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Dienstag, 28. Mai 2019

CHANDIGARH AMRITSAR CHANDIGARH – Boy meets girl Punjabi-style

In gewisser Weise war CHANDIGARH AMRITSAR CHANDIGARH (2019) die zweite Punjab-Komödie in den deutschen Kinos innerhalb von nur einer Woche. Nur dass DE DE PYAAR DE (2019) mit Ajay Devgn eine Hindi-Komödie ist, die aber in der zweiten Hälfte im Punjab spielt und wo es richtig viel typische Musik und Rhythmen gibt. Doch Filme wie CHANDIGARH sind sozusagen das Original, eben ein echter regionaler Film, der durch sein authentisches Lokalkolorit überzeugt. Es ist ein sympathischer Film, der Spaß macht, auch wegen der zwei charmant spielenden Hauptdarsteller. Gippy Grewal und Sargun Mehta, die in Fernsehserien anfing und auch schon zwei Mal einen regionalen Filmfare Award gewonnen hat, sind beide sehr populär im Punjab. Es ist die zweite Regiearbeit von Karaan Gulian, der bei seinem ersten Werk SARVANN (2017), einer Priyanka-Chopra-Produktion, noch mit dem Nachnamen Guliani genannt wurde.

Eigentlich besteht der Film vor allem daraus, dass Grewal und Mehta sich zu Fuß oder auf dem Motorrad durch Amritsar bewegen und sich streiten und unterhalten. Die Story ist simpel: Eine junge Frau aus Chandigarh kommt nach Amritsar, um höchstpersönlich ihrem von den Eltern ausgesuchten Bräutigam eine Absage zu erteilen. Auf der Suche nach der richtigen Straße stößt sie auf einen auf der Straße Cricket spielenden jungen Mann, dem sie dadurch, dass sie ihn nach dem Weg fragt, fast den sicher geglaubten Sieg ruiniert. Und damit ist es passiert: Boy meets girl. Das Ende ist unausweichlich. Aber erst kann sie ihn gar nicht ausstehen, was für den Zuschauer ja auch immer viel lustiger ist als verträumte beiderseitige Liebe auf den ersten Blick. Es gibt in Form von Comedy zusätzlich ein paar Dramatisierungen, damit sie gezwungen ist, überhaupt für die Länge des Films in Amritsar zu bleiben. Sie verliert ihr Handy, dass in den Sitz einer Motor-Rikshaw gerutscht ist und zu seltsamen Vibrationen bei den nachfolgenden Fahrgästen führt. Ja, das ist ein bisschen niedlich unanständig.

Und das alles ist nicht zu lang. Der Film hat nur etwa 107 Minuten. Man verzichtet also auf einen Rattenschwanz an überflüssiger Handlung, mit der so mancher populäre indische Film auf die gewohnte Länge gedehnt wird und sich dann auch so anfühlt. Hier ist es umgekehrt. Es hätten ruhig ein paar Minuten mehr sein können, aber das ist dann ein Kompliment an den Film. Es gibt auch eine knallige Schlusspointe, die aber gar nicht so knallig ist, weil viele Zuschauer sie sicher schon erwarten, aber dann besteht das Vergnügen eben darin, zu überlegen, wie die Wahrheit wohl ans Tageslicht kommen wird. Aber um Originalität geht es hier auch nicht.

Wer die Filme von Imtiaz Ali mag, oder auch die plaudernde Pärchen-Trilogie von Richard Linklater mit Ethan Hawke und Julie Delpy, die in BEFORE SUNRISE (1995) und BEFORE SUNSET (2004) durch Paris spazieren, der dürfte auch CHANDIGARH AMRITSAR CHANDIGARH mögen. Die Feinheiten bei der Sprache, dem Akzent und Slang, diese regionalen Unterschiede eben, von denen der Dialog ganz offensichtlich lebt, sind mir natürlich entgangen. Aber die Gegensätze zwischen Chandigarh und Amritsrar, die den Kern des Films bilden, die beginnt man auch als Außenstehender sehr schnell zu begreifen, denn da geht es nicht um tiefe soziologische Erkenntnisse, sondern vor allem um Klischees, die der eine über den anderen mit sich herumträgt. Es geht um lockeren und arbeitsamen Lebensstil, moderne und traditionelle Kleidung oder auch weibliche, männliche Rollenverteilung, etwa die Selbstverständlichkeit, mit der er erwartet, dass die Frau nach der Hochzeit mit ihm bei den Eltern wohnt, dies aber umgekehrt nicht machen würde.

Und das alles ist eingebettet in authentische Amritsar-Atmosphäre, ohne einen gefälligen Touristen-Blick einzunehmen. Es geht durch normale Gassen, Wege, Geschäfte und ganz offensichtlich hat man gerne auf die passenden Menschen von der Straße zurückgegriffen. Das schafft einen angenehmen Hintergrund der Natürlichkeit und Lebendigkeit. Natürlich geht es nicht ganz ohne Goldenen Tempel. Aber einen Augenblick, zwei längere Einstellungen, und dabei lässt man es gut sein. Richard Linklater hatte ja in seinen beiden Filmen ganz konsequent auf den Eiffelturm verzichtet, was vielleicht doch ein bisschen übertrieben ist. Man sieht ihn nun mal oft in Paris. Im Nachspann gibt es dann einige Bilder von den Dreharbeiten, wo man überprüfen kann, dass tatsächlich an Ort und Stelle gedreht wurde.

Und wie passend zur Wirklichkeit ist die Methode, mit der die männliche Hauptfigur im Film sein Geld verdient! Er organisiert falsche Likes und Kommentare für Facebook und andere Internetseiten. Schlechtes Gewissen hat er keines, er argumentiert mit der Notwendigkeit seines Tuns: Das wäre die Grundlage der punjabischen Wirtschaft. Und vielleicht auch der Filmindustrie, musste ich abends, nach der Kinovorstellung am Samstag Vormittag, denken. Ich war neugierig auf die Bewertungen bei IMDb und entdeckte ein 10/10. Nun würde ich den Film sofort jedem empfehlen, der oder die auf der Suche nach entspannter, ganz intelligenter und kurzweiliger Unterhaltung ist. Aber Leute, das ist irreal. Es gibt inzwischen zig Rezensionen mit der Bewertung 10/10. Die meisten sehr kurz, ohne weitere Erklärungen, was nicht sehr typisch ist. Na ja, aber der Film liefert ja die eigene Rechtfertigung für diese absolut gängigen Manipulationen gleich mit. Doch ein bisschen geschickter und weniger offensichtlich wäre doch besser. 8/10 oder 9/10, das ist viel empfehlenswerter, da wird niemand so schnell stutzig. Das ist wie bei gefälschten Wahlergebnissen. Da scheut man auch die 100% und nennt 99% oder noch besser sogar ein ganzes Stück drunter.