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Samstag, 21. September 2019

Mohanlal in ITTYMAANI – Der Freund der Mütter

Aus Südindien kommt mit dem Malayalam-Film ITTYMAANI: MADE IN CHINA (2019) eine amüsante Kleinstadt-Komödie mit einer durchgängig schönen Atmosphäre, ein sympathisches Regiedebüt des Duos Jibi-Joju. Hauptdarsteller ist der südindische Superstar Mohanlal. Hatte sein letzter Film mit ihm, der Polit-Thriller LUCIFER (2019), seine ikonische, unbewegliche Seite gefeiert und regelrecht rituell zelebriert, zeigt der Star sich hier beweglich, charmant und als mit allen Wassern gewaschener, nicht so ganz legaler Held von nebenan. Aber nichts übersteigt eine gewisse Grenze und so ist es ein echter Familienfilm, am Ende sogar ein didaktischer Familienfilm für jung und alt über das Alte und das Neue. Über Neureiche, die am liebsten ihre ganze traditionelle Herkunft und Vergangenheit vergessen und den Besuch bei der Mutter als lästige Pflicht betrachten. Aber das hört sich jetzt weit belehrender an, als es tatsächlich ist.

ITTYMAANI ist im ersten Teil bis zur Pause eine vergnügliche Nummernrevue und zeigt, mit Mohanlal im Zentrum, witzige, manchmal auch einfach kalauernde Episoden aus dem Leben der Hauptfigur inmitten einer kleinen Stadt und ihrem christlichen Gemeindeleben. Das Filmplakat, das Mohanlal in Jagdpose zeigt, bezieht sich auf die besondere Art, Hühner zu schlachten in dem Film. Sie werden mit den Füßen nach unten aufgehängt und aus der Entfernung mit dem Gewehr erschossen. Als wäre man auf der Jagd und somit geeignet für eher sensible Gemüter, denn Halsumdrehen und Kopf-ab sind ja nicht jedermanns Sache. Da fällt mir ein russisches Kochbuch ein, das ich besitze, da steht bei den Huhnrezepten immer am Anfang: „Schlachten Sie ein Huhn.“

Ittymaani hat also immer eine praktische Lösung. Besonders gut ist er mit Worten, denn er redet und verhandelt jedes Gegenüber in Grund und Boden, bis diese Verbalopfer dann nur noch sprachlos dasitzen und das nächste Mal lieber die Flucht ergreifen, wenn sie ihn kommen sehen. So verhandelt Ittymaani über eine Kommission, über Prozente für die OP-Kosten im Krankenhaus, kurz nachdem seine Mutter mit der Ambulanz eingeliefert wurde. Es sei ja nicht lebensbedrohlich, und notfalls könne man ja auch in ein anderes Krankenhaus gehen, wo die Kommission eben besser ist. Beruflich hat er ein chinesisches Catering-Restaurant mit einem sich fürchterlich langweilenden Koch, denn der hat nichts zu tun, weil das Ganze bloß eine Fassade für die wahre Einnahmequelle ist: Produktpiraterie. Und die ist inspiriert aus China, denn da haben sein Vater und seine Mutter gelebt. Daher der vollständige Titel ITTYMAANI: MADE IN CHINA. In den chinesischen Rückblenden hat man dann auch das Vergnügen, Mohanlal als seinen eigenen Vater mit wuscheliger Vokuhila-Frisur zu sehen.

Heiraten will Ittymaani auch endlich, wobei er noch mit seiner Mutter zusammen wohnt. Die beiden haben ein so inniges und herzliches Verhältnis, dass sie sich, sehr zur Verstörung ihrer Umgebung, pausenlos streiten. Das ist einerseits eine schöne Abwechslung zur klassischen Darstellung der Mutter im indischen Kino, wo sie so oft eine Träne in den Augen hat, und wenn ihr Blick auf das Bild des toten Vaters an der Wand fällt, dann hat sie zwei Tränen in den Augen. Aber diese humorvollen und lockeren Auseinandersetzungen haben auch noch einen anderen Grund: Diese alles erduldende ältere Mutter mit der versteckte Träne wohnt im Film schon in der Nachbarschaft, und zwei Mütter von der Sorte könnte keine Komödie verdauen. Sie wohnt allein in einem Haus, in das ihre Kinder sie nie besuchen kommen. Immer haben sie etwas Besseres zu tun. Selbst als die Mutter mit Verdacht auf Herzinfarkt im Krankenhaus liegt, fahren sie lieber auf den Wochenendausflug. Und hier bekommt der Film durch einen Handlungsumschwung seine zweite Ebene, wird zur Satire.

Also der zweite Teil: Wer den Film irgendwann sehen und sich noch überraschen lassen will, sollte – jetzt! – aufhören zu lesen. Also, die nicht vorhersehbare Überraschung des zweiten Teils: Mohanlal heiratet die zwanzig Jahre ältere Frau, mit deren Söhnen er in die Schule gegangen ist. Das ist ungewöhnlich und erzeugt Entsetzen in der Gemeinde. Es ist ja doch etwas anderes, wenn der Mann so viel älter ist, umgekehrt gilt es ja als ganz normal. Jedenfalls tut Ittymaani für Geld ja alles, das wissen alle, und die Frau sagt, sie brauche jemand, der sich um sie kümmert. Den Kindern sei sie ja egal. Und diese Kinder kriegen jetzt Panik. Man dachte doch, das Erbe wäre sicher. Das alles ist besonders am Anfang sehr satirisch, sehr witzig. Aber wäre da nicht die Souveränität der Figur von Mohanlal, dann würde die Komödie in ein böses Drama über Gier umschlagen, doch der Film findet immer wieder zurück in die versöhnliche Atmosphäre. Ganz am Ende löst alles sich in etwas zu viel Zuckerguss und Heiligsprechung der Hauptfigur auf, aber so kurz vor Schluss macht das dann auch nichts mehr.

Der Film hat übrigens eine schöne Musik, ganz besonders ist mir das Lied „Kando Kando” ans Herz gewachsen, ein Duett zwischen Mohanlal höchstpersönlich und der wunderbaren Vaikom Vijayalakshmi. Komponist ist Deepak Dev. Dazu gibt es ein schönes Video mit Bildern von den Aufnahmen im Studio, wo natürlich alle Beteiligten anwesend sind. Im Film läuft das Lied dann leider nur im Hintergrund, steht nicht im Mittelpunkt. Aber das ändert nichts daran, dass es für mich das schönste Lied ist, das ich in letzter Zeit in einem indischen Film gehört habe. Oder eigentlich, gerade wegen seiner Einfachheit und feinen Instrumentierung, überhaupt eines der schönsten Lieder der letzten Zeit.