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Sonntag, 29. November 2020

Shyam Benegals TRIKAL (PAST, PRESENT, FUTURE) – Das portugiesische Goa

 

Shyam Benegal hat 1985 mit TRIKAL (PAST, PRESENT, FUTURE) einen, angesichts seines bis dahin durchgängig sehr realistischen Werkes, ungewöhnlichen Film gedreht. Ein Film ohne lineare Haupthandlung, dafür mit vielen kleinen Handlungen und Szenen innerhalb einer portugiesischen Familie in derem großen Anwesen und dem anliegenden Garten in Goa. Durchzogen von einer traumhaften Atmosphäre, magisch unterstützt durch Geisterbeschwörungen, die aber nicht den gerufenen Geist erscheinen lassen, sondern die düstere Seite der Vergangenheit, die man am liebsten vergessen möchte.

Die Familie ist ein Symbol für die Veränderungen im Jahre 1961, als die indische Armee durch einen Einmarsch dem portugiesischen Kolonialismus ein Ende machte. Diese portugiesisch geprägte Welt sieht man im Film sonst nie von innen heraus. Die aktuellen politischen Ereignisse stehen aber nicht ständig im Mittelpunkt, sondern sind zwischendurch Teil der Gespräche, der Diskussionen. Das Vergangene taucht aber sehr konkret auf in den zwei Geistererscheinungen von ermordeten Freiheitskämpfern und kurzen Montagesequenzen hinein in die grausame inquisitorisch-katholische Epoche.

Die ganze Struktur des Films ist von der Erinnerung, der Anwesenheit des Alten im Neuen geprägt. Gleich der Vorspann bringt Gegenwart und Vergangenheit in einer Sequenz zusammen. Das erste Bild ist das eines indischen Landarbeiters, der einen Sarg quer durch ein grünes Getreidefeld trägt. In einer Parallelmontage sieht man Bilder des modernen Goas und einen Mann namens Francis, eine kleine Rolle für Naseeruddin Shah, der nach 24 Jahren seinem Herkunftsort in Goa, den er noch kurz vor Ende der portugiesischen Herrschaft in Richtung Bombay verlassen hat, einen Besuch abstattet. Er kommt zu einem verlassenen, nur von einem alten grauen Wärter bewohnten Anwesen. Der Inder mit dem Sarg tritt ins Bild, bleibt aber draußen unbeweglich vor der offenen Haustür stehen. Erst später begreift man, dass er zu der nun folgenden Rückblende gehört, die die Beerdigung des Familienoberhauptes im Jahre 1961 zeigt.

Jetzt ist die Familie ohne Führung. Und begüterte Großfamilien, wie man von den Buddenbrooks oder auch den Corleones weiß, sind am schönsten und ergreifendsten in ihrem Ende und Verfall. Diese filmische Konstruktion um ein altes, leerstehendes Haus und der anschließenden Rückblende mit dem Untergang einer Familie erinnert ein bisschen an die Struktur der letzten großen Produktion SAHIB BIBI AUR GHULAM (1962) von Benegals Cousin Guru Dutt.

Im Mittelpunkt stehen drei Frauen. Zum einen die ältere Dona Maria, deren Mann gerade gestorben ist und die seinen Tod nicht akzeptieren will. Sie lebt ganz in ihren Erinnerungen. Dann Dona Marias junge, sehr stille persönliche Hausangestellte Milagrenia, die als ihr Medium bei spiritistischen Sitzungen fungiert. Schließlich die Enkelin Ana, die einen jungen Mann aus einer guten, extra aus Portugal angereisten Familie heiraten soll, sich aber für einen flüchtigen Revolutionär entscheidet. Francis hingegen hat nur eine kleinere Rolle als glückloser Verehrer von Ana und ist derjenige, der die Hausangestellte schwängert und daraufhin von seinem Onkel schnell nach Bombay geschickt wird. Nach oben hin, Ana, hätte er gerne geheiratet, aber doch nicht nach unten, eine Hausangestellte.

Die Figurenzeichnung ist nicht ohne Ironie. Da ist Anas konservativer Vater, dem bei Gemütsbewegungen immer die obere Zahnreihe herausfällt, so wie bei der Beerdigung des Schwiegervaters oder beim Schimpfen mit seiner Tochter. Oder die nicht enden wollende Hysterie der Tochter Dona Marias angesichts der Ungerührtheit der Mutter, die den Tod ihres Mannes nicht wahrhaben will und die Beerdigung für  unecht hält.

TRIKAL ist visuell sehr schön und mit seinem warm-goldenen Licht in Innenräumen mit Kerzen- und Petroleumlicht wirkt es nicht wie 1961. Hier hat sich wirklich etwas absolut Überlebtes erhalten. Voller Schönheit und Eleganz, aber anachronistisch. Dies sowie der Garten im blauen Mondlicht, Lichtsäulen, die durch die Bäume fallen, legen die ästhetische Grundlage für die Magie der Geisterszenen. Dazu kommt die sehr flüssige Erzählweise, der ständige Übergang zwischen den Handlungssträngen. Das alles könnten Figuren aus einem südamerikanischen Roman des „magischen Realismus““ sein. Im Hintergrund erklingt fast ohne Pause eine sehr sentimentale Musik wie aus einer Seifenoper. Benegal verzichtet auf hässliche Verfallsästhetik. Es ist eher die morbide Schönheit des Zuendegehens, die aber nicht überstrapaziert wird. Die Musik- und Tanzszenen bei einer Verlobungsfeier sind ausgesprochen schön und heiter.

Am Ende geht es zurück in die Gegenwart, und auf Francis wartet eine Rückfahrt voll Wehmut, Bedauern und Schuld. Sein Interesse für seinen unehelichen Sohn, den er vermutlich nie gesehen hat, kommt zu spät. Es ist niemand mehr da. Aber er hat erfahren, dass Ana und ihr Mann das Haus gekauft haben, um aus Portugal zurückzukommen. Hier konkretisiert sich die Verbindung aller drei Zeitebenen des Filmtitels.