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Montag, 29. März 2021

Bejoy Nambiars TAISH – Der Wahnsinnsweg der Rache

 

Die ZEE5-Hindi-Eigenproduktion TAISH, inszeniert von Bejoy Nambiar, gibt es in zwei Versionen: als 3-stündige Serie und als knapp knapp 140-minütigen Spielfilm. Der Unterschied zwischen Serie und Film liegt vor allem in der Erzählstruktur. Die Filmhandlung läuft chronologisch ab und die Serie springt in den Zeitebenen. Da ich keine Lust hatte, beide Versionen zu gucken, wählte ich die einfachere Erzählweise des Spielfilms und es ist, glaube ich, die richtige Entscheidung gewesen. Für eine kompliziertere Erzählstruktur gibt es eigentlich keinen Grund. Die kürzere Laufzeit und damit verbundene Leerstellen erzeugen auch die zur unerbittlich fortschreitenden Geschichte passende Intensität. Jedenfalls hatte ich hinterher nicht das Gefühl, es hätte etwas gefehlt und ich müsste als Ergänzung jetzt unbedingt doch noch die längere Serie gucken.

Zwei Geschichten um Liebe und Ehe laufen in Parallelmontage erst einmal eine ganze Zeit nebeneinander her. Dabei gibt es keine offensichtlichen inhaltlichen Bezüge zwischen den Geschehen. Das einzige, was sie verbindet, ist, dass es um Menschen mit Geld in und um London geht. Zum einen eine Moslem-Familie mit Gangsterhintergrund, zum anderen eine Hindu-Familie mit medizinischem Hintergrund. Der Film beginnt damit, dass jemand seine Rache nicht ausführt. Ein Gangster will seinem Chef, seinem „Bruder“, bei dessen religiöser Hochzeitszeremonie mit einer zweiten Frau, gleichzeitig die Schwägerin, den Kopf wegblasen. Das Motiv ist Eifersucht, aber er bringt es nicht über sich. Harshvardhan Rane spielt diesen verhinderten Brudermörder in einer Mischung aus hilflosem Romantiker und hemmungslosem Gewalttäter. Unentschlossen ist auch ein von Jim Sarbh gespielter junger Arzt ohne große medizinische Ambitionen, der zusammen mit einer Kollegin, einer moslemischen Pakistanerin lebt. Aber er hat echte Kindes-Panik vor den hindu-orthodoxen Eltern. Doch zunächst steht die Hochzeit der Schwester an.

Dort treffen die beiden Geschichten aufeinander. Der ältere Gangster ist ein Freund des Ärzte-Vaters, taucht bei einer der Hochzeitspartys auf und der Sohn bricht zusammen, da dieser Gangster ihn in seiner Kindheit sexuell missbraucht hat. So stark war die Verdrängung, dass deren Hervorbrechen ihn umwerfen konnte. Ein Freund, den Pulkit Samrat als charmanten und ebenso bemitleidens- wie hassenswerten Psychopathen spielt, vollzieht statt des Opfers die Rache. Dieser Freund badet masochistisch in seinem schlechten Gewissen, als kleines Kind der missbrauchten Schwester damals nicht geholfen zu haben. Er schlägt den Gangster rollstuhlreif und der Zug der Rache rollt ab sofort ohne Bremsen den Abgrund hinunter. Es kommt zu einem brutalen, mörderischen und sinnlosen Hin und Her, das Unschuldige und Unbeteiligte mit sich in den Tod zieht. Die unmöglich zusammenzufassende Handlung und die Figuren treten in den Hintergrund. Die Mechanik der Geschichte steht nun im Vordergrund, und das ist passend, denn die Beteiligten sind keine geistig freien Menschen mehr. Gewalt, Gegengewalt, dabei so sehr in eine temporeiche Thriller-Handlung eingebaut, dass TAISH nicht als Lehrstück daherkommt. Und am Schluss ist da nur noch Irrsinn und Leere. In den besten Augenblicken geht es nur um diese eine Idee der sinnlosen Rachegewalt, und da erreicht der Film eine fast abstrakte Qualität.

Und dabei hilft der visuell schöne und sorgfältige Stil des Films, der wenig zu tun hat mit den sinnlos künstlich vertrackten Kameraeinstellungen und stupid monochromen Einfärbungen durchschnittlicher Thriller. Es mag hier bei weitem nicht alles perfekt sein, aber es ist nicht zu übersehen, dass Nambiar sich bemüht, das moderne stylische Element durch intelligente Stilisierung zu ergänzen. Dabei sind es mitunter die einfachsten Szenen, die bildlich in Erinnerung bleiben. Wenn etwa der Arzt und seine moslemische Verlobte miteinander vor einem Fenster scherzen und neben ihnen ein großer Spiegel an der Wand hängt, in den auf einmal die Hindi-Eltern, die Treppe gegenüber hinunterschreitend, stehen wie in einem Familienporträt und der Sohn angesichts dieser Demonstration ehrwürdiger, über ihm ruhender Macht sich wie ein Würstchen benimmt, dann ist das ironisch und es ist alles gesagt. TAISH ist natürlich auch ein Film mit einer Reihe sehr harter, aber auch sehr abstoßender Gewaltszenen. Aber Nambiars Stil identifiziert sich nicht mit der Gewalt, nicht einmal, wenn sie von einem rein menschlich-moralischen Standpunkt aus gerechtfertigt erscheinen mag. TAISH ist ein Rachefilm ohne genüssliche Befriedigung für den Zuschauer.

Nambiars Ehrgeiz zu mehr als dem einfachen Geschichtenerzählen, konnte man auch in seinem vorherigen Film SOLO (2017) sehen, der den Versuch eines modernen Shiva-Films darstellt. Die vier Elemente Wasser, Luft, Feuer, Erde, also die vier der fünf – es fehlt der Äther – verschiedenen elementaren Facetten von Shiva stehen in vier Kurzfilm-Episoden jeweils im Mittelpunkt. Nambiar sucht also, über einfaches individuelles Storytelling hinaus, das Mythische, Allgemeine, Abstrakte. Und das geschieht mit ambivalentem Erfolg. Statt eines angekündigtes Konzept sollten soche Ideen ja eigentlich stillschweigend aus dem Film selbst hervorgehen. Was man jetzt als Zuschauer sieht und erkennt, kann leicht zur „self-fulfilling prophecy“ werden. Und dann wirkt es schnell, als sollten ganz einfache Kurzfilme zu mehr aufgebauscht werden, als ihre Substanz von alleine hergeben würde.

Aber SOLO hat ohne Zweifel auch seine ihn sehenswert machenden Reize: Besonders Wasser und Luft spielen in ihren entsprechenden Episoden eine wirkliche dramaturgische Rolle. Verbindendes filmisches Element ist aber der ausgezeichnete Hauptdarsteller Dulqeer Salman, der vier tragende Rollen hat. Die vier Facetten Shivas gehen aber auch einher mit verschiedenen Genres und Erzählweisen, von Soap über Rache-Melodrama über Gangster-Tragödie bis zu Familien-Tragikomödie. Und vor allem liegt ein Schleier von Maya über den Geschichten, der oft erst zu spät durchschaut und beseitigt wird. Aber nicht am Ende. Da gibt es eine Rama und Sita würdige Hochzeit.