© Yashaswini Raghunandan (Quelle: Filmfest Hamburg)
© Yashaswini Raghunandan (Quelle: Filmfest Hamburg)
Ein abgelegenes
bengalisches Dorf, in dem es ohne Mondschein so dunkel ist wie in
keinem Kino der Welt mit Notausgangsleuchten. Dafür ist es nie
wirklich still, denn die großen und kleinen Tiere des umliegenden
Dschungels produzieren ein ständiges Geräusch, das man übrigens
während des Nachspanns in ordentlicher Lautstärke ungestört
genießen kann. Und wenn am Ende des knapp einstündigen Films THAT
CLOUD NEVER LEFT (2019) dann nur dieses Dschungelgeräusch bleibt,
dann wird gewissermaßen auf eine abstrakte Weise das Prinzip nachgeahmt, das hier im Mittelpunkt stand: die Verarbeitung und
Reduzierung von Film-Zelluloid, des physischen Materials eines
ursprünglich zum Gucken bestimmten Kinofilms, hin zu einem reinen
Geräusch, einem im Übrigen nicht sehr subtilen Geräusch,
hervorgerufen mit Hilfe eines amüsanten Krachspielzeugs. Dieses in
dem Dorf mit Handarbeit hergestellte Bambusspielzeug, das
von umherziehenden Verkäufern in indischen
Städten verkauft wird, war auch für Regisseurin Yashaswini
Raghunandan der rein praktische Ausgangspunkt der Entstehung ihrer
poetisch-informativen Mischung aus
Dokumentation, Fiktion und Installation, die ich auf dem Filmfest
Hamburg 2019 gesehen habe.
„Kyatketi“ heißt das
Spielzeug, wie Raghunandan in Interviews verrät. Das ist ein
Wort, das bei Google, geschrieben mit lateinischen Buchstaben, nur im
Zusammenhang mit diesem Film auftaucht. Im Laufe des Films sieht man
die Arbeitsschritte: Männer im Wald beim Auswählen geeigneter
Bambusstämme, deren Zerkleinerung bis zu kleinen Stäben, dann deren
Färbung und die Kleinarbeit, was dann wohl meist Frauensache ist.
Konkret werden alte Zelluloidstreifen in Stücke geschnitten, in
Einzelbilder sozusagen, gefaltet und an den Stäben eines kleinen Rads
befestigt, sodass es beim Drehen ein Geräusch ergibt, wenn die Stücke ein
Hindernis streifen. Wir sehen auch andere Materialien für andere
Handarbeiten. Im Mittelpunkt steht also zunächst einmal die Arbeit.
Man bekommt aber auch kleine Einblicke in den Alltag, wie eine
Diskussion um Geld oder das Nichtstun bei heftigem Regen.
Gleichzeitig ist THAT
CLOUD NEVER LEFT auf eine fast beiläufige, unaufdringliche Weise ein
Film übers Sehen, die Freude der Menschen am Gucken und vor allem
das Bedürfnis, die Welt einfach anders, mit anderen Augen zu sehen,
als man sie normalerweise sieht. Man hält rote Folie vor die Augen,
schon hat man einen visuellen Effekt. „Die Welt sieht so anders
aus.“, sagt jemand als Reaktion auf die rosarote Färbung des
Bildes vor seinen Augen. Und dann ist da, wie überall, wo es ein
bisschen Strom gibt, der Blick auf den Fernseher, oft weiter oben
angebracht, sodass man ihn von überall im Raum aus sehen kann. Das ist
derselbe Blick nach oben wie der auf den Mond, der sich bald
verfinstern soll. Und alle sind gespannt auf den angekündigten
Blutmond. Sogar ein Gerüst wird zur Beobachtung gebaut. Und Kinder
haben ihre ganz eigene Art, sich die Welt zu machen, wie sie ihnen
gefällt, wenn ein paar Jungs hier einen Rubin suchen und dabei die
abenteuerlichsten Theorien über dessen Verbleib aufstellen. Einmal
sieht man einen Vater seinen Jungen ermahnen, dass er den Rubin
vergessen und sich lieber auf die Schule konzentrieren solle.
Erwachsenen tun gerne so, als seien sie vernünftig.
Und immer wieder
zwischendurch gibt es Montagesequenzen von Einzelbildern des
sich zersetzenden, verwüsteten Zelluloids. Manchmal kann man noch die ursprünglichen Spielfilmbilder, manchmal nur Andeutungen davon erkennen. Auch der Familie, die das Spielzeug herstellt,
werden diese Bilder auf einem Fernseher gezeigt, sozusagen die
verborgene Wirklichkeit ihres Arbeitsmaterials, das sich ja
ironischerweise immer noch dreht, so wie es sich als Teil der
Filmrolle während der Projektion gedreht hat. Das ist eine Art
künstlerische Installation für den Hausgebrauch, was wiederum
dokumentarisch gefilmt wird. Dazu erklingen alte Filmsongs, wie
„Jahne Vo Kaise“ aus dem Guru-Dutt-Film PYAASA, was aber jetzt
mit seiner Thematik des armen Poeten wenig mit dem Film zu tun hat.
Es geht wohl eher um ein allgemeines Gefühl der Nostalgie. Worüber
ich mir nicht ganz klar bin, ist, wo die Musik genau herkommt, ob sie
direkt über die im TV gezeigten Bilder gelegt wurde oder ob sie nur
die Filmmusik des Films THAT CLOUD NEVER LEFT ist. Ganz am Ende des
Films schiebt sich eine Wolke vor den Mond, und der Film ist aus: Die Wolke ging nie weg. Vielleicht nicht unbedingt für die
Dorfbewohner, aber für den Filmzuschauer, dem der Blick auf den
Blutmond verwehrt bleibt. Und abseits all der verschiedenen Ebenen,
unter denen man den Film sehen, betrachten, beschreiben kann, ist
seine größte und primäre Qualität seine Verspieltheit, wodurch er
nicht nur schön anzugucken, sondern ganz einfach unterhaltsam ist.
Dass in den Slums der
Großstädte wie Kalkutta und Mumbai solche ideenreichen
Handarbeiten, oft unter Verwendung von auf diese Weise recyceltem Müll,
angefertigt werden, ist bekannt. Dass das auch auf dem Land
geschieht, wusste ich nicht. Und so ist THAT CLOUD NEVER LEFT
tatsächlich auch ein Stück reine Information, Aufklärung über die
Situation auf dem Land in Indien. Und da kommt der Produzent des
Films ins Spiel, als der das „People's Archive of Rural India“
(PARI) angegeben wird, einem digitalen Archiv aus Texten, Videos,
Musik mit eigener Website. Ob Videos zu spezielleren Fällen wie
einem lebensgefährlichen Schulweg, weil eine Brücke nicht erneuert
wird, oder durch Tiger verwitwete Frauen bis zu den leider üblichen
und nötigen Bauernprotesten wegen zu niedriger Gewinne. Sehr interessant. Und
empfehlenswert.