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Donnerstag, 21. Februar 2019

BAAZIGAR – Shah Rukh Khans böser Durchbruch

BAAZIGAR (1993) war sehr erfolgreich und bedeutete den Durchbruch für Shah Rukh Khan. Aber ich habe den Eindruck, dass diese Regiearbeit von Abbas-Mustan – wohinter sich die Burmawalla-Brüder Abbas und Mustan verbergen – zumindest hier bei uns nicht den Status hat, den sie verdient. Im Gegensatz zu dem im selben Jahr entstandenen und nur einen Monat später uraufgeführten DARR von Yash Chopra, wo Khan einen im wahrsten Sinne des Wortes irre verliebten Stalker spielt, sodass der Film zumindest eine Brücke bildet zu den folgenden romantischen Rollen bei Yash und Aditya Chopra sowie Karan Johar. Es sind ja diese Rollen, die die Grundlage von Shah Rukh Khans Bekanntheit und seiner Fangemeinde bilden. Dabei ist er tatsächlich am besten, wenn seine Rollen eine gewisse Ambivalenz haben. In BAAZIGAR allerdings tun sich einfach nur tiefe Abgründe auf. Bei Amitabh Bachchan in den 70ern war die Reaktion auf erlittenes Unrecht Wut gewesen, die allerdings das Leid des Einzelnen auf eine allgemeine gesellschaftliche Ebene hob, weil es symptomatisch für die allgemeinen Zustände war. Der „angry young man“ war ein Kämpfer für Gerechtigkeit. In BAAZIGAR wird dieser Rachefeldzug individualisiert. Die Hauptfigur ist zwar auch ein wütender junger Mann, aber er ist es auf durch und durch individualistische, psychopathische Weise.

Der Film verbindet das alte Hindi-Kino mit modernem Pop-Glamour. Mit seiner Geschichte knüpft er an alle Filme an, die sich von dem großen Rachefilm SILSILA (1978) von Yash Chopra haben inspirieren lassen. Der Sohn einer verlassenen Mutter zerstört planmäßig die neue Familie und das Geschäft des Vaters. Es sind Vater-Sohn-Konflikte, die oft in den von Javed Akhtar und Salim Khan – kurz Salim-Javed – geschriebenen Filmen vorherrschen. Dafür interessiert sich BAAZIGAR nicht. Der Geschäftsmann, der vernichtet werden soll, ist einfach ein Angestellter des Vaters gewesen, der jenem geholfen hat und der dann so dumm war, bei längerer Abwesenheit eine Handlungsvollmacht auszustellen. Die Familie verliert alles und lebt arm in einer Hütte. Vater und Baby sind krank. Beide sterben gleichzeitig in einer verregneten Nacht. Die Mutter wird davon wahnsinnig. Der kleine Sohn muss sich und seinen Verstand zusammenreißen, die Mutter durchbringen, aber in ihm ist etwas zerbrochen. Herangewachsen ist er ganz von Rache besessen, um dem bösen Madan Chopra dasselbe und Schlimmeres anzutun.

Und statt Vater-Sohn stehen hier die Liebesgeschichten zu den beiden Schwestern des Bösewichts im Mittelpunkt, auch wenn die Zuneigung zunächst nur ein vorgegaukeltes Mittel zum Zweck ist. Zuerst ist da die jüngere Schwester in Gestalt von Shilpa Shetty. Ganz am Anfang des Films gibt es ein schönes Liebeslied, witzig visualisiert. Shah Rukh Khan ist der junge, arbeitslose Büchernarr Ajay, dem das Mädchen das Buch wegnimmt. Und so tanzen sie, wie es sich gehört, um einen Baum und durch den Garten. Alles sehr schön, zumindest, wenn man es das erste Mal guckt und noch nicht wissen sollte, dass er sie gar nicht lange später vom Hochhausdach des Standesamtes, wo gleich geheiratet werden sollte, wirft. Und er stößt nicht einfach. Nein, er setzt sie trotz ihrer Höhenangst auf die Brüstungsmauer, bückt sich, fasst ihre Füße, guckt nett zu ihr hoch, und dann hebelt er sie aus dem Gleichgewicht, sodass sie rücklings tödlich in die Tiefe stürzt. Und so wird das Liebeslied vom Anfang zur Lüge. Und das Unglaubliche an diesem Film, der dadurch tatsächlich faszinierend pervers wird, ist die unglaubliche Sympathie für den Mörder. Das liegt nicht nur daran, dass wir wissen, warum er so ist, dass seine Taten durch Rückblenden nach und nach immer mehr motiviert werden. Ajay ist vor allem böse, weil er mehr fühlt als die anderen, auch weil er ganz und gar durchdrungen ist vom Leid der Mutter, um die er sich kümmert. Es ist ganz einfach der charmante Hauptdarsteller Shah Rukh Khan, der damit ein neues Kapitel Bollywood aufschlug. Es sind die Gefühle, die bei ihm so echt und authentisch wirken. Das Mädchen zu töten bereitet Ajay kein Vergnügen, es ist eine kalkulierte Notwendigkeit auf seiner Reise der Rache. Und auf die nimmt der Film den Zuschauer mit. Aber gar nicht Ajay als Mörder ist der wirklich Böse, sondern der Vater, der wegen der Familienehre keine weiteren Nachforschungen über den Tod der Tochter will, die ohne seine Zustimmung zu heiraten beabsichtigte.

Trotz aller Sympathie ist Ajay ein echter Psychopath, der mit seinem Spiegelbild redet. Bei einem Mord ist die Kamera ganz nah an ihm dran und man sieht, wie er schwitzt, während er ihr die Kehle zuschnürt. Am besten ist der Film in solchen Ausbrüchen. Die Rückblende im starken Regen, als sowohl der Vater als auch das Baby sterben. Der Abschlusskampf, wo Ajay von einem Metallstab durchbohrt wird. Der Böse steht siegessicher vor ihm, da schaut Ajay auf, lächelt, grinst und fängt an zu lachen. Dann rammt er den Stab, der in seinem Körper steckt, in den Feind und reißt ihn mit in den den Tod von einem hohen Turm. BAAZIGAR ist ein Film ohne Triumph. Die Mutter ist am Ende wieder reich und hat ihren Verstand wieder, aber ihr Sohn stirbt in ihren Armen. Es ist der ewige Kreislauf, denn es ist eine treffende Pointe, dass schon der erste Diebstahl des Unternehmens eine ganz bewusste Rache für eine Anzeige bei der Polizei mit anschließenden drei Jahren Gefängnis war. Symbolisiert wird dies durch den Drehstuhl, den Ajay im Chefbüro sich drehen lässt und der die Rückblende des legalen Raubs einleitet und beendet.

Im normalen Vorspann taucht Shah Rukh Khan gar nicht auf. Aber dann sieht man ihn als Erwachsenen. Und als er eine Münze im Gras findet und in die Luft wirft, friert das Bild ein und es werden erst der Filmtitel und dann groß sein Name eingeblendet. So wurde ein Star geboren. Dass Anil Kapoor und Salman Khan die Rolle ablehnten, war von ihnen eine richtige Entscheidung. Denn das, was Shah Rukh Khan voller Freude mit der Rolle macht, hätten sie, bei allem Respekt, nicht gekonnt. Eine andere filmhistorische Besonderheit ist, dass BAAZIGAR die Paarung aus Kajol, die die ältere Schwester spielt, und Shah Rukh Khan begründete. Und man sieht hier auch schon sehr gut, warum sie so oft zusammen gespielt haben. Der emotionale Khan kann ganz gut eine Partnerin gebrauchen, die etwas Energisches, Burschikoses haben kann. Karan Johar hat das gut eingesetzt in KUCH KUCH HOTA HAI (1998), wo Kajol am Anfang ein echter Tomboy ist, dem Rani Mukherjee erst einmal mädchenhaftes Verhalten beibringen muss.

Jetzt soll aber bloß keiner denken, das Ganze wäre ein stringenter Thriller, ein glamouröser Film mit ausschließlich inhaltlichem bösen Noir. Denn es gibt, wie es sich gehört, eine gehörige Portion Comedy. Und die ist zum größten Teil wirklich witzig. Das Schöne ist, dass Johnny Lever als extrem vergesslicher Hausangestellter in die Story integriert ist und sogar an einer wichtigen Pointe des Falles beteiligt ist. Ansonsten ist es absurd-kindlicher Humor, wie ich ihn heute oft vermisse. Da sind keine Teeblätter im Tee sondern Salz – den Gästen schmeckt's, man ist ja bei Reichen und die machen das wohl so. Auf der Party werden Gläser ohne Inhalt auf dem Tablett angeboten und alle lehnen höflich an. Und dann soll ein Nagel falsch herum in die Wand eingeschlagen werden, bis der verzweifelnde Johnny darauf aufmerksam gemacht wird, dass der Nagel für die gegenüberliegende Wand ist. Das versteht er – und geht zur gegenüberliegenden Wand.