Er hat so viel Kritik
einstecken müssen für seine Leistung in Ashutosh Gowarikers neuem
ausgezeichneten Historienfilm PANIPAT (2019), deshalb ganz deutlich
gleich zu Anfang: Arjun Kapoor ist perfekt in der Hauptrolle als
Maratha-Offizier Sadashiv Rao Bhau. Punkt. Ein Ausrufezeichen hat er
nicht nötig. Arjun Kapoor ist kein übergroßer Hero-Typ, auf den
ein Film sich einstellt. Daher ist PANIPAT kein Arjun-Kapoor-Film,
sondern ganz und gar ein Gowariker-Film. Kapoor spielt sehr
diszipliniert mit sehr viel Ruhe und ohne Verbissenheit einen
Krieger, der einfach nur Krieger sein will und keine Ambitionen auf
politische Macht hat. Bei der Verkörperung dieser Figur macht er
nichts, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen, um
demonstrativ seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Das passt zu
einem Krieger, bei dem man das Gefühl hat, dass er seine Person am
liebsten auslöschen möchte. Er will ja nicht einmal ein
Privatleben. Doch Kriti Sanon als zukünftige Ehefrau kann ihm das
ausreden.
PANIPAT ist ein
nationaler, nationalistischer Film über die Maratha-Vorherrrschaft im
18.Jahrhundert, die zeitlich zwischen der der Mogulen und der der
Briten lag, und die man hier als Vorläufer des späteren geeinten,
unabhängigen Indien betrachtet. Herausgefordert wird diese Macht
durch den Afghanen-Herrscher Ahmad Shah Abdali, gegen den es am 14.
Januar 1761 bei Panipat zu einer großen Schlacht kommt, die verloren
geht. Abdali kehrt danach nach Afghanistan zurück. Die brutalen
Massaker der Afghanen nach der Schlacht lässt der Film weg. Sanjay
Dutt spielt den afghanischen Eroberer voller düsterer, destruktiver,
aber auch charismatischer Kriegslust.
Sadashiv Rao Bhau
hingegen zeichnen Kraft und strategisches Denkvermögen aus, aber
dann hat er auch etwas Schwerfälliges und besonders im Privaten
etwas Unbeholfenes. Gleich in der Anfangsszene hat er keinen
beeindruckenden spektakulären Hero-Eröffnungs-Auftritt, sondern
schleicht sich in einer Schlacht bei Nacht praktisch durch die
Hintertür hinein, indem menschliche Leitern die hohen Mauern einer
Festung überwinden helfen. Außerdem bekommt man seine menschliche,
aber auch klug vorausschauende Seite zu Gesicht: Er macht einen
militärisch-strategisch brillanten Feind zum Verbündeten, gegen die
Bedenken anderer.
PANIPAT lässt sich mit
fast drei Stunden viel Zeit. Das ist angenehm. Gowariker gibt ein
echtes Gefühl für diese umfangreiche Art von Feldzug, die man
früher führte. Gerade die Details der strategischen Dinge, die die Kriegsführung betreffen, werden hier sehr detailliert gezeigt.
Da geht es um Verhandlungen mit Fürstentümern, um das
Organisatorische wie die ganz banalen, aber grundlegenden Fragen der
Finanzen und der Verpflegung. Die Wirklichkeit als Material ist
Gowarikers große Stärke. Immerhin hat er mit LAAGAN (2001) einen
brillanten Welterfolg über einen Film voller Cricket-Regeln gemacht,
was sich in der Theorie doch eher fluchtergreifend anhört. Oder der
in KEHELIN HUM JEE JAAN SEY (2010) die genau rekonstruierten Umstände
eines Aufstandes gegen die Briten darstellt. Wenn er sich der reinen
Fantasie und Spekulation widmete, drehte er seine schwächsten Filme
WHAT'S YOUR RAASHEE (2010) und MOHENJO DARO (2016).
Ein Historienfilm wie
PANIPAT ist immer auch ein Film über die Gegenwart. Daher geht es,
übrigens wie auch in dem Kangana-Ranaut-Film MANIKARNIKA (2019), um
die Betonung der Einheit Indiens, die Ablehnung des
Kommunalistischen, des Regionalistischen. Der Gegenwartsbezug trifft
aber auch auf die schöne, jedoch angenehm nüchterne
Liebesgeschichte zu, die auf Augenhöhe geschieht. Alles ist sehr
praktisch, heiter, ohne Sentimentalität und künstliche Romantik,
was bei diesem Krieger-Mann auch eher unpassend wäre. Und Kriti
Sanon ist die ideale Ehefrau. Nehmen wir einfach mal an, dass in
HOUSEFULL 4 (2019) nur ein digitaler Klon von ihr zu sehen war. In
PANIPAT spielt sie die einfache Frau aus dem Volk, energisch und
intelligent, und gar nicht verzärtelt. Sie ist tätig als Ärztin,
begleitet den Ehemann in den Feldzug und im Notfall kann sie auch
kämpfen. Dennoch weiß er hinterher zu schätzen, wie sie mit dem
Zelt bunt schummerige Privatheit herstellt. Zum Schluss kommt es zur
Vereinigung der Liebenden im Tod, denn wenn einer weiterlebt, ist es
ein trauriges Ende, wenn beide sterben, ist es ja eine Art Happy End.
Natürlich ist PANIPAT
ein Mainstream-Film mit Schauwerten, aber einer, der seine Hauptreize
nicht aus sich verselbstständigenden visuellen Effekten nimmt. Das
ist so sehr Standard geworden, vor allem in digitalen Zeiten, wo
jeder idiotisch-überflüssige Effekt möglich ist, dass ich über
PANIPAT das Wort „altmodisch“ gelesen habe. Eine, freundlich
formuliert, seltsame und völlig nichtssagende Bezeichnung, wo
Ashutosh Gowariker doch bloß auf fast alles Überflüssige
verzichtet. Sein Stil liegt offen da. Flüssig erzählt er mit Hilfe
eines prächtigen, schönen Bollywood-Realismus, was ein wirkliches
Gefühl für die Zeit Mitte des 18. Jahrhunderts gibt. Das ist selten
geworden. Und auch wenn ich großer Fan von Rajamouli und Bhansali
bin, wird es problematisch, wenn die fantastische Epik des einen und
die Monumental-Poesie des anderen zum erwarteten Standard werden.
Der Oberflächen-Film KALANK (2019) beispielsweise hätte mehr nüchterne Wirklichkeit und
weniger mechanische Bhansali-Nachahmung gebraucht, um zu berühren.
Die starken Szenen in
PANIPAT entstehen allein aus der Handlung heraus. Etwa, wenn sich die
beiden Todfeinde über den reißenden Jamuna mit dem Fernglas
betrachten. Die Schlachtszenen sind ausgezeichnet und von großer Kraft.
Obwohl auch ein Gowariker hier nicht auf einige zeitgemäße
Standards verzichten darf. So gibt es, wie in MANIKARNIKA, die
digitalen Aufnahmen einer Person in der Schlacht, die visuell
hervorgehoben und in Zeitlupe ganz im Mittelpunkt eins wilden und
eigentlich unübersichtlichen Geschehen steckt. Und noch mit etwas
anderem steht Gowariker voll im Zeitgeschmack. Einmal mit dem Kampf gegen
afghanische Eroberer aus dem Nordosten, was vermutlich immer auch ein
bisschen eine modern zu verstehende Anspielung auf Pakistan ist. Und
dann, wie in KESARI (2019) oder MANIKARNIKA, mit der
Glorifizierung von militärischen Niederlagen, die zumindest in der
Fiktion und im Mythos über sich hinausweisen, in die Zukunft
strahlen und der Beginn eines Sieges auf lange Sicht sind.