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Mittwoch, 17. Februar 2021

Gyan Mukherjees KISMET – Göttliches Schicksal

 

Der Hindi-Film KISMET (1943) von Gyan Mukherjee mit Ashok Kumar und Mumtaz Shanti war der große, sehr lange in den Kinos laufende Kassenerfolg jener Zeit. In dieser Bombay-Talkies-Produktion sieht man Kumar, den wichtigsten männlichen Star der 1940er, in einer zwielichtigen Heldenrolle als charmant gesetzlosen Dieb. So etwas war schon ein paar Jahre später etwas Normales. Dev Anand machte ab Anfang der 1950er aus ambivalenten Charakteren eine ganze Karriere und Shah Rukh Khan wurde in den 1990ern vor allem mit zwei Psychopathenrollen zum Star. Aber damals, als im Rahmen des Befreiungskampfes gegen die Briten vor allem Moral und Idealismus gefragt waren, konnte so etwas noch heftig kritisiert werden als Verherrlichung des Verbrechens. Doch das Publikum ließ sich von öden intellektuell-soziologischen Einwänden nicht beirren und liebte es ganz offensichtlich, schließlich spiegelt so etwas, trotz aller Fiktionalisierung, die Lebenswirklichkeit wieder. Zur Popularität trug aber auch die Musik von Anil Biswas bei – mit Liedtexten von Kavi Pradeep. Allein schon das patriotische Lied „Door Hatho Ae Duniya Walo“ ziemlich am Anfang des Films zog die Leute ins Kino.

Ashok Kumars jugendlich-naiver Charme seiner ersten Filme ist hier lässig erwachsen und erfahren geworden. Er spielt den Dieb Shekhar, der seine verbrecherische Tätigkeit als sein persönliches Schicksal schulterzuckend angenommen hat. Puren lächelnden Fatalismus strahlt er aus. In der ersten Szene wird er aus dem Gefängnis entlassen und klaut sofort wieder ohne jede Gewissensbisse oder Furcht vor Strafe. Dinge wie Moral oder Gesetz gehen ihn nichts an. Dabei gerät er an einen schuldbeladenen  Trinker, der es nicht verwinden kann, dass seine Tochter Rani durch sein unkontrolliert betrunkenes Verhalten hinkt und seit der Kindheit nicht mehr tanzen kann. Rani lebt mit der jüngeren Schwester im Familienhaus und steht wegen hoher Verschuldung vor dem Hinauswurf. Shekhar lernt sie kennen und mietet bei ihr ein Zimmer.

Mumtaz Shanti spielt diese auf der Bühne arbeitende Sängerin Rani sehr still, seelenvoll und vor allem würdevoll, wodurch sie nicht zum passiven Opfer wird. Aber sie ist natürlich verzweifelt und praktisch wehrlos. Und so beginnt Shekhar ihr zu helfen. Beispielsweise legt er ihr eine Quittung für bezahlte Schulden an den Hausaltar, während sie gerade innigst um materielle Hilfe betet. Da gibt es viele kleine schöne Szenen. Für Shekhar ist es wie ein Akt der Spielerei, der ausgleichenden Gerechtigkeit. Für sie aber ist er ein Werkzeug Gottes. Und so wird er für sie wirklich zum Gott, obwohl er ständig seine wahre Tätigkeit andeutet. Aber sie denkt, er mache Scherze. In einer Montagesequenz sieht man ihn jedoch seine Abende verbringen – beim Saufen, Rauchen, Kartenspielen, Prügeln. Aber sie sieht etwas, was da ist, aber er selbst nicht mehr in sich zu sehen vermag. So wird verständlich, dass er von ihr immer mehr angezogen wird. Ihr Blick auf ihn wickelt ihn in einen religiösen Schleier, durch den er plötzlich konsequent Gutes tut, ohne auf sein eigenes Schicksal zu achten. Zumindest für einen Menschen.

Es ist ganz interessant, diese Geschichte mit früheren Bombay-Talkies-Produktionen wie Franz Ostens ACHHUT KANYA (1936) zu vergleichen, wo eine tragische, sehr realistische Geschichte als warnendes religiös-moralisches Beispiel erzählt wird. KISMET hingegen integriert das Religiöse auch, aber als aktiven Teil, durch den alles gut wird. Gott greift in die weltliche Tragödie ein und sorgt für Happy-Ends. Aber nicht nur die Story, sondern auch die Lieder geben einen religiösen Kontext. Die Texte handeln vom Schicksal, vom Willen der Götter, von der Pflicht auszuhalten, egal, was kommt. Eines ist klar: Unter normalen, rein menschlichen Umständen würde hier alles grässlich ausgehen.

So auch in der Sequenz mit Ranis verzweifelter Schwester, die schwanger und verlassen Selbstmord begehen will. Dies wird durch eine Doppelbelichtung von ihr und von, nacheinander, Auto, Meer und Zug verdeutlicht. Da geht sie an zwei Säufern vorbei und singt, einsam an einem Baum stehend, ein trauriges Lied. Doch einer der Säufer ist der Vater, der sich ja nicht mehr nach Hause gewagt hat. Es kommt zur glücklichen Begegnung. KISMET ist voll solcher Motive, die absolute Standardelemente des populären Kinos werden sollten. Nicht nur der erwähnte Anti-Held wurde normal. Die sogenannte „lost-and-found“-Struktur, also die Wiedervereinigung einer auseinandergerissenen Familie, wurde besonders nach den schmerzvollen Erfahrungen im Zusammenhang mit der Teilung Indies sogar sehr aktuell. Und in KISMET gibt es noch etwas, was später immer wieder genutzt wurde: die wundersame Heilung einer vermeintlich nicht heilbar Kranken.