Aus Südindien kommt mit
dem Malayalam-Film ITTYMAANI: MADE IN CHINA (2019) eine amüsante
Kleinstadt-Komödie mit einer durchgängig schönen Atmosphäre, ein
sympathisches Regiedebüt des Duos Jibi-Joju. Hauptdarsteller ist der
südindische Superstar Mohanlal. Hatte sein letzter Film mit ihm, der
Polit-Thriller LUCIFER (2019), seine ikonische, unbewegliche Seite
gefeiert und regelrecht rituell zelebriert, zeigt der Star sich hier
beweglich, charmant und als mit allen Wassern gewaschener, nicht so
ganz legaler Held von nebenan. Aber nichts übersteigt eine gewisse
Grenze und so ist es ein echter Familienfilm, am Ende sogar ein
didaktischer Familienfilm für jung und alt über das Alte und das
Neue. Über Neureiche, die am liebsten ihre ganze traditionelle
Herkunft und Vergangenheit vergessen und den Besuch bei der Mutter
als lästige Pflicht betrachten. Aber das hört sich jetzt weit
belehrender an, als es tatsächlich ist.
ITTYMAANI ist im ersten
Teil bis zur Pause eine vergnügliche Nummernrevue und zeigt, mit
Mohanlal im Zentrum, witzige, manchmal auch einfach kalauernde
Episoden aus dem Leben der Hauptfigur inmitten einer kleinen Stadt
und ihrem christlichen Gemeindeleben. Das Filmplakat, das Mohanlal in
Jagdpose zeigt, bezieht sich auf die besondere Art, Hühner zu
schlachten in dem Film. Sie werden mit den Füßen nach unten
aufgehängt und aus der Entfernung mit dem Gewehr erschossen. Als
wäre man auf der Jagd und somit geeignet für eher sensible Gemüter,
denn Halsumdrehen und Kopf-ab sind ja nicht jedermanns Sache. Da
fällt mir ein russisches Kochbuch ein, das ich besitze, da steht bei
den Huhnrezepten immer am Anfang: „Schlachten Sie ein Huhn.“
Ittymaani hat also immer
eine praktische Lösung. Besonders gut ist er mit Worten, denn er
redet und verhandelt jedes Gegenüber in Grund und Boden, bis diese
Verbalopfer dann nur noch sprachlos dasitzen und das nächste Mal lieber die
Flucht ergreifen, wenn sie ihn kommen sehen. So verhandelt Ittymaani
über eine Kommission, über Prozente für die OP-Kosten im
Krankenhaus, kurz nachdem seine Mutter mit der Ambulanz eingeliefert
wurde. Es sei ja nicht lebensbedrohlich, und notfalls könne man ja
auch in ein anderes Krankenhaus gehen, wo die Kommission eben besser
ist. Beruflich hat er ein chinesisches Catering-Restaurant mit einem sich
fürchterlich langweilenden Koch, denn der hat nichts zu tun, weil
das Ganze bloß eine Fassade für die wahre Einnahmequelle ist:
Produktpiraterie. Und die ist inspiriert aus China, denn da haben
sein Vater und seine Mutter gelebt. Daher der vollständige Titel
ITTYMAANI: MADE IN CHINA. In den chinesischen Rückblenden hat man
dann auch das Vergnügen, Mohanlal als seinen eigenen Vater mit
wuscheliger Vokuhila-Frisur zu sehen.
Heiraten will Ittymaani auch
endlich, wobei er noch mit seiner Mutter zusammen wohnt. Die beiden
haben ein so inniges und herzliches Verhältnis, dass sie sich, sehr
zur Verstörung ihrer Umgebung, pausenlos streiten. Das ist einerseits
eine schöne Abwechslung zur klassischen Darstellung der Mutter im
indischen Kino, wo sie so oft eine Träne in den Augen hat, und wenn
ihr Blick auf das Bild des toten Vaters an der Wand fällt, dann hat
sie zwei Tränen in den Augen. Aber diese humorvollen und lockeren
Auseinandersetzungen haben auch noch einen anderen Grund: Diese alles erduldende ältere Mutter mit der versteckte Träne wohnt im Film schon
in der Nachbarschaft, und zwei Mütter von der Sorte könnte keine
Komödie verdauen. Sie wohnt allein in einem Haus, in das ihre Kinder
sie nie besuchen kommen. Immer haben sie etwas Besseres zu tun.
Selbst als die Mutter mit Verdacht auf Herzinfarkt im Krankenhaus
liegt, fahren sie lieber auf den Wochenendausflug. Und hier bekommt
der Film durch einen Handlungsumschwung seine zweite Ebene, wird zur
Satire.
Also der zweite Teil: Wer
den Film irgendwann sehen und sich noch überraschen lassen will,
sollte – jetzt! – aufhören zu lesen. Also, die
nicht vorhersehbare Überraschung des zweiten Teils: Mohanlal heiratet die zwanzig Jahre
ältere Frau, mit deren Söhnen er in die Schule gegangen ist. Das
ist ungewöhnlich und erzeugt Entsetzen in der Gemeinde. Es ist ja doch etwas anderes, wenn der Mann so viel älter ist, umgekehrt gilt es ja als ganz normal. Jedenfalls tut Ittymaani für Geld ja alles, das wissen alle, und die Frau sagt, sie brauche
jemand, der sich um sie kümmert. Den Kindern sei sie ja egal. Und
diese Kinder kriegen jetzt Panik. Man dachte doch, das Erbe wäre
sicher. Das alles ist besonders am Anfang sehr satirisch, sehr
witzig. Aber wäre da nicht die Souveränität der Figur von
Mohanlal, dann würde die Komödie in ein böses Drama über Gier
umschlagen, doch der Film findet immer wieder zurück in die
versöhnliche Atmosphäre. Ganz am Ende löst alles sich in etwas zu
viel Zuckerguss und Heiligsprechung der Hauptfigur auf, aber so kurz
vor Schluss macht das dann auch nichts mehr.
Der Film hat übrigens
eine schöne Musik, ganz besonders ist mir das
Lied „Kando Kando” ans Herz
gewachsen, ein Duett zwischen
Mohanlal höchstpersönlich und der wunderbaren Vaikom Vijayalakshmi.
Komponist ist Deepak Dev. Dazu
gibt es ein schönes Video mit Bildern von den Aufnahmen im
Studio, wo natürlich alle Beteiligten anwesend sind. Im Film läuft
das Lied dann leider nur im Hintergrund, steht nicht im Mittelpunkt.
Aber das ändert nichts daran, dass es für mich das schönste Lied
ist, das ich in letzter Zeit in einem indischen Film gehört habe.
Oder eigentlich, gerade wegen seiner Einfachheit und feinen
Instrumentierung, überhaupt eines der schönsten Lieder der letzten
Zeit.