie nach einem gewissen Ehrenkodex.
Action im Hindi-Film hat ja manchmal etwas absichtlich Irreales, Fantastisches.
Bei Chandra aber ist alles sehr echt und realistisch. Die Gewalt wird
nicht künstlich in die Länge gezogen, sondern ist kurz, präzise
und vom Regisseur selbst geschnitten. Der scheint westliche Filme der
80er sowieso sehr sorgfältig geguckt zu haben. Bei einer Schießerei
vor einer Bank, die gerade ausgeraubt wird, entgleitet einer Mutter
der Kinderwagen und rollt die Treppe vor dem Gebäude herunter. Nun
hat Chandra sich vermutlich nicht bei Eisensteins Stummfilmklassiker
PANZERKREUZER POTEMKIN bedient, sondern bei Brian de Palmas DIE
UNBESTECHLICHEN (1987), wo Ähnliches bei einer Schießerei im
Chicagoer Bahnhof geschieht.
Zwei gleichwertige
Bösewichte hat TEZAAB. Kiran Kumar hat die Rolle von Willem Dafoe
aus STRASSEN IN FLAMMEN und macht ihm mit seinem stierenden Blick
echte Konkurrenz. Damit das Publikum diesen wirklich genießen kann,
darf er ihn auch mal direkt in die Kamera richten und für eine
eindringliche Großaufnahme darauf zugehen. Und dann ist da Anupam
Kher als widerlicher, die Tochter ausbeutender und folternder Vater.
Wenn sie nicht spurt und nicht auftritt, um für seine
Ausschweifungen das Geld heranzuschaffen, dann peitscht er sie durch.
Und wenn das nicht klappt, droht er mit Säure, also „Tezaab“.
Davor hat Mohini begründete Angst, denn damit wurde das Gesicht der
Mutter verätzt, als diese weggehen wollte. Für den Titel des Films
gibt es einen zweiten Grund. Bei einer korrupten Gerichtsverhandlung
wirft der schreiende Staatsanwalt Mahesh vor, die „Säure“ der
Gesellschaft zu sein, weshalb er weggesperrt gehöre. Vertrauen in
die Rechtsordnung schafft der Film nicht, auch wenn sich schließlich
alles zum Guten wendet.