Dieses Blog durchsuchen

Donnerstag, 13. Februar 2020

Mohit Suris MALANG – Abgründe im Goa-Paradies

Mohit Suri, Spezialist für romantische Thriller, hat mit MALANG (2020) einen neuen Film gedreht und siegt diesmal vor allem durch Stil-Punkte. Nimmt man als Vergleich EK VILLAIN (2014), seinen vielleicht bekanntesten Film, der es als einziger zu einer deutschen DVD-Veröffentlichung gebracht hat, dann waren es da nur einzelne Szenen, die man in Erinnerung behielt. So wie die Mordszene inmitten der lächelnden Luftballons, doch ansonsten ist alles so konstruiert, dass nur ein bisschen Hirnverbiegung hilft, um zu folgen. Und dann gibt es diese junge Frauenfigur aus dem Wolkenkuckucksheim der Bollywood-Psychiatrie.

Beide Filme sind eine Mischung aus romantischer Liebesgeschichte und Thriller-Trash inklusive bösem Cop, Serienkiller, was man eben alles so braucht. Aber während EK VILLAIN sich durch faszinierend seltsame Story-Wendungen mühsam über die Zwei-Stunden-Grenze schleppt, läuft bei MALANG alles fließend und mühelos ab. MALANG enthält darüber hinaus einen Haufen ernster Themen, von denen man sich aber intellektuell dann nicht zu sehr beeindrucken lassen sollte. Das hier ist reine Unterhaltung mit Typen statt psychologisch ausgefeilten Charakteren, aber mit dem dichten Drehbuch funktioniert es sehr schön. 

Auch der Wechsel aus Thriller und Liebesgeschichte in der Rückblende, bis sich die beiden Erzählstränge treffen, ist gelungen. Und, wie gesagt, hier sind viele, viele Themen als Versatzstücke: Eltern-Kind, good cop-bad cop, Männlichkeit und Impotenz, Liebe und Freiheit, Moral und Moral, denn beides ist nicht immer dasselbe. Was übrigens beide Filme gemeinsam haben, ist, dass die Ehe aus Männern den psychopathischen Serienkiller herausholen kann. Auch eine interessante Theorie. Bei EK VILLAIN hört man übrigens bei den Mordzügen des Psychopathen einen Sound, der hemmungslos der Musik der Serienkillerserie DEXTER (2006-2013) entlehnt wurde.

MALANG nun ist durchgehend stylish, angenehm trashig und gelungen atmosphärisch. So voll wie MALANG inhaltlich ist, so übervoll ist er bildlich, ohne dabei penetrant zu werden. Die Noir-Dunkelheit kontrastiert mit dem authentischen, modernen, sonnendurchfluteten Goa-Leben. Dazu noch die bunte, nächtliche, flimmernde Party-Atmosphäre mit viel Goa-Techno und Drogen. Das Ganze in seiner Faszination, aber auch in seiner geistigen Leere, die solch ein scheinbar freies Leben auf Dauer produziert. Farben, Kamera, Licht, Schnitt, das ist es, was den Film von der ersten bis zur letzten Minute trägt, wobei man sich gerne mitnehmen lässt.

Dazu kommt eine wirklich gute Besetzung. Aditya Roy Kapoor darf seine zwei Seiten zeigen, einmal den smarten Sunnyboy mit schulterlangen Haaren und dann den muskelbepackten Rächer direkt aus dem Knast. Er hat einen schönen Auftritt in Form einer ausgedehnten Schlägerei im Gefängnis. Er will etwas zurückhaben, was ihm weggenommen wurde. Dafür prügelt  er sich durch die Gänge, und die Kamera folgt ihm in einer sehr langen Einstellung von hinten. Zwar digital unterstützt, aber dennoch ein Versprechen auf den ganzen Film, das tatsächlich gehalten wird. Die Freundin wird gespielt von Disha Patani, die ich zwar schon in Filmen wie BHARAT (2019) oder M.S. DHONI: THE UNTOLD STORY (2016) gesehen, aber nicht wirklich wahrgenommen habe. Das hat sich jetzt geändert, denn sie spielt ohne Attitüden und sehr natürlich.

Kunal Khemu tritt auf als perfekter, sanfter Superpolizist und Superehemann mit einer dunklen Seite. Und nicht vergessen will ich die Darstellerin einer dealenden Schwedin mit Dreadlocks, die desillusioniert und pleite in Goa hängengeblieben ist. Während des Films fragte ich mich, warum die Figur denn ausgerechnet Schwedin sein muss. Die Antwort ist einfach: Elli AvrRam ist Schwedin. Und die Mutter hat die Figur der Petra Ekdahl – wenn ich nur wüsste, wer das war – in Ingmar Bergmans Klassiker FANNY UND ALEXANDER (1982) gespielt.

Aber das Beste, oder der Beste, kommt zuletzt, wobei MALANG mit Anil Kapoor passenderweise beginnt und endet. Kapoor trägt eben auch dazu bei, den Film weit über den Thriller-Durchschnitt herauszuheben. Es fängt an mit ihm auf dem Klo, Koks schniefend, später Karaoke singend zu „Aaj Ki Raat Koi Aane Ko Hai Anamika“ von Asha Bhosle. Hier darf er als Bad Cop mal richtig, besoffen, bekokst, gewalttätig, abgefuckt aus sich herausgehen. Das sieht man in dieser halb realistischen, halb überspielten Perfektion nicht oft im indischen Kino. So echt und doch so unterhaltsam. Dazu kommt eine menschlich-tragische Komponente, wenn die Rückblende erst einmal zu den Ursachen für sein Benehmen kommt. Er badet masochistisch in seinem eigenen wutinfizierten Elend, und tötet kaltblütig sadistisch die Bösen oder die, die er dafür hält. Im Cinestaan-Interview (8.2.) hat Kapoor von seiner Vorbereitung auf die Rolle erzählt. Er hat sich von den beiden BAD-LIEUTENANT-Filmen inspirieren lassen, also Abel Ferraras brillantem Original (1992) mit Harvey Keitel und Werner Herzogs nicht minder großartigem Remake (2009) mit Nicolas Cage. Und dann fügte Kapoor im Interview hinzu, dass er das Ganze dann unterhaltsam und indisch machen musste. Und genau das ist ihm perfekt gelungen. Ich habe selbst gar nicht an diese beiden westlichen Filme gedacht während der Vorstellung. Man nimmt die Figur ernst, aber man hat eben ganz einfach auch ein tierisches Vergnügen dabei.