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Mittwoch, 31. März 2021

SANT TUKARAM – Ein sanfter Heiliger

 

Die 1929 gegründete Prabhat Film Company mit Sitz in Pune war besonders spezialisiert auf die Produktion von historischen, mythologischen und devotionalen Filme. Eines der schönsten Beispiele ist SANT TUKARAM (1936) von Sheikh Fattelal und Vishnupant Govind Damle über den in Marathi dichtenden und den Vishnu-Avatar Pandurang verehrenden und besingenden Bhakti-Poeten der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts. Tukaram, ein Unterkastiger, war besonders beim Volk sehr populär und damit bei den Mächtigen, besonders der Priesterkaste, die ihr Religions-Monopol gefährdet sah, unbeliebt. Das ging so weit, dass man ihn zwang, seine Gedichte im Fluss Indrayani zu versenken. Ein geistiger Mordversuch, auf den er mit kompromisslosem Fasten reagierte. Die Manuskripte tauchten unbeschadet wieder auf.

SANT TUKARAM ist eine in einem nüchternen, realistischen, volksnahen Stil gefilmte Heiligenlegende, in der natürlich Wunder nicht ganz fehlen dürfen. Und da hat man eine schöne, zurückhaltende Lösung gefunden. Einerseits werden diese göttlichen Eingriffe unmissverständlich deutlich gemacht, aber alles geschieht auf eine fast verspielte, leichte Art und Weise. Bei der Heilung eines kranken Jungen vor einem Altar greift aus diesem nur eine einzelne Hand, um den Jungen göttlich gesunden zu lassen. Wenn eine Getreideernte durch himmlische Intervention vergrößert wird, um Tukaram und seine Familie vor der Obdachlosigkeit zu bewahren, sieht man oben im Himmel den Gott Pandurang, den dunkelhäutigen Jungen, Getreide auf die Erde herabschütten. Die göttliche Inspiration von Tukarams Poesie wird durch eine graphische Doppelbelichtung verdeutlicht. Das alles hat etwas von Kinderbuch und passt zum einfachen Stil des Films.

Die Hauptrolle hat der Sänger Vishnupant Pagnis, der der Figur eine sanfte, naiv-verträumte Aura verleiht, die es absolut glaubhaft macht, dass hier ein der Welt entrückter Mann entweder ständig in Trance ist, dichtet, singt oder den Namen seines Gottes Pandurang unablässig als Mantra vor sich her sagt. Pagnis' Darstellung passt auch wunderbar zu der zarten, spirituellen Originalpoesie und der kongenialen, von Keshavrao Bhole für den Film geschriebenen Musik. Gesungen werden sie von Pagnis selbst. Durch diese insgesamt äußerst positive Stimmung geht eine authentische und vor allem bodenständige Spiritualität von dem Film aus.

Eine der ganz wenigen auffälligen, technisch aufwendigeren Sequenzen verdeutlicht die Popularität Tukarams und den Zorn, den sie bei Menschen höherer gesellschaftlicher Schichten, Klassen, Kasten verursachen kann. Ein Gegner Tukarams kommt in die Stadt geritten, bewegt sich durch die Straßen und zwischen diesem immer finsterer dreinschauenden Mann und der Kamera befinden sich die arbeitenden Menschen. Und jeder, der hier tätig ist, singt ein Tukaram-Lied. Eine sehr lange, langsame seitliche Kamerafahrt hinter den fast nur silhouettenartig zu sehenden Arbeitenden lässt ein Lied in das nächste übergehen.

Es ist diese ständige Feindschaft, die Tukaram von verschiedenster Seite trifft, die durch die episodische Struktur des Films wiedergegeben wird. Immer wieder aufs Neue gerät Tukaram durch sein Gott zugewandtes Inneres, seine irdische geistige Abwesenheit in materielle Schwierigkeiten, die sich für ihn aber immer wieder zum Guten wenden. Aber die Gegner werden immer mächtiger. Es geht um Persönliches, Religiöses, Politisches. Verschiedene Menschen und Kräfte wollen ihn von seinem Weg abbringen. Vor allem den Pseudo-Heiligen ist er ein Dorn im Auge. Er lässt sie so unvollkommen aussehen. Andererseits gibt es eine harmonische Begegnung mit dem legendären Marathi-Führer Shivaji.

Besonders die Schilderung des Familienlebens macht den Film zu einem echten nachvollziehbaren und auch zeitlosen Alltagsfilm. Da gibt es eine schöne Szene, die die Verbundenheit des Ehepaares trotz aller Schwierigkeiten zeigt. Tukaram hatte sich schon in den Wald zurückgezogen. Er singt, meditiert, nur Natur, Vögel sind um ihn herum. Da kommt die Frau mit Essen. Er entscheidet sich gegen Totalentsagung, bemüht sich, hat kurz Verantwortung, aber es will einfach nicht klappen. Ungeschönt wird seine totale Unfähigkeit in der kaufmännischen Welt gezeigt. Es ist somit auch ein bürgerliches Lehrstück, das der Frau, ihren täglichen Sorgen und Schimpfereien sowie dem Hunger der Kinder viel Raum gibt. Schauspielerin Gauri ist wunderbar in dieser Rolle.

Gleichzeitig hat das Aufeinandertreffen seiner spiritueller Entrücktheit und der praktischen Ehefrau auch etwas warm Humorvolles und Ironisches. Vor allem, da ihr Schimpfen so sinnlos ist, so recht sie auch oft hat. Und sie ist keinesfalls auf den Mund gefallen. Sie sagt sogar ironisch zu einer Prostituierten, die Tukaram auf den rechten Weg geführt hat: „Heirate du ihn doch. Wirst ja sehen, was du davon hast.“ Und einen Reichen, der Tukaram treffen möchte, keift sie an: „Gehen Sie schnell weg, sonst werden sie auch noch ruiniert.“

Das Einzige, was man über das Ende von Tukaram weiß, ist, dass man nichts weiß. Um 1650 war er plötzlich verschwunden. Es ist also viel Raum frei für Legendenbildung. SANT TUKARAM macht es überdeutlich mit einer echten Himmelfahrt, besser, einem Himmelflug auf einem Riesenvogel, auf Vishnus Adler Garuda. Aber Adler hin, Adler her, diese überbordende fantastische Ausstattungsfantasie ist ein Bruch mit dem so wunderbaren realistischen Minimalismus des Films und wirkt bloß unpassend scheußlich. Dass ausgerechnet ein Wesen aus dem göttlichen Pantheon für einen absolut unspirituellen Moment sorgt, verdeutlicht den Unterschied zwischen religiösem und spirituellem Kino. Aber die Adler-Schlussszene verblasst schnell in der Erinnerung an den sonst so schönen SANT TUKARAM.