Nur ein paar Flammen
brennen im Hintergrund: Während des Vorspanns von Shakti Samantas Film MEHBOOBA (1976) steht Rajesh Khanna zunächst fast ganz im
Dunklen, E-Gitarre in der Hand und trägt ein sehr rhythmisches Lied vor. Langsam wird klar, dass es eine Bühnensituation ist, wobei man das Publikum am Ende nur applaudieren hört, aber nicht sieht. Das ist der Auftakt zu einer
Liebesgeschichte in zwei Epochen, eine tragisch endende in der
Vergangenheit, eine zweite in der Gegenwart. Partnerin ist Hema
Malini. MEHBOOBA ist eine der vielen Wiedergeburtsfilme, die
inspiriert sind von den Anfängen des indischen Geister- und
Wiedergeburtsfilms: Kamal Amrohis MAHAL (1949) und Bimal Roys
MADHUMATI (1958). Genau wie diese beiden Filme dreht es sich um ein
altes Haus, einen prächtigen Palast, ein Ölporträt, ein
traurig-ätherisches und ungeheuer sehnsuchtsvolles Lied und vor
allem eine tragisch, vorzeitig im Tod geendete Liebesgeschichte.
Zwischendurch tauchen sogar Bilder und Kameraeinstellungen auf, die
vermutlich weniger bewusste Kopien aus den alten Filmen sind als
vermutlich vielmehr Erinnerungsfetzen von Drehbuchautor Gulshan Nanda
(1929-1985) oder Regisseur Samanta (1926-2009) oder beiden, die
sicherlich diese Filme gesehen haben, als sie damals frisch
herausgekommen sind. Es sind immer nur kleine Augenblicke, wo man
Déjà-vu-Momente haben kann, als wäre man Protagonist in einem
Mystery-Film: Das Boot im Wasser mit der geisterhaften Frau aus
MAHAL. Oder die an einer gesperrten Straße endende Fahrt im Regen
mit einem rettenden Haus gleich in der Nähe sowie ein Spaziergang im
Wald und der Blick auf das Dschungelmädchen wie in MADHUMATI.
Es
ist aber gleichzeitig eine echte Literaturverfilmung nach einem Roman
von Drehbuchautor Gulshan Nanda selbst. Samanta und Nanda hatten 1971
einen großen Erfolg mit dem ausgezeichneten KATI PATANG, mit Khanna
in der Hauptrolle. Der Film war eine der großen Hits der
kurzen, aber heftigen Popularitätswelle, die Khanna Ende der 60er,
Anfang der 70er hatte und die abebbte, als der „Angry
young man“ in Gestalt von Amitabh Bachchan 1973 mit ZANJEER die
Leinwandbühne des Hindi-Kinos betrat und lange unangefochten beherrschte. Doch
es war nicht nur eine Starablösung, sondern auch eine des Prinzips,
der Inhalte, der Haltung. Natürlich auch, weil die Zeiten sich
geändert hatten und sich der Unabhängigkeits-Idealismus in Form von
Sozialismus und späterem Wirtschaftsaufschwung in handfeste
gesellschaftliche Probleme aufgelöst hatte. Aber MEHBOOBA erinnert
daran, dass Khanna der letzte große Star der 60er war, der eine
moderne, freie Version der Romantik verkörperte, wie sie in den
30ern bis in die frühen 60er mit Schauspielern wie Ashok Kumar und
Dilip Kumar ganz normal war und erst Ende der 1980er, beginnend mit
den Filmen von Sooraj Barjatya, im Hindi-Film wieder einen großen
Raum einnehmen würde. Die nächsten beiden Wiedergeburtsfilme, vier
Jahre nach MEHBOOBA, sollten dann ganz anders sein und trafen, jeder
auf seine Weise und unterschiedlich erfolgreich, den Nerv der Zeit.
Subhash Ghais KARZ (1980) war ein großer Blockbuster mit Rishi
Kapoor und das Titellied „Om Shanti Om“ inspirierte Farah Khan zu
ihrem Filmtitel OM SHANTI OM (2007). Und Chetan Anands KUDRAT (1981)
war ein moderner Wiedergeburtsthriller zwischen Spiritualität und
medizinischer Psychologie. Aber interessanterweise spielen bei Anand,
wie in MEHBOOBA, Hema Malini und Rajesh Khanna mit.
Die Story von MEHBOOBA
ist einfach: Ein mächtig erfolgreicher Sänger bekommt ein altes
Saiten-Instrument, eine Tanpura, geschenkt, auf dem der Name einer
Frau steht, einer Kurtisane aus islamischen Hofzeiten. Von da an ist
er nicht mehr ganz er selbst. Er wacht mitten in der Nacht auf, hört
klassische Musik aus dem Nichts, geht durch sein Haus. Später in der
Gewitternacht, als er ein fremdes Haus betritt, ist er wie
hypnotisiert, wandert weiter herum zu einem Palast, findet ein Bild
und jetzt hört er sogar eine Stimme aus dem Jenseits, was zu einer
langen Rückblende führt. Das alles folgt zum großen Teil reiner
Traum- oder besser Tagtraumlogik. Dass jemand in solchen
Liebes-Mystery-Filmen hinter der Gesangsstimme einer Frau
hinterherläuft, ist nichts Ungewöhnliches, aber hier wandert jemand
tatsächlich zwischen den Zeiten. Mal ist es Nacht, dann plötzlich
Tag, wenn er sie sieht und gleichzeitig ist das Unwetter weg. Die
Palastszenen, der Tanz, die Musik sind auch sehr gelungen und in der
Liebesgeschichte steckt echte Tragik, die ohne Bösewicht auskommt.
Jeder hat hier auf seine Weise recht.
Auf diesen Teil der
Geschichte folgt das Wiedersehen in der Gegenwart. Und das ist dann
auch der schwächere Teil des Films. Das hat ganz einfach
dramaturgische Gründe, denn die Romantik ist ein bisschen weg, da es
hauptsächlich darum geht, dass sie sich, so wie er, auch an alles
aus der Vergangenheit erinnern soll. Daher braucht man hier einen
Bösewicht, um mit Zorn und Intrigantentum Spannung zu erzeugen. Aber
der Akt der Erinnerung selbst ist wiederum sehr schön. Ort ist der Palast. Zu Khannas
Worten, der von der Vergangenheit berichtet, geht Malini immer im
Kreis, immer schneller und die Kamera macht diese kreiselnden
360-Grad-Bewegungen unaufhörlich mit. Dazu lächelt Malini immer
fröhlicher, und die Tonspur mit ihren rhythmischen Tanzgeräuschen
scheint das Verschüttete eines früheren Lebens regelrecht
freizuklopfen. Nur der Schluss mit seiner Kampfszene ist grässlich.
Khanna ist einfach kein Action-Star. Das muss ein Zugeständnis an
den inzwischen härteren, actionorientierten Zeitgeschmack gewesen
sein. Hat aber auch nichts geholfen, denn der Film war ein Misserfolg.
MEHBOOBA hat einen äußerst schönen Soundtrack von R.D. Burman, der
zwar mit dem poppigen Titelsong beginnt, aber im Ganzen sehr
klassisch klingt. Dazu kommen schöne Visualisierungen von Regisseur
Samanta. Khanna wollte übrigens zwei verschiedene Playbacksänger.
Einmal Manna Dey für die klassische Epoche, auf die dieser
spezialisiert war im kommerziellen Hindi- Kino. Sein ganzes Können
hört man am besten in „Gori Tori Paijaniya“. Und Kishore Kumar
dann, die eigentliche Stimme Khannas, übernahm die Gegenwart. Lata
Mangeshkar singt das herausfordernde „Aapke Shahar Mein Aayi Hoon“,
zu dem Malini auf Khannas Hochzeit mit einer anderen tanzt. Ein Duett
von Mangeshkar und Kumar ist das Liebesduett „Parbat Ke Peeche
Chambela Gaon“ mit hübscher Berglandschaftspoesie. Das zentrale
Lied des Films aber ist „Mere Naina Sawan Bhadon“, das aus dem
Nebel der Vergangenheit erklingt. Khanna sitzt und raucht, schaut zum
Kronleuchter hinauf, der mit dem Einsetzen des Gesangs leicht und
sehnsuchtsvoll ins Schwanken gerät. In der Gegenwart singt er es
dann selbst, damit sie sich an das erinnert, was zwischen ihnen
beiden einst war.