Mohit Suri, Spezialist
für romantische Thriller, hat mit MALANG (2020) einen neuen Film
gedreht und siegt diesmal vor allem durch Stil-Punkte. Nimmt man als
Vergleich EK VILLAIN (2014), seinen vielleicht bekanntesten Film, der
es als einziger zu einer deutschen DVD-Veröffentlichung gebracht hat,
dann waren es da nur einzelne Szenen, die man in Erinnerung behielt.
So wie die Mordszene inmitten der lächelnden Luftballons, doch
ansonsten ist alles so konstruiert, dass nur ein bisschen
Hirnverbiegung hilft, um zu folgen. Und dann gibt es diese junge Frauenfigur
aus dem Wolkenkuckucksheim der Bollywood-Psychiatrie.
Beide Filme sind eine
Mischung aus romantischer Liebesgeschichte und Thriller-Trash
inklusive bösem Cop, Serienkiller, was man eben alles so braucht.
Aber während EK VILLAIN sich durch faszinierend seltsame
Story-Wendungen mühsam über die Zwei-Stunden-Grenze schleppt, läuft bei
MALANG alles fließend und mühelos ab. MALANG enthält darüber
hinaus einen Haufen ernster Themen, von denen man sich aber
intellektuell dann nicht zu sehr beeindrucken lassen sollte. Das hier
ist reine Unterhaltung mit Typen statt psychologisch ausgefeilten
Charakteren, aber mit dem dichten Drehbuch funktioniert es sehr
schön.
Auch der Wechsel aus Thriller und Liebesgeschichte in der
Rückblende, bis sich die beiden Erzählstränge treffen, ist
gelungen. Und, wie gesagt, hier sind viele, viele Themen als
Versatzstücke: Eltern-Kind, good cop-bad cop, Männlichkeit und
Impotenz, Liebe und Freiheit, Moral und Moral, denn beides ist nicht
immer dasselbe. Was übrigens beide Filme gemeinsam haben, ist, dass
die Ehe aus Männern den psychopathischen Serienkiller herausholen
kann. Auch eine interessante Theorie. Bei EK VILLAIN hört man
übrigens bei den Mordzügen des Psychopathen einen Sound, der
hemmungslos der Musik der Serienkillerserie DEXTER (2006-2013) entlehnt wurde.
MALANG nun ist
durchgehend stylish, angenehm trashig und gelungen atmosphärisch. So
voll wie MALANG inhaltlich ist, so übervoll ist er bildlich, ohne
dabei penetrant zu werden. Die Noir-Dunkelheit kontrastiert mit dem
authentischen, modernen, sonnendurchfluteten Goa-Leben. Dazu noch die
bunte, nächtliche, flimmernde Party-Atmosphäre mit viel Goa-Techno und Drogen.
Das Ganze in seiner Faszination, aber auch in seiner geistigen Leere,
die solch ein scheinbar freies Leben auf Dauer produziert. Farben,
Kamera, Licht, Schnitt, das ist es, was den Film von der ersten bis
zur letzten Minute trägt, wobei man sich gerne mitnehmen lässt.
Dazu kommt eine wirklich
gute Besetzung. Aditya Roy Kapoor darf seine zwei Seiten zeigen,
einmal den smarten Sunnyboy mit schulterlangen Haaren und dann den
muskelbepackten Rächer direkt aus dem Knast. Er hat einen schönen
Auftritt in Form einer ausgedehnten Schlägerei im Gefängnis. Er will
etwas zurückhaben, was ihm weggenommen wurde. Dafür prügelt er
sich durch die Gänge, und die Kamera folgt ihm in einer sehr langen
Einstellung von hinten. Zwar digital unterstützt, aber dennoch ein
Versprechen auf den ganzen Film, das tatsächlich gehalten wird.
Die Freundin wird gespielt von Disha Patani, die ich zwar schon in
Filmen wie BHARAT (2019) oder M.S. DHONI: THE UNTOLD STORY (2016)
gesehen, aber nicht wirklich wahrgenommen habe. Das hat sich jetzt
geändert, denn sie spielt ohne Attitüden und sehr natürlich.
Kunal
Khemu tritt auf als perfekter, sanfter Superpolizist und Superehemann
mit einer dunklen Seite. Und nicht vergessen will ich die
Darstellerin einer dealenden Schwedin mit Dreadlocks, die
desillusioniert und pleite in Goa hängengeblieben ist. Während des
Films fragte ich mich, warum die Figur denn ausgerechnet Schwedin
sein muss. Die Antwort ist einfach: Elli AvrRam ist Schwedin. Und die
Mutter hat die Figur der Petra Ekdahl – wenn ich nur wüsste,
wer das war – in Ingmar Bergmans Klassiker FANNY UND ALEXANDER
(1982) gespielt.
Aber
das Beste, oder der Beste, kommt zuletzt, wobei MALANG mit Anil
Kapoor passenderweise beginnt und endet. Kapoor trägt eben auch dazu bei,
den Film weit über den Thriller-Durchschnitt herauszuheben. Es fängt
an mit ihm auf dem Klo, Koks schniefend, später Karaoke singend zu
„Aaj Ki Raat Koi Aane Ko Hai Anamika“ von Asha Bhosle. Hier
darf er als Bad Cop mal richtig, besoffen, bekokst, gewalttätig, abgefuckt aus
sich herausgehen. Das sieht man in dieser halb realistischen,
halb überspielten Perfektion nicht oft im indischen Kino. So echt
und doch so unterhaltsam. Dazu kommt eine menschlich-tragische
Komponente, wenn die Rückblende erst einmal zu den Ursachen für
sein Benehmen kommt. Er badet masochistisch in seinem eigenen
wutinfizierten Elend, und tötet kaltblütig sadistisch die Bösen
oder die, die er dafür hält. Im Cinestaan-Interview (8.2.) hat
Kapoor von seiner Vorbereitung auf die Rolle erzählt. Er hat sich
von den beiden BAD-LIEUTENANT-Filmen inspirieren lassen, also Abel
Ferraras brillantem Original (1992) mit Harvey Keitel und Werner
Herzogs nicht minder großartigem Remake (2009) mit Nicolas Cage. Und
dann fügte Kapoor im Interview hinzu, dass er das Ganze dann
unterhaltsam und indisch machen musste. Und genau das ist ihm perfekt
gelungen. Ich habe selbst gar nicht an diese beiden westlichen Filme
gedacht während der Vorstellung. Man nimmt die Figur ernst, aber man hat
eben ganz einfach auch ein tierisches Vergnügen dabei.