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Samstag, 27. Februar 2021

GEHEIMNIS TIBET – Von Kalkutta über Sikkim nach Lhasa

1938-1939 fand unter Leitung des erfahrenen und abenteuerlustigen Zoologen Ernst Schäfer eine deutsche Forschungsexpedition nach Tibet statt. Dabei hatte man weder eine britische Autorisation für das Klettern in den Himalaya über Sikkim noch eine tibetische zum Betreten des Landes. Das musste vor Ort mit Charme, Beziehungen und Geschenken besorgt werden. Auf der Tour wurde auch fleißig gefilmt, dafür war der Entomologe Ernst Krause zuständig. Schäfer und Regisseur Hans Albert Lettow machten aus dem dabei entstandenen Bildmaterial dann die Dokumentation GEHEIMNIS TIBET, die im Januar 1943 in die deutschen Kinos kam und wohl sehr erfolgreich war. Es ist ein nicht unproblematischer, aber dennoch interessanter Film, der das Raue und Improvisierte der Unternehmung gut wiedergibt. Er ist voller starker Bilder, bestehend aus einer Mischung aus harter Natur, tibetischer Kultur und Volksleben zwischen Armut und Religiösität.

Über diese Expedition ist viel geschrieben und spekuliert worden. Darunter auch ungemein viel Unsinn. Vor allem gibt es wild ausufernde, idiotische Theorien über die Zusammenhänge zwischen Nationalsozialismus, Okkultem und tibetischem Buddhismus. Dann ist oft von einer SS-Expedition die Rede, was formal richtig ist, da die Beteiligten allesamt zu SS-Offizieren ernannt wurden, aber es reicht nicht wirklich zur Empörung, da es sich dabei im Grunde um einen automatischen Verwaltungs- und Herrschaftsakt handelte, da SS-Chef Himmler Interesse an dem Vorhaben hatte. Und auch wenn es deutsche politische Unterstützung sicherte, sorgte es bei den Briten in Indien eher für verständliches Misstrauen. Der auf der Expedition liegende tiefe Schatten rührt nicht nur aus der weiteren Karriere Schäfers, sondern besonders aus einem Verbrechen her, das der Anthropologe Bruno Beger erst Jahre hinterher im Namen von, wie man heute sagen würde, "die Wissenschaft" beging. Denn Beger selektierte 1943 115 Auschwitz-Gefangene, um an ihnen Versuche vorzunehmen. 86 von ihnen wurden im KZ Natzweiler getötet und dann an der Uni Regensburg im Keller konserviert. Eigentlich sollten daraus Skelette für die anatomische Sammlung werden. Wenn man diesen so freundlich scheinenden Beger dann im Film Kopfvermessungen durchführen sieht, dann bekommen die an sich harmlosen und durchaus zeittypischen Bilder einen abstoßenden Subtext.

GEHEIMNIS TIBET beginnt ganz sachlich mit einem Sprecher, einer Karte, einer Auflistung der Teilnehmer. Interessanterweise gibt sich der Film antibritisch, proindisch. Es ist vom „uralten Kulturvolk der Inder“ die Rede. Bekanntlich sah Hitler das anders. Für ihn hatten erst die Briten Zivilisation nach Asien gebracht. Aber 1943 hatten sich die Zeiten etwas geändert. Man unterstützte den indischen Kampf um Unabhängigkeit. Es geht mit Bildmaterial aus Kalkutta los. Dann geht es an den Fuß des Himalaya und hinauf in die Berge. Jetzt kann sich die martialische Sprache im Einklang mit den Bildern von Steinmassiven, Schnee, Weite und Wind frei entfalten. Es ist die Rede vom „Aufruhr der Natur“, von einer „Kraftzone der Natur“. Das ist nicht sehr poetisch formuliert, aber so in etwa erscheint auch in Luis Trenkers schönen Filmen oft die alpine Bergwelt. Da kann man sich fragen, ob die Trenkersche Fiktion hier nicht die Berg-Dokumentation beeinflusst. Dazu kommt der Blick auf die dort verstreut lebenden Menschen, geprägt von einer Mischung aus Buddhismus und Dämonismus im Schatten des Kangchenjunga und der unendlich wirkenden Eislandschaften. Die Menschen leben im Banne von Dämonen. Ihre Existenz ist geprägt von der ewig rotierenden Gebetsmühle.

Die Wissenschaftler beginnen auch gleich mit der wissenschaftlichen Arbeit, vor allem dem Sammeln. Ganz am Ende wird man tausende von Artefakten mit nach Deutschland nehmen. Und man überschreitet Regeln. Da ist ein seltenes Tier, das muss erst mal trotz tibetischen Tötungsverbotes geschossen werden. Es gibt aber auch friedliche, einfache Vogelbeobachtung aus einer extra gebauten Steinhöhle heraus. Und man sieht Anthropologe Bruno Beger bei seinen Rassenkunde-Forschungen beim Kopfvermessen, Gesichtsmasken abnehmen. Zu seinem Glück sind es ungeheuer geduldige Menschen. Alles wirkt sehr harmlos. Die Menschen lachen, sind amüsiert. Es wirkt, als dächten sie, dass diese Fremden aus dem Westen spinnen – womit sie ja auch völlig recht hätten – aber dass man ihnen ja den Gefallen tun kann. Wie sollen sie auch ahnen, dass dieser so freundliche Mann die Seele eines Massenmörders hat.

Kinder gesellen sich zu den Deutschen, auch Bettler, die ankommen, als sich die Kunde von den Fremden verbreitet. Es ist eine arme Gegend. Dazu kommen faszinierende Naturaufahmen von vereisten Bergseen, die mit der grönländischen Arktis verglichen werden. Nach etwa einem Drittel der Laufzeit von GEHEIMNIS TIBET erreicht man dann den Übergang von Indien nach Tibet zwischen Himalaya und Hochsteppe. Der Grenzübertritt findet bei Doptra statt. Die Forscher brechen in Jubel aus. Die Spannung löst sich einer Schneeballschlacht. Und man sieht die Schwierigkeiten des Transports mit Yaks, die gerne mal ihrer ungezähmten Natur folgen und wild durchgehen. Auch für die zähen tibetanischen Pferde, „Herrscher der Steppe“, kann man sich begeistern. Das war übrigens neben der Arier-Ahnenforschung eine der Aufträge Himmlers: Ausschau zu halten nach gegen Kälte unempfindlichen Pferden. Auch auf der tibetischen Seite der Grenzen ist die Armut nicht zu übersehen. Das Nationalgericht ist karg. Ein Esel muss zwischen Steinen nach Wurzeln kratzen.

Dann erreicht man mit Phari und vor allem Gyantse Dzong die ersten Städte. Der Film konzentriert sich fasziniert auf die beträchtlichen architektonischen Schauwerte wie einen Riesenbuddha und alte Paläste. Angereichert wird dies mit tibetischen Mythen, ein paar Informationen über Lamaismus, über Dämonismus und Buddhismus. Zusammengefasst werden Geschichten vom Zwischenreich, von Wiedergeburt, Dämonenfiguren, vom langen jenseitigen Weg bis Buddha. Und man hat nicht nur verbotenerweise Tiere getötet, sondern auch verbotene Bilder gemacht, die aber sonst ziemlich selten sein dürften: Bilder zum Totenkult, von den Leichen in der Sonne, den heiligen Geiern und dem Zerstampfen der Knochen, damit auch wirklich nichts übrig bleibt von der vergangenen, materiellen Existenz.

Man sieht Kleidung, Wandteppiche. Und man sieht das Hakenkreuz, die Swastika, in Tibet Sinnbild unvergänglichen Glücks. Der Film betont auch durch die Bildauswahl immer wieder das elende materielle Leben und spricht direkt von Priesterausbeutung. Außer den unzähligen Priestern und Mönchen lebe der Rest des Volkes in Schmutz und Armut. Der Ausdruck „entartet“ wird verwendet. Man hat eben wenig übrig für die Art und Weise, wie die Religion den ganzen Tag bestimmt. Morgengebete, Dauergebete in der ganzen Stadt. Tibet und Kultur, das bedeute Klöster. All dies wird bewertet als Zeichen der Dekadenz eines Volkes, das einst anders gewesen wäre. Früher hätte es einen kriegerischen Geist gegeben, jetzt gäbe es nur eine kleine, wehrlose, in Indien ausgebildete Armee. Trotz allem ist der größte Teil der Kritik aber mehr Ausdruck einer modern-materialistischen Sichtweise, als eine spezifisch nationalsozialistische. Viele Bewertungen könnten auch einer kommunistischen Dokumentation entstammen.

Dann zieht die Forschungskarawane weiter, man erreicht den Brahmaputra und stößt auf die ersten Pilger, die sich in vorgeschriebener Weise – zwei Schritte gehen, dann ausgestreckt hinlegen, und immer so weiter – Richtung Lhasa bewegen. Man sieht eine große Totale der Stadt, es gibt eine offizielle Begrüßung. Und dann richten die Wissenschaftler sich ein: Gastgeschenke, Forschen, Hausbau. Der Zuschauer bekommt Alltagsbeobachtungen geliefert: Die tägliche Arbeit findet auf der Straße vor den kleinen Behausungen statt. Hier wird das erste Mal die Armut der Bevölkerung durch die Feststellung der Bedürfnislosigkeit ergänzt. Ein wichtiges Detail. Dann ist Neujahrsfest, eine riesige die Stadt und die Umgebung ausfüllende Veranstaltung mit unzähligen Pilgern, Besuchern, mit Festmahl, Musik, Bogenschießen, Reiterspielen, dem Einzug der Lamas, kultischem Tanz, Dämonenfratzen der Zwischenwelt und Teufelsaustreibung. Die Faszination für diese Seite des Buddhismus erinnert mehr an den japanischen Horrorfilm JIGOKU (1960), der die buddhistische Hölle zeigt, als an Filme, die um Frieden, Erleuchtung, Entsagung kreisen, wie etwa Im Kwon-Taeks MANDALA (1981) oder sein COME, COME UPWARDS (1989), wobei nebenbei  gesagt alle drei empfehlenswert sind. Für inneres, spirituelles Leben haben diese Deutschen jedenfalls keinen Sinn. Eine Zusammenfassung wiederholt die Kritik am tibetischen, politisch-religiösen System mit westlichen Begriffen wie „mittelalterlicher Staat“ und „Kirchenstaat“, ein überdeutlicher Seitenhieb auf die katholische Kirche und den Vatikan.