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Montag, 24. Mai 2021

WILD DOG – Keine Gefangenen

 

Yasin Bhatkal ist ein, vom pakistanischen Geheimdienst ausgebildeter, Mittäter und Drahtzieher einer Reihe von islamisch motivierten Terroranschlägen in Indien in den Jahren 2006-2012, wobei viele Menschen starben. Als sich das Netz der Ermittlungen um ihn enger zog, setzte er sich nach Nepal ab, während das Gerücht herumging, er sei schon in Pakistan. Doch er wurde in Nepal gesehen. Unter viel bürokratischen Schwierigkeiten folgte ihm inoffiziell eine indische Spezialeinheit und schaffte ihn 2013 zurück über die Grenze. Nach einem langen Prozess wurde er 2016 zum Tode verurteilt. Etwas anonymisiert wurde über diese nepalesische Aktion von P.R. Ramesh unter dem Titel „Thankless India“ in der Zeitschrift „Open – The Magazine“ (online: 11.9.2014) ausführlich berichtet.

Und sollte sie jemandem jetzt irgendwie bekannt vorkommen, dann hat er vermutlich Raj Kumar Guptas INDIA'S MOST WANTED (2019) gesehen. Man kann aber bei dem Telugu-Film WILD DOG (2021) nicht von einem Remake reden, denn es handelt sich formal betrachtet einfach nur um die zweite Verfilmung desselben Stoffes, doch kann man auch nicht so tun, als gäbe es den vorherigen Film nicht. Denn es wirkt im Ganzen, als hätte man bei WILD DOG bewusst den entgegengesetzten Weg gewählt, um jeden näheren Vergleich überflüssig zu machen.

Guptas Film beruht auf Realismus und Authentizität, vor allem in Nepal, wo die Agenten als angebliche Urlauber streng von der Polizei überwacht werden und keine Waffe tragen dürfen. Der Reiz des Films besteht gerade darin, wie man einen gefährlichen Terroristen ohne jede Waffe dingfest macht. Aber in dem Artikel heißt es ja auch ausdrücklich: „ohne einen Schuss“. In WILD DOG ist das anders. Kaum sind die Agenten in Nepal, gehen sie auf den Waffenschwarzmarkt, und decken sich ordentlich mit schwerer Artillerie ein, die auch kräftig benutzt wird. Keine Gelegenheit für Action wird ausgelassen. Guptas Film hingegen beruht vor allem auf den Figuren und der Mise-en-scène, der Inszenierung, und dann des Schnitts, was auf elegante und präzise Weise sowohl innere als auch äußere Spannung erzeugt. INDIA'S MOST WANTED ist ein ausgezeichneter Film eines ausgezeichneten Regisseurs.

Das über WILD DOG zu behaupten, wäre eine mächtige Übertreibung, aber es ist interessant, sich anzugucken, wie der Originalstoff verarbeitet wurde. Allein schon die beiden so unterschiedlichen Hauptdarsteller sorgen für ganz unterschiedliche Filme. Gupta wählte mit Arjun Kapoor einen Hauptdarsteller mit einer gewissen Schwere, von dem man keine rasante Action erwartet, wo kein Fan deshalb unzufrieden nach Hause geht. John Abraham, der ja sonst auf intelligente Politthriller spezialisiert ist, wäre beispielsweise eine absolut falsche Besetzung gewesen. Nagarjuna in WILD DOG ist schon vom Alter her ein ganz anderer Typ Hauptdarsteller als Kapoor. Er ist, wenn auch schon fast ein Veteran, beweglicher, agiler, für schnelle Action geeignet. Er hält den Film zusammen, verkörpert glaubwürdig den bodenständigen und intelligenten Agenten, dessen harte Philosophie aus Nagarjunas Mund ganz nüchtern wirkt und einfach auf Tatsachen, auf Erfahrungswerten beruht: „Wenn du sie nicht tötest, töten sie dich.“ Dämonen muss man sofort vernichten, sonst fressen sie einen aus dem Hinterhalt auf.

Und eine solche Anti-Terror-Aktion nach dem Motto „Keine Gefangenen“ gibt es gleich zu Anfang des Films. Die Vorgesetzten hadern damit, denn offizielle Politik darf das ja nicht sein, aber man braucht Leute wie den "Wilden Hund". Die erste Stunde liefert eine perfekte, gut funktionierende Ermittlung, bei der sich leider zwei Behörden gegenseitig behindern, sodass der Oberterrorist nach Nepal entschlüpfen kann. WILD DOG arbeitet mit einem sehr vereinfachten Feind-Bild. In Nepal beispielsweise ist man nur von Feinden umgeben, wo die Aktion doch ohne nepalesische Kooperation nicht möglich gewesen wäre. Erfunden hat man auch Action-Szenen gegen maoistische Naxaliten, hinter denen sicher die Gulag-Kommunisten aus China stecken, sodass auch der zweite Gegner Indiens identifiziert ist und weiß, dass er mehr als einen auf die Finger bekommt, wenn er sich nicht benimmt.

Und WILD DOG ist absolut desinteressiert an den echten Details der Nepal-Aktion. Der Terrorist in Nepal hatte natürlich seine wilde Frisur gekürzt, war überhaupt ein Verwandlungskünstler. Hier muss man ihn nicht lange identifizieren, denn er sieht aus wie vorher. Hauptsache, man hat Szenen als Voraussetzung für Action. Die einzelnen Charaktere der Spezialeinheit, als individuelle Menschen, treten bei all dem völlig in den Hintergrund. WILD DOG hat aber trotz all dieser Schwächen einen sympathisch-einmalguckenswerten B-Film-Charme. Dem kann man man sich nicht entziehen. Vorausgesetzt, man mag es, wenn es kräftig kracht im Kampf gegen das Böse. Und wenn man das Denken herunterdrehen kann, während die nicht inspirierte, aber durchweg solide Regie von Asishor Salomon ihren einen wichtigen Kampfauftrag erfüllt: Immer nach vorne. Und am Ende sogar ausnahmsweise mal mit einem lebendigen Gefangenen.

 

Weiterlesen (die wahre Geschichte):

"Thankless India", in: Open Magazine (online) 11.9.2014