SHOLAY (1975): Eine der größten Klassiker der indischen Filmgeschichte. Der definierende Film der 1970er. Der Curry-Western aller Curry-Western. Mit Amitabh Bachchan, Dharmendra, Amjad Khan, Hema Malini. Und mit einer Reihe von Action-Szenen. Darunter die bekannte Sequenz, in der die von Malini gespielte junge Frau mit einem Karren vor den Bösewichten davonjagt, ein Rad verliert und auf einem einzelnen Rad wild weiterfährt. Und mit dieser Szene beginnt auch THE SHOLAY GIRL (2019). Da kommt es zu einem Unfall, der nicht im Drehbuch steht und heraus krabbelt eine weibliche Gestalt, die so gar nicht aussieht wie Hema Malini. Schwer verletzt kommt sie ins Krankenhaus. So lernen wir sie kennen: Reshma Pathan. Der erste weibliche Stuntman, so die damals geläufige Bezeichnung, denn Stuntfrauen waren offiziell gar nicht vorgesehen. Selbst die Mitgliedschaft 1974 in der Berufsvereinigung „Stunt Artist Association“ hatte sie sich nach Jahren harten Widerstands erkämpfen müssen. „Sie pflegten mich böse zu verspotten und alle möglichen Sachen zu sagen. 'Dein Gesicht wird zerstört werden. Wer wird dich heiraten? Du bist eine Frau, wer wird sich um dich kümmern, wenn du für den Rest deines Lebens verkrüppelt bist? Geh weg und heirate, verschwende nicht dein Leben', pflegten sie zu sagen.“ (in: Hindustan Times, s.u.)
Reshma Pathan ist eine historische Figur, die aber lange unter dem Radar der indischen Filmgeschichtsschreibung und nur innerhalb der Industrie existiert hat. Nicht einmal in Anupama Chopras ansonsten so schönem und empfehlenswertem Buch „Sholay. The Making of a Classic“ (2000) über die Entstehung dieses Filmklassikers taucht sie am Rande auf. Bei IMDb ist sie praktisch nicht verzeichnet. Sie selbst schätzt ihre Arbeitsleistung auf fast 400 Filme. In den 70ern und 80ern hat sie fast alle weiblichen Stars gedoubelt. Und die, für die sie nicht eingesprungen ist in gefährlichen Situationen, die hatten in ihren Filmen vermutlich keine entsprechenden Szenen zu bewältigen.
THE SHOLAY GIRL selbst ist ein ziemlich konventioneller Biopic unter der Regie von Aditya Sarpotdar. Der Verdienst des Films liegt nicht so sehr in seiner Qualität, sondern in der reinen Tatsache, dass er existiert. Er erfüllt seine Funktion, die Zuschauer auf ganz unterhaltsame Weise mit Pathan und ihrem Leben bekannt zu machen. Vor allem die überzeugende Hauptdarstellerin Bidita Bag verleiht dem Film Leben und Energie. Und am Ende taucht ja Pathan sogar selbst auf, spielt sich selbst. Und endlich bekommt sie die Anerkennung, die sie verdient, und sie macht keinen Hehl daraus, dass sie dieses Leben im Dunkel oft genug geärgert hat: „Ich habe große Filme wie Sholay (1975), Jyoti (1981), Betaab (1983) und viele andere gemacht. Ich habe gegen Bullen gekämpft, bin durch Feuer gelaufen, wurde mit echten Tigern gefilmt, bin von Dächern gefallen und habe doch keine Anerkennung bekommen. Das hat mich manchmal geschmerzt. Ich hörte ständig, dass Leute Preise bekamen, jeder bekam Preise außer mir. Ich kriegte nie etwas anderes als meine Bezahlung.“ (in: Hindustan Times, s.u.)
In nur 85 Minuten werden die wichtigsten Stationen abgespult. Wie sie 1968 wegen der Krankheit des Vaters mit nur 14 Jahren gegen alle Widerstände zum Film ging und damit von nun an die von akuter Armut bedrohte moslemische Familie durchbrachte. Wie der Stuntexperte S. Azim, genannt Azim Bhai, sie bei einem ihrer gefährlichen Kunststücke in der Stadt, bei denen Geld gesammelt wurde, entdeckt hatte. Wie sie sich gegen männliche Gegenwehr durchkämpfte. Leider gibt es eine Rhetorik in dem Film, dass man den Eindruck kriegen könnte, Pathan hätte nicht allein für ihre Familie und sich selbst gekämpft, sondern damals schon bewusst für alle Frauen dieser Welt. THE SHOLAY GIRL hatte sogar seine Premiere 2019 am Tag der Frauen.
Was die Filmindustrie
angeht, hat sich der Film für Nostalgie mit Schönheitsfehlern
entschieden. Die Belästigung und die schlechte Behandlung werden
gezeigt. Da ist der Kollege, der sie beim Gespräch zu oft berührt,
ein selbstverliebter Star, der sich mit den Händen ihrem verlängerten
Rücken nähert, während er sie schon ganz selbstverständlich in seinem Bett
sieht, und das unangenehme Angewiesensein auf eine spärliche
Umkleidekabine. „Da waren einfach so viele von der Sorte. Sie
dachten, ich wäre leichte Beute, da ich mir selbst meinen
Lebensunterhalt verdiente. Ich habe sie immer in ihre Schranken
verwiesen. Sexuelle Belästigung von Frauen in der Industrie ist
nichts Neues.“ (in: Hindustan Times, s.u.) Aber alles bleibt anonym.
Der lüsterne Star ist nicht zu identifizieren, vermutlich eher eine Art
zusammengefasstes Kunstprodukt vieler solcher Erlebnisse. Und dann
gibt es beispielsweise ein altes TV-Interview von ihr, das im Film zu sehen ist und wo sie erzählt,
dass ein LKW nicht kurz vor ihr anhielt, so wie es zugesagt war,
sondern sie einfach umfuhr. Danach hat sie nie wieder mit diesem
Regisseur gearbeitet. Dass es sich hier um den Film KARZ (1980) mit
seinem Regisseur Subhash Ghai handelt, kann man nur aus einem
Zeitungsinterview mit Pathan erfahren. Der Film bleibt selbst bei
diesem offenen Geheimnis zurückhaltend. Schade ist auch die fehlende
Authentizität der Actionszenen, denn was es hier zu sehen gibt, sind
offensichtlich digitale Stunts. Irgendwie traurig bei einem Film über
die große indische Stuntheldin.
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