Der aus Bengalen stammende große Hindi-Regisseur Bimal Roy hatte eine Freizeitbeschäftigung zu Hause. Auf seinem 16-mm-Projektor schaute er sich immer wieder seine Kopie von Eisensteins PANZERKREUZER POTEMKIN (1926) an. Für seine kleinen Kinder ein schauerlicher Horrorfilm mit Maden im Fleisch, aber für ihn offensichtlich eine unerschöpfliche Inspirationsquelle. Die deutlichste Spur, die dieser sowjetische Film in seinem Werk hinterlassen hat, ist natürlich das berühmte Rikscha-Rennen in DO BIGHA ZAMIN (1953) mit seiner ausgefeilten, immer schneller werdenden Montagesequenz. Aber ansonsten ist Bimal Roys Kino ein sehr ruhiges, poetisches Kino, das sich meist mit sozialen Themen verbindet. Die Verbindung aus Poesie und Politik ist zwar eine der bemerkenswertesten Eigenschaften des sowjetischen Kinos. Aber direktes Montagekino findet man bei Roy ansonsten allenfalls mal zwischendurch in kurzen Sequenzen.
Doch der Dokumentarfilm LIFE AND MESSAGE OF SWAMI VIVEKANANDA (1963) für das staatliche Dokumentarfilminstitut Films Division zwang ihn direkt, auf die Montage-Methode in einem ganzen Film zurückzugreifen, denn bewegtes Archiv-Filmmaterial stand hierfür fast gar nicht zur Verfügung. Stattdessen baute man den Film auf auf „Relikten, alten Aufnahmen, Malereien, Fotografien“. Und so versammelte er viele aus seinem normalen Team. Salil Chowdhury schrieb die Musik. Kamal Bose an der Kamera und Madhu Prabhawalkar verantwortlich für den Schnitt. Die gemalten Bilder, die die Geschichte erzählen, wurden extra für den Film angefertigt. Mit Kamera, Schnitt, Ton entstand so ein echter Bimal-Roy-Film, der abwechslungsreich eine spirituelle, soziale, poetische Geschichte erzählt.
Die Doku beginnt mit aktuellen Bildern zur 100-Jahrfeier von Vivekananda (1863-1902), mit einer Prozession, einer Veranstaltung in einem Theater, Reden von Nehru und dem Staatspräsidenten vor einer großen Menge. Das verdeutlicht die Bedeutung, die der große Mönch immer noch, wie auch heute, in Indien hat. Die Lebensgeschichte dann beginnt mit Vivekanandas Rückkehr aus dem Westen und dem triumphalen Empfang durch Würdenträger und Menschenmassen. Dann wird sein Leben von Kindheit bis zum Tod aufgerollt, wobei das Spirituelle nicht vernachlässigt wird, aber gerade eine große Betonung auf die soziale Arbeit gelegt wird, die die Doku als Vivekanandas größte Leistung erscheinen lässt.
Hier am Anfang zeigen
sich schon die Mittel, die diese Doku über den vorwiegend
informativen Durchschnitt der üblichen Dokumentarfilme herausheben. Ganz entscheidend für die
Lebendigkeit von LIFE AND MESSAGE OF SWAMI VIVEKANANDA ist die innere Montage, wenn die
Bilder von Vivekanandas Stationen gefilmt werden. Die Kamera bleibt, während der Off-Sprecher erzählt, nicht starr auf dem Bild, sondern macht
gleichsam ständige Fahrten und Bewegungen, wodurch jede Statik
verhindert wird. Und Kamal Bose sorgt für echte, ausgeklügelte
Abwechslung: Schwenks, Zooms ins Bild und heraus, Schnitte,
Überblendungen, vertikale, horizontale, diagonale Kamerabewegungen.
Und das alles auf kleinstem Raum. Zwischen den gemalten Bildern gibt
es immer wieder Inserts mit kurzen realen Filmaufnahmen wie die von
einem Feuerwerk. Aber es gibt in Form von Schockmontagen auch Fotos
von ausgemergelten Dorfarbeitern. Von ganz nah wird ein Denkmal für
solche Arbeiter mit Gestalten aus Haut und Knochen gefilmt, als
sollte man das Elend als Zuschauer spüren können. So weit geht Roy in seinen Spielfilmen nicht. Gleichzeitig wird später
das Poetische nicht vernachlässigt. Wenn es um Vivekanandas Wanderungen
durch Indien geht, zeigt Roy wunderschöne Bilder von Städten, vom
Ganges, vom Sonnenuntergang und auf einem Bild, das man erst für ein
Foto hält, bewegt sich plötzlich der Schatten einer Wolke auf der Straße ganz leicht nach vorne, woraufhin sofort ein Schnitt folgt. Das hat eine seltsame Wirkung. Einen Moment hat man sich auf diese Sogwirkung eingelassen, die aber sofort unterbrochen wird.
Auch der Sprechton spielt, neben der Musik, eine große Rolle. Denn durch die Verteilung der Textarten auf verschiedene Sprecher entsteht eine Dramatisierung, die den Storycharakter der Doku unterstreicht. Vivekananda und auch andere haben eine eigene Stimme. Die gelungenste Sequenz in der Beziehung ist die, in der Vivekananda den Gesang und Tanz einer Hofsängerin verschmäht, weil sich dies nicht für einen Mönch zieme. Getroffen singt sie ein religiöses Lied. An einer Wand sieht man den Schatten eines auf dem Boden sitzenden Mannes, der nach Ende des Liedes demütig um Verzeihung bittet.
Und jetzt müsste die Films Division nur noch den zweiten Dokumentarfilm von Bimal Roy ins Netz stellen: GAUTAMA, THE BUDDHA (1967). Wobei ich nicht weiß, inwiefern er diesen Film noch vollständig kontrollieren konnte, denn 1966 ist der Mann gestorben, der für mich immer noch der beste aller Hindi-Regisseure ist. Filme wie DEVDAS (1955), MADHUMATI (1958) oder SUJATA (1959) sollte jeder Filminteressierte kennen.