Es fängt so paradiesisch
und positiv an in dem tamilischen Film NGK (2019). Nandha Gopala
Kumaran, der NGK aus dem Filmtitel, verbreitet unter den Bauern die
Prinzipien des ökologischen Landbaus. Dafür hat er seinen gut
bezahlten Bürojob, für ihn sowieso nur eine bezahlte Version von
Gefängnis, sausen lassen. Eine ganze Schar junger Leute hat er als idealistische Sozialarbeiter hinter sich versammelt. Er ist populär, gilt als wichtig, sodass er
auch in einer bürokratischen Angelegenheit um Hilfe gebeten wird.
Aber erst ein Freund mit politischen Verbindungen kann die Sache regeln. Er alleine wird von Beamten aus dem Gebäude
getragen. Und dann schlagen die ökonomischen Profiteure der
Verseuchung und Ausbeutung der Böden zu, lassen sich diese
Einmischung in ihre Geschäfte nicht lange gefallen. Felder werden
vergiftet und auf lange Zeit unbrauchbar gemacht. Das geht an die
nackte Existenz, und eine weinende Mutter bittet Kumaran, mit seinem Engagement
aufzuhören. Ihr Sohn habe sich umgebracht. Und erneut muss er
lernen, dass man politische Beziehungen braucht bei solchen
Problemen.
Aber da es Gefallen nicht
umsonst gibt, muss er in eine Partei eintreten mit den 500 jungen Männern
in seinem Gefolge. Und da entwickelt der Film eine Menge satirischen
Humors. Obwohl es schon vorher amüsant war, etwa wenn die Mutter es
nicht aushält, dass das jung verheiratete Paar vor ihren Augen in
der Küche flirtet. Und als Kumaran der Gattin ein Eis reicht, an
dem sie gar nicht aufhören will, herumzuschlecken, da wird es der Mama
endgültig zu viel. Doch das ist ja alles sehr liebevoll. Die böse
Satire beginnt mit der Politik, deren Mechanismen man dafür in
ihren Einzelteilen auseinander nimmt. Da befindet sich Kumaran in der
organisierten Masse, über deren kontrolliert spontane Begeisterung
sich ein Redner unsagbar freut, während neben diesem ein Mann steht,
der sich an die Nase, ans Ohr fasst, um damit Reaktionen
der Menge, wie eine bestimmte Art des Rufens, zu erzeugen.
Das alles ist Theater, Kino,
Schauspiel, Schmierentheater, eine perfekt inszenierte Show, was ja
an sich nicht schlimm wäre. In den USA ist auch immer so vieles bis
ins Detail inszeniert. Aber da funktioniert im Großen und Ganzen das
System. Doch hier verschleiert es nur das Nichtfunktionieren in
vielen Bereichen, die Korruption, die persönliche Bereicherung. Es
geht um Macht um der Macht willen, und um des Geldes willen, das eine
bedingt das andere, in beide Richtungen. Den politischen Durchbruch
schafft Kumaran aber erst, als er selbst in das Geschäft der
Schauspielerei einsteigt. Es sind Haltungen, Gesten, Mienen, wie man
sie aus dem Kino kennt: unterwürfige Körperhaltung, leicht vorne
vornübergebeugt, lächelnd oder weinend vor Dankbarkeit. Nach einem
Mordanschlag auf ihn, schaltet er geschickt in schluchzende Verzweiflung
um, da sie sich besser auf den Fernseh- und Smartphone-Bildschirmen
macht. Die Ehefrau steht distanziert in der Ecke und betrachtet ihn
skeptisch.
Gespielt wird diese
energische und oft genug wütende Ehefrau, die sich nichts gefallen
lässt und jeden seiner Fehler hemmungslos kommentiert, von Sai
Pallavi. Eine perfekte Darstellung einer ganz normalen, hübschen,
aber nicht glamourösen indischen Ehefrau. Für den unterkühlten
Glamour als Erfolgsfrau in den Hintergründen der Politikmaschinerie
ist Rakul Preet Singh zuständig, ein schnelles Leinwandwiedersehen
nach dem gerade erst gelaufenen Hindi-Film DE DE PYAAR DE (2019).
Diesmal wirkt sie mit streng und stramm zurückgebundenem Haar
unnahbar und unmenschlich, aber natürlich erliegt sie dem Charme des
Helden, der eine Affäre mit ihr hat. Das wäre vor Kumarans Einstieg
in die Politik undenkbar gewesen. Suriya spielt anschaulich und auch
demonstrativ die Verwandlung eines normalen Mannes in einen
Leinwandhelden. Und genau wie so einer muss er kämpfen,
schauspielern, alle medialen Mittel anwenden, um die Massen auf seine
Seite zu bekommen. Schließlich ist Südindien der Ort der wirklich erfolgreichen Schauspieler-Politiker. Das eine ist vom anderen nicht zu trennen. Und das ist das Brillante an NGK: Dieser Film über Politik ist, ohne es zu betonen, auch einer über die Prinzipien des tamilischen Kinos und seiner gesellschaftlichen Bedeutung.
Ich muss sagen, dass ich
so einen Film nicht erwartet habe. Angenehm überrascht wäre der
falsche Ausdruck. Ich mag ja harte Actionthriller, aber ich war
beeindruckt, denn ich könnte mir vorstellen, dass ich nicht der
einzige Zuschauer mit anderen Erwartungen war. Da kann man so einen
fast schon analytischen Film in Form eines Blockbusters dann ruhig mutig nennen. Aber es
funktioniert und ist unterhaltsam. NGK ist dicht, spannend, flüssig
erzählt. Regisseur Selvaraghavan schafft einen ruhigen Rhythmus, der
in den Actionszenen etwas beschleunigt, ohne die Kontrolle zu
verlieren. Und er arbeitet mit Leerstellen. Eine tödlichen
Brandanschlag gegen Ende hätte man in seiner Emotionalität und
seinem Leiden ausschlachten können. Selvaraghavan zeigt nur die
Folgen. Gelungen ist ihm eine Mischung aus bitter-ernst und
bitter-ironisch, dass es weh tut. Wenn in einer der wichtigsten
Szenen ein Todkranker darum bittet, erdolcht zu werden, damit man seine vermeintliche Ermordung
der anderen Partei in die Schuhe schieben kann, dann hat das Ganze
den Höhepunkt der tragischen Absurdität erreicht. Und es
funktioniert wie vorhergesehen. Und Kumaran spielt mit. Und er wird immer erfolgreicher
mit seiner kalkulierten Taktik. Denn er hat auch gesehen, was er
alles an Gutem durchsetzen kann in seiner Position.
Und so wird er nach und
nach zu einem echten übermenschlichen Helden, bei dem man sich nicht sicher ist,
inwieweit er seine zu Beginn unschuldige Seele verloren hat oder
inwieweit sie angekratzt ist. Es gibt nicht viele, aber intensive
Actionszenen. Die brutalen Kampfszenen, natürlich immer ungerührt
gegen viele Gegner auf einmal, haben eine angespannte Atmosphäre. Da
ist eine Schlägerei in einem engen Klo und dann anschließend im
Waschraum, wo nicht nur ein paar harmlose Knochen gebrochen werden.
Es gibt eine wilde Polizeiattacke auf einem Platz. Und es gibt
eine blutige Messerattacke auf ihn und seine Frau. Die wenigen Songs des Films funktionieren nach demselben Prinzip. Sie sind kurz, treibend und haben eine gewisse Härte. Ein einziges Liebeslied mit Bildmontagen gibt es allerdings. Bezeichnenderweise nicht zwischen Ehefrau und und Ehemann, sondern zwischen Kumaran und Geliebter.
Bei all dem geht es nicht
so sehr um politische Inhalte, sondern um das Funktionieren des Staates, der
Bürokratie an sich. Am Ende zerfasert der Film ein bisschen, oder
ich habe bloß nicht alles mitbekommen, weil die gelben Untertitel
manchmal schwer zu lesen waren. Auf jeden Fall endet alles in einer
Revolution der jungen Männer, in dem symbolischen Angriff auf einen
Trailer mit verantwortlichen Politikern mit Blut an den Händen. Das
Neue gegen das Alte, die Jungen gegen die Alten, und das liegt dann
ja, genau wie die Öko-Thematik, ganz im international angesagten Zeitgeist.