Die Februar-Ausgabe der
wichtigsten indischen Filmzeitschrift Filmfare ist wie immer eingerahmt
durch ein Einleitungs- und ein Abschluss-Editorial von Chefredakteur
Jitesh Pillai. Beides sind diesmal Loblieder auf zwei allen vertraute
Schauspielerinnen die schon länger dabei sind. Das letzte Wort dreht
sich um Aishwarya Rai Bachchan, denn vor 25 Jahren wurde sie Miss
World. Und der Anfang und die Cover-Story sind Vidya Balan gewidmet,
wobei ich sie jetzt gar nicht sofort erkannt hätte so stark
geschminkt und so niedlich eingemümmelt in dieses kuschelig-federige Boazeugs.
Das „40 is the new sexy“ auf der Titelseite lässt Schlimmes vermuten,
doch es ist alles andere als ein marktschreierisches Interview. Es geht weniger um Sex als um
ihren qualvollen Kampf gegen die Pfunde, die durch hormonelle
Probleme bei ihr unvorhersehbare Züge annehmen können. Seit sie
einigermaßen gelernt hat, psychisch damit umzugehen, schreit sie es
von allen Dächern, wie sie sagt, damit andere davon profitieren. Vor
allem, wenn sie erzählt, dass sie unter die Decke geht, wenn Leute
sie fragen, warum sie nicht etwas mehr trainiert, wo sie gerade das doch bis zum
Exzess tut. "F* you", möchte sie da sagen. Das alles ist wohl wichtig,
besonders, wenn sie feststellt, dass man das Problem nicht mit rein
mathematischer Logik angehen kann und das unter Umständen das
Gegenteil von dem herauskommen kann, was man beabsichtigt hatte. Man
hungert und nimmt zu. Eine bekannte Tatsache, die man nicht genug
wiederholen kann angesichts der vielen Gesundheitsfaschisten mit
ihrem mechanistischen, körpermaschinistischen Weltbild. Da fällt
mir ganz nebenbei die sogenannte deutsche Expertin ein, die
vorgeschlagen hat, ungesundes Essen zu besteuern. Nur, was ist
ungesundes Essen? Aber ich schweife zu sehr ab.
Wer Filmfare selbst lesen
will, was ich nur empfehlen kann, kann im Internet zu Magzter gehen.
Da gibt es ein wirklich preiswertes digitales Abo. Und unendlich
viele alte Ausgaben, an die man aber nur kostenlos mit dem Goldabo
herankommt. Sicherlich kann man Filmfare auch noch auf anderen
Abo-Seiten digital beziehen, aber da habe ich jetzt keine Recherche
betrieben. Auf traditionellem Wege ist es übrigens ein fast
unmögliches Unterfangen, das Heft zu bekommen. Und angesichts der
postalischen Wartezeit ist es so natürlich sowieso aktueller. Immer
mit dem Nachteil, dass keine physische Kopie irgendwo im Weg liegt
und einen daran erinnert, dass da noch etwas zu lesen ist. Und das
ist das Gute an meinem neuen Bollywood-Blog. Ich komme nicht nur mit
den neuen Filmen, sondern auch mit Filmfare wieder in eine zeitlich
regelmäßige Spur. Allerdings vermisse ich immer ein bisschen die
Werbeseiten, die in der digitalen Ausgabe leider fehlen.
Wie gewohnt gibt es neben
den hauptsächlich vorherrschenden Interviews die Standardrubriken.
Den Klatsch kennt man heutzutage allerdings meist schon aus dem
Internet. Werden Alia Bhatt und Ranbir Kapoor dieses Jahr heiraten?
Eine wirklich wichtige Frage. Und was machen die Frischvermählten
Nickyanka – Nick Jonas und Priyanka Chopra – und
Deepveer – Deepika Padukone und Ranveer Singh – so, wenn sie
keine Filme drehen? Was Letztere angeht, gibt es eine hübsche Seite
im Modeteil, wo man sieht, wie sie bei gemeinsamen Auftritten ihre
Kleidung aneinander anpassen, wo Ranveer Singh sonst doch eher durch
knallige, farbenfrohe, exzentrische Klamotten auffällt. Meine
Lieblingsseite gibt es leider nicht mehr. Die modischen Fehltritte
der Stars waren immer ein großer, schadenfreudiger Anlass zur
Heiterkeit. Aber ich nehme an, dass inzwischen jeder Nebendarsteller,
der es sich einigermaßen leisten kann, sich von hochbezahlten
Stylisten beraten lässt, die die schlimmsten Geschmackskatastrophen
verhindern. Und man landet ja heutzutage nicht mehr nur mit einem
kleinen Bild bei Filmfare, ein doch überschaubarer Leserkreis,
sondern es verfolgt einen global auf lange Zeit.
Meine beiden
Lieblingsinterviews sind zum einen das mit dem Regisseur Sriram
Raghavan und dann das mit Soumitra Chatterjee, der bengalischen
Filmlegende, die immer noch Filme dreht, leider nicht ganz
freiwillig. Chatterjee hat wegen eines schlimmen Unglücks in der
Familie zu wenig Geld. Sein Enkel, der eine gute Karriere als Sänger
und Schauspieler begonnen hatte, hatte einen Motorradunfall. Aber um
Geld hat Chatterjee sich früher nicht gekümmert. Fand es nicht
wichtig. Sogar tolle Angebote aus der Hindi-Filmindustrie hat er
damals abgelehnt. Und das ist wirklich traurig und ich möchte sagen,
es war auch ein bisschen kulturelle Überheblichkeit, denn in Filmen wie Raj
Kapoors SANGAM (19654) hätte er wirklich guten Gewissens mitspielen
können. Seiner filmhistorischen Bedeutung ist er sich bewusst. Die
Zusammenarbeit über zwölf Filme mit Ray nennt er einen „Meilenstein
des Weltkinos“, mit der sich nicht einmal das Team aus Akira
Kurosawa und Toshiro Mifune vergleichen könnte. Leider liefert das
Gespräch auch die Nachricht, dass von ihm keine Autobiografie zu
erwarten ist. Aus Rücksicht auf die Menschen in seiner Umgebung.
Schade.
Und dann ist da Regisseur
Sriram Raghavan, der gerade auf einer von vielen nicht erwarteten
Erfolgswelle schwimmt. Selbst für Selfies muss er neuerdings
herhalten. ANDHADHUN (2018) hat richtig Geld eingespielt, was mich ungeheuer freut.
Einige wichtige Schauspieler haben den Film wohl abgelehnt, denn
gerade die zweite Hälfte ist ziemlich irre. Das wirkte im Drehbuch
vermutlich ziemlich abstrus. Aber selbst schuld, wenn sie nicht
imstande waren, zu abstrahieren und zu sehen, dass Raghavan ein
Stilist ist, der so etwas perfekt hinbekommt. Aber andererseits gut
so, denn wer den Film gesehen hat, möchte auch niemand anders als
Ayushmann Khurrana in der Rolle.
Dann ist da noch ein
schöner Nachruf auf den brillanten und vielseitigen Kader Khan im
Heft. Und schließlich gibt es Interviews mit Shah Rukh Khan und
Anushka Sharma, worauf ich in meinem Beitrag zu ZERO (2018) vermutlich
zurückgreifen werden. Allerdings philosophiert Anushka Sharma
hauptsächlich über die Ehe. Auch sie ist ja relativ frisch
vermählt. Debei geht um die geänderten Zeiten, denn früher haben
Schauspielerinnen meist ihre Karriere beendet, wenn sie heirateten.
Außerdem haben die Filmfare-Journalisten mit Fatima Sana Shaikh gesprochen, die
großartige Hauptdarstellerin aus dem Ringerinnenfilm DANGAL (2016).
Das arme Mädchen ist nach dem Misserfolg von THUGS OF HINDUSTAN
(2018) höchst deprimiert in die Türkei geflüchtet. Dabei war es
gar nicht ihre Schuld. Der Film kreist leider einfach um sich selbst,
weil ihm irgendwann die Ideen ausgehen, und es fehlt ihm jede
Leichtigkeit, obwohl dauernd Leute durch die Luft springen.
Andererseits hat der Film einige amüsante Ideen, und ich müsste
lügen, wenn ich leugnen würde, dass er, einmal geguckt, durchaus
unterhaltsam ist. Es gibt wirklich schlechtere Filme, die aber
Erfolge waren.
Abschließend, nicht zu
vergessen, die Jahresvorschau. Und ich freue mich auf neue Filme von
Dibakar Bannerjee, Rajkumar Gupta, Anurag Kashyap, Siddharth Anand,
Ashutosh Gowariker, Meghna Gulzar und dann, muss ich sagen, auch
auf Vikas Bahls Mathematikerfilm SUPER 30, den Anurag Kashyap jetzt in der
Postproduktion fertigstellt oder fertiggestellt hat. Denn das
Deprimierende an der ganzen Geschichte um Bahls eklige sexuelle
Belästigung ist, dass ich seine Filme sehr mag. 2011 hat er ja
sogar mit CHILLAR PARTY einen tollen Kinderfilm gedreht. Und mit
SHANDAAR (2015) eine poetisch-verträumte Liebesgeschichte. Tja,
die menschlichen Abgründe. Und die mit den grausamen und perversen
Filme sitzen oft unschuldig zu Hause und können keiner Spinne was
zuleide tun.