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Freitag, 30. Oktober 2020

PUTHAM PUDHU KAALAI – Echte Lockdown-Wunder

 

Ein Episoden-Film zum Thema Corona-Lockdown, da kann spontan erst mal so manche Befürchtung aufkommen. Aber der schöne Film PUTHAM PUDHU KAALAI, ein tamilischer Amazon-Prime-Originalfilm, vermeidet konsequent und erfolgreich jede politische, soziale, ökonomische und medizinische Diskussion zu dem Thema. Er zeigt auch keine Menschen in Angst und Furcht und Panik vor einem Killervirus. Er zeigt den Lockdown eher als eine Art von der Regierung verordnete Naturkatastrophe, der man sich gezwungenermaßen und ohne Widerstand beugt, über deren Sinn oder Unsinn aber gar nicht diskutiert wird. Wie angenehm anzugucken, wo im echten Leben doch nur die totale Zurückgezogenheit die einzige sichere Gewähr dafür ist, nicht ständig über Corona reden oder etwas darüber hören zu müssen.

Nun ist es ja an sich immer ein bisschen schwer, Episodenfilme zu mögen, selbst wenn die besten Regisseure beteiligt sind. Das übergreifende Thema kann sehr allgemein, sehr abstrakt sein wie etwa eine bestimmte Stadt oder ein Gefühl. Die einzelnen Kurzfilme sind folglich oft in ihrem Stil, ihrer Haltung, auch ihrer Qualität so unterschiedlich, dass es sich schnell mühselig anfühlen kann, sich ständig auf Neues einzulassen. Doch dieser tamilische Film ist ganz anders, weil der Ort der Handlung und die Stimmung jeweils sehr ähnlich sind, so dass es keine extremen Brüche zwischen den Teilen gibt. Da ist also ein echter Zusammenhang. Man wird nicht aus dem Konzept, aus den Emotionen heraus transportiert.

In vier der fünf Filme – der fünfte fällt amüsant-angenehm aus dem Rahmen – geht es um eine Wiederannäherung von Menschen, die sich im Trubel des Alltags fremd geworden sind oder aus den Augen verloren haben. Der Lockdown schleudert sie aus dem Trott, setzt das Leben auf Pause, der Zwang der Lage kann zu einer neuen Perspektive führen. Es gibt ein begrenztes Personal, zwei bis fünf Hauptfiguren, viel Dialog. Die Geschichten spielen in einem Haus, gehobene Mittelklasse mit genug Raum. Lockdown in einer kleinen Wohnung in einem Chawl oder in einem Slum sieht natürlich anders und beengter aus. Die Örtlichkeiten in PUTHAM PUDHU KAALAI sind ganz einfach die Voraussetzung für das Versöhnliche, realistisch Wunderbare, das den Kern der Storys ausmacht.

Und so setzt der Film gegen das ganze vielleicht von der Krankheit, vielleicht aber auch bloß von ihren Verwaltern angerichtete Elend einen schönen Kontrapunkt, den man einfach mögen muss. Man könnte aus diesen Stoffen überlang gedehnte Feelgood-Filme machen. Aber als höchstens 30-minütige, präzise erzählte Kurzfilme funktioniert das alles ausgezeichnet. Und es ist, ebenfalls ganz im Gegensatz zu anderen Episodenfilmen, praktisch unmöglich, einen Lieblingsbeitrag auszuwählen. Denn irgendwie gehören sie alle zusammen. Das alles ist einfach schön. Es ist heiter, rührend, bezaubernd und gleichzeitig sehr natürlich und ungekünstelt.

Es beginnt mit „Ilamai Idho Idho“ von Sudha Kongara, ein verspielter Film über die Liebe an sich. Die Hauptfiguren sind zwei Verwitwete, aber Liebe macht bekanntlich in jedem Alter jung, also sehen wir auch einen Teil des Films einfach junge Menschen, eben so, wie die beiden sich fühlen. Gibt es Probleme, dringt die Wirklichkeit hinein, und sie sind wieder ihr biologisches Selbst, ein älterer Mann und eine ältere Frau. In Gautham Vasudev Menons „Avarum Naanum – Avalum Naanum“ kommen sich Großvater und Enkelin generationsübergreifend näher. Sie begreift langsam den wahren Grund für die Entfremdung zwischen Mutter und Großvater. Am Ende gibt es eine musikalische Versöhnung. „Coffee, Anyone?“ ist von Suhasini Maniratnam, der Ehefrau von Mani Ratnam, der mitgeschrieben hat. Aus dessen Sicht ist es eine Fortsetzung des Themas seines großartigen Films über Jugend und Altwerden O KADHAL KANMANI (2015). Ein alter Mann holt, gegen den Widerstand seiner Töchter, seine im Koma liegende Ehefrau zu sich nach Hause. Er will sie nicht mehr leiden sehen. Ganz automatisch weint man sich bei der scheinbar Bewusstlosen aus. Und auch hier geschieht ein Wunder. Hierin ein Plädoyer gegen seelenlose moderne Lebenerhaltungsmedizin zu sehen, wäre übertrieben, aber es ist zumindest eins gegen den blinden Glauben daran.

In den letzten beiden Filmen spielt Kokain eine kleine Nebenrolle. In „Reunion“ von Rajiv Menon sehen sich alte Schulfreunde wieder, ein mit der Mutter lebender junger Arzt und eine Barsängerin, die dort mitten im Lockdown zufällig gestrandet ist. Problematisch wird es, als ihr der Drogenvorrat ausgeht. Diese Episode ist zurückhaltend, lässt am Ende aber die Chance auf ein Wunder. Vorausgesetzt die Protagonisten greifen zu. Als hätte Gottes Hand zusammengeführt, was zusammengehört. Nur die letzte Episode „Miracle“ von Karthik Subbaraj ist ganz anderes mit seiner exzentrischen Gangsterthematik, bildet aber einen schönen Schlussgag. Zwei kleine Ganoven sind auf Beutejagd gegen den drohenden Hunger. Und wie die dänische Olsenbande entgeht ihnen der große Coup. Aber am Ende gibt es einen überglücklichen Filmregisseur, praktisch wiederauferstanden von den Toten. Noch ein echtes Wunder.