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Montag, 21. März 2022

Puneeth Rajkumar in JAMES – Ein stilvoller Schwanengesang

 

Eine der größten Stars des Karnataka-Kinos, Puneeth Rajkumar (1975-2021), starb überraschend im Oktober 2021 mit nur 46 Jahren an einem Herzinfarkt, der ihn wie aus dem Nichts attackierte. Noch in der Ambulanz auf dem Weg ins Krankenhaus verschied er. Trotz seines doch relativ jungen Alters hatte der Schauspieler aus dem Bundesstaat Karnataka eine beachtenswert lange Karriere hinter sich, denn schon als kleines Kind, ja, im Grunde als Baby, hatte er gelernt, sich gekonnt, mit Routine und Kreaktivität, vor der Kamera zu bewegen. Der Powerstar "Appu“ war nicht nur bei den Massen beliebt, er wurde auch mit Preisen ausgezeichnet.

Der Kannada-Film JAMES (2022) ist damit sein unbeabsichtigtes Abschiedswerk geworden, ein abwechslungsreicher, bunt aufgedrehter Schwanengesang, geschrieben und inszeniert von Chethan Kumar. Ein Werk mit vollen, gut geplanten Knallbonbonboneffekten, wie ein Best of von Rajkumars Können wirkend. Auf jeden Fall würdig eines Stars. Das geht von leicht-lockeren Tanzschritten bis zum irrealen Kampf in schwerer Uniform gegen eine Übermacht an Gegnern. Da zeigt sich mal wieder, dass man besonders in Südindien äußerst ansprechende Filme auch ohne zusammenhängende Handlung drehen kann, dass dabei weitaus Spannenderes und Besseres herauskommen kann, als wenn man sich auf eine pseudo-anspruchtsvolle Weise in eine leblose Story quetscht, so wie das etwa der Hindi-Film RADHE mit Salman Khan macht, wobei dann doch mit einem Auge auf die Kritik geschielt wird. Es kommt bei allem nur auf die richtige Haltung hat. Die Schauspieler, die Action, die einfallsreichen Einstellungen und die Farben sind in JAMES zu einer sehenswerten, mitunter mitreißenden Mischung verbunden. Die nahe liegende Gefahr eines ungenießbaren Breis wird geschickt und gekonnt vermieden.

Abwechslungsreich ist das Ganze auch noch. Es beginnt wie ein gemütlicher Familienfilm, um in wilden Massakern zu enden. Da bevölkern am Ende die Toten den Fußboden. Mal abgeschlachtet von Rajkumar, diesem Supersoldaten, mal ermordet von den Bösen, die wie aus dem Nichts auftauchen und es ist sicher keine Schande zuzugeben, dass man sehr schnell den Überblick bei JAMES verlieren kann, wenn man ihn denn je bekommt.

Aber dieses Videospielprinzip der ständig neuen Figuren sorgt jedenfalls für ständigen Nachschub an Personal und für Abwechslung. Und immer geht es in dieser wild cartoonesken Actionwelt ganz anderes weiter, als man gedacht hat. Man kann wie gesagt also nicht gerade behaupten, dass man hier eine nacherzählbare Story vorfindet, aber gerade diese dramaturgische Leere und Beliebigkeit erlaubt es dem Film, seine Qualitäten unverkrampft zu entfalten. Es wirkt nie müde routiniert, sondern als würden die Beteiligten gerade das freie Filmemachen nur für die Massen entdecken. Da weht eine unterhaltende Frische durch das ganze Projekt, die man gerne öfter auf der dicken Filmfan-Haut spüren würde. Und besonders aus westlicher Perspektive hat das Ignorieren klassischer dramaturgischer Regeln etwas Angenehmes und Anziehendes. Da vergisst man gerne alle cinephilen Werte und Ansprüche.

Montag, 14. März 2022

ANKAHI KAHANIYA – Liebe und Hilfe

 

Der Episodenfilm ist ja inzwischen beliebter Standard der Streamingdienste geworden. Aber, seien wir ehrlich, meistens sind sie nicht mehr als durchschnittlich. Ein Gipfel des eher belanglosen Wohlfühlfilms ist jetzt ANKAHI KAHANIYA (2021), der jeweils nach einer netten Idee den Großteil der Laufzeit viel zu dröge vor sich hinplätschert, auch wenn es einige wirklich hübsche Momente gibt. Damit es Sinn macht, haben die Filme oft ein gemeinsames Thema. Hier geht es diesmal um Einsamkeit und Hilfe dagegen, etwa um Mittel gegen Einsamkeit in der Großstadt. Drei Mal hilft einer dem anderen bei Liebesproblemen. Es handelt sich aber um Pärchen, die nicht zusammenkommen. Ihre Gemeinsamkeit beschränkt sich eben darauf, sich gegenseitig durchs schwere Leben zu hieven, anzuspornen, Ratschläge zu geben.

Die erste Hauptfigur ist der Angestellte eines Kleiderladens, der über diesen Job hinaus kein individuelles Leben, kein Privatleben hat, außer dass er spät abends nach Hause geht und etwas isst.  Regie geführt hat Ashwini Iyer Tivari, die mit BAREILLY KI BARFI (2017), einen der beliebtesten Kuschelfilme der letzten Jahre gedreht hat. Und dieser Angestellte lässt sich ohne Widerspruch und emotionslos ausbeuten vom Chef und dem frechen Kollegen, der macht, was er will. Er muss dann für den Laden eine Schaufensterpuppe besorgen und übernimmt damit die Damenabteilung, die plötzlich aufblüht. Er fasst eine seltsame Zuneigung zu der Puppe, lächelt sie an, redet mit ihr, zieht sie geschmackvoll an. Es ist, als würde er Frauen und die Kommunikation mit ihnen kennen lernen dadurch. Es ist ein Film voll idyllischer Musik, die auf Dauer ein bisschen repetitiv, süßlich-penetrant ist. Nachdem er vom Job entlassen wurde, fährt er nach Hause, wo ein junges Mädchen, seine künftige Braut, wie in einem Traum, einem Märchen auf ihn wartet. So kann er sich von der Puppe befreien, die ein ruhiges Leben in einem Abstellraum verbringt. Ein Paar Tränen kann er sich aber am Ende nicht verkneifen.

Abhishek Chaubey, dem Filme wie UDTA PUNJAB (2014) und SONCHIRIYA (2019) zu verdanken sind, gleitet leider in die Leere ab. Ästhetisch und atmosphärisch ist seine Hommage an das Kino der 70er/80er schon und ist perfekt und sehr schön anzusehen. Hauptfigur eines rumpeligen Einsaalkinos ist ein junger Filmvorführer mit einem alkoholkranken Onkel. Auf der anderen Seite ist da ein Mädchen, das in einem Chawl wohnt und ständig von der Mutter angeschrien und von einem Nachbarn – oder Verwandten – belästigt wird, mit ihrer Freundin ins Kino geht, wo sie dem Vorführer langsam näher kommt. Beide wollen nur heraus aus ihrem Privatleben, hassen es. Sie leisten sich gegenseitige Hilfe, um aus der Stadt herauszukommen. Sie spielen zurückhaltend Beziehung, was sich hinterher einfach als gegenseitige Unterstützung herausstellt. Im Bus dann fährt jeder in eine andere Richtung, befreit aus den täglichen Zwängen. Sie haben einander gestärkt. Ansonsten ist alles etwas banal.

Saket Chaudhary, dessen letzter Spielfilm HINDI MEDIUM (2017) mit Irrfan Khan war, liefert mit feiner Ironie in seinem intelligenten Kurzfilm den besten Beitrag ab. Eine Frau bekommt mit, dass ihr Mann sie betrügt. Sie geht zu deren Ehemann und nach etwas Zögern willigt der ein, die betrügerische Beziehung zu rekonstruieren, um zu begreifen, was da wohl passiert ist. Schritt für Schritt gehen sie vor, Handlung, Dialoge, sie kennen schließlich ihre Partner. Das Besondere ist, dass beide mit einem Fremden ganz anders als normalerweise sind. Sie sagen plötzlich die Wahrheit über sich und ihr Leben, wozu sie sonst mit ihrem Partner nicht in der Lage sind. Am Ende treffen sie sich in einem Epilog in einem Café. Bei ihm läuft jetzt alles besser. Er hat aber eine für sie deprimierende Art, sie auf den Boden der Tatsachen zu bringen. Das will sie nicht. Ein bisschen Lüge braucht sie im Leben und sollten sie sich wiedersehen, soll er beruhigend wirken: „Munter mich einfach auf. Und sag sonst nichts.“

Sonntag, 6. März 2022

Ram Madhvanis DHAMAKA – Schmierenjounalismus

Es ist ein harmonischer, paradiesischer Anfang: Die Hauptfigur träumt von seinen Erinnerungen an eine zurück liegende perfekte Beziehung, auch wenn sie da längst vorbei ist und er in ungewisser Düsternis zu schweben scheint. Regie und Drehbuch dieses moralischen Polit-Thrillers sind von Ram Madhvani (2021), dessen bekanntester Film der auf Tatsachen beruhende Terrorismus- und Entführungsfilm NEERJA (2016) ist. In der Hauptrolle gibt es Kartik Aaryan zu sehen, zu dessen besten Rollen die Hauptfigur in Imtiaz Alis bisher letztem Film LOVE AAJ KAL (2020) gehört.

Aaryans TV-Journalist, der auch schon mal bessere Zeiten gesehen hat, spielt den neuen Moderator eines neuen Senders, der bisher natürlich noch kaum Zuhörer hat. Der Wettbewerb zu anderen Unternehmen ist also noch um vieles höher als bei einem arrivierten Unternehmen. Der Druck ist ungleich stärker.  Er bekommt gleich zu Beginn seiner Sendung einen Anruf mit einer Bombenwarnung, die er zunächst nicht ernst nimmt, bis er zu zweifeln beginnt und während er etwas ungläubig auf den Attentäter einredet, explodiert das genannte Ziel, ein Hochhaus. Solch ein knallender Bomben-Anfang, solch eine Story sind ja an und für sich nichts Sensationelles, haben etwas von der B-Film-Version von Tony Scotts Meisterwerk DEJA VU (2006) mit Denzel Washington. Und unabhängig davon ist es ja nicht so, als fehlte es der Welt an kritischen Medienstorys.

Das Spannende der Erzählung liegt im Individual-psychologischen, in der Parallelisierung von Journalismus, Spitzenpolitik und dem Einzelnen, der sich in dieser ganz auf das eigene Ich konzentrierten Welt total selbstverliebt verliert. Die moralischen Schwächen des Moderators sind zu groß für die vielen Bereiche des öffentlichen Lebens, die hier zusammenkommen und sich überschneiden: Journalismus, Geheimdienst, Persönliches, Politik. Da sind menschliche Schwächen, die man nicht überwinden kann. Es geht hier um weit mehr als nur um eine gefährdete Karriere, einen wütenden Attentäter oder einen fehlerhaften Politiker. Es geht ganz allgemein um Moral und Ehrgeiz. Der Journalist weiß, dass er an sich das Falsche macht, lässt sich aber immer wieder korrumpieren durch das ständige Versprechen der Chefin auf einen zentralen Posten.

Die Sehnsucht nach Karriere kann also leicht die Persönlichkeit korrumpieren. Zu seinem Ehrgeiz gesellt sich eine dumme, unschuldig spielende Naivität, mit der er etwa seine Freundin betrogen und ihr einen wichtigen, preiswürdigen Artikel gestohlen hat, um ihn als sein eigenesWerk einzureichen. Und er ist unfähig, sich dafür zu entschuldigen, als wäre er auf natürliche Weise unfähig zu einfachem moralischen Verhalten. Die Hauptfigur symbolisiert die Kritik am modernen Journalismus, an seinen Methoden, am modernen Menschen an sich. Und DHAMAKA ist eine durchaus echte Darstellung des Journalismus, ist wohlgemerkt keine heitere Journalismussatire. Hier ist nichts witzig oder absurd. Zu Grunde liegt das, was jeden Abend über die Mattscheibe flimmert und mit ein paar seltenen Ausnahmen Dummheit und Lügen verbreitet. DHAMAKA ist ein Film über Wahrheit und Lüge, über Wahrheit und Journalismus.  – Schmierenjournalismus und Marktanteile. Die Chefin wird angelogen, aber andererseits missbraucht sie ihn, auch, weil er nicht skrupellos genug ist und nicht das tut, was er tun soll.. Denn das Befolgen von Anweisungen ist eine Grundvoraussetzung für diesen Beruf.

Samstag, 26. Februar 2022

Leena Yadavs HOUSE OF SECRETS – THE BURARI DEATHS  – Selbstmord, Kult, Mord?

Leena Yadavs DAS HAUS DER GEHEIMNISSE: DIE TOTEN VON BURARI ist ein durch und durch geordneter Film. Obwohl es um ein auf den ersten Blick unheimliches, bizarres Thema geht, bleibt der Film die gesamten drei Folgen der insgesamt zwei Stunden übersichtlich und klar verständlich. Alles ist in Form einer chronologischen Darstellung strukturiert und sehr übersichtlich. Diese leider wahre Geschichte geht den Weg von fiktionswürdiger Erzählung über seltsame Fantasien hin zu dem, was sich tatsächlich vor elf Jahren abgespielt hat im Stadtteil Burari von Delhi, einer Gegend für die untere und mittlere Mittelschicht. Aber Fakten können ja oft viel schlimmer sein als die Fiktion.

Die Sache scheint zunächst klar zu liegen: Es handelt sich scheinbar um den Selbstmord der elfköpfigen Großfamilie Chundawat. Der Film beginnt mit den nächsten Nachbarn, Polizisten sind natürlich auch da, Menschen, die zuerst am Tatort waren. Sie erzählen Tatsachen, die vermeintlich so gesehen wurden, wie sie passiert sind. Und niemand, der am Tatort war, hat diesen Anblick vergessen. Da sind auch riesige Menschenmassen, dazu eine unangenehme Meute an nicht zu stoppenden aufdringlichen Journalisten. Die Polizei hat Schwierigkeiten, für Ordnung zu sorgen. Straßen und Dächer der Gegend sind in jeder Ecke bevölkert von neugierigen Menschen.

Und plötzlich geht es überraschend in eine ganz andere Richtung, mitten in einer verstörenden, aber realistisch scheinenden Selbstmordgeschichte kommt der gar nicht so abwegige Verdacht auf etwas Übernatürliches, Kultiges auf. Viele kleine Dinge scheinen darauf hinzuweisen. Das mehrfache Auftauchen der Zahl elf am Haus und im Leben der Familie.  Eine schuldig scheinende Nachbarin, die man für eine Tantrikerin hält. Alles Dinge, mit denen man die Titelseiten der Sensationspresse füllen kann. Eine Gelegenheit, die diese auch nutzt. Der Höhepunkt sind elf geheimnisvolle Tagebücher des Sohnes Lalit Singh, versteckt im ganzen Haus, verfasst im Lauf der vergangenen elf Jahre. Sie enthalten vermeintliche Botschaften des Geistes des verstorbenen Vaters, dessen Willen befolgt werden soll, damit es der Familie gut geht. Und es ist tatsächlich gerade eine Zeit, in der es der Familie scheinbar gut geht. Aber diese Spur verläuft sich.

Am Ende kommt der Film zum Kern des Geschehens. Eine Wissenschaftlerin bemängelt, dass sich bisher niemand für die kleinen Details, für das wahre Geschehen interessiert hat. Jeder bewertet das Vorgefallene nach seinen eigenen Vorstellungen, den persönlichen Werten und Erwartungen. Die sachlichen Befragungen von Arzt und Psychiaterinnen und einer ernst zu nehmenden Journalistin bringen die Dinge in ein klareres Licht. Wie angenommen, steht der Sohn im Mittelpunkt. Aber anders als angenommen. Er hatte zwei traumatische Erlebnisse, von denen alles seinen Ausgang nahm. Zum einen hatte er einen schweren Sturz. Außerdem versuchte man, nach einem Streit mit dem Arbeitgeber, ihn anzuzünden. Fast wäre er verbrannt.

Das führt zur Entstehung eines Traumas, wie es jeden treffen kann. Lalit redet nicht mehr, schweigt, singt dann plötzlich bei einer Familien-Pooja, einem gemeinsamen familiären Anbetungsritual. So verschafft er sich die patriarchalische Herrschaft, stattet sich mit Autorität aus, an der seine Familie nicht einen Momnent zu zweifeln scheint... So hat er in seinen privaten,vertraulichen Tagebüchern selbst nie von der väterlichen Stimme aus dem Totenreich gesprochen, denn dann hätte sich der überirdische Glaube an seine Worte in Luft aufgelöst. Die Familie hätte nicht mehr geglaubt, dass er überirdische Inhalte transportierte.

Wiederholt sieht man Bilder der Toten, von den Beinen, vom Haus, der Wohnung, den knapp über dem Boden baumelnden Füßen. Dabei geht es auch um die Folgen, die das Geschehen auf Nachbarn und Bekannte hat. Sie reden über die Auswirkungen, hören nicht auf zu rätseln. Bei der Beerdigung hat man zu wenig Priester. Der Sohn zündet notgedrungen alle Scheiterhaufen selbst an.  Die Story ist voll solcher scheinbar kleiner und unbedeutender Details, die aber emotionale Folgen für das ganze Leben haben werden. Es gibt beispielsweise eine aussagekräftige Szene, wo eine Frau in einer Art Abwehrhaltung abwinkt, weil man die Dinge hinnehmen müsse ohne viel zu fragen, während die andere Frau nicht aufhört zu weinen. Und immer wieder sieht man den Stadtteil Burari aus allen Perspektiven, zu jeder Tages- und Nachtzeit, in allen Dimensionen. So holt der Film das Geschehen in unseren eigenen Alltag. Man kann es nicht einfach wegschieben als etwas Fremdes, Skurriles. Es  kann jedem passieren.

Mittwoch, 23. Februar 2022

Shakun Batras GEHRAIYAAN – Liebe, Geld und Betrug

 

Geschichten übers Fremdgehen waren mal eine haarige Angelegenheit im indischen Kino. Es gab sie, aber sie erregten oft Aufmerksamkeit. Selbst beliebte Filme wie SILSILA (1981) von Yash Chopra und der davon inspirierte KABI ALIVIDA NAA KEHNA (2006) von Regisseur und Drehbuchautor Karan Johar konnten in ihrer Entstehungszeit in konservativen Kreisen noch moralische Kritik hervorrufen. Ein anderes umstrittenes, aber auch beliebtes Thema war der verliebte Psychopath, der oft auf viel Sympathie stieß. Der Psychopath war vor allem eine Gelegenheit, schauspielerisch zu glänzen. Shah Rukh Khan hat zwei legendäre Psychofiguren in seiner Filmografie. Im Endeffekt geht es dann aber doch wie gewohnt um Liebe und Romantik. In Shakun Batras brandneuer Regiearbeit GEHRAIYAAN (2022), seinem dritten Spielfilm, ist dies anders. Interessanterweise hat Johar den Film zum Teil mitproduziert.

GEHRAIYAAN kann mit zwei Stars aufwarten, einmal Deepika Padukone in der Hauptrolle und Naseeruddin Shah in einer Nebenrolle als ihr Vater. Es ist eine auf einige wenige Figuren konzentrierte Geschichte. Vier junge Leute, zwei Pärchen um die 30, machen zu Beginn einen Ausflug ins Wochenendhaus. Gerade zwischen den beiden, wo es nicht funken sollte, beginnt das Feuer zu glimmen. Zwischen Padukones Alisha, einer Yoga-Lehrerin, unzufrieden verlobt, und dem Unternehmer, Siddhart Chaturvedis Zain, der eigentlich kurz vor der Hochzeit mit der reichen Tia steht. Es geht hin und her, zwischen Leidenschaft und Zögern, schlechtem Gewissem und Ausleben der Gefühle.

GEHRAIYAAN (2022) spielt in der Welt der Reichen und der Kapitalisten, die oft gar nicht so reich sind, wie es den Anschein hat. Es geht hier vor allem um Geld, für das man alles tut, vor allem, wenn die Existenz der Firma auf dem Spiel steht. Die materialistische Welt des Kapitalismus kennt kein Mitleid. Es ist eine Haifischwelt der Betrüger. Motto: Bevor ich gefressen werde, muss ich andere fressen. Ist man Opfer eines Betrügers in großem Stil geworden, stellt sich einfach nur die Frage, wie oder ob man aus dieser Notlage wieder herauskommt. Und dafür muss man bereit sein, zu jeder Methode zu greifen. Hier ist nicht das Individuum psychopathisch, sondern das System, in dem es existiert.

Vieles ist nicht so, wie es scheint, wird von einem Geheimnis umgeben. Auch zwischen Deepika Padukone und ihrem Film-Vater Naseeruddin Shah lebt die Lüge. Denn GEHRAIYAAN ist eine Familiengeschichte – wie schon KAPOOR &  SONS (2016) --  ein Film über Familiengeheimnisse. Es ist ein nüchterner Film, mit einer abgedunkelten Optik, die sich intensiv und ruhig seinen Figuren und ihren Handlungsmotiven annähert. So haben die Szenen auf dem Meer ein tiefes, kräftiges Blau. Das Meer spielt eine Schlüsselrolle. Die Gefahr des Untergangs in der haltlosen Tiefe besteht jederzeit.