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Mittwoch, 5. Juni 2019

Suriya in NGK – Revolte gegen die Alten

Es fängt so paradiesisch und positiv an in dem tamilischen Film NGK (2019). Nandha Gopala Kumaran, der NGK aus dem Filmtitel, verbreitet unter den Bauern die Prinzipien des ökologischen Landbaus. Dafür hat er seinen gut bezahlten Bürojob, für ihn sowieso nur eine bezahlte Version von Gefängnis, sausen lassen. Eine ganze Schar junger Leute hat er als idealistische Sozialarbeiter hinter sich versammelt. Er ist populär, gilt als wichtig, sodass er auch in einer bürokratischen Angelegenheit um Hilfe gebeten wird. Aber erst ein Freund mit politischen Verbindungen kann die Sache regeln. Er alleine wird von Beamten aus dem Gebäude getragen. Und dann schlagen die ökonomischen Profiteure der Verseuchung und Ausbeutung der Böden zu, lassen sich diese Einmischung in ihre Geschäfte nicht lange gefallen. Felder werden vergiftet und auf lange Zeit unbrauchbar gemacht. Das geht an die nackte Existenz, und eine weinende Mutter bittet Kumaran, mit seinem Engagement aufzuhören. Ihr Sohn habe sich umgebracht. Und erneut muss er lernen, dass man politische Beziehungen braucht bei solchen Problemen.

Aber da es Gefallen nicht umsonst gibt, muss er in eine Partei eintreten mit den 500 jungen Männern in seinem Gefolge. Und da entwickelt der Film eine Menge satirischen Humors. Obwohl es schon vorher amüsant war, etwa wenn die Mutter es nicht aushält, dass das jung verheiratete Paar vor ihren Augen in der Küche flirtet. Und als Kumaran der Gattin ein Eis reicht, an dem sie gar nicht aufhören will, herumzuschlecken, da wird es der Mama endgültig zu viel. Doch das ist ja alles sehr liebevoll. Die böse Satire beginnt mit der Politik, deren Mechanismen man dafür in ihren Einzelteilen auseinander nimmt. Da befindet sich Kumaran in der organisierten Masse, über deren kontrolliert spontane Begeisterung sich ein Redner unsagbar freut, während neben diesem ein Mann steht, der sich an die Nase, ans Ohr fasst, um damit Reaktionen der Menge, wie eine bestimmte Art des Rufens, zu erzeugen.

Das alles ist Theater, Kino, Schauspiel, Schmierentheater, eine perfekt inszenierte Show, was ja an sich nicht schlimm wäre. In den USA ist auch immer so vieles bis ins Detail inszeniert. Aber da funktioniert im Großen und Ganzen das System. Doch hier verschleiert es nur das Nichtfunktionieren in vielen Bereichen, die Korruption, die persönliche Bereicherung. Es geht um Macht um der Macht willen, und um des Geldes willen, das eine bedingt das andere, in beide Richtungen. Den politischen Durchbruch schafft Kumaran aber erst, als er selbst in das Geschäft der Schauspielerei einsteigt. Es sind Haltungen, Gesten, Mienen, wie man sie aus dem Kino kennt: unterwürfige Körperhaltung, leicht vorne vornübergebeugt, lächelnd oder weinend vor Dankbarkeit. Nach einem Mordanschlag auf ihn, schaltet er geschickt in schluchzende Verzweiflung um, da sie sich besser auf den Fernseh- und Smartphone-Bildschirmen macht. Die Ehefrau steht distanziert in der Ecke und betrachtet ihn skeptisch.

Gespielt wird diese energische und oft genug wütende Ehefrau, die sich nichts gefallen lässt und jeden seiner Fehler hemmungslos kommentiert, von Sai Pallavi. Eine perfekte Darstellung einer ganz normalen, hübschen, aber nicht glamourösen indischen Ehefrau. Für den unterkühlten Glamour als Erfolgsfrau in den Hintergründen der Politikmaschinerie ist Rakul Preet Singh zuständig, ein schnelles Leinwandwiedersehen nach dem gerade erst gelaufenen Hindi-Film DE DE PYAAR DE (2019). Diesmal wirkt sie mit streng und stramm zurückgebundenem Haar unnahbar und unmenschlich, aber natürlich erliegt sie dem Charme des Helden, der eine Affäre mit ihr hat. Das wäre vor Kumarans Einstieg in die Politik undenkbar gewesen. Suriya spielt anschaulich und auch demonstrativ die Verwandlung eines normalen Mannes in einen Leinwandhelden. Und genau wie so einer muss er kämpfen, schauspielern, alle medialen Mittel anwenden, um die Massen auf seine Seite zu bekommen. Schließlich ist Südindien der Ort der wirklich erfolgreichen Schauspieler-Politiker. Das eine ist vom anderen nicht zu trennen. Und das ist das Brillante an NGK: Dieser Film über Politik ist, ohne es zu betonen, auch einer über die Prinzipien des tamilischen Kinos und seiner gesellschaftlichen Bedeutung.

Ich muss sagen, dass ich so einen Film nicht erwartet habe. Angenehm überrascht wäre der falsche Ausdruck. Ich mag ja harte Actionthriller, aber ich war beeindruckt, denn ich könnte mir vorstellen, dass ich nicht der einzige Zuschauer mit anderen Erwartungen war. Da kann man so einen fast schon analytischen Film in Form eines Blockbusters dann ruhig mutig nennen. Aber es funktioniert und ist unterhaltsam. NGK ist dicht, spannend, flüssig erzählt. Regisseur Selvaraghavan schafft einen ruhigen Rhythmus, der in den Actionszenen etwas beschleunigt, ohne die Kontrolle zu verlieren. Und er arbeitet mit Leerstellen. Eine tödlichen Brandanschlag gegen Ende hätte man in seiner Emotionalität und seinem Leiden ausschlachten können. Selvaraghavan zeigt nur die Folgen. Gelungen ist ihm eine Mischung aus bitter-ernst und bitter-ironisch, dass es weh tut. Wenn in einer der wichtigsten Szenen ein Todkranker darum bittet, erdolcht zu werden, damit man seine vermeintliche Ermordung der anderen Partei in die Schuhe schieben kann, dann hat das Ganze den Höhepunkt der tragischen Absurdität erreicht. Und es funktioniert wie vorhergesehen. Und Kumaran spielt mit. Und er wird immer erfolgreicher mit seiner kalkulierten Taktik. Denn er hat auch gesehen, was er alles an Gutem durchsetzen kann in seiner Position.

Und so wird er nach und nach zu einem echten übermenschlichen Helden, bei dem man sich nicht sicher ist, inwieweit er seine zu Beginn unschuldige Seele verloren hat oder inwieweit sie angekratzt ist. Es gibt nicht viele, aber intensive Actionszenen. Die brutalen Kampfszenen, natürlich immer ungerührt gegen viele Gegner auf einmal, haben eine angespannte Atmosphäre. Da ist eine Schlägerei in einem engen Klo und dann anschließend im Waschraum, wo nicht nur ein paar harmlose Knochen gebrochen werden. Es gibt eine wilde Polizeiattacke auf einem Platz. Und es gibt eine blutige Messerattacke auf ihn und seine Frau. Die wenigen Songs des Films funktionieren nach demselben Prinzip. Sie sind kurz, treibend und haben eine gewisse Härte. Ein einziges Liebeslied mit Bildmontagen gibt es allerdings. Bezeichnenderweise nicht zwischen Ehefrau und und Ehemann, sondern zwischen Kumaran und Geliebter.

Bei all dem geht es nicht so sehr um politische Inhalte, sondern um das Funktionieren des Staates, der Bürokratie an sich. Am Ende zerfasert der Film ein bisschen, oder ich habe bloß nicht alles mitbekommen, weil die gelben Untertitel manchmal schwer zu lesen waren. Auf jeden Fall endet alles in einer Revolution der jungen Männer, in dem symbolischen Angriff auf einen Trailer mit verantwortlichen Politikern mit Blut an den Händen. Das Neue gegen das Alte, die Jungen gegen die Alten, und das liegt dann ja, genau wie die Öko-Thematik, ganz im international angesagten Zeitgeist.