Als vor längerer Zeit
die Ankündigung kam, dass Regisseur Aanand L. Rai und Shah Rukh Kahn
ein gemeinsames Projekt haben, war vermutlich nicht nur ich
begeistert. Auf Aanand L. Rai und seine traditionell-modernen Filme –
also die beiden TANU UND MANU-Eheprobleme und den melodramatischen
RAANJHANAA (2013) – habe ich im india! Magazin vor ein paar
Jahren ein Loblied gesungen. Dann kamen die ersten Details von ZERO
(2018), die Bilder, Trailer, Aussagen der Beteiligten, und das Ganze
schien auf jeden Fall interessant, wenn auch seltsam. Doch selbst als
der Film nach der Premiere in der Weihnachtszeit in Indien nicht
erfolgreich war, hoffte ich noch, dass es bestimmt nicht am Film
liegen kann. Tat es aber. Hohe anfängliche Einspielergebnisse, die
schnell absacken, deuten meist darauf hin, dass die, die den Film
gesehen haben, den Film nicht weiterempfehlen. Kann ich leider auch
nicht. Denn ZERO ist nicht, so wie mit SWADES (2004) ein anderer
Misserfolg mit Shah Rukh Khan, seiner Zeit voraus. Auch wenn die
Tricktechnik, wie schon in FAN (2016), ganz ausgezeichnet ist.
In keiner Sekunde habe
ich mich wirklich für die Story und die Figuren interessiert. Shah
Rukh Khan spielt den kleinwüchsigen Bauua, der sich eine Fassade aus
Frechheit und Unverschämtheit aufgebaut hat. Das kann er auch
deshalb, weil sein Vater, den er regelmäßig zur Verzweiflung
treibt, viel Geld hat. Bauua möchte mit Ende Dreißig endlich
heiraten und gerät an die brillante und hübsche
Astro-Wissenschaftlerin Aafia, gespielt von Anushka Sharma, die aber
mit motorischen Störungen im Rollstuhl sitzt. Doch Bauua ist
besessen von einer Star-Schauspielerin, also zieht er einen Großteil
des Films mit der unglücklich verliebten Katrina Kaif herum, um dann
seiner eigenen großen Liebe in die USA zu folgen und erst einmal
einen 15-jährigen Marsflug zu machen.
Rai hatte das Thema wohl
schon seit 2012 im Kopf. Und leider ist der Film als Reaktion auf den
ersten indischen Superheldenfilm KRRISH (2004) eine echte Kopfgeburt.
Denn ZERO will den wahren indischen Superhelden präsentieren. Bauua
kann die Sterne vom Himmel holen und fliegt am Ende zum Mars. Nur
begreift man nicht so richtig, warum das die Menschheit retten soll.
Was der Mensch auch anstellt im Weltall, geistig bleibt er, bleiben
wir, doch gleich. Und das ist wohl eher die Wurzel allen Übels. Aber
der Film behauptet viel, zeigt es bloß nicht, begründet es nicht,
lässt den Zuschauer nichts fühlen. Alles, die ganze Machart ist auf
perfekt getrimmt: die einzelnen Schauspielerleistungen, die Dekors
der Kleinstadt und des Raumzentrum, die digitale Tricktechnik. Das
setzt man dem Zuschauer vor, ohne eine Verbindung herzustellen. Alles
ist konstruiert, steif, bedeutungsvoll. Das Komische ist nicht
komisch. Da Poetische nicht poetisch. Dabei arbeitet Rai ja gar nicht
allein. Er hat für all seine Filme Himanshu Sharma als
Drehbuchautor. Und dennoch gibt es so viele Themen. Vereinzelt
hoppeln sie da orientierungslos rum. Und es gibt Weisheiten und
Botschaften von Kalenderqualität, wie die inneren Werte eines
Menschen, das Übersichhinauswachsen. Es hilft nur nicht viel, bloß
plakativ darauf hinzuweisen, denn dann hätten wir eine perfekte
Welt. Aber das Schlimmste ist nicht die zerstückelte Story, die
Tatsache, dass man den Figuren in ihrem Verhalten nicht immer ganz
folgen kann. Ein Film kann mit so etwas durchaus funktionieren. Das
Schlimmste ist die emotionale Vereinzelung. Der Film hat keine
Atmosphäre, lebt von Gefühlseinzelteilen. Was am Ende bleibt, ist
Ratlosigkeit.
Shah Rukh Khan ist ja,
und das Interview in der Februar-Ausgabe von Filmfare ist davon
erneut ein Zeugnis, besessen von VFX, empfiehlt die Anwendung auch
für normale Filme, zur Perfektionierung von Bild und Ton: „VFX
muss für die kleinsten Filme benutzt werden. Regisseure sollten
vorantreten und VFX benutzen, um ihr Storytelling zu verbessern.“
Klar propagiert er das. Schließlich gehört zu Shah Rukh Khans
Produktionsfirma Red Chillies Entertainment der Ableger Red Chillies
VFX mit ein paar hundert Mitarbeitern. Auf livemint.com wird das
Unternehmen „als stärkste Post-Produktion-Option in Bollywood“
bezeichnet. Natürlich, es geht um formale Perfektionierung, die beim
Dreh Zeit und Geld spart. Eine Perfektionierung, die indisches Kino
auf internationalem Niveau halten soll. Sie kann aber auch zu
Nachlässigkeit beim Dreh führen, da man ja doch hinterher alles
korrigieren kann. Aus einem schlechten Filmemacher wird so kein
guter. Und wie sehr man dabei gerade das Storytelling und die
elementarsten Gefühle vergessen kann, beweist ja ZERO.
Und dann musste ich noch
an THUGS OF HINDUSTAN (2018) denken, noch so ein tricktechnisches
Prestigeprojekt mit einem allmählich alternden Star. Hier Aamir
Khan, da Shah Rukh Khan. Auch Salman Khan hatte, unter der Regie des
sonst so großartigen Kabir Khan, mit TUBELIGHT (2017) ein
ehrgeiziges Projekt, das unter guten Absichten und Langeweile in sich
zusammensackte. Hrithik Roshan drehte mit MOHENJO DARO (2016),
immerhin von Ashutosh-Gowariker, einen großen Monumentalfilm, der
nicht funktionierte. Manchmal will man zu viel, ist überehrgeizig.
Der Wille zur Größe erzeugt nicht immer Größe. Aber ich glaube
nicht, dass die Zeit der alten Helden schon vorbei ist. Das Publikum
hat die Filme trotz der Stars links liegen lassen. Nicht weil es
genug von den alten, vertrauten Gesichtern hat. Und die Filme
zeigen, dass bei allen Hero-Schauspielern noch Ehrgeiz da ist. Aber
bei diesen erwähnten gescheiterten Filmen hat er zu Verkrampfung
geführt. Shah Rukh Khan fehlt übrigens auch ein bisschen die
Anerkennung. Wenn er sagt, dass er nie einen National Award bekommen
habe, nie regulär auf Filmfestivals ist, dann lächelt er dabei
zwar charmant, aber ich glaube, er meint es ernst.