NETAJI SUBHAS CHANDRA BOSE: THE FORGOTTEN HERO (2004) ist kein sehr persönlicher Film von Shyam Benegal. Es ist die solide Inszenierung eines fertigen Drehbuchs, das vor allem ein sehr weichgezeichnetes Porträt des indischen Freiheitskämpfers Subhas Chandra Bose enthält, der im Rahmen des dramaturgisch Möglichen sehr subtil von Sachin Khedekar verkörpert wird. Die Inszenierung konzentriert sich ganz auf die solide, funktionale Umsetzung der Story. Daher hat es wenig Sinn, hier von Stil oder Ästhetik zu schreiben. Struktur und Inhalt des Drehbuchs müssen vor allem auch wegen der sehr vereinfachten ideologischen Botschaft des Films im Vordergrund stehen Wobei aber der ausgezeichnete Soundtrack von A.R. Rahman zumindest kurz erwähnt werden sollte.
Der Film beginnt mit der politischen Trennung von Gandhi und Bose, dem Abschied von Bose von der Kongresspartei. Es folgen sein Gefängnisaufenthalt, sein Hungerstreik und der Hausarrest. Mit seiner Flucht 1940 aus dem eigenen Zuhause, unter den Augen der Polizei, folgt seine lange diplomatisch-militärische Odyssee über Afghanistan nach Berlin, nach Japan, nach Singapur, Burma, der japanisch-britischen Frontlinie vor Indien und seinem letzten Flug, nach dem er nie wieder gesehen wurde. Keiner weiß, ob er abgestürzt, abgeschossen oder später von den Sowjets ermordet wurde. Die offizielle Meldung war einfach Absturz. Dem Privaten, seiner engen, mindestens eheartigen Beziehung mit der Österreicherin Emilie Schenkl, mit der er die Tochter Anita hat, wird sehr viel Platz eingeräumt. Der Film zeigt ihn als idealistischen, mutigen, entschlossenen Mann, der alles der Befreiung Indiens unterordnet. Es soll der Eindruck vermittelt werden, dass er immer genau und sehr rational wusste, was er tat und Herr jeder Situation war. Vor allem will der Film zeigen, dass er totalitäre Mächte wie Deutschland, Italien, Japan und am Ende auch die UdSSR nur als Mittel zum Zweck benutzen wollte, dass er tief in seinem Herzen ein freiheitsliebender Mensch war.
Bei der inhaltlichen
Kritik des Films muss man zwei Dinge unterscheiden. Einmal die rein
persönliche Darstellung von Subhas Chandra Bose, seines Charakters,
seiner Persönlichkeit, seiner politischen Ziele. Selbst ein
Zuschauer, der nichts von Bose weiß, muss irgendwann der Verdacht
kommen, dass hier etwas nicht stimmt, denn kein Mensch ist dermaßen
perfekt. Wobei es schwer zu beurteilen ist, ob es sich um die
typische idealistische Bollywood-Heroisierungsstrategie handelt, oder
tatsächlich um ganz bewusste Geschichtsklitterung. Denn was der Film
verschweigt, ist, dass Bose ein Militarist war, der schon in den
20ern in Operettenuniform auftrat, dass er eine Diktatur, eine
Mischung aus „Nazismus und Kommunismus“ für Indien wollte, dass
er ein Bewunderer Mussolinis war, dem er in Italien persönlich sein
Buch „Indian Struggle“ (1935) über den indischen Freiheitskampf
überreichte. Und er war beileibe nicht immer so sanft, wie es in dem
Film erscheint. Er duldete keinen Widerspruch und ging als
Oberbefehlshaber hart gegen Abweichler vor.
Das andere ist aber die Wirkung seines Handelns, seines Krieges gegen die Briten. Es ist eine Tatsache, dass sein Redetalent, sein Idealismus und Patriotismus es schafften, eine Armee aus allen Kasten, Religionen und beiden Geschlechtern zusammenzustellen, die zwar in der Zahl verhältnismäßig klein war, aber durch überragenden Mut die Massen in Indien anstacheln sollte, es ihr gleich zu tun. Vor allem wollte man die vielen indischen Soldaten im Dienste der Krone ansprechen. Und da kann es tatsächlich kaum einen Zweifel geben, dass die Tatsache, dass er den Briten vorführte, dass die Loyalität zum britischen Imperium umgedreht werden kann, die Kolonisatoren verunsicherte. Und daher sollte bei der quasireligiösen Verehrung von Gandhis gewaltlosem Widerstand nicht vergessen werden, dass eine schlagkräftige Geisterarmee in seinem Rücken stand, die die Briten drohend anstarrte.
Ein echter Bose-Film dürfte also nicht dem heilig sprechenden Porträt nach dem Muster von Attenboroughs GANDHI (1982) folgen, sondern müsste aus Boses persönlicher und politischer Ambivalenz seine Spannung ziehen. Dass Bose diese totalitären Charakterzüge hatte, aber gerade damit, und gerade auch durch sein Scheitern, für die Unabhängigkeit erfolgreich war. Doch solch ein Versuch ist nicht einmal im Ansatz vorhanden. Das Problem des Films liegt allerdings überhaupt nicht, wie manche Kritiker bei der Premiere andeuteten, in den geringen finanziellen Mitteln. Massenszenen und riesige Schlachten sind nicht automatisch ein Qualitätssiegel. Und wenn man dann doch mit teilweise sogar bewegtem Interesse den immerhin 3 1/2 Stunden des Films folgt, dann liegt dies gerade an dessen großer Intimität.
Übrigens habe ich meine Zweifel, ob solch ein erwähnter idealer Bose-Film in Indien überhaupt möglich wäre, ohne dass es zu heftigen Protesten käme. Den beleidigten Bose-Parteigängern in Bengalen war ja schon die Darstellung von Boses inoffizieller Ehe mit Frau Schenkl zu viel. Die Premiere in Kalkutta musste vorsichtshalber abgesagt werden.