Eine einzige Prügelszene
Salman Khans gegen eine Übermacht aus einem Haufen böser Rowdys
gibt es gegen Ende des von Ali Abbas Zafar inszenierten und
geschriebenen Films BHARAT (2019). Und da ist die von Salman Khan
gespielte Hauptfigur gerade 70 Jahre alt geworden. Wenn man das mal
als Ansage auf die nächsten fünfzehn, zwanzig Jahre des 53 Jahre alten
Bollywood-Superstars nimmt, dann kann man ahnen, dass er tatsächlich
noch viel vor hat. Aber ansonsten bleibt es in BHARAT überwiegend
friedlich.
Mit grauem Vollbart, grauen Haaren und Brille spielt Khan diese
gealterte Version seiner Filmfigur, die mit „Bharat“ auch gleich
heißt wie eine aus dem Sanskrit stammende Bezeichnung des indischen
Staates. Solche nicht allzu subtilen Symbole und Bedeutungen
durchziehen den ganzen Film. Aber es passt zu der sehr einfachen
Handlung ohne große Überraschungen, die ein privates Ereignis,
verbunden mit einem geschichtlichen Abschnitt innerhalb der Zeit von
1947-2010, an das nächste reiht.
Es beginnt mit
Unabhängigkeit und Teilung: Eine Familie, stellvertretend für
unendlich viele ähnlicher Fällen, wird in dem ganzen mörderischen
Chaos auseinandergerissen. Mutter, Schwester und Bharat schaffen es
nach Indien. Der Vater und die zweite Tochter, deren Hand Bharat auf
dem Dach eines Zuges nicht festhalten konnte, bleiben zurück in
Pakistan, aber auch nicht gemeinsam. Ort des angestrebten
Wiedersehens ist ein Laden in Bombay, der dem Onkel und der Tante
gehört, wo man erst einmal unterkommt. Bharat übernimmt es, sich
anstelle des Vaters um die Familie zu kümmern. Und das heißt vor
allem natürlich, Geld zu verdienen. Und so geht es über
wirtschaftlichen Aufschwung, Krise, wirtschaftliche Liberalisierung
bis ins moderne, ökonomisch global integrierte Indien.
BHARAT ist ein
Familienfilm als nationaler Film, der eine ganz geglückte Mischung
aus Pathos und Komödie liefert. Vor allem ist es ein durch und durch
positiver Fortschrittsfilm über Indien, ein bisschen so, wie man
einen Lebenslauf schreibt, wo man das Unangenehme möglichst weglässt
oder zumindest kleinschreibt. Die Ursachen der Teilung liegen schon
etwas tiefer, als dass ein paar Männer im Hinterzimmer dachten, die
Menschen wären dann glücklicher. Indira Gandhis Ausnahmezustand in
den 70ern ist plötzlich zu Ende, aber ich kann mich nicht erinnern,
dass er im Film irgendwann beginnt. Und auch wenn die Teilung
im Mittelpunkt steht, existieren hier weder Krieg noch Terrorismus.
Ganz am Anfang gibt es eine Szene, die diese Methode symbolisiert:
Ein kleiner Junge entdeckt einen ganzen Zug voller brutal
abgeschlachteter Leichen. Schnell muss es gegangen sein, denn viele
sitzen blutverschmiert noch auf ihren Plätzen. Der Vater eilt hinzu und hält
eine Hand vor die Augen des Kindes. Das Schlimmste wird dem Zuschauer
in der Folge eben auch nicht gezeigt. Es soll halt ein Familienfilm,
ein die ganze Nation umfassender Wohlfühlfilm sein, der niemandem
wehtut, und das Kalkül scheint angesichts der ständig über die
sozialen Medien verkündeten Einspielergebnisse ja aufzugehen. Und es
ist ein außerordentlich sympathischer Film, den anzugucken ganz
einfach Spaß macht. Und es gibt keinen echten Bösewicht in dem
Film, der die Handlung künstlich dramatisiert. Es sind die ganz
einfachen Widerstände des Alltags, gegen die man hier ankämpfen
muss.
Bharat ist ein
Alltagsheld. Er kümmert sich um die Familie, verdient Geld, riskiert sein Leben als Motorradfahrer im Zirkus, scheut
keine harte Arbeit, schuftet auf den nahöstlichen Ölfeldern,
arbeitet gefährlich unter Tage, rettet seine Kumpel und sich vor dem
unterirdischen Erstickungstod. Und er wagt eine der ersten
unehelichen Beziehungen Indiens, die von der Mutter abgesegnet wurde.
Eine Pionierleistung fürwahr. Das gibt es nicht mal im bunten
Hindi-Kino der Mitsechziger. Und er bewältigt heroisch und mit
Selbstüberwindung den Sprung in die Moderne, den Wandel von der
heimeligen Basargasse ins moderne Einkaufszentrum, auch wenn sein
Schwager dafür sorgt, dass die Grund- und Ladenbesitzer nicht alles
den internationalisierten Raubgeiern der Großinvestition überlassen.
Bharat neigt zu pathetischen patriotischen Reden. Einmal wird dies
ironisiert. Schließlich ist man nicht im Kino. Aber dann kommt es
doch zum kollektiven Singen der Nationalhymne. Schließlich ist man
im Kino. Das Bollywood Leben retten kann, zeigt auch die Episode mit
den somalischen Operettenpiraten, dessen Anführer lieber
Amitabh-Bachchan-Songs tanzt und singt, als das Schiff auszurauben.
Überhaupt gibt es noch mindestens zwei andere Anspielungen auf
Amitabh Bachchan. Und jetzt kennen wir alle auch den Ursprung der
berühmten Ei-Szene in Manmohan Desais AMAR AKBAR ANTHONY (1977),
übrigens auch eine Lost-and-found-Geschichte, hier über drei in der Kindheit voneinander getrennte Brüder
mit verschiedenen Religionen. Mit der originalen Filmmusik von BHARAT, besser gesagt den Songs, sieht es nicht so überragend aus. Da sind drei, vier Lieder, daran erinnere ich mich. Aber die Lieder selbst sind nicht sonderlich erinnerungswürdig.
Ali Abbas Jafar führt
funktional und handwerklich sicher Regie. Dabei wird hauptsächlich
der wie immer routiniert und sympathische agierende Hauptdarsteller
in Szene gesetzt. Khan weiß, wie man das Publikum auf seine Seite
bekommt, und als Erzähler kommuniziert er auch noch auf einer
weiteren Ebene direkt mit dem Zuschauer. BHARAT ist, nach SULTAN (2016) und
TIGER ZINDA HAI (2017), jetzt schon die dritte Zusammenarbeit von
Jafar und Khan. Und schon wieder erfolgreich. Und erneut bewegt sich
Zafar in den von Regisseur Kabir Khan vorgegebenen Bahnen.
War der Tiger-Film die völlig ironiefreie harte Action-Fortsetzung des geistreichen Spionagefilms EK THA TIGER (2012), wirkt BHARAT wie eine im Ganzen doch etwas weniger subtile Version von BAJRANGI BHAIJAAN (2015), einem der schönsten und besten Filme der letzten Jahre. Es ist eine Indien-Pakistan-Geschichte mit dem Thema Familienzusammenführung, inklusive erfolgreich tränentreibender Szenen an der Grenze. Im Mittelpunkt steht ein kleines Mädchen in Gestalt der kleinen Schwester, die für ein paar Szenen Gestalt annimmt in Form eines anderen kleinen Mädchens. Dass er niemals lügt, wird ersetzt durch das Versprechen an den Vater, sich um die Familie zu kümmern. Und da ist der etwas naive und begriffsstutzige Familienmensch, der eine ihm geistig und von der Bildung und dem Karriereerfolg her überlegene Ehefrau bekommt, diesmal in Gestalt von Katrina Kaif.
War der Tiger-Film die völlig ironiefreie harte Action-Fortsetzung des geistreichen Spionagefilms EK THA TIGER (2012), wirkt BHARAT wie eine im Ganzen doch etwas weniger subtile Version von BAJRANGI BHAIJAAN (2015), einem der schönsten und besten Filme der letzten Jahre. Es ist eine Indien-Pakistan-Geschichte mit dem Thema Familienzusammenführung, inklusive erfolgreich tränentreibender Szenen an der Grenze. Im Mittelpunkt steht ein kleines Mädchen in Gestalt der kleinen Schwester, die für ein paar Szenen Gestalt annimmt in Form eines anderen kleinen Mädchens. Dass er niemals lügt, wird ersetzt durch das Versprechen an den Vater, sich um die Familie zu kümmern. Und da ist der etwas naive und begriffsstutzige Familienmensch, der eine ihm geistig und von der Bildung und dem Karriereerfolg her überlegene Ehefrau bekommt, diesmal in Gestalt von Katrina Kaif.
Und eigentlich ist
Katrina Kaif das Beste an dem Film. Ihre Figur hebt BHARAT
hinaus über den eindimensionalen und auf nur ein Ziel gerichteten
Tunnelblick der Hauptfigur, den das Trauma der Teilung, besonders in
Visionen der damals in der Menge verschwindenden Schwester, nicht
loslässt. Kaif fordert Salman Khan als Bharat heraus, ironisiert
sein Verhalten auch mal. Ein Filmpaar, dem das Nichtglamouröse und
Alltägliche sehr gut steht. Und irgendwie spürt man, dass die
beiden auch im echten Leben ein großes stilles Einverständnis
verbindet. Bis 2010 waren sie ja sogar ein wirkliches Paar und sind
immer noch gut befreundet. Aber ich will mich jetzt nicht in
Biografisches hineinsteigern. Und überhaupt hat Salman Khan ja noch
gerade öffentlich verkündet, dass er nicht an die Ehe als
Institution glaubt. Dazu passt ja, dass es für ihn und Kaif auch im Film ganz und gar
unehelich bleibt.