Leena Yadavs DAS HAUS DER GEHEIMNISSE: DIE TOTEN VON BURARI ist ein durch und durch geordneter Film. Obwohl es um ein auf den ersten Blick unheimliches, bizarres Thema geht, bleibt der Film die gesamten drei Folgen der insgesamt zwei Stunden übersichtlich und klar verständlich. Alles ist in Form einer chronologischen Darstellung strukturiert und sehr übersichtlich. Diese leider wahre Geschichte geht den Weg von fiktionswürdiger Erzählung über seltsame Fantasien hin zu dem, was sich tatsächlich vor elf Jahren abgespielt hat im Stadtteil Burari von Delhi, einer Gegend für die untere und mittlere Mittelschicht. Aber Fakten können ja oft viel schlimmer sein als die Fiktion.
Die Sache scheint zunächst klar zu
liegen: Es handelt sich scheinbar um den Selbstmord der
elfköpfigen Großfamilie Chundawat. Der Film beginnt mit den
nächsten Nachbarn, Polizisten sind natürlich auch da, Menschen, die zuerst am
Tatort waren. Sie erzählen Tatsachen, die vermeintlich so gesehen wurden, wie sie passiert sind. Und niemand, der am Tatort war, hat
diesen Anblick vergessen. Da sind auch riesige Menschenmassen, dazu eine
unangenehme Meute an nicht zu stoppenden aufdringlichen Journalisten.
Die Polizei hat Schwierigkeiten, für Ordnung zu sorgen. Straßen und Dächer der Gegend sind
in jeder Ecke bevölkert von neugierigen Menschen.
Und plötzlich geht es überraschend in eine ganz andere Richtung, mitten in einer verstörenden, aber realistisch scheinenden Selbstmordgeschichte kommt der gar nicht so abwegige Verdacht auf etwas Übernatürliches, Kultiges auf. Viele kleine Dinge scheinen darauf hinzuweisen. Das mehrfache Auftauchen der Zahl elf am Haus und im Leben der Familie. Eine schuldig scheinende Nachbarin, die man für eine Tantrikerin hält. Alles Dinge, mit denen man die Titelseiten der Sensationspresse füllen kann. Eine Gelegenheit, die diese auch nutzt. Der Höhepunkt sind elf geheimnisvolle Tagebücher des Sohnes Lalit Singh, versteckt im ganzen Haus, verfasst im Lauf der vergangenen elf Jahre. Sie enthalten vermeintliche Botschaften des Geistes des verstorbenen Vaters, dessen Willen befolgt werden soll, damit es der Familie gut geht. Und es ist tatsächlich gerade eine Zeit, in der es der Familie scheinbar gut geht. Aber diese Spur verläuft sich.
Am Ende kommt der Film zum Kern des Geschehens. Eine Wissenschaftlerin bemängelt, dass sich bisher niemand für die kleinen Details, für das wahre Geschehen interessiert hat. Jeder bewertet das Vorgefallene nach seinen eigenen Vorstellungen, den persönlichen Werten und Erwartungen. Die sachlichen Befragungen von Arzt und Psychiaterinnen und einer ernst zu nehmenden Journalistin bringen die Dinge in ein klareres Licht. Wie angenommen, steht der Sohn im Mittelpunkt. Aber anders als angenommen. Er hatte zwei traumatische Erlebnisse, von denen alles seinen Ausgang nahm. Zum einen hatte er einen schweren Sturz. Außerdem versuchte man, nach einem Streit mit dem Arbeitgeber, ihn anzuzünden. Fast wäre er verbrannt.
Das führt zur Entstehung eines Traumas, wie es jeden treffen kann. Lalit redet nicht mehr, schweigt, singt dann plötzlich bei einer Familien-Pooja, einem gemeinsamen familiären Anbetungsritual. So verschafft er sich die patriarchalische Herrschaft, stattet sich mit Autorität aus, an der seine Familie nicht einen Momnent zu zweifeln scheint... So hat er in seinen privaten,vertraulichen Tagebüchern selbst nie von der väterlichen Stimme aus dem Totenreich gesprochen, denn dann hätte sich der überirdische Glaube an seine Worte in Luft aufgelöst. Die Familie hätte nicht mehr geglaubt, dass er überirdische Inhalte transportierte.
Wiederholt sieht man
Bilder der Toten, von den Beinen, vom Haus, der Wohnung, den knapp
über dem Boden baumelnden Füßen. Dabei geht es auch um die Folgen, die
das Geschehen auf Nachbarn und Bekannte hat. Sie reden über die Auswirkungen, hören nicht auf zu rätseln. Bei der Beerdigung hat man zu
wenig Priester. Der Sohn zündet notgedrungen alle Scheiterhaufen selbst
an. Die Story ist voll solcher scheinbar kleiner und unbedeutender
Details, die aber emotionale Folgen für das ganze Leben haben werden.
Es gibt beispielsweise eine aussagekräftige Szene, wo eine Frau in
einer Art Abwehrhaltung abwinkt, weil man die Dinge hinnehmen müsse
ohne viel zu fragen, während die andere Frau nicht aufhört zu weinen.
Und immer wieder sieht man den Stadtteil Burari aus allen Perspektiven, zu
jeder Tages- und Nachtzeit, in allen Dimensionen. So holt der Film das
Geschehen in unseren eigenen Alltag. Man kann es nicht einfach wegschieben
als etwas Fremdes, Skurriles. Es kann jedem passieren.