In gewisser Weise war
CHANDIGARH AMRITSAR CHANDIGARH (2019) die zweite Punjab-Komödie in
den deutschen Kinos innerhalb von nur einer Woche. Nur dass DE DE PYAAR DE
(2019) mit Ajay Devgn eine Hindi-Komödie ist, die aber in der
zweiten Hälfte im Punjab spielt und wo es richtig viel typische
Musik und Rhythmen gibt. Doch Filme wie CHANDIGARH sind sozusagen das
Original, eben ein echter regionaler Film, der durch sein
authentisches Lokalkolorit überzeugt. Es ist ein sympathischer Film,
der Spaß macht, auch wegen der zwei charmant spielenden
Hauptdarsteller. Gippy Grewal und Sargun Mehta, die in Fernsehserien
anfing und auch schon zwei Mal einen regionalen Filmfare Award
gewonnen hat, sind beide sehr populär im Punjab. Es ist die zweite
Regiearbeit von Karaan Gulian, der bei seinem ersten Werk SARVANN
(2017), einer Priyanka-Chopra-Produktion, noch mit dem Nachnamen
Guliani genannt wurde.
Eigentlich besteht der
Film vor allem daraus, dass Grewal und Mehta sich zu Fuß oder auf dem Motorrad durch Amritsar
bewegen und sich streiten und unterhalten. Die Story ist simpel: Eine junge Frau
aus Chandigarh kommt nach Amritsar, um höchstpersönlich ihrem von
den Eltern ausgesuchten Bräutigam eine Absage zu erteilen. Auf der
Suche nach der richtigen Straße stößt sie auf einen auf der Straße
Cricket spielenden jungen Mann, dem sie dadurch, dass sie ihn nach
dem Weg fragt, fast den sicher geglaubten Sieg ruiniert. Und damit
ist es passiert: Boy meets girl. Das Ende ist unausweichlich. Aber
erst kann sie ihn gar nicht ausstehen, was für den Zuschauer ja auch
immer viel lustiger ist als verträumte beiderseitige Liebe auf den
ersten Blick. Es gibt in Form von Comedy zusätzlich ein paar
Dramatisierungen, damit sie gezwungen ist, überhaupt für die Länge
des Films in Amritsar zu bleiben. Sie verliert ihr Handy, dass in den
Sitz einer Motor-Rikshaw gerutscht ist und zu seltsamen Vibrationen
bei den nachfolgenden Fahrgästen führt. Ja, das ist ein bisschen
niedlich unanständig.
Und das alles ist nicht
zu lang. Der Film hat nur etwa 107 Minuten. Man verzichtet also auf
einen Rattenschwanz an überflüssiger Handlung, mit der so mancher
populäre indische Film auf die gewohnte Länge gedehnt wird und sich
dann auch so anfühlt. Hier ist es umgekehrt. Es hätten ruhig ein
paar Minuten mehr sein können, aber das ist dann ein Kompliment an
den Film. Es gibt auch eine knallige Schlusspointe, die aber gar
nicht so knallig ist, weil viele Zuschauer sie sicher schon erwarten,
aber dann besteht das Vergnügen eben darin, zu überlegen, wie die
Wahrheit wohl ans Tageslicht kommen wird. Aber um Originalität geht
es hier auch nicht.
Wer die Filme von Imtiaz
Ali mag, oder auch die plaudernde Pärchen-Trilogie von Richard Linklater mit
Ethan Hawke und Julie Delpy, die in BEFORE SUNRISE (1995) und BEFORE
SUNSET (2004) durch Paris spazieren, der dürfte auch CHANDIGARH
AMRITSAR CHANDIGARH mögen. Die Feinheiten bei der Sprache, dem
Akzent und Slang, diese regionalen Unterschiede eben, von denen der
Dialog ganz offensichtlich lebt, sind mir natürlich entgangen. Aber
die Gegensätze zwischen Chandigarh und Amritsrar, die den Kern des Films bilden, die beginnt man auch als Außenstehender sehr schnell zu begreifen, denn da geht es
nicht um tiefe soziologische Erkenntnisse, sondern vor allem um
Klischees, die der eine über den anderen mit sich herumträgt. Es geht um lockeren
und arbeitsamen Lebensstil, moderne und traditionelle Kleidung oder
auch weibliche, männliche Rollenverteilung, etwa die
Selbstverständlichkeit, mit der er erwartet, dass die Frau nach der
Hochzeit mit ihm bei den Eltern wohnt, dies aber umgekehrt nicht
machen würde.
Und das alles ist
eingebettet in authentische Amritsar-Atmosphäre, ohne einen
gefälligen Touristen-Blick einzunehmen. Es geht durch normale
Gassen, Wege, Geschäfte und ganz offensichtlich hat man gerne
auf die passenden Menschen von der Straße zurückgegriffen. Das
schafft einen angenehmen Hintergrund der Natürlichkeit und
Lebendigkeit. Natürlich geht es nicht ganz ohne Goldenen Tempel.
Aber einen Augenblick, zwei längere Einstellungen, und dabei lässt
man es gut sein. Richard Linklater hatte ja in seinen beiden Filmen
ganz konsequent auf den Eiffelturm verzichtet, was vielleicht doch
ein bisschen übertrieben ist. Man sieht ihn nun mal oft in Paris. Im
Nachspann gibt es dann einige Bilder von den Dreharbeiten, wo man
überprüfen kann, dass tatsächlich an Ort und Stelle gedreht wurde.
Und wie passend zur
Wirklichkeit ist die Methode, mit der die männliche Hauptfigur im
Film sein Geld verdient! Er organisiert falsche Likes und Kommentare
für Facebook und andere Internetseiten. Schlechtes Gewissen hat er
keines, er argumentiert mit der Notwendigkeit seines Tuns: Das wäre
die Grundlage der punjabischen Wirtschaft. Und vielleicht auch der
Filmindustrie, musste ich abends, nach der Kinovorstellung am Samstag
Vormittag, denken. Ich war neugierig auf die Bewertungen bei IMDb und
entdeckte ein 10/10. Nun würde ich den Film sofort
jedem empfehlen, der oder die auf der Suche nach entspannter, ganz
intelligenter und kurzweiliger Unterhaltung ist. Aber Leute, das ist
irreal. Es gibt inzwischen zig Rezensionen mit der Bewertung 10/10. Die
meisten sehr kurz, ohne weitere Erklärungen, was nicht sehr typisch
ist. Na ja, aber der Film liefert ja die eigene Rechtfertigung für diese absolut gängigen Manipulationen gleich
mit. Doch ein bisschen geschickter und weniger offensichtlich wäre
doch besser. 8/10 oder 9/10, das ist viel empfehlenswerter, da wird
niemand so schnell stutzig. Das ist wie bei gefälschten
Wahlergebnissen. Da scheut man auch die 100% und nennt 99% oder noch
besser sogar ein ganzes Stück drunter.